Zukunft des Euro-Clearing unter dem Vorzeichen des Brexit Gastbeitrag von Carl-Ludwig Thiele und Dr. Oliver Hutengs in der "Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen"

1 Einleitung

Der Austritt des Vereinigten Königreichs (UK) aus der Europäischen Union (EU) hat zahlreiche Debatten über die zukünftige Ausgestaltung der gemeinsamen wirtschaftlichen Beziehungen entfacht. So auch im Bereich des Clearings von Finanzderivaten. Im Mittelpunkt der Debatte steht dabei das sogenannte Euro-Clearing, d.h. das in Euro denominierte Clearing-Geschäft und die anstehende Überarbeitung der europäischen Derivateregulierung. Der vorliegende Artikel beleuchtet die Hintergründe der Debatte und diskutiert die geplanten regulatorischen Änderungen bzgl. der Überwachung von Zentralen Gegenparteien (Central Counterparties, CCPs), sowie die Auswirkungen auf das Euro-Clearing.

Komplexe Finanzmarktgeschäfte und ihre technische Abwicklung rücken häufig erst dann in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit, wenn für die Allgemeinheit negative Effekte, z. B. in Form von Finanzkrisen, auftreten. Finanzpolitisch interessierten Beobachtern könnte daher das Clearing von Derivaten im Zusammenhang mit der letzten Finanzkrise und den folgenden regulatorischen Änderungen noch ein Begriff sein. Im Jahr 2009 haben die G20-Staats- und Regierungschefs als Reaktion auf die Finanzkrise beschlossen, die Verrechnung der meisten außerbörslich gehandelten Derivate nur noch über CCPs zuzulassen. Die G20 verfolgten damit im Wesentlichen zwei Ziele: Zum einen sollten bestehende Risiken im Finanzsystem für alle Beteiligten transparenter werden, zum anderen sollten die mit Derivaten im Zusammenhang stehenden Risiken besser kontrolliert werden.

2 Zentrales Clearing und gemeinsamer Aufsichtsrahmen

Die Initiative der G20 führte letztlich dazu, dass alle bedeutenden Wirtschaftsräume ihre Derivateregulierung verschärften. Ein Großteil der zwischen zwei Marktteilnehmern bilateral abgeschlossenen Derivatekontrakte und das damit verbundene Ausfallrisiko muss heute auf die CCP übertragen werden. Die Marktteilnehmer müssen somit nicht mehr das Kreditrisiko jeder einzelnen Gegenpartei kennen, stattdessen haben sie großes Interesse an einem effektiven Risikomanagement ihrer zentralen Gegenpartei, der sie bei Geschäftsabschluss im Gegenzug entsprechende Sicherheiten übertragen müssen. Damit wurde die Rolle der CCPs im Finanzsystem aufgewertet. Sie sind nun mehrheitlich systemrelevante Finanzmarktinfrastrukturen.

Daraus folgt, dass diese Finanzmarktinfrastrukturen sowie das zentrale Clearing von Derivaten adäquat überwacht und beaufsichtigt werden müssen. Innerhalb der EU wird die Aufsicht über CCPs durch die sogenannte European Market Infrastructure Regulation (EMIR-Verordnung)[1] geregelt. Die Kernelemente der Verordnung sind: Ein einheitlicher Aufsichtsrahmen für CCPs mit Sitz in der EU, ein Anerkennungsmechanismus für Drittstaaten-CCPs und eine Verpflichtung für Marktteilnehmer, bestimmte Derivate über CCPs zu verrechnen.

Wesensmerkmal des einheitlichen Aufsichtsrahmens ist die kooperative Überwachung von EU-CCPs. Jede CCP innerhalb der EU wird daher von ihrer national zuständigen Behörde (national competent authority, NCA) – in Deutschland die BaFin – federführend beaufsichtigt. Diese nationale Aufsichtskomponente wird durch eine europäische Aufsichtskomponente, dem Aufsichtskollegium, ergänzt. Diese Aufsichtskollegien haben bei Zulassung, Produkterweiterungen und Modelländerungen einer CCP ein Informations-, sowie ein Mitspracherecht. Dem jeweiligen Kollegium gehören neben der NCA auch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) sowie nationale Zentralbanken und weitere Behörden von EU-Mitgliedsstaaten an, sofern diese Einrichtungen beaufsichtigen, auf die sich die Tätigkeiten dieser CCP auswirken könnten. Mittels dieser Konstruktion ist z. B. sichergestellt, dass relevante Behörden in einem gewissen Umfang Einfluss bei der Beaufsichtigung von zahlreichen EU-CCPs nehmen können.

