So machen wir Schulden sicherer Gastbeitrag im Wall Street Journal
Die Finanz- und die Staatsschuldenkrise im Euro-Raum haben den Begriff der Verschuldung zweifellos belastet. Hört man einigen der Diskussionen über deren wirtschaftliche Auswirkungen zu, könnte man den Eindruck gewinnen, dass Schulden moderne Volkswirtschaften inzwischen in ihren Grundfesten bedrohen.
Dass Schulden gefährlich sein können, lässt sich nicht von der Hand weisen. Verschuldung scheint in der Tat eine ganz wesentliche Zutat für Finanzkrisen zu sein. Denn am kritischsten für die Finanzstabilität dürfte nicht das Ausmaß einer Vermögenspreisblase sein, sondern wie sie finanziert wurde.
Doch ebenso wahr ist, dass Verschuldung unverzichtbar ist. Sie ermöglicht es jemandem, der eine Idee, aber kein Kapital hat, diese Idee zu Ende zu verfolgen und somit für eine Wertschöpfung zu sorgen, die sonst nicht stattgefunden hätte. Viele Studien zeigen, dass die Entwicklung des Finanzwesens und das Wachstum von Volkswirtschaften Hand in Hand gehen.
Verschuldung abzuschaffen ist deshalb keine Option. Stattdessen müssen wir sicherstellen, dass alle Akteure auch tatsächlich die Verantwortung für ihre Entscheidungen tragen. Drei Punkte sind in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung: Die Frage des "Bail-in oder Bail-out" im Fall der Schieflage einer Bank (also wer zahlt die Zeche: die Investoren der Bank oder der Steuerzahler?), die regulatorische Behandlung von Staatsschulden und die steuerliche Begünstigung von Schulden gegenüber Eigenkapital.
Der Finanzsektor ist insofern einzigartig, als dass Funktionsstörungen in diesem Sektor die Funktion aller anderen Wirtschaftssektoren beeinträchtigen. Die Finanzkrise hat uns noch einmal deutlich vor Augen geführt, dass solche Funktionsstörungen nicht auszuschließen sind. Daher ist eine gewisse Art der Absicherung erforderlich. Andernfalls wird unweigerlich Dritten in der Realwirtschaft Schaden zugefügt.
Eine Versicherung in Form eines "Bail-out" der Gläubiger - also insbesondere der Banken - geht offenkundig mit einem moralischen Risiko einher. Denn wenn die Banken wissen, dass sie zu groß sind, um bankrott zu gehen ("too big to fail"), sind sie versucht, aus dieser Versicherung größtmöglichen Nutzen zu ziehen und übermäßige Risiken zulasten der Gesamtgesellschaft einzugehen.
Statt den Banken kostenlosen Versicherungsschutz durch den Staat zu gewähren, sollte ihnen aufgetragen werden, sich selbst gegen ein Scheitern zu versichern. Nur dann sind Risiko und Ertrag so miteinander verbunden, dass sie dem gesamtwirtschaftlichen Interesse dienen. Zwei Aspekte sind hier entscheidend: die Verlustabsorptionsfähigkeit der Banken - d. h. ihr Eigenkapital - und ihre Abwicklungsfähigkeit.
Was das Eigenkapital betrifft, so ist bereits vieles geschehen. Die unter dem Begriff "Basel III" bekannten, globalen Standards sind deutlich angehoben worden - sowohl mit Blick auf die Quantität als auch auf die Qualität der Eigenmittel, die von den Banken vorzuhalten sind. Doch diese Eigenkapitalregeln sind noch immer risikogewichtet. Um zu verhindern, dass die Banken auf dem falschen Fuß erwischt werden, wenn sie scheinbar wenig riskante Forderungen halten, müssen wir den risikogewichteten Ansatz durch eine ungewichtete Eigenkapitalquote ergänzen: die Leverage Ratio, die eine Verschuldungsobergrenze festlegt.
