Der Preis für mehr Sicherheit Gastbeitrag im Handelsblatt

Derivatemärkte sicherer machen

Die Verordnung der EU zur Regulierung der Finanzmarktinfrastruktur (EMIR) baut den europäischen Derivatehandel um. EMIR wird den außerbörslichen Derivatehandel sicherer und transparenter machen und damit die Finanzstabilität fördern. Gleichwohl ist es ein zähes Ringen: Die Neuordnung wird viele Ziele nur verspätet erreichen. Sie schafft neue Vernetzungen im Finanzsystem, mit denen man sorgsam umgehen muss. Und die Aufgabe, die Gefahren durch die Derivatemärkte für die Finanzstabilität auf ein gesellschaftlich akzeptables Niveau zurückzuführen, besteht weiter. 

Unter den Umbauten an der globalen Finanzarchitektur zählt die Reform der außerbörslichen Derivatemärkte zu den Großbaustellen. Der Bauplan sieht drei tragende Pfeiler vor: Erstens sollen Transaktionsregister jede einzelne Transaktion erfassen. Zweitens sind alle standardisierbaren Derivateverträge künftig über Zentrale Gegenparteien abzuwickeln. Käufer und Verkäufer schließen Verträge nicht mehr direkt miteinander ab, sondern jeweils mit der Zentralen Gegenpartei. Diese wirkt als Wellenbrecher, der verhindert, dass der Ausfall eines Marktteilnehmers andere mitzieht. Alle Kontrakte sind adäquat zu besichern. Drittens soll der Handel möglichst auf Börsen oder andere Handelsplätze mit transparenter Preisbildung verlagert werden. 

Das Maßnahmenpaket ist stimmig, doch es greift langsamer als erhofft. Zum einen bestehen beträchtliche Unsicherheiten, so dass die Marktteilnehmer die genaue Ausgestaltung aller Vorschriften lieber abwarten. Zum anderen setzen die Finanzzentren in der Welt die Maßnahmen unterschiedlich rasch um, so dass ein Regulierungsgefälle droht. So wird der Anteil börsengehandelter Derivate, Schätzungen zufolge, bis 2015 nicht über 30% liegen. Auch nutzen die Marktteilnehmer die Zentralen Gegenparteien bislang auf freiwilliger Basis nur zögerlich. Und es hakt mit dem Ziel, dass die Aufsicht Ende 2012 ein Gesamtbild über den Derivatemarkt erhält, das erlaubt, Ausmaß und Verflechtung detailliert einzuschätzen. Denn die Vielzahl von Transaktionsregistern wird zunächst zu einer Fragmentierung der Informationen führen. 

Aufpassen muss man auf die zunehmende Vernetzung. Klar ist, dass die Zentralen Gegenparteien für die Finanzstabilität enorm bedeutsam werden. Nun besteht ein Problem: Bisher können über eine Zentrale Gegenpartei nur Geschäfte abgewickelt werden, wenn beide Vertragspartner dort Mitglied sind. Das ist natürlich ineffizient; es ist so, als müsse man jedes Mal ein zusätzliches Konto eröffnen, wenn der Empfänger einer Überweisung eine andere Hausbank nutzt. Offensichtlich sind die Zentralen Gegenparteien zu verbinden, damit sie Geschäfte weiterleiten können. Hierdurch entsteht allerdings eine Vernetzung. Und die Schattenseite von Vernetzungen hat die Aufsicht in der Welt der Banken gerade kennengelernt. Um diesem Dilemma zu begegnen, sollen die Zentralen Gegenparteien sich zunächst nur beim Aktien- und Anleiheclearing verbinden dürfen. Die dabei gemachten Erfahrungen sollen in zwei Jahren als Grundlage für eine Überprüfung dienen, ob Verbindungen im viel komplexeren und gefährlicheren Derivatebereich zugelassen werden können. Ich halte es für problematisch, an diesem Plan zu rütteln und sofort eine Verbindung auch für Derivategeschäfte zu erlauben. 

Die Derivatemärkte waren im Vorfeld der Finanzkrise von Wildwuchs geprägt. Noch immer wachsen sie deutlich schneller als die Realwirtschaft, wohl auch angetrieben durch niedrige Zinsen und viel Liquidität. Dieser Trend mag kurzfristig unterbrochen werden, da die Besicherungs- und Eigenkapitalanforderungen die Nutzung von Derivaten verteuern. Das ist der Preis für mehr Sicherheit. Aber man darf sich nicht blenden lassen: Die Derivatemärkte bleiben aufgrund ihrer schieren Größe und ihrem Potenzial zum Eingehen von Risiken eine Herausforderung für die Finanzstabilität.