„Ein Höchstmaß an Privatsphäre“ Interview mit der Schwäbischen Zeitung

Das Gespräch mit Burkhard Balz führte Andreas Knoch.

Auf dem Weg zur Einführung eines digitalen Euros ist die erste Etappe genommen. Nach einer zweijährigen Projektphase hat die EZB am 1. November mit der ebenfalls auf zwei Jahre angelegten Vorbereitungsphase begonnen. In dieser Zeit sollen das Regelwerk fertiggestellt und Anbieter ausgewählt werden, die eine Plattform und die Infrastruktur für einen digitalen Euro entwickeln könnten. Für Deutschland sitzt Burkhard Balz in dem Expertengremium. Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“ erläutert Balz, welche Vorteile ein digitaler Euro Verbrauchern und Unternehmen bringen kann und was die Digitalwährung besser kann als bereits am Markt etablierte digitale Zahlungsmittel. Außerdem räumt der Banker mit einigen weitverbreiteten Vorurteilen auf.

Herr Balz, welche Vorteile würde ein digitaler Euro für Verbraucher und Unternehmen bringen?

Ein digitaler Euro könnte im gesamten Euroraum für Zahlungen in Geschäften, im Internet oder zwischen Privatpersonen eingesetzt werden. Für Privatpersonen wäre die Nutzung kostenfrei. Wie heute schon das Bargeld, wäre auch der digitale Euro Zentralbankgeld. So könnten Zahlungen mit staatlichem Geld künftig also nicht mehr nur in bar, sondern auch digital getätigt werden. 

Aber auch für den Einzelhandel böte der digitale Euro Vorteile: Zum einen sollen die zu entrichtenden Gebühren bei Zahlungseingängen niedriger als bei anderen digitalen Zahlungsmitteln ausfallen. Durch die zusätzliche Zahlungsoption würde außerdem die Verhandlungsposition der Händler gegenüber Anbietern von kommerziellen Bezahllösungen gestärkt, etwa um günstigere Konditionen bei Kartenzahlungen auszuhandeln.

Was kann ein digitaler Euro besser als bereits verfügbare digitale Zahlungsmittel, die sich in der Praxis auch schon durchgesetzt haben?

Es gibt bisher kein europäisches digitales Zahlungsmittel, das im gesamten Euroraum akzeptiert wird. Was seit über zwanzig Jahren mit dem Euro-Bargeld für Zahlungen von Hand zu Hand funktioniert, ist bis jetzt für digitale Zahlungen noch nicht möglich. So ist es folgerichtig, dass Zentralbanken in einer Welt im digitalen Wandel auch über digitales Geld für unseren Alltag als Ergänzung zu Bargeld nachdenken. Mit dem digitalen Euro würde ein öffentlicher Standard für das digitale Bezahlen mit sehr hoher Privatsphäre geschaffen.

Ein digitaler Euro soll digitale Bezahlangebote des Privatsektors aber nicht verdrängen. Er wäre vielmehr eine weitere Bezahloption in einem immer stärker wachsenden Markt. 

Wie kann man sich den digitalen Euro praktisch vorstellen? Bekommt man da eine Karte in die Hand? 

Die Standardlösung für den digitalen Euro soll eine Wallet auf dem Smartphone sein. Diese digitale Geldbörse könnten Sie entweder in der Mobile Banking-App Ihrer Geschäftsbank oder in der App eines Zahlungsdienstleisters Ihrer Wahl einrichten. Alternativ soll es eine eigens dafür konzipierte App des Eurosystems geben, die Sie mit Ihrem Bankkonto verknüpfen.

Menschen, die kein Bankkonto besitzen oder kein Smartphone haben, sollen den digitalen Euro ebenfalls nutzen können. Dafür sollen in jedem Mitgliedstaat Stellen benannt werden, die sich um die Ausgabe von Zahlungskarten kümmern. 

Wie anonym kann man mit dem Digitalen Euro bezahlen? 

Als gesetzliches Zahlungsmittel und als digitale Form unserer gemeinsamen Währung würde der digitale Euro ein Höchstmaß an Privatsphäre bieten. Die Zentralbanken des Eurosystems haben im Gegensatz zu kommerziellen Anbietern kein Interesse daran, persönliche Zahlungsdaten zu erheben oder an Dritte weiterzugeben. Das Eurosystem ist bestrebt, die Privatsphäre von Nutzern eines digitalen Euro so weit wie möglich zu schützen. Natürlich muss es dabei den geltenden gesetzlichen Pflichten nachkommen, wie etwa der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. 

Weder die EZB noch die anderen Zentralbanken des Eurosystems könnten Personen identifizieren, die digitale Euro halten oder an Zahlungen mit dem digitalen Euro beteiligt sind. Für Zahlungen, die offline mit dem digitalen Euro durchgeführt werden, würde sogar eine noch höhere Privatsphäre gelten, da dabei auch Banken und Sparkassen keine Transaktionsdaten sehen würden. Diese Zahlungen würden also eine ähnliche Anonymität wie bei einer Barzahlung bieten.