3 Europäische Clearinglandschaft und Brexit

Die Clearinglandschaft in Europa ist besonders durch die Konzentration bestimmter, außerbörslich gehandelter Derivateklassen bei CCPs im Vereinigten Königreich gekennzeichnet.

So hat z. B. die größte UK-CCP, LCH. Ltd, die im Zinsderivategeschäft einen weltweiten Marktanteil von über 90 % aufweist, am 1. Dezember 2017 ein tägliches Geschäftsvolumen von ca. 3.360 Mrd. Euro ausgewiesen[2]. Der Wert aller noch ausstehenden Geschäfte beläuft sich sogar auf 264.000 Mrd. Euro. Das Euro-Clearing als Teil davon, d.h. das Volumen aller noch in Euro ausstehenden Geschäfte, hat mit über 82.000 Mrd. Euro einen Anteil von über 30 % am Geschäftsvolumen. Und dieses Geschäft ist Gegenstand der derzeitigen Diskussionen.

Die Konzentration von Ausfallrisiken und deren Management bei nur einer CCP in diesem Geschäft erfordert eine effiziente Aufsicht. Nur so können die unabsehbaren wirtschaftlichen und systemischen Wirkungen eines Ausfalls von CCPs angemessen kontrolliert werden.

Durch den derzeitigen Aufsichtsrahmen und die gemeinsame kooperative Überwachung innerhalb der EU ist eine ausreichende Kontrolle der Risiken bei den britischen CCPs und die notwendige Beteiligung unterschiedlicher Behörden gesichert.

Mit dem Wirksamwerden des EU-Austritts des Vereinigten Königreichs ohne weitere Anschlussregelungen würde jedoch eine Situation entstehen, in der britische CCPs automatisch zu Drittstaaten-CCPs deklariert würden und ein Großteil des Euro-Clearings damit außerhalb der EU und somit auch außerhalb des gemeinsamen europäischen Rechts- und Aufsichtsrahmen stattfinden würde. Die Risiken für die Finanzstabilität in der EU blieben jedoch bestehen. Die Sach- und Risikolage mit Blick auf das Euro-Clearing würde sich durch den Brexit daher fundamental ändern.

Es muss deshalb sichergestellt werden, dass britische CCPs, die für die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems im Euroraum eine erhebliche Bedeutung besitzen, auch nach dem Brexit dauerhaft angemessenen regulatorischen und aufsichtlichen Anforderungen unterliegen. Die bisher in EMIR für Drittstaaten-CCPs vorgesehenen Äquivalenzregeln sind dafür aber nicht geeignet. Zum einen wurden diese für Drittstaaten-CCPs entwickelt, die geringe Volumina mit Bezug zu europäischen Marktteilnehmern und Währungen clearen. Zum anderen könnte eine einmalige Äquivalenzbetrachtung des zukünftigen britischen Aufsichtsrahmens nicht sicherstellen, dass dieser im Zeitverlauf kongruent mit den EU-Anforderungen bleibt.

Unabhängig vom Brexit hatte die EU-Kommission im Rahmen der planmäßigen Überarbeitung von EMIR bereits Überlegungen zur Überwindung dieser Schwächen angestellt. Durch den Brexit erhalten diese jetzt eine neue Dimension, sodass dringender Handlungsbedarf besteht.

4 Aktuelle Diskussion zur zukünftigen Überwachung von Drittstaaten-CCPs

Die Europäische Kommission hat im Juni 2017 Änderungen für die künftige Aufsicht von Drittstaaten-CCPs vorgeschlagen. Eine wesentliche Neuerung ist die Klassifizierung von Drittstaaten-CCPs nach ihrer Systemrelevanz für die EU. Im Einzelnen sollen Drittstaaten-CCPs in folgende Kategorien eingeteilt werden: Nicht-systemrelevant (Tier 1) und systemrelevant (Tier 2).

Die Aufsicht für nicht-systemrelevante Drittstaaten-CCPs soll dem bisherigen Äquivalenzverfahren entsprechen und ist überwiegend für CCPs gedacht, die nur in geringem Umfang Geschäfte mit Bezug zu EU-Währungen oder EU-Marktteilnehmern tätigen. Für kleinere und weniger risikoreiche Drittstaaten-CCPs wird sich gegenüber dem Status quo daher wenig ändern. Mit Blick auf die eingangs erwähnten britischen CCPs und ihre Systemrelevanz für die EU und den Euro kann eine solche vereinfachte Anerkennung nicht in Frage kommen.

