Gesetzliche Mindesthaltefristen sind kein geeignetes Mittel Gastbeitrag in der Börsen-Zeitung

Der ultraschnelle Börsenhandel ist ins Gerede gekommen. Für negative Schlagzeilen sorgte der Hochfrequenzhandel z. B. im Sommer vergangenen Jahres, als ein unternehmenseigener Computeralgorithmus innerhalb von nur 45 Minuten Verluste in Höhe von knapp einer halben Milliarde USD bei der Firma Knight Capital verursachte. Dieser Vorfall hat Regulierer und Aufseher darin bestärkt, dem Hochfrequenzhandel Grenzen zu setzen.

In Europa befindet sich die Regulierung des Hochfrequenzhandels auf der Zielgeraden. In Deutschland wurde Ende Februar das Gesetz zur Vermeidung von Gefahren und Missbräuchen im Hochfrequenzhandel, kurz Hochfrequenzhandelsgesetz, im Bundestag verabschiedet und im März vom Bundesrat gebilligt. Im EU-Kontext wird das Thema im Rahmen der Überarbeitung der Finanzmarktrichtlinie, dem sogenannten „MiFID-Review“, diskutiert.

Millionstelsekunden

Zentrales Thema der Regulierungsdiskussion ist die Geschwindigkeit, mit der Hochfrequenzhändler Kauf- und Verkaufsaufträge in die Orderbücher der Börsen einstellen – und auch genauso schnell gegebenenfalls wieder stornieren. Um eine Vorstellung davon zu geben: Hochfrequenzhändler handeln im Milli- und Mikrosekundenbereich, also in Größenordnungen von Millionstelsekunden. Die Kritik am Hochfrequenzhandel lautet, dass dieser auf Kosten der konventionell agierenden, also langsameren Handelsteilnehmer erfolge und volkswirtschaftlich keinen Mehrwert bringe. Darüber hinaus ermögliche diese Handelspraxis marktmanipulative Strategien, indem Hochfrequenzhändler z. B. den Marktpreis durch eine Vielzahl von eingestellten – und dann wieder stornierten - Aufträgen in eine bestimmte Richtung treiben, um dann davon zu profitieren.

Vor diesem Hintergrund werden zahlreiche gesetzliche bzw. aufsichtliche Maßnahmen diskutiert, um den Hochfrequenzhandel zu entschleunigen und die Börsen robuster gegenüber Marktmanipulationen zu machen. Zu diesen Maßnahmen gehört auch die Einführung von Mindesthaltefristen für Börsenaufträge, zum Beispiel eine halbe Sekunde, wie das Europäische Parlament fordert.

Mindesthaltefristen – oder Mindestverweildauern, wie sie auch genannt werden – sollen bewirken, dass in das Orderbuch einer Börse eingestellte Kauf- und Verkaufsaufträge für eine bestimmte Zeit, eben die Mindesthaltefrist, nicht gelöscht bzw. nicht geändert werden. Die Befürworter einer solchen Regelung versprechen sich davon insbesondere auch eine Stabilisierung der Liquidität im Orderbuch. Das vorübergehende Einfrieren von Aufträgen im Orderbuch führe nämlich dazu, dass „Niedrigfrequenzhändler“ eine Chance bekämen, auf die Kauf- und Verkaufsaufträge der Hochfrequenzhändler rechtzeitig reagieren zu können. Zu-dem könne die Entschleunigung des Handels die technische Belastung der Börsensysteme reduzieren helfen.

Zweifellos sind diese Vorteile intuitiv nachvollziehbar und einleuchtend, und wohl auch des-halb finden Mindesthaltefristen in der öffentlichen Diskussion eine vergleichsweise große Resonanz. Allerdings lohnt es sich auch, einen Blick auf die Nachteile von Mindesthaltefristen zu werfen, die – um es vorwegzunehmen – gravierender sein dürften. Mit Blick auf die technische Belastung der Börsensysteme ist keinesfalls sichergestellt, dass diese durch eine Mindesthaltefrist reduziert würde. Ein gegenläufiger Effekt besteht nämlich darin, dass die Überwachung der Einhaltung von Mindesthaltefristen ebenfalls technische Ressourcen in Anspruch nehmen dürfte. Noch schwerer dürften allerdings die zu erwartenden negativen Liquiditätswirkungen wiegen. Mindesthaltefristen bedeuten für Liquiditätsbereitsteller, d. h. für diejenigen, die auf der Käufer- oder Verkäuferseite als erstes einen Auftrag ins Orderbuch stellen, dass sie für eine bestimmte Zeitdauer einem schwer zu kalkulierenden Preisrisiko ausgesetzt sind. Entwickelt sich der Börsenpreis in eine für sie unvorteilhafte Richtung, können andere Marktteilnehmer die fehlende Reaktionsmöglichkeit der Liquiditätsbereitsteller ausnutzen. Diese dürften sich ihr „first mover risk“ in Form höherer Risikoaufschläge, d. h. höhere Verkaufs- bzw. niedrigere Kaufkurse, entgelten lassen. Es ist darüber hinaus zu er-warten, dass die allgemeine Bereitschaft von Marktteilnehmern sinken wird, Liquidität überhaupt im Orderbuch bereitzustellen. Insgesamt führt dies zu größeren Spreads und damit zu schlechteren Preisen für alle Marktteilnehmer.

Bleibt zum Schluss das Argument, Mindesthaltefristen könnten helfen, die Manipulation von Börsenpreisen durch Hochfrequenzhandel zu verhindern. Hier ist zu entgegnen, dass der Hochfrequenzhandel per se lediglich eine Technologie darstellt, mit deren Hilfe bestimmte Handelsstrategien umgesetzt werden können. Insofern ist der Hochfrequenzhandel für sich genommen zunächst „neutral“ zu bewerten und Ausdruck des technischen Fortschritts. Mit Blick auf die Verhinderung von Marktmanipulation muss die Forderung daher richtigerweise lauten, dass marktmanipulative Handelsstrategien in jedem Fall wirksam bekämpft werden müssen, unabhängig davon, ob sie durch Hoch- oder Niedrigfrequenzhandel umgesetzt werden.

Mehr Transparenz

Aus diesen Überlegungen folgt, dass gesetzliche Mindesthaltefristen kein geeignetes Mittel darstellen, Risiken und unerwünschte Marktergebnisse, die aus dem Hochfrequenzhandel resultieren, zu begrenzen. Daher sieht das deutsche Hochfrequenzhandelsgesetz Mindest-haltefristen zu Recht nicht vor. Damit spreche ich mich nicht gegen eine Regulierung des Hochfrequenzhandels an sich aus. Diese ist vielmehr dringend angezeigt. Wichtig ist mir vor allem, dass der Hochfrequenzhandel z. B. durch eine Kennzeichnung der verwendeten Algorithmen transparenter wird und sowohl Hochfrequenzhändler als auch Börsen über ein adäquates Risikomanagement verfügen, dessen Einhaltung von der Aufsicht überwacht wird.