Vorkämpfer für die Unabhängigkeit der Bundesbank
Seine Antwort kam nur 24 Stunden später, höflich, aber bestimmt. "Ich darf darauf hinweisen, dass einschneidende kreditpolitische Maßnahmen zur Zuständigkeit des Zentralbankrats gehören, zu dessen Sitzungen der Herr Bundeswirtschaftsminister und der Herr Bundesfinanzminister regelmäßig Einladungen erhalten!"
Diese Zeilen schrieb Geheimrat Wilhelm Vocke am 8. November 1955 an den damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer, nachdem dieser den Präsidenten am Tag zuvor gebeten hatte, "keine einschneidenden Maßnahmen zu verfügen, ohne dass vorher eine Konsultation mit der Bundesregierung stattgefunden hat"
. Dieser kurze Briefwechsel soll für den Charakter von Wilhelm Vocke bezeichnend gewesen sein - klar in der Sache, überzeugt von seiner Auffassung einer stabilen Währung. Nicht zuletzt diese Standfestigkeit trug dazu bei, dass sich Vockes Verhältnis zum damaligen Bundeskanzler im Laufe der Jahre "allmählich verschlechtert hat", wie der Geheimrat 1973 in seinen Memoiren schrieb. 1956 griff Adenauer in einer Rede den Zentralbankrat scharf an: "Wir haben hier ein Organ, das niemandem verantwortlich ist, auch keinem Parlament, auch nicht einer Regierung."
Und er kritisierte die jüngsten Beschlüsse der Notenbank als "Fallbeil … für die kleinen Leute."
Doch Vocke trotzte dem Druck der Politik und verankerte somit die Unabhängigkeit der Notenbank in der Gesellschaft.
Mit 33 Jahren schon im Direktorium der Reichsbank
Nach einem Studium der Rechtswissenschaft und der Nationalökonomie und einem kurzen Gastspielen beim Finanzamt in Würzburg und dem Reichspatentamt wechselte Vocke 1913 ins Reichsamt des Innern, wo er Referent für das Bank- und Geldwesen wurde und auch die Reichsbank beriet. Dorthin wechselte er im April 1918 als "Hilfsarbeiter für das Reichsbank-Direktorium". Nur gut ein Jahr später wurde er als 33-Jähriger von Reichspräsident Ebert in das Reichsbank-Direktorium berufen und zum "Geheimen Finanzrat" oder kurz Geheimrat ernannt.
Initiator des Memorandums gegen Hitler
Auch als die Reichsbank Anfang der 20er-Jahre für unabhängig erklärt wurde, behielt Vocke seinen Platz im Direktorium. Nach der Machtübernahme durch das nationalsozialistische Regime wurde Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht 1934 zusätzlich Reichswirtschaftsminister, obwohl er selbst kein Mitglied der NSDAP war. Schacht unterstützte die Rüstungsfinanzierung über die Notenbank, indem er das Instrument der Mefo-Wechsel schuf - die Mitglieder des Reichsbankdirektoriums informierte er aber erst später darüber, wie Vocke in seinen Erinnerungen schrieb. Als gegen Ende der 30er-Jahre immer offensichtlicher wurde, dass diese Form der Rüstungsfinanzierung die Inflation antrieb, wollte das Reichsbankdirektorium die Notbremse ziehen. In einem Brief vom Januar 1939 an den "Führer und Reichskanzler" forderte es unter anderem eine sofortige Deckung des Staatsdefizits durch neue Steuern. Vocke lieferte den Entwurf für dieses Memorandum. Hitler reagierte auf dieses Schreiben brüsk, entließ das gesamte Direktorium und unterstellte die Reichsbank seinem persönlichen Befehl.
So war Wilhelm Vocke während des gesamten Zweiten Weltkriegs Privatier. "Ich wurde nicht verfolgt, aber geächtet"
, schrieb er später in seinen Memoiren. "Ich habe meinen Beruf geliebt, solange ich ihn nicht unter dem Hitlerregime ausüben musste"
, notierte Vocke. Sein guter Draht zur Bank of England verhalf ihm nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs 1945 wohl zum Comeback in der Zentralbank; denn er wurde schon bald stellvertretender Leiter der Reichsbankleitstelle in Hamburg in der britischen Besatzungszone, ehe er 1948 vom Zentralbankrat zum Präsidenten des Direktoriums der Bank deutscher Länder gewählt wurde.
In seiner Zeit als Präsident trat er als entschlossener Verfechter einer stabilen Währung auf. So forderte er schon 1955 die Tarifparteien auf, in der Lohnpolitik "Maß zu halten", um die Preisstabilität nicht zu gefährden. Wie auch sein Nachfolger Karl Blessing (1957-1969) wehrte sich Vocke gegen eine Aufwertung der D-Mark, die der damalige Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard durchsetzte. Und er mahnte schon 1956 an, dass die die Aktie als Anlageform bei der Vermögensbildung missachtet werde. 1957 wurde Vocke - genauso wie Karl Bernard, der Präsident des Zentralbankrats - verabschiedet. Die Medien begleiteten den Abschied mit kritischen Beiträgen. "Kanzler vergaß seinen Groll nicht - auch die Industrie wünschte Vockes Ausbootung"
titelte zum Beispiel die "Nordwestdeutsche Rundschau". Nach seiner aktiven Zeit hielt Vocke 1958 in New York eine Rede, in der er seine Philosophie der Währungspolitik erläuterte. Sein Fazit: "Es ist die Politik des Erringens und Erhaltens von Vertrauen."
Wilhelm Vocke starb 1973.