Für die EU systemisch relevante Drittstaaten-CCPs mit Euro-Clearing sollen dagegen zukünftig, ihrer Risikosituation entsprechend, stärker beaufsichtigt werden. In dem Kommissionsentwurf ist vorgesehen, dass die ESMA unter Beteiligung der Eurosystem-Zentralbanken als währungsemittierende Institutionen (Central Bank of Issue, CBI) die direkte Aufsicht dieser CCPs übernimmt. Darüber hinaus sollen diese Drittstaaten-CCPs zahlreichen weiteren Anforderungen nachkommen, u.a. der Erfüllung wesentlicher Anforderungen der EMIR-Verordnung sowie der Einräumung von weitgehenden Informations- und Zugangsrechten für die ESMA. Dieser Ansatz unterscheidet sich fundamental vom heutigen Äquivalenzverfahren für Drittstaaten-CCPs, bei dem im Kern einmalig geprüft wird, ob die CCP-Aufsicht in einem Drittstaat EMIR-äquivalenten Regeln unterliegt.

Der ESMA, die bisher überwiegend für die Anerkennung von Drittstaaten-CCPs und die einheitliche Auslegung von EMIR zuständig ist, würde durch die Ausübung des Aufsichtsmandat für systemrelevante Drittstaaten-CCPs eine deutliche Aufgabenerweiterung zuteil. Auch die Rolle der CBI soll gestärkt werden, indem sie u.a. die Erfüllung zusätzlicher, über EMIR hinausgehender Anforderungen verlangen kann. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass von einem Drittstaaten-CCPz. B. in Krisensituationen, ein erheblicher Einfluss auf die Finanzmärkte und die Geldpolitik im eigenen Währungsraum ausgehen kann. Diese Rolle würde für den Euro bei Drittstaaten- sowie EU-CCPs vom Eurosystem wahrgenommen werden. Darüber hinaus sind weitgehende Mitbestimmungsrechte bei der laufenden Aufsicht von Drittstaaten-CCPs inklusive Vetorechte bzgl. möglicher Entscheidungen der ESMA vorgesehen.

Die hier vorgestellte Weiterentwicklung der Aufsicht über systemrelevante Drittstaaten-CCPs ist im Wesentlichen risikobasiert und vergleichbar mit den Anforderungen die EU-CCPs erfüllen müssen. Mit Blick auf die bereits erwähnten Risiken für die EU und den Euro, die von systemrelevanten Drittstaaten-CCPs ausgehen können, ist diese regulatorische Veränderung nicht nur sachgerecht, sondern auch notwendig.

5 Aktuelle Diskussion zur Relokation von Drittstaaten-CCPs

In der Brexit-Debatte sind aber auch zahlreiche Stimmen laut geworden, die eine direkte Beaufsichtigung von Drittstaaten-CCPs durch EU-Behörden als nicht ausreichend ansehen. Stattdessen wird eine Verlagerung des in Euro denominierten Geschäfts britischer CCPs (Euro-Clearing) in die EU gefordert. Entscheidend ist hier, wie diese potenzielle Verlagerung begründet wird. Argumentationen, die mit wettbewerblichen Positionen und standortpolitischen Interessen unterlegt werden, sind grundsätzlich wenig geeignet, die Risikolage für die EU sachgerecht zu bewerten. Im Gegenteil: Das Handeln der EU sollte sich ausschließlich an den Risiken für den Euro und für das Finanzsystem orientieren. Etwaige mit der Relokation entstehende Kosten, die im Übrigen derzeit sehr kontrovers und keinesfalls mit eindeutigem Ergebnis diskutiert werden, können nicht entscheidend sein.

Dieser Sichtweise hat sich die EU-Kommission ebenfalls angeschlossen. Die zuvor beschriebenen Vorschläge zur regulatorischen Weiterentwicklung der Aufsicht von Drittstaaten-CCPs enthalten auch die Möglichkeit, eine Relokation von Geschäftsaktivitäten in die EU zu verlangen. Vorgesehen ist, dass eine „substanziell“ systemrelevante Drittstaaten-CCP ihre Dienstleistungen nicht innerhalb der EU anbieten darf, da ihr die Anerkennung versagt würde. Die direkte Geschäftsverlagerung in die EU und die damit verbundene notwendige Zulassung als EU-CCP wäre somit die einzige Möglichkeit dieser CCP, ihre Geschäftsaktivitäten mit EU-Kunden aufrecht zu erhalten.

