"Globale Märkte brauchen globale Verhaltensregeln" Gastbeitrag im "Handelsblatt"

Manipulation des Libor, Betrugsfälle im Devisengeschäft, Verstöße gegen Geldwäschegesetze: In den vergangenen sechs Jahren sind Banken weltweit zu Strafen für Fehlverhalten in Höhe von mehr als 200 Milliarden Dollar verurteilt worden. Ob bereits alle Fälle aufgedeckt sind, ist offen, eins steht aber jetzt schon fest: Fehlverhalten in Banken hat ein beunruhigendes Ausmaß erreicht. 

Die Folgen gehen weit über die verhängten Strafen hinaus. Eine ganze Branche ist in Verruf geraten und das Vertrauen in den Finanzsektor beschädigt – zum Schaden der Kunden, anderer Marktteilnehmer, der Steuerzahler und schließlich der Branche selbst. Vertrauen und Ehrlichkeit sind Grundvoraussetzungen für funktionierende Finanzmärkte. 

Die Regulierung hat reagiert und die Banken stärker in die Pflicht genommen. So sind unter anderem die Vergütungsvorschriften angepasst worden. Zurzeit beschäftigt sich die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA erneut damit. Der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht hat gerade seine Grundsätze zur "Corporate Governance" überarbeitet. Sie heben die Bedeutung der Risikosteuerung hervor und sehen hier die Vergütung als wichtiges Instrument. 

Strengere Regulierung und Aufsicht haben ihre Grenzen. Es ist die Kultur eines Hauses, die den Boden für Fehlverhalten bereitet, und diese ist von außen nur schwer zu beeinflussen. Regulierung kann nur mittelbar mit Hilfe von Vorschriften oder Verboten reagieren. Regeln können aber dazu führen, dass Wertmaßstäbe wie moralisch einwandfreies Verhalten nur noch als Last des Gesetzgebers wahrgenommen werden. 

Es muss aber im Eigeninteresse der Finanzindustrie liegen, zusätzlicher Regulierung durch echten Kulturwandel zuvorzukommen. Nur so können Banken das Vertrauen der Kunden zurückgewinnen. Viele Institute haben bereits ihre Führungs- und Verhaltensgrundsätze angepasst. Allerdings sorgt ein Bekenntnis der Führung allein noch nicht dafür, dass sich langjährige Verhaltensweisen ändern. Der Kulturwandel muss von Allen auch gelebt werden. 

Regulierer und Aufseher können hierbei helfen. Auf ihrem Treffen in Dresden im Mai dieses Jahres haben die Finanzminister und Notenbankgouverneure der G7-Staaten erstmalig einen Verhaltenskodex für Banker diskutiert, der in Zukunft auch auf Vermögensverwalter und Hedgefondsmanager angewandt werden könnte. Schon die Bezeichnung signalisiert, dass der Kodex nicht an der Bank, sondern an der Person des Bankers ansetzen soll, also die individuelle Verantwortung in den Mittelpunkt gestellt wird. Die Bank ist damit jedoch nicht aus der Verantwortung entlassen, denn sie hat im Zweifel ein Umfeld geschaffen, das dem Einzelnen einen Anreiz gegeben hat, sich falsch zu verhalten. 

Ein Beispiel: Wenn Erfolg nur an Zahlen gemessen und nur auf dieser Basis vergütet wird, können Bankmitarbeiter einen Anreiz haben, Erträgen Vorrang vor gutem Verhalten zu geben. Warum also die Vergütung nicht zusätzlich an gutes Verhalten knüpfen? In diesem Zusammenhang müssen auch Regeln für Rückforderungen, ""Clawback" genannt, diskutiert werden. Insbesondere sollte über den Zeitraum gesprochen werden, innerhalb dessen Banken Bonuszahlungen von ihren Mitarbeiter zurückfordern können, denn: je länger der Zeitraum, desto höher der Anreiz, die langfristigen Folgen des eigenen Verhaltens zu berücksichtigen. Auf Ebene der Bank könnte eine Frage lauten: Sollten wir den Erfolg einer Bank nur im Verhältnis zu den eingegangenen finanziellen Risiken messen oder auch im Verhältnis zu Risiken aus Fehlverhalten? 

Diese und weitere Fragen könnten im Rahmen eines Verhaltenskodexes angesprochen werden. Entwickelt werden kann  er nur von der Finanzbranche und den Aufsehern gemeinsam und nur auf internationaler Ebene – ein Flickenteppich nationaler Vorschriften wäre der falsche Ansatz. Globale Märkte brauchen globale Verhaltensregeln. Auch müssen die Banken dafür sorgen, dass ein einmal gefundener Wertekanon glaubwürdig umgesetzt wird – hierfür sind interne Kontrollmechanismen unverzichtbar. Bis auf weiteres sollte jedenfalls für alle gelten, was schon der Philosoph Seneca gesagt hat: Was das Gesetz nicht verbietet, verbietet vielleicht der Anstand. Oder anders ausgedrückt: Was legal ist, ist nicht  automatisch legitim.