Die Strukturen der Finanzmärkte ändern sich grundlegend Gastbeitrag in der Börsen-Zeitung
Aus "den Märkten" wird ein globaler "Markt der Märkte". Das stellt Politiker und Zentralbanker vor neue Herausforderungen.
Die Krise in der Währungsunion kann als Folge einer nur halbherzigen Vereinheitlichungspolitik gedeutet werden, weil die Währungsunion nicht hinreichend durch eine politische und fiskalische Union flankiert ist. Diesem Grundverständnis entsprechend forciert man den Ausbau einer Kapitalmarkt- und Bankenunion in Europa. Politik und Marktakteure haben derartige Vereinheitlichungen gefordert und gefördert, auch und gerade auf den Finanzmärkten. Denn Vereinheitlichung macht Märkte transparent, effizient und somit auch robuster im Krisenfall.
Inzwischen jedoch haben einzelne einflussreiche Finanzmarktteilnehmer begonnen, ihre eigenen Süppchen zu kochen. Das birgt die Gefahr einer strukturellen Desintegration, die ich als Fragmentierung der Finanzmärkte bezeichne. Diese Fragmentierung läuft dem modernen Paradigma der Problemlösung durch Vereinheitlichung fundamental entgegen, und zwar unabhängig von den Auswirkungen der Globalisierung oder der Finanzkrise. Wir steuern vermehrt in eine Welt, in der „die Märkte“ zu einem globalen „Markt von Märkten“ werden. Partialmärkte entfernen sich im Trend von unserem selbstverständlich erscheinenden Ordnungs- und Rechtsrahmen des einheitlichen Nationalstaats. Dieser Vorgang kann nicht nur die Finanzmarktakteure, sondern auch die Politik vor neue Herausforderungen stellen.
Wesentlicher Treiber dieser Fragmentierung ist der technische Fortschritt. Auf Finanzmärkten erlauben IT-Leistung und Handelsautomatisierung in einem deregulierten Handelsumfeld, kleinste Informationsvorsprünge auszunützen. Das löst Absonderungs- und Ablöseprozesse aus. Im Hochfrequenzhandel (HFT) nutzen Computer heute Geschwindigkeitsvorsprünge im Mikrosekunden-Bereich. Die dafür nötigen Investitionen sind hoch. Und nicht alle Marktteilnehmer können oder wollen an diesem technischen Wettrüsten teilnehmen. HFT ist also eine Variante des Wertpapierhandels geworden, die nur noch von einer relativ kleinen Gruppe von Marktakteuren betrieben und verstanden wird. Dennoch ist deren Markteinfluss erheblich: In den USA, dem Vereinigten Königreich und in Deutschland schätzt man den Anteil des Hochfrequenzhandels am Marktumsatz schon auf über 40 Prozent.
Dieser Fragmentierungsprozess hat einen anderen bestärkt: Marktteilnehmer, die langfristige Anlagestrategien verfolgen oder den Aufwand für HFT scheuen, gründen ihre eigenen Clubs. Vor allem die Großbanken haben in Form von Dark Pools exklusive Handelszirkel eingerichtet. Traditionelle Großbörsen verlieren an Bedeutung, viele Marktakteure handeln nun über außerbörsliche multilaterale Handelssysteme. Nun hat es parallel zum geregelten Börsenverkehr immer schon einen ungeregelten bilateralen Wertpapierhandel gegeben. Erst das Platzen der US-Subprime-Blase hat aber aufgezeigt, welche Dimension intransparente Partialmärkte zwischenzeitlich angenommen hatten. Möglich geworden sind diese Absonderungs- und Ablösungsprozesse auch durch eine seit den 1990er Jahren anhaltende Deregulierung, die heute rückblickend kritisch gesehen werden muss.
Im Rahmen dieser Entwicklung ist auch das bankähnliche, nicht der Bankenregulierung unterliegende Geschäft stark gewachsen, das gerne als Schattenbankensystem bezeichnet wird. Die Datenlage ist hierzu allerdings weiter unvollständig. Gemäß Daten des Finanzstabilitätsrats FSB für 2013 ist in den USA das Schattenbankensystem größer als das reguläre Bankensystem. Die Aktiva des Schattenbankensystems belaufen sich dort auf rund 125 Prozent, in Deutschland hingegen nur rund 25 Prozent derjenigen des regulären Bankensystems. Und auch auf den Verbriefungsmärkten waren diejenigen Verbriefungen, die in der Krise eine Rolle gespielt haben, weder einfach, noch transparent, noch standardisiert. Durch die Entwicklung komplexer, teilweise intransparenter Verbriefungsprodukte konnten Risiken verschleiert und in der Folge über die Finanzmärkte verteilt werden. Falsch gesetzte Anreize verstärkten die Probleme.
Seit Jahren nimmt diese Intransparenz und Fragmentierung der Finanzmärkte zu. „Der Finanzmarkt“ erscheint als „Markt der Märkte und Handelsformen“. Die Komplexität steigt rapide. Die Politik strebt weiter nach Vereinheitlichung, Transparenz und Zentralität, aber in den Märkten erleben wir mit der aktiven Absonderung einiger privater Zirkel das Gegenteil. Hier ergibt sich auch eine Rückkopplung zur Finanzkrise, nach der sich Regierungen und insbesondere Zentralbanken gezwungen sahen, in die Bresche zu springen. Als Zentralbanker fragen wir uns deshalb ebenfalls, welche Auswirkungen unser Handeln auf das Funktionieren der Märkte hat.
Wieviel Markt sind sie noch, die Finanzmärkte? Fragmentierung und auch das Fluten der Märkte mit Zentralbankgeld verzerren und verschleiern die ökonomische Sachlage, falls sich diese Eingriffe als persistent erweisen. Die Fehlallokation von Kapital kann verhindert werden, wenn weitere politische und fiskalische Integrationsschritte getätigt werden. Zum Teil sind solche seit 2010 auch schon erfolgt, etwa die Stabilisierungsmechanismen der Europäischen Union, der Weg in die Bankenunion oder die aktuell auf den Weg gebrachte Kapitalmarktunion. Allerdings bleibt die Frage zu diskutieren, ob diese Maßnahmen schon ausreichend sind, um angesichts sich fragmentierender Märkte stabilisierende und integrative Wirkungen zu generieren. Zweifel sind hier, so wenigstens meine Auffassung, angezeigt.