Es ist offensichtlich, dass solch eine Maßnahme nur dann ergriffen werden sollte, wenn die direkte Überwachung einer Drittstaaten-CCP als unzureichend bewertet wird. Die EU-Kommission betont in ihrem Vorschlag zur künftigen Aufsicht von Drittstaaten-CCPs deshalb auch, dass dies nur möglich wäre, wenn eine „substanziell“ systemrelevante Drittstaaten-CCP selbst bei Einhaltung strenger aufsichtlicher Vorschriften weiterhin die Finanzstabilität in der EU bedrohen würde. Nur dann wäre eine Relokation gerechtfertigt, aber zugleich auch notwendig.

6 Auswirkungen auf das Euro-Clearing

In Zukunft werden in Euro-denominierte Derivate, die in einer für die EU systemrelevanten Drittstaaten-CCP verrechnet werden, in jedem Fall einer starken Aufsicht und entsprechender Kontrolle unterliegen.

Nach den derzeitigen Vorschlägen sind daher verschiedene Szenarien für das im UK beheimatete Euro-Clearing denkbar. Zum einen könnten britischen CCPs zu systemrelevanten CCPs (Tier 2) erklärt werden. Diese würden dann erstmalig der vorgeschlagenen direkten Aufsicht durch die ESMA unter Beteiligung der CBI unterliegen. Da die Anforderungen an ausländische Tier2-CCPs vergleichbar mit denen von EU-CCPs sind, sollte das zukünftige Aufsichtsniveau in dieser Situation vergleichbar mit dem heutigen Niveau sein.

Alternativ ist jedoch denkbar, dass einzelne britische CCPs oder bestimmte Geschäftsteile als „substanziell“ systemrelevant für die EU eingestuft werden. Wie bereits dargestellt, würde solch eine CCP von der EU nicht anerkannt werden, mit der Konsequenz, dass EU-Marktteilnehmer dort keine Geschäfte mehr tätigen können. Sollte eine solche Situation drohen, könnten EU-Marktteilnehmer damit beginnen, ihre Geschäfte auf in Frage kommende EU-CCPs zu verlagern. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass aufgrund von Größeneffekten eine sich selbst verstärkende Dynamik einsetzt und eine Abwicklung auch für Nicht-EU-Marktteilnehmer zunehmend attraktiv wird. Die betroffene CCP könnte jedoch auch den „substanziell“ systemrelevanten Teil ihres Geschäfts in die EU verlagern. Dafür kämen z. B. eine bereits in der EU ansässige „Schwester“-CCP, die zur gleichen Eigentümergruppe gehört oder eine CCP-Neugründung in Frage. Aufsichtlich würde dann der normale EU-weite Aufsichtsrahmen für CCPs gelten. Eine dem Risiko angemessene Überwachung wäre demnach gesichert.

7 Fazit

Wo die Abwicklung des Euro-Clearings nach dem Brexit erfolgen wird, ist noch nicht endgültig absehbar. Wichtig ist aber, dass die Risiken für die EU und den Euro auch künftig einer auf EU-Recht basierten Überwachung unterliegen. Die gegenwärtigen regulatorischen Vorschläge weisen daher in die richtige Richtung. Mit Blick auf die Größe des Derivategeschäfts britischer CCPs herrscht zurzeit Ungewissheit, ob nach dem Brexit eine Verlagerung von Clearingaktivitäten in die EU notwendig werden könnte. Letztlich wird die Behandlung des Euro-Clearings vermutlich auf politischer Ebene entschieden werden. Für alle beteiligten Marktteilnehmer ist die gegenwärtige Situation dadurch mit einem hohen Maß an Rechtsunsicherheit verbunden, die vermutlich bis zum Ende des Austrittprozesses anhalten wird. Einzelne Marktteilnehmer überlegen daher bereits, ihre Handelsaktivitäten in die EU zu verlagern, obwohl es noch keine finale Regelung für die künftige Behandlung des Euro-Clearings gibt. Abschließend sei noch angemerkt, dass die schon vor dem Brexit initiierten Diskussionen zur künftigen Regulierung von CCPs mit dem Brexit deutlich politischer geworden sind. Auf europäischer Ebene ist daher noch mit Änderungen in der Ausgestaltung der skizzierten Regelungen zu rechnen. Zurzeit befinden sich die Beratungen im Trilog. Zum Abschluss des europäischen Gesetzgebungsverfahrens werden Ministerrat und EU-Parlament die möglicherweise geänderten Vorschläge beschließen.


Fußnoten

  1. EMIR ist eine EU-Verordnung und enthält generelle Anforderungen an die Parteien von Derivatetransaktionen.
  2. Nach Angaben von LCH. Ltd., siehe http://www.lch.com/asset-classes/otc-interest-rate-derivatives/volumes.