Stiller Umbruch - Wie Krypto-Token und digitales Geld die Zahlungssysteme auf den Kopf stellen Gastbeitrag in Versicherungswirtschaft, November 2021

Nayib Bukele, Präsident des kleinen mittelamerikanischen Staats El Salvador, sorgte mit der Maßnahme, Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel zuzulassen, für weltweites Aufsehen. Aufgrund eines entsprechenden Gesetzes haben Bürgerinnen und Bürger seit Anfang September dieses Jahres ein Recht darauf, ihre Einkäufe oder auch ihre Steuern mit Bitcoin zu bezahlen. Darüber zeigen sich die Menschen in El Salvador allerdings wenig begeistert: Einer aktuellen Umfrage zufolge lehnen etwa 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger El Salvadors Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel ab.[1]

Wie das Beispiel El Salvador zeigt, ist es nicht so einfach, digitales Geld zu etablieren. Mit dem Aufkommen des Bitcoin im Jahre 2008 sollte digital, schnell und weltweit ohne Banken oder Girokonten gezahlt werden können.[2] Doch die Technik alleine ist noch kein Garant für den Erfolg eines Zahlungssystems.

Krypto-Token und ihre Technologie

Bitcoin basiert auf der sogenannten Distributed-Ledger-Technologie (DLT). Die Daten werden dabei nicht zentral über das Kontensystem einer Geschäftsbank, sondern dezentral von einer Vielzahl von Netzwerkakteuren gehalten. Das Potenzial der DLT ist insbesondere für innovative Anwendungsbereiche an der Schnittstelle zwischen Finanz- und Realwirtschaft interessant. Im Internet der Dinge könnten beispielsweise mittels programmierbarer Zahlungen neue Geschäftsmodelle entstehen und Lieferketten vollständig integriert werden.

Allerdings hat die DLT auch Schwächen. Unter anderem können Transaktionen im Netzwerk nicht ausreichend skaliert werden. Im Bitcoin-Netzwerk beispielsweise werden derzeit im Tagesdurchschnitt etwa 270.000 Zahlungen abgewickelt.[3] Ursächlich für das geringe Transaktionsvolumen ist der weder wirtschaftlich effiziente noch ökologisch vertretbare Konsensmechanismus. Zum Vergleich: Konventionelle Zahlungssysteme sind in der Lage, weitaus größere Volumina zu verarbeiten. So wickelt etwa das von der Bundesbank betriebene Massenzahlungssystem SEPA-Clearer an umsatzstarken Tagen bis zu 62 Millionen Überweisungen, Lastschriften und Kartenzahlungen ab.

Bei Bitcoin sorgt zudem keine zentral verantwortliche Instanz für die Sicherheit des laufenden Betriebes. Neue Bitcoins entstehen, indem Teilnehmer am Netzwerk mittels hoher Rechnerleistungen mathematische Aufgaben lösen und dafür mit digitalen Wertmarken (Token) entlohnt werden. Wer Bitcoin hält, hat – anders als bei Bankguthaben – gegen niemanden eine Forderung. Im Gegensatz etwa zu Gold hat Bitcoin auch keinen intrinsischen Wert.

Im Alltag konnte sich Bitcoin bislang weder als stabile Wertanlage noch als allgemeines Tauschmittel etablieren. Stattdessen werden der Bitcoin und ähnliche Token auf Nischenmärkten als hochspekulative Anlageobjekte nachgefragt – nicht aber als verlässliches Zahlungsmittel in einer digitalisierten Welt. Die Schwankungen im Kursverlauf des Jahres 2021 sind ein deutlicher Beleg dafür. Notierte ein Bitcoin noch im April dieses Jahres bei über 60.000 US-Dollar, so fiel der Kurs im Laufe der Sommermonate auf bis zu 25.000 US-Dollar.

