Globale Derivatemärkte im Umbruch Gastbeitrag in der Börsen-Zeitung

Die globalen Derivatemärkte stehen vor einer Zeitenwende. Künftig wird der überwiegende Teil der Risiken außerbörslicher (Over-the-counter, OTC) Derivatetransaktionen von den Marktteilnehmern auf Zentrale Gegenparteien (Central Counterparties, CCPs) verlagert. Ziel dieser regulatorisch vorgegebenen Veränderung der Marktstruktur ist es, CCPs als Riskobegrenzer und Risikopuffer in den Derivatemärkten einzusetzen. Das hatte die Gruppe der G20, also der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, bereits 2009 beschlossen. Diesem Beschluss folgten umfangreiche gesetzgeberische Aktivitäten weltweit, die vom Finanzstabilitätsrat FSB begleitet wurden. In diesen Prozess der regulatorischen Konvergenz ist der jüngst zwischen der amerikanischen Aufsichtsbehörde CFTC und der EU-Kommission gefundene Kompromiss für grenzüberschreitendes Derivategeschäft einzuordnen. Er belegt, dass im Bereich der Derivateregulierung international an einem Strang gezogen wird.

Weltweit wird derzeit nur ein geringer Teil der OTC-Derivate einem zentralen Clearing zugeführt. So werden beispielsweise nur 13 % der Kreditderivate über CCPs verrechnet. Der Großteil unterliegt bilateralen Clearing-Vereinbarungen zwischen den Kontraktpartnern. Aus den weltweit abgeschlossenen OTC-Derivaten ergibt sich dadurch ein Netzwerk, in dem einige wenige global agierende Banken eine zentrale Rolle spielen. Im Teilmarkt für Credit Default Swaps beispielsweise sind die zehn wichtigsten Marktteilnehmer an über 70 % aller Transaktionen beteiligt. Da die Kontraktpartner die daraus entstehenden Kontrahentenrisiken oft nur teilweise besichern, sind also insbesondere diese Marktteilnehmer eine potenzielle Quelle von Ansteckungsrisiken.

Die Kontrahentenrisiken sind reduzierbar, indem sie auf CCPs verlagert werden. CCPs bewerten laufend die offenen Positionen der Handelsteilnehmer und verlangen eine relativ hohe Besicherung. Sie können als Risikopuffer dienen, da sie über umfangreiche finanzielle Ressourcen verfügen; diese bestehen u. a. aus den Sicherheiten der Clearingmitglieder, einem Clearingfonds, Nachschusspflichten und dem Eigenkapital der CCP. Nach den Vorschriften der EU-Verordnung EMIR müssen CCPs künftig sogar den gleichzeitigen Ausfall der beiden größten Clearingmitglieder verkraften können.

Dickschiffe im Finanzsystem

Derzeit besteht eine Pflicht zum CCP-Clearing nur in Japan und in den USA. In der EU erwarten wir eine solche Pflicht aus EMIR vom Jahr 2014 an. Damit greifen die Reformen zwar erst langsam, aber ich bin dennoch zuversichtlich, dass die Regulierung ihre Wirkung in absehbarer Zeit entfalten und die Struktur der Derivatemärkte verbessern wird.

Man muss sich jedoch bewusst sein, dass durch die regulatorischen Vorgaben CCPs zu "Dickschiffen" im internationalen Finanzsystem werden. Daher muss insbesondere auf Folgendes geachtet werden:

Erstens muss eine CCP über ein robustes Risikomanagement verfügen. CCPs befinden sich in einem immer stärkeren Wettbewerb untereinander. Dies könnte zu einem "Race to the Bottom" führen, also zu einem gegenseitigen Unterbieten der CCPs im Hinblick auf Umfang und Qualität der Sicherheitenforderungen. Eine solche Entwicklung muss durch Regulierung und Aufsicht verhindert werden. Es ist vor allem sicherzustellen, dass die von den CCPs zur Berechnung der Sicherheitenforderungen verwendeten Modelle ausreichend konservativ sind.

Zweitens müssen für den Ernstfall angemessene Sanierungs- und Abwicklungsregime für CCPs zur Verfügung stehen. Bei der Ausgestaltung dieser Regime ist die vorgesehene Verlustverteilung ein zentrales Element. Das besondere Problem bei CCPs besteht darin, dass Verluste nur auf Clearingteilnehmer und damit auf einen kleinen Kreis an Marktteilnehmern, darunter in der Regel insbesondere die global agierenden großen Banken, verteilt werden könnten – mit möglichen Ansteckungsrisiken und Dominoeffekten.

Risiken durch Interoperabilität

Drittens ist darauf zu achten, dass zentrale Finanzstabilitätsinteressen gegenüber Wettbewerbs- und Effizienzgesichtspunkten nicht in den Hintergrund geraten. So würden es die Derivatenutzer sicherlich gerne sehen, wenn sich die Derivate-CCPs untereinander verbinden könnten, d. h. interoperabel werden. Die Marktteilnehmer müssten sich dann nicht an mehrere CCPs anschließen, um Geschäfte mit Kontrahenten abzuwickeln, die andere CCPs nutzen. Aus Finanzstabilitätssicht ist jedoch davor zu warnen, voreilig über die Zulässigkeit von CCP-Interoperabilität zu entscheiden: Wir können aktuell nicht mit Sicherheit sagen, dass wir mit den durch Interoperabilität geschaffenen neuen Gefahren – insbesondere aufgrund der Schaffung zusätzlicher Ansteckungskanäle – tatsächlich umgehen könnten.

Viertens dürfen wir im Derivatemarkt den Blick nicht nur auf die Rolle der CCPs richten. Auch in Zukunft können sich Risiken bei einigen wenigen Banken ballen. Das betrifft Banken, die als sogenannte General Clearing Members (GCMs) direkt an CCPs angeschlossen sind und damit zum Nadelöhr beim CCP-Clearing werden. Ihre zentrale Stellung ist aus Sicht der Finanzstabilität in drei Punkten relevant: So verbinden sie die CCPs indirekt miteinander, da sie meist an mehreren CCPs angeschlossen sind. Der Ausfall einer solchen Bank träfe mehrere CCPs gleichzeitig. Ferner sind die Leistungen eines GCM elementar für seine zahlreichen Kunden. Es stellt sich die Frage nach seiner Ersetzbarkeit. Zudem bestehen auch für eine Bank in der Rolle als GCM zusätzliche Risiken, da sie gegenüber der CCP für die Erfüllung der Verbindlichkeiten ihrer Kunden haftet, die sie indirekt an die CCP anbindet.

Dies alles zeigt, warum die Entwicklung der Derivatemärkte im Fokus der Aufseher bleiben wird. In Europa bietet insbesondere EMIR eine gute Grundlage für die Aufseher, dafür zu sorgen, dass der angestoßene Systemwechsel zu einer größeren Stabilität des Finanzsystems beiträgt.