„Der Staat übernimmt sich massiv“ Interview mit Professorin Veronika Grimm

Das Gespräch führte Mathias Endres.

Im Interview nach Ihrer Rede auf dem Neujahrsempfang der Alumni-Vereinigung Hachenburg äußert sich die Wirtschaftsweise Veronika Grimm über die Gaspreisbremse, zielgerichtete Entlastungen und ihre Tätigkeit als Fußballtrainerin.

Frau Grimm, Sie waren die Co-Vorsitzende der Kommission, die die Gaspreisbremse entwickelt hat. Sind Sie persönlich mit dem Ergebnis der Gaspreisbremse zufrieden?

Das ist sehr gut gelaufen. Die Bundesregierung hat die Gaspreisbremse, wie wir es vorgeschlagen hatten, zu großen Teilen umgesetzt. Es ist sehr positiv, dass man statt eines Preisdeckels einen Rabatt auf die Abschlagszahlungen realisiert hat und dieser Rabatt die Gaskosten nicht das vorige Niveau reduziert hat, sondern auf die „neue Normalität“, sprich auf das zukünftige Kostenniveau für Gas. So hat man auch nicht den Anschein erweckt, es ginge nach dem Auslaufen der Gaspreisbremse so weiter wie zuvor.

Was hätte Ihrer Meinung nach bei der Realisierung der Gaspreisbremse noch besser werden können?

Ich hätte mir gewünscht, dass man mit Blick auf die Unternehmen weniger restriktiv gewesen wäre. Gerade Unternehmen, die auch im Ausland Optionen haben, überlegen sich sehr wohl, wo sie nun investieren – insbesondere wenn die Inanspruchnahme der Gaspreisbremse an den Verzicht auf Bonizahlungen geknüpft ist. Manch einer mag da ein Störgefühl haben, aber es ist riskant, das Investitionsumfeld in der aktuellen Situation noch unattraktiver zu machen. Das dürfte Nachteile bringen für die deutsche Volkswirtschaft.

Der Sachverständigenrat (SVR) der Bundesregierung, dem auch Sie angehören, hat in seinem Jahresgutachten 2022 für längere AKW-Laufzeiten plädiert. Welche Überlegungen waren dafür ausschlaggebend?

Ich selbst hatte dazu im Oktober mit meinem Lehrstuhl-Team eine Studie erstellt. Wir haben Szenarien durchgespielt, wie es Deutschland und Europa mit oder ohne Laufzeitverlängerung der AKWs ergeht. Das Ergebnis war, dass der AKW-Betrieb 2024 einen deutlichen senkenden Effekt auf die Energiepreise haben würde. Die Verfügbarkeit der AKWs würde demnach den Strompreis ungefähr zwischen acht und zwölf Prozent reduzieren. Das gilt für Deutschland und die Nachbarstaaten, wir hätten also einen positiven Spillover-Effekt. Außerdem würde deutlich weniger Kohle verstromt, wir würden bei der deutschen Stromerzeugung jährlich zwischen 30 bis 40 MillionenTonnen CO2 weniger ausstoßen. Das würde auch zu einem niedrigeren Preis im europäischen Emissionshandel führen. Zudem würde der Gasverbrauch sinken.

Wie fällt Ihr Blick über das Jahr 2024 hinaus aus?

Wenn man die im Osterpaket des Wirtschaftsministeriums angestrebten Ausbaupfade für die erneuerbaren Energien erreicht, sprich auf die vierfache Ausbaugeschwindigkeit kommt, dann würden die AKWs 2027 nicht mehr viel nützen. Sie würden nur noch erneuerbare Energien am Strommarkt verdrängen, dann bräuchte man sie nicht mehr.

Viel Aufmerksamkeit im SVR-Gutachten hat auch der Vorschlag ausgelöst, einen Energie-Soli für Reichere einzuführen. Hatten Sie hier mit so viel Gegenwind gerechnet?