Wandel im konventionellen Zahlungsverkehr

Mit zunehmender Digitalisierung verändert sich auch der konventionelle Zahlungsverkehr. So wuchs etwa der Versand- und Internet-Handel in Deutschland im Jahr 2020 um 25 Prozent.[4] Insbesondere die zur Eindämmung der Corona-Pandemie beschlossenen Lockdown-Maßnahmen dürften dieses Wachstum getrieben haben.

Gleichzeitig reduzierte sich der Anteil der Barzahlungen an sämtlichen Zahlungen an der Ladenkasse, in der Freizeit und bei anderen Zahlungsanlässen gemäß einer Erhebung der Bundesbank auf 60 Prozent. In der Vorgängerstudie von 2017 lag der Anteil noch bei 74 Prozent.[5] Maßgeblich beeinflusst wurde diese Entwicklung auch von der Möglichkeit häufiger kontaktlos zahlen zu können. So stieg der Anteil kontaktloser Zahlungen an allen Kartenzahlungen von 46 Prozent im ersten Halbjahr 2020 auf 64 Prozent im gleichen Zeitraum 2021.[6]

Auch in der Versicherungswirtschaft hat die Digitalisierung längst zu tiefgreifenden Veränderungen geführt. Zum einen steigert die konsequente Nutzung von mobilen Kommunikationskanälen den Bedarf an digitalen Bezahlverfahren und ermöglicht auch im Versicherungsbereich neue Geschäftsmodelle, wie etwa „Pay per use“. Zum anderen kann beispielsweise durch sogenannte Instant Payments, die eine sofortige und transparente Zahlungsabwicklung ermöglichen, eine schnellere Schadensregulierung erfolgen.

Neue Wettbewerber im Zahlungsverkehr

Die Digitalisierung bringt aber nicht nur neue oder verbesserte Angebote im Zahlungsverkehr und in der Wirtschaft. Vielmehr verändert sie auch die Struktur der Anbieter in der Finanzwirtschaft. Einerseits entwickeln kleine, technikaffine Unternehmen im Finanzsektor - die FinTechs - innovative und vor allem nutzerfreundliche Anwendungen. Anderseits drängen zunehmend international agierende Digitalkonzerne wie Facebook, Google oder Apple auf den Markt. Gerade im stark von Netzwerkeffekten geprägten Zahlungsverkehr profitieren diese „BigTechs“ von ihren sehr hohen Reichweiten und sind in der Lage, Synergien in Form vollintegrierter Plattformlösungen zu realisieren. Solche Lösungen tragen zwar zu einem positiven Kundenerlebnis bei, bringen aber Lock-in-Effekte mit sich. Diese binden die Kundinnen und Kunden eng an eine Plattform und deren Dienste, sodass ein Wechsel zu einem anderen Anbieter für den Einzelnen nur mit hohem Aufwand möglich ist. Damit entsteht die Gefahr, dass große Plattformen ihre eigenen Regeln und Standards durchsetzen können.

Im Zahlungsverkehr könnte es für BigTechs zur Förderung ihrer Plattformen interessant sein, eigene Zahlungsmittel herauszugeben. So hat etwa Facebook angekündigt, gemeinsam mit einem Unternehmenskonsortium einen Stablecoin unter dem Namen „Diem“ ausgeben zu wollen. Zur Gewährleistung einer stabilen Wertentwicklung soll dieser Stablecoin durch liquide Vermögenspositionen in US-Dollar besichert und damit an den US-Dollar geknüpft werden. Perspektivisch ist sicherlich auch die Ausgabe eines an den Euro gekoppelten „Diem“ nicht ausgeschlossen.

Derzeit befassen sich Gesetzgeber und Zentralbanken weltweit mit den Möglichkeiten einer angemessenen Regulierung solcher Krypto-Token. Ein wichtiger Schritt ist dabei die geplante „Markets in Crypto Assets“-Verordnung der Europäischen Kommission, kurz MiCA. Damit würde ein einheitlicher europäischer Regulierungsrahmen für Krypto-Assets, darunter auch Stablecoins wie „Diem“, etabliert. Europa würde damit auch global ein wichtiges Signal für die künftige Stabilität dieser Märkte setzen.

