Der Schutzwall wird ein Stück höher Gastbeitrag in der Börsen-Zeitung


Der Schutzwall für eine mögliche neue Finanzmarktkrise ist wieder ein Stück höher geworden: Am 31. Oktober hat der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht die endgültige Regel für die strukturelle Liquiditätsquote, also für die Net Stable Funding Ratio (NSFR), veröffentlicht. Sie ist eine zentrale Kennzahl für das neue Liquiditätsrahmenwerk der Kreditinstitute. Die NSFR stärkt die Institute, indem sie höhere Anforderungen zugunsten einer mittel- bis langfristig tragfähigen Finanzierungsstruktur stellt.

Handlungsbedarf bei Liquiditätsrisiken

In der Finanzkrise hat sich gezeigt, dass eine gute Kapitalisierung die Banken nicht zwangsläufig vor Finanzierungsproblemen schützt. Ein unausgewogenes Verhältnis der Fristenstrukturen zwischen der Aktiv- und der Passivseite wurde denjenigen Banken zum Verhängnis, die zu viel langfristiges Geschäft kurzfristig refinanziert hatten. Genau daran wollten die Bankenregulierer etwas ändern. Und eine wichtige Lektion aus der Krise lautete daher: Banken sollen die Fristentransformation auf ein nachhaltiges Maß begrenzen und eine übermäßige Abhängigkeit von kurzfristigen und volatilen Finanzierungsquellen abbauen.

Die Regulierung von Liquiditätsrisiken war in Deutschland mit dem Kreditwesengesetz und der Liquiditätsverordnung schon vor der Finanzkrise gängige Praxis. Trotzdem  stellten die Liquiditätsrisiken, besonders auf internationaler Ebene, in der Vergangenheit häufig nur ein untergeordnetes Thema dar. 

Erst der Ausbruch der Krise 2007 zeigte, dass es erhebliche Rückkopplungseffekte zwischen den individuellen Liquiditäts- bzw. Refinanzierungsprofilen der Banken einerseits und der Systemstabilität andererseits gibt und das Liquiditätsrisiko als ein zentrales Risiko angesehen werden muss. Darauf reagierte der Baseler Ausschuss im September 2008 mit der Überarbeitung seiner qualitativen Grundsätze zum Management der Liquiditätsrisiken. Im Dezember 2010 veröffentlichte er als Teil des Basel-III-Rahmenwerks erstmals ein quantitatives Liquiditätsrahmenwerk auf internationaler Ebene und führte damit zwei Liquiditätskennziffern als verbindliche Mindeststandards sowie eine Reihe von Beobachtungsinstrumenten für die international aktiven Banken ein.

Die erste Kennziffer ist die vom Baseler Ausschuss im Januar des vergangenen Jahres verabschiedete kurzfristig ausgerichtete Liquiditätsdeckungskennziffer, die Liquidity Coverage Ratio, kurz LCR. Sie gibt den Instituten vor, jederzeit einen Bestand an hochliquiden Aktiva vorhalten zu müssen, der ausreicht, um ein schweres Stressszenario über einen Zeitraum von 30 Tagen aus eigener Kraft zu bewältigen. Der Liquiditätspuffer stellt damit sicher, dass den Instituten im Falle eines akuten Liquiditätsschocks ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um kurzfristig darauf reagieren zu können.

Funktionsweise der Net Stable Funding Ratio

Die LCR stieß in der breiten Öffentlichkeit auf großes Interesse, während die strukturelle Liquiditätsquote bisher eher stiefmütterlich behandelt wurde. Allerdings kommt auch der NSFR eine große regulatorische Bedeutung zu.

Ziel der NSFR ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Laufzeiten der Forderungen und Verbindlichkeiten einer Bank, damit im Falle längerer Stressphasen neben dem Liquiditätspuffer der LCR auch die von den Instituten getroffenen mittelfristigen Gegenmaßnahmen wirken können. Um die NSFR zu erfüllen, muss die Summe der nach dauerhafter Verfügbarkeit gewichteten Passiva der Summe der nach langfristigem Finanzierungsbedarf gewichteten Aktiva mindestens entsprechen. Vereinfacht bedeutet dies, dass der Quotient aus tatsächlicher stabiler Refinanzierung und erforderlicher stabiler Refinanzierung größer oder gleich eins sein muss.

Gemeinsam setzen die beiden erwähnten Kennziffern LCR und NSFR an zwei zentralen Aspekten der Liquiditätssteuerung an: an der Liquiditätsreserve und einer stabilen Fristenstruktur. Da aber der Liquiditätsstatus von Banken zu komplex ist, um mit nur zwei Kennzahlen abgebildet zu werden, gibt es natürlich noch eine Reihe weiterer Beobachtungskennziffern. Dazu gehören neben allgemeinen Marktindikatoren auch die bankindividuelle Fristenstruktur, etwaige Risikokonzentrationen sowie die freien Kapazitäten zur besicherten Mittelaufnahme am Markt oder bei der Zentralbank.

Die LCR soll in der EU ab dem 1. Oktober 2015 als verbindlicher Mindeststandard eingeführt werden. Zur Umsetzung der NSFR ist die EU-Kommission aufgefordert, bis Ende 2016 einen Gesetzgebungsvorschlag vorzulegen. Ab dem 1. Januar 2018 sollen die Banken dann auch diesen neuen Standard anwenden.

Bewertung der NSFR

Damit kehrt eine noch größere Stabilität im Bankensektor ein: Der neue Standard begrenzt die Gefahr, die von einer übermäßigen Nutzung kurzfristiger und stressanfälliger Kapitalinstrumente für die Finanzierung längerfristiger Aktivgeschäfte ausgeht. Zudem erhoffen sich die Regulierer von dem höheren Schutzwall auch, dass durch eine stabilere Liquiditätslage der Institute deren Abhängigkeit von der Zentralbankrefinanzierung zurückgeht. Das ist meines Erachtens eine durchaus erwünschte Entwicklung.

Die NSFR definiert, dass Finanzierung nur dann stabil ist, wenn auch kurzfristiges Geschäft grundsätzlich stabil finanziert wird. In der nun verabschiedeten Version wird die NSFR eine nachhaltige Finanzierungsstruktur in den Banken sicherstellen.

Eine Herausforderung bleibt jedoch: Die NSFR ist ein quantitativer Standard mit zahlreichen Vereinfachungen. So ein einheitlicher und vergleichbarer Standard bietet zwar grundsätzlich Vorteile, die Liquiditätsrisiken müssen aber nach wie vor individuell in den Instituten adressiert werden. Eine lediglich pauschale Anhebung der Anforderungen unabhängig vom Liquiditätsprofil der Banken sollte vermieden werden. Selbst wenn die meisten Banken, die an der zweimal jährlich stattfinden Basel-III-Auswirkungsstudie teilnehmen, bereits heute die NSFR-Anforderungen erfüllen, so muss jede Bank dennoch ihre individuellen Liquiditätsrisiken angemessen steuern. Dieser Prozess  wird von der Aufsicht kritisch begleitet.

Von einem bin ich sehr überzeugt: Gemeinsam mit den erhöhten Kapitalanforderungen des Baseler Rahmenwerkes wird das nun vollständige Liquiditätsregelwerk einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Banken widerstandsfähiger gegen künftige Krisen zu machen. Und dies ist höchste Anstrengungen wert.