Die Kritik ging völlig an dem Text unseres Gutachtens vorbei, sie bezog sich eher auf das, was in der medialen Berichterstattung daraus gemacht wurde. Wir haben im Gutachten kritisiert, dass man vielfach mit der Gießkanne entlastet hat– das begünstigt viele Haushalte mit hohem Einkommen, die die Härten selbst tragen könnten und befeuert dadurch im Endeffekt sogar noch die Inflation.

Hätte man technisch die Möglichkeit, zielgenauer zu entlasten, so hätte man das sicherlich getan. Um auch in der aktuellen Situation etwas mehr Zielgenauigkeit zu erreichen, haben wir uns dafür ausgesprochen, einen Teil der mit der Gießkanne verteilten Gelder am oberen Ende der Einkommensverteilung wieder einzusammeln. Im Endeffekt war unser Vorschlag ein Appell für eine zielgerichtetere Entlastung, aber keinesfalls für eine Steuererhöhung. Das brauchen wir in der aktuellen Lage gerade überhaupt nicht.

Frau Höcherl, die langjährige Chefin des Allensbach-Instituts, hat neulich in einem Interview gesagt, dass der deutsche Staatsapparat nicht mehr funktioniere – insbesondere mit Blick auf die Digitalisierung. Stimmen Sie zu?

Es ist richtig, dass wir viele Hausaufgaben im Staatswesen zu erledigen haben. Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ist dabei ein extrem wichtiger Baustein, um Verfahren zu beschleunigen und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Sorgen bereitet mir vor dem Hintergrund besonders, dass der Staat sich zutraut, auch in Zukunft vieles im Detail zu lenken. Ich glaube, da übernimmt man sich massiv. In der Krise ist das mit Blick auf die Entlastungen gut gelaufen, aber gerade bei der Transformation zur Klimaneutralität muss der Staat sich darauf konzentrieren, für günstige Rahmenbedingungen sorgen und weniger der Akteur sein, der in jedem Detail seine Finger drin hat. Es wichtig, dass wir nach der Phase der Krise wieder zur Normalität finden: Der Staat kann es in vielen Bereichen nicht besser als der Markt.

Sie waren bereits einige Jahre Professorin tätig, ehe Sie in den letzten Jahren in die Politikberatung eingebunden wurden. Was macht Ihnen mehr Freude?

Beides – eben in der Kombination. Ich bin weiterhin in der Forschung sehr aktiv. Die Lehre leidet aktuell etwas, aber ich habe an der Uni ein großartiges Team am Lehrstuhl und übernehme weiterhin die große Einführungsveranstaltung, was mir auch viel Freude bereitet.

Politikberatung ohne aktive Forschung kann meines Erachtens nur eine kurze Zeit funktionieren. Es würden sonst die Impulse fehlen, die der Politik den notwendigen Mehrwert bescheren.

Sie waren in Ihrer Freizeit acht Jahre Trainerin einer Nachwuchs-Fußballmannschaft. Wie kamen Sie dazu?

Es war wie so häufig zurzeit, da gab es Fachkräftemangel. Die Trainer wurden unter den Eltern rekrutiert – und bei meinem dritten Kind habe ich mich dann breitschlagen lassen und es nicht bereut. Ich habe übrigens selbst als Kind auch Fußball gespielt.

Acht Jahre sind eine lange Zeit, was haben Sie da mitgenommen?

Beim Mannschaftssport lernen Kinder und Jugendliche ganz früh, mit dem Zusammenspiel von Konkurrenz und Kooperation umzugehen. Ohne den Teamgedanken funktioniert auch bei großem persönlichen Ehrgeiz nichts – die Besten müssen also lernen, auch den Beitrag aller anderen zu wertschätzen. Das ist auch später im Berufsleben nicht viel anders. Leider sind heute im Mannschaftssport in sehr jungen Jahren viel mehr Jungs als Mädchen aktiv. Ich denke, das sollte sich ändern.