Gurt und Airbag für Banken Gastbeitrag im Handelsblatt

Die Finanzkrise hat uns eins gelehrt: Selbst wenn nur eine einzelne Bank in Schieflage gerät, kann sie andere Banken mit sich ziehen und so das gesamte Finanzsystem schädigen. Die einzelnen Banken müssen also widerstandsfähiger gemacht werden, um Schieflagen vorzubeugen. Und das bedeutet vor allem, das Eigenkapital der Banken zu erhöhen. Je höher der Eigenkapitalpuffer, desto besser sind Verluste zu verkraften und desto unwahrscheinlicher wird eine Existenzgefährdung.

Dies ist allgemein akzeptiert. Debattiert wird aber noch über zwei unterschiedliche Ansätze, wie die angemessene Höhe des Eigenkapitals berechnet werden soll: mit dem traditionellen Ansatz der Risikogewichtung oder der sogenannten Leverage Ratio. Bei Ersterem werden die Risiken jeder einzelnen Forderung einer Bank bewertet und entsprechend mit Eigenkapital unterlegt. Je höher das Risiko, desto höher muss das Eigenkapital sein, das die Bank dafür vorhalten muss. Die Leverage Ratio verzichtet dagegen auf eine Risikogewichtung. Sie setzt das Eigenkapital ins Verhältnis zu den gesamten bilanziellen und außerbilanziellen Forderungen einer Bank. Das führt dazu, dass die Banken ihre Forderungen pauschal mit einem bestimmten Prozentsatz an Eigenkapital unterlegen.

Beide Ansätze wollen Banken durch eine ausreichende Kapitalausstattung widerstandsfähiger machen. Ein Vergleich zeigt, dass beide ihre Schwächen haben, aber auch, dass sie diese jeweils kompensieren können.

Der Leverage Ratio wird vorgeworfen, falsche Anreize zu setzen. Grundsätzlich gilt bei Finanzanlagen: je höher das Risiko, desto höher die Rendite. Die Leverage Ratio schreibt den Banken vor, alle Anlagen pauschal mit dem gleichen Prozentsatz an Eigenkapital zu unterlegen. Das setzt den Anreiz, in risikoreichere Anlagen zu investieren, um die Eigenkapitalrendite zu erhöhen. Die Leverage Ratio bestraft also risikoarmes und fördert tendenziell risikoreiches Geschäft. Das ist aus Sicht der Finanzstabilität sicherlich nicht wünschenswert.

Bei der Risikogewichtung taucht dieses Problem nicht auf – sie behandelt risikoreiche Forderungen anders als risikoarme. Das bringt Risikoprofil und Widerstandsfähigkeit in Einklang und setzt die richtigen Anreize. Die Probleme liegen hier eher in den bankinternen Berechnungsmodellen, mit denen versucht wird, die komplexen Risiken moderner Finanzprodukte mathematisch abzubilden. Es besteht die Gefahr, dass die Modelle dies manchmal nicht leisten können. Dann könnten Risiken unterschätzt werden, was zu einer ungenügenden Kapitalunterlegung führte. Gelegentlich wird den Banken sogar vorgeworfen, sie nutzten die Komplexität der Modelle, um die Risiken ihrer Forderungen kleinzurechnen und so Eigenkapital zu sparen. Um das zu unterbinden, braucht es einen Kulturwandel in den Banken, flankiert von einer starken Aufsicht und strengen Regeln. Die derzeitig irritierend großen Unterschiede bei den Ergebnissen der verschiedenen Risikomodelle darf es in Zukunft nicht mehr geben.

Ein Beispiel für mögliche Regulierung ist die Risikogewichtung der Staatsanleihen. Derzeit werden Staatsanleihen als risikoarm eingestuft, teilweise sogar mit einem Risikogewicht von null. Hier muss also kein Eigenkapital unterlegt werden. Spätestens die Staatsschuldenkrise aber hat gezeigt, dass damit Risiken systematisch unterschätzt worden sind und die Eigenkapitalpuffer daher zu gering waren. Die Leverage Ratio ist gegenüber solchen Problemen immun – sie sorgt dafür, dass unabhängig von den gemessenen Risiken ein Grundstock an Kapital vorhanden ist.

Dieser kurze Vergleich der beiden Konzepte spricht also dafür, aus Gründen der Effizienz weiter auf die Risikogewichtung zu setzen. Er spricht aber ebenso dafür, die Leverage Ratio als ergänzendes Konzept zu nutzen, damit Banken unabhängig von ihrer Risikobewertung ein Mindestmaß an Eigenkapital vorhalten müssen und sich generell nicht zu hoch verschulden. Auch beim Autofahren vertraut man ja nicht auf den Gurt alleine, sondern zusätzlich auf den Airbag.

Und genau solch ein ergänzendes Nebeneinander von Risikogewichtung und Leverage Ratio ist in der neuen Regulierung nach Basel III vorgesehen. So kann die Stabilität der Banken weiter gestärkt werden. Letztlich aber nützt mehr Eigenkapital nur dann, wenn bei einer Schieflage auch tatsächlich die Eigentümer der Bank haften. Daher darf sich die Regulierung nicht nur auf die angemessene Höhe des Eigenkapitals beschränken. Ebenso wichtig ist, dass die Kosten im Falle einer Schieflage nicht von der Allgemeinheit getragen werden müssen. Auf europäischer Ebene zielt die Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie darauf ab, genau dies zu erreichen.