Was die Abwicklung von Instituten anbelangt, so ist noch eine elementare Frage zu lösen: Die Schaffung eines einheitlichen Standards für das verfügbare haftungsfähige Kapital, also die Verlustabsorptionsfähigkeit bzw. die Gesamtsumme des Eigenkapitals zuzüglich der verfügbaren haftungsfähigen Verbindlichkeiten, die für die Abdeckung potenzieller Verluste der Banken infrage kommen, ohne dass der Steuerzahler in die Bresche springen muss. Damit diese Versicherung tatsächlich in Anspruch genommen werden kann, wenn sie benötigt wird, sollte Banken der Anreiz genommen werden, Bail-in-Verbindlichkeiten einer anderen Bank zu halten. Denn im Falle einer systemweiten Finanzkrise muss die Versicherung von Marktteilnehmern mit geringerer Verschuldung geleistet werden. Andernfalls könnte sich die Krise ausbreiten, statt eingedämmt zu werden.
Wie wichtig eine Neuausrichtung von Risiko und Rendite ist, zeigt sich immer mehr auch im Hinblick auf eine andere Frage: die regulatorische Behandlung von Staatsschuldtiteln. Gegenwärtig geht man mit dem Vorschlag, die Vorzugsbehandlung von Staatsanleihen zu beenden so um, wie mit sportlicher Aktivität: In der Theorie sind alle dafür, in der Praxis fällt es jedoch äußerst schwer, sich vom Sofa zu bewegen.
Nach wie vor gelten Staatsanleihen von fortgeschrittenen Volkswirtschaften, die in eigener Währung denominiert sind, als risikofrei. Doch Staatsanleihen sind keineswegs frei von Risiken. Das hat die Staatsschuldenkrise gezeigt. Dies bedingt die Notwendigkeit, staatliche Schuldverschreibungen mit Eigenkapital zu unterlegen und für den Anteil an Forderungen gegenüber einem einzelnen Staat eine Obergrenze einzuziehen, so wie es gegenüber privaten Schuldnern der Fall ist.
Die regulatorische Behandlung von Staatsanleihen wird derzeit vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht erörtert. Sollten diese Diskussionen aber zu keiner Vereinbarung führen, müssen wir eine europäische Lösung voranbringen. Im Gegensatz zu anderen Rechtssystemen ist es dem Eurosystem aus guten Gründen untersagt, als Kreditgeber letzter Instanz für Staaten einzuspringen. Das Risikoprofil von Staatsanleihen aus dem Euro-Raum ist daher unterschiedlich.
Schlussendlich müssen wir auch die steuerlichen Anreize neu überdenken, die Banken dazu bewegen, Fremdkapital zulasten von Eigenkapital aufzunehmen. Benjamin Franklin sagte einst: "In dieser Welt ist nichts sicher - außer der Tod und die Steuern." Doch dieser berühmte, zeitlose Spruch gilt nicht für Schulden. Zinsausgaben können steuerlich geltend gemacht werden, Eigenkapitalkosten hingegen nicht.
Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds würde ein Ende der steuerlichen Vorzugsbehandlung von Fremdkapital das durchschnittliche, ungewichtete Eigenkapital der Banken um 2,2 bis 4,2 Prozentpunkte erhöhen. Wenngleich die Forscher zu bedenken geben, dass die Auswirkungen für die größten Banken geringer sein dürften, sind diese Zahlen doch beachtlich, vor allem unter Berücksichtigung einer vorgeschlagenen Leverage Ratio von 3 %. Ein Ende der steuerlichen Vorzugsbehandlung von Fremdkapital - also von Schulden - könnte sich somit als großer Segen für die Finanzstabilität erweisen. Das gilt im Übrigen auch hinsichtlich der Finanzierung nicht-finanzieller Unternehmen.
Schulden sind wie Sauerstoff: unverzichtbar für das Wirtschaftsleben, doch eine Überdosis macht zunächst euphorisch und dann ohnmächtig. Bei der Regulierung der Luftqualität wurden in den vergangenen Jahrzehnten zumindest in den Industrieländern beachtliche Erfolge erzielt. Ich hoffe, wir können diese regulatorischen Fortschritte auch mit Blick auf die Behandlung von Schulden wiederholen.