Wird das Bargeld perspektivisch abgeschafft?  

Nein. Bargeld wird es natürlich auch weiterhin geben. Ein digitaler Euro würde das Bargeld lediglich ergänzen, nicht ersetzen. Wer Bargeld nutzen möchte, wird dies auch in Zukunft tun können. Dafür sorgen die Zentralbanken im Eurosystem. 

Für den digitalen Euro soll es eine Obergrenze geben. Im Gespräch sind 3000 Euro. Warum? 

Käme es zu großen oder schnellen Verschiebungen von Bankeinlagen zum digitalen Euro, hätte dies Auswirkungen auf die Liquiditätsposition der Banken, was zu Instabilität im Finanzsystem führen könnte. Eine Halteobergrenze für Nutzer, deren Höhe allerdings noch nicht festgelegt ist, könnte solche stabilitätspolitisch bedenklichen Verlagerungen verhindern. Es sollen aber Zahlungen ermöglicht werden, die die Haltegrenze übersteigen. Wird die Haltegrenze mit einer Zahlung überschritten, kann diese trotzdem empfangen oder getätigt werden. Der Überschuss würde auf ein verknüpftes Bankkonto oder von dort übertragen. 

Banken und Sparkassen sehen den digitalen Euro skeptisch. Sie fürchten unter anderem um ihre Einlagen und die gesetzlich vorgeschriebenen Liquiditätspuffer. Was sagen Sie den Skeptikern?

Banken und Sparkassen brauchen sich keine Sorgen zu machen. Jeder Bürger kann nach Belieben seine digitale Geldbörse mit digitalen Euro auffüllen, bis die Halteobergrenze erreicht ist. Diese Obergrenze wird für alle Personen im Euroraum gleich sein und kann erst bestimmt werden, wenn wir das Marktumfeld zum Zeitpunkt der eigentlichen Einführung besser kennen. Bei der Festlegung der Höhe wird das Eurosystem darauf achten, dass es zu keinerlei Verwerfungen am Markt kommt. Abzüge von Einlagen im großen Stil werden somit nicht möglich sein. 

Greift die EZB ins Geschäftsmodell der Banken und Sparkassen ein? 

Ein digitaler Euro kann nur in Zusammenarbeit mit den Banken und Sparkassen mit Leben gefüllt werden. Selbstverständlich sollen die Banken und Sparkassen für die Bereitstellung des digitalen Euro an ihre Kunden auch fair vergütet werden. Das im Verordnungsentwurf der EU-Kommission vorgesehene Vergütungsmodell sieht vor, dass Banken und Sparkassen – wie heute bei Zahlungskarten auch Gebühren von Händlern sowie von anderen Zahlungsdienstleistern erheben dürfen. Diese Gebühren sollen im Verhältnis zu den anfallenden Kosten stehen und ein nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen. Banken und Sparkassen können außerdem davon profitieren, dass ihre Angebote für Zahlungen mit dem digitalen Euro direkt europäische Reichweite hätten und so neue Chancen für innovative Geschäftsmodelle im digitalen Raum ermöglichen können.

Die EZB will eine Gratis-Kontoführung für den digitalen Euro garantieren. Banken und Sparkassen befürchten, dass sie für die Kosten aufkommen müssen – was diese an ihre Kunden weiterreichen dürften. Wird künftig also alles noch viel teurer? 

Es soll ein kostenloses Grundangebot geben mit allen Funktionen, die ein privater Nutzer zum Bezahlen braucht. Bei kommerziellen Zahlungsempfängern, also zum Beispiel Händlern, können die Finanzinstitute Gebühren verlangen. Es soll allerdings dafür gesorgt werden, dass die Gebühren für Händler fair sind, denn immerhin würde es sich um ein gesetzliches Zahlungsmittel handeln, das sie annehmen müssen. Das Eurosystem übernimmt zudem die Kosten für den Betrieb des neuen Abwicklungssystems und entlastet damit die Banken und Sparkassen.

Wie muss man sich das Zahlungsverkehrssystem für den digitalen Euro vorstellen? Wird das parallel zu den bereits existierenden aufgebaut? 

Mit dem digitalen Euro wird eine europäische Infrastruktur aufgebaut, die es heute so noch nicht gibt. Das neu entwickelte Abwicklungssystem wird den Kern bilden. Damit stellt das Eurosystem eine europäische Alternative bereit, denn heute liegt die Zahlungsabwicklung vielfach in Händen außereuropäischer Anbieter.

Wie geht es jetzt weiter mit dem Projekt digitaler Euro? Wann kommt der digitale Euro? 

Das Eurosystem hat die erste Projektphase abgeschlossen und wird sich nun vertiefenden Arbeiten widmen, die eine mögliche Einführung vorbereiten. Parallel dazu findet das europäische Gesetzgebungsverfahren statt, das abgeschlossen sein muss, bevor das Eurosystem über die nächsten Schritte entscheidet. Vier bis fünf Jahre wird es daher wohl noch dauern, bevor mit dem digitalen Euro bezahlt werden kann.

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