Untersuchung zum digitalen Euro gestartet

Die zunehmende Digitalisierung führt zu der Frage, ob nicht auch Zentralbankgeld in digitaler Form angeboten werden sollte. Zwar gibt es bereits Zentralbankgeld in Form von digitalen Guthaben auf Zentralbankkonten; diese sind aber bisher Banken und Sparkassen vorbehalten. Privatpersonen und Unternehmen können bis dato Zentralbankgeld nur in Form von Bargeld halten.

Für den Euroraum diskutieren die Europäische Zentralbank und die Bundesbank gemeinsam mit den anderen nationalen Zentralbanken dieses Thema. Ein „digitaler Euro“ würde von der Zentralbank herausgegeben und wäre für die Allgemeinheit, also für Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen, zugänglich. Mit dem digitalen Euro könnte man beispielsweise auch online mit ausfallsicherem Zentralbankgeld bezahlen. Er würde das Bargeld aber nicht ersetzen, sondern ergänzen.

Mitte Juli 2021 hat der EZB-Rat die Entscheidung getroffen, eine zweijährige Untersuchungsphase zum digitalen Euro zu starten. Gegenstand dieser Phase sind vor allem Überlegungen zu den Einsatzmöglichkeiten, den Merkmalen sowie den verschiedenen Designoptionen eines digitalen Euro. So könnte er etwa in besonderer Weise die Privatsphäre des Zahlers schützen. Eine vollständige Anonymität ist allerdings wegen der einzuhaltenden Bestimmungen etwa zur Verhinderung von Geldwäsche nicht möglich.

Bei den Überlegungen zum digitalen Euro muss der Austausch mit den relevanten Marktakteuren im Mittelpunkt stehen. Dies gilt zum einen für die Anbieterseite mit den verschiedenen Zahlungsdienstleistern (unter anderem Geschäftsbanken). Zum anderen müssen die Bedürfnisse und Interessen der Nachfrageseite verstanden und berücksichtigt werden. Neben Verbrauchern, Handel und allgemeiner Wirtschaft spielt die Versicherungswirtschaft eine wichtige Rolle. Dabei sind sämtliche Chancen und Risiken genauestens zu prüfen und Zielkonflikte abzuwägen. Wichtig wäre vor allem, dass der digitale Euro und andere Zahlungsmittel nahtlos ineinander verzahnt und reibungslos in die jeweils andere Form getauscht werden können.

Letztlich könnte ein digitaler Euro private Innovationen im Hinblick auf sichere und europaweit nutzbare Bezahllösungen ergänzen und fördern. Nicht nur der Blick nach El Salvador zeigt: Krypto-Assets, insbesondere Stablecoins, spielen in der Diskussion eine immer größere Rolle. Und deswegen muss das Eurosystem vorbereitet sein – sowohl im Hinblick auf eine angemessene Regulierung solcher Token als auch bei der Neujustierung der eigenen Infrastrukturen.


 Fußnoten:

  1. Universidad Centroamericana (2021): “La población salvadoreña opina sobre el Bitcoin y la situación socioeconómica del país”, 2. September 2021.
  2. Vgl. Nakamoto (2008): Bitcoin: A peer-to-peer electronic cash system.
  3. Vgl. BitInfoCharts (2021): Bitcoin Transactions. Verfügbar unter https://bitinfocharts.com/comparison/bitcoin-transactions.html#3m. Dies entspricht dem Tageswert am 23. September 2021.
  4. Das branchenübergreifende Wachstum des gesamten Einzelhandels betrug im Jahr 2020 etwa 5%, vgl. Statistisches Bundesamt (2021): Pressemitteilung 045 vom 1. Februar 2021.
  5. Deutsche Bundesbank (2021):
  6. Girocard Halbjahreszahlen (2021): Pressemitteilung vom 8. August 2021: girocard Halbjahreszahlen 2021 – girocard.