Fünf Jahre europäische Bankenaufsicht Gemeinsamer Gastbeitrag von Denis Beau und Joachim Wuermeling in der FAZ

Es war nicht mehr als eine knappe Presseerklärung, mit der die Europäische Zentralbank (EZB) heute vor fünf Jahren eine neue Epoche in der europäischen Bankenaufsicht einläutete: Um Mitternacht übernahm sie die Überwachung der Banken im Eurosystem. Dies war die Geburtsstunde des einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus (SSM). Damit zog Europa eine wichtige Lehre aus der Finanzkrise und gab auf die Frage nach der Zukunft der europäischen Bankenaufsicht eine klar europäische Antwort. Was ist seitdem erreicht worden, und wie geht es weiter? Hier eine deutsch-französische Perspektive:

Seit fünf Jahren arbeiten Tag für Tag 1200 Aufseher der EZB und 5000 Aufseher aus Frankreich, Deutschland und den anderen 17 Euroländern gemeinsam daran, unsere Banken stabiler zu machen. Alle Entscheidungen werden von einem gemeinsamen Gremium, dem „Supervisory Board“, vorbereitet, in dem alle nationalen Behörden vertreten sind.

Die Aufsicht von der nationalen auf die europäische Ebene zu heben, hat zu deutlichen Erfolgen geführt. Ein Beispiel ist der Abbau notleidender Kredite. Etwa eine Billion Euro solcher Darlehen hatte sich während der Finanzkrise in den Bilanzen europäischer Banken angesammelt. Heute sind es noch 600 Milliarden Euro. Das ist zwar immer noch zu viel, aber der Rückgang ist beträchtlich und setzt sich weiter fort. Der Erfolg dieses Projekts rührt aus dem „Mehr“ an Europa und besteht darin, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln und diese konsequent in allen Mitgliedsländern umzusetzen.

Der SSM vereint die Erfahrung und Expertise, die Aufseher und Bankenprüfer in den Euroländern gesammelt haben. Die EZB überwacht mit den 116 bedeutenden Banken den Großteil des europäischen Bankenmarktes direkt. Die nationalen Bankenaufsichtsbehörden wiederum beaufsichtigen die kleinen bis mittelgroßen Finanzinstitute; hier stellt die EZB die Einheitlichkeit der Aufsichtsergebnisse sicher. Damit überblickt der SSM zusammengenommen weit mehr Banken als vorher jeder nationale Aufseher. Sein Einblick ist umfassender und auch tiefer. Dieser Rahmen ermöglicht es, Risiken früher zu erkennen, besser einzuschätzen und gezielter einzudämmen.

Eine wesentliche Errungenschaft des SSM ist, dass nationale Interessen bei der europäischen Entscheidung in den Hintergrund treten. Die gesamteuropäische Stabilität hat für uns Vorrang. Und worauf kommt es in Zukunft an? Wir sehen drei entscheidende Herausforderungen für den SSM:

Erstens müssen wir Instrumente entwickeln, um neuen Risiken im Finanzwesen zu begegnen. Die Digitalisierung des Bankbetriebs, die Tokenisierung von Geld und Wertpapieren oder der Einsatz von Blockchains bergen viele Chancen, aber auch neuartige Gefahren. Dennoch müssen Regulierung und Aufsicht den Banken digitale Innovation ermöglichen.

Die zweite Herausforderung besteht darin, die Digitalisierung selbst zu nutzen. Digitale Ansätze können uns helfen, Risiken besser zu erkennen und unsere Ressourcen effizienter einzusetzen. Dabei müssen wir unsere Instrumente und Kennziffern kontinuierlich und pragmatisch in Bezug auf ihre Kosten und ihre Wirksamkeit überprüfen.

Schließlich muss der SSM dem fachlichen Urteil der Aufseher und deren Kenntnis der Besonderheiten der nationalen Bankenmärkte weiterhin einen hohen Stellenwert einräumen. Hierbei müssen die Aufseher ein einheitliches Regelwerk und gemeinsame Praktiken anwenden. Dies soll eine anspruchsvolle und faire Aufsicht garantieren und somit für einen gesunden Wettbewerb sorgen.

Seit der Finanzkrise 2008 befindet sich der Bankensektor im Umbruch. Die etablierten Institute sehen sich harter Konkurrenz ausgesetzt: „BigTechs“ dringen in das Finanzgeschäft vor, und „FinTechs“ bringen klassische Geschäftsmodelle ins Wanken. Die Wettbewerbsfähigkeit des traditionellen Bankgeschäfts könnte nachhaltig in Frage gestellt werden.

Eine neue Finanzkrise steht in den kommenden Jahren hoffentlich nicht ins Haus. Aber auch ohne einen Schock haben sich für die europäische Bankenlandschaft zahlreiche Herausforderungen entwickelt. Diese ergeben sich sowohl aus der neu erwachsenden Konkurrenz als auch aus Verwundbarkeiten, die wir im Blick haben: Ein konjunktureller Abschwung könnte zu mehr Kreditausfällen führen, plötzlich steigende Zinsen könnten Verluste bei den Marktaktivitäten mit sich bringen. Hinzu kommt, dass die Banken auf dem Kontinent nach dem Brexit neue Aufgaben übernehmen müssen.

Die ersten fünf Jahre des SSM haben gezeigt, dass die europäische Zusammenarbeit zum Nutzen aller funktionieren kann. Von stabilen Banken profitieren alle: private Haushalte, Unternehmen, Anleger und nicht zuletzt der Staat. Auch wenn wir eine positive und lehrreiche Bilanz ziehen können, ist eines klar: Die Herausforderungen für Banken und ihre Aufseher werden eher größer als kleiner. Angesichts dessen kann die Zukunft der Aufsicht nur europäisch sein. Wir glauben: Gut so! In diesem Sinne wünschen wir Bon anniversaire und alles Gute zum Geburtstag!

Denis Beau ist Erster Vizegouverneur der Banque de France. Joachim Wuermeling ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank. Beide sind Mitglieder im SSM-Aufsichtsgremium.