„Es gibt keinen Anlass zur Sorge“ Interview mit der Stuttgarter Zeitung

Das Gespräch führten Joachim Dorfs, Imelda Flaig und Matthias Schiermeyer.

Herr Theurer, Donald Trump will vom 1. August an Zölle von 30 Prozent für Importe aus der EU erheben – die EU bereitet weitere Gegenzölle vor. Richtet allein die Unsicherheit schon den gravierendsten Schaden für Wirtschaft und Finanzstabilität an?

Geopolitische Spannungen und handelspolitische Unsicherheit sind die beiden größten Risiken, die wir derzeit für die Weltkonjunktur sehen. Die handelspolitischen Verwerfungen dämpfen die Wachstumsperspektiven, und es gibt ein erhebliches Rückschlagpotenzial. Die Rahmenbedingungen für Investitionen sind unsicher. Insofern wäre eine Vereinbarung mit den USA eine wichtige Voraussetzung für mehr Planungssicherheit– möglichst zügig, aber am Ende auch möglichst vorteilhaft. Das größte Risiko sehen wir in einer Spirale massiver gegenseitiger Zoll-Anhebungen. Wir haben aber auch nach der jüngsten Zoll-Ankündigung des US-Präsidenten den Eindruck, dass die EU alles tut, um das Szenario zu vermeiden.

Donald Trump will partout den Dollar abwerten, um die US-Wirtschaft zu stärken – mit welchen Risiken für die Finanzmärkte?

Wir sehen eine Abwertung des Dollar. In Reaktion auf Präsident Trumps Ankündigung vom 2. April, die US-Importzölle global massiv anheben zu wollen, haben auch US-Aktienkurse und US-Staatsanleihen an Wert verloren. Augenscheinlich sind die Investoren im Hinblick auf US-Vermögenswerte erheblich verunsichert. 

Ruiniert der US-Präsident den Dollar als Weltleitwährung?

Der US-Dollar ist nach wie vor eindeutig die dominante Währung im Weltfinanzsystem. Es gibt aber Hinweise darauf, dass der Weltleitwährungsstatus der USA hinterfragt werden könnte. Entscheidend aus globaler Finanzstabilitätssicht ist Vertrauen in solide Staatsfinanzen, in die Bedienung der Staatsschulden – also die Frage: Kann es eine Situation geben, in der Investoren nicht mehr bereit sind, Schuldtitel von Staaten zu kaufen? Die Briten mussten das vor drei Jahren erleben. Die Warnung des Internationalen Währungsfonds vor stark steigenden Staatsschulden sollten wir also sehr ernst nehmen. 

Könnte der Euro davon profitieren?

Auf den ersten Blick liegen in so einer Entwicklung vielleicht auch Chancen für den Euro. Für den Euroraum und das Eurosystem kommt es darauf an, sich Handlungsspielräume zu erhalten oder gegebenenfalls gar zu erweitern. Der Weltleitwährungsstatus hat Vorteile, wie zum Beispiel, sich günstiger verschulden zu können. Eine stark steigende Nachfrage nach Euro könnte aber auch Nachteile haben, etwa dass die preisliche Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Exporteure sich verschlechtert, weil der Euro aufwertet. 

Trump attackiert permanent seinen Notenbank-Chef Powell. Wie lange kann die Fed diesem Druck standhalten? 

Ich blicke mit großer Sorge auf die Diskussion in den USA, denn die Unabhängigkeit einer Notenbank ist eine notwendige Voraussetzung für Geld- und Währungsstabilität. Dieses hohe Gut gilt es zu verteidigen. 

Die Bundesbank hat sich über viele Jahre für die Schuldenbremse ausgesprochen. Besorgt es Sie, wenn die Regierung jetzt unter anderem ein Sondervermögen über 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur einrichtet?

In einem starken Anstieg der Verschuldung liegen immer erhebliche Risiken. Solide Staatsfinanzen sind wichtig für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung und Preisstabilität. Deswegen setzt sich die Bundesbank für bindende Fiskalregeln ein. Die Schuldenbremse hat mit dazu beigetragen, dass Deutschland grundsätzlich der Stabilitätsanker der Eurozone ist und fiskalische Spielräume hat. Angesichts der aktuell großen Herausforderungen gibt es sicher gute Gründe, diese Spielräume vorübergehend zu nutzen. Wichtig ist dabei, dass Nachholbedarf in Infrastruktur und Verteidigung zielgenau angegangen wird.

Wächst die Schuldenquote mit den Sondervermögen auf ein riskantes Niveau?

In den nächsten vier Jahren rechnet man mit einer zusätzlichen Verschuldung im Umfang von 847 Milliarden Euro. Wir gehen in unserer letzten Projektion davon aus, dass die Schuldenquote auf zunächst 66 Prozent im Jahr 2027 zunimmt. Sie dürfte auch in den Folgejahren weiter wachsen. Das ist im internationalen Vergleich alles gut vertretbar. Es gibt keinen Anlass zur Sorge, was die Stabilität der deutschen Finanzen angeht. Entscheidend wird es aber zum einen sein, dass die Defizitquote im weiteren Verlauf wieder zurückgeführt wird, und auch die Schuldenquote wieder sinkt. Zum anderen wird es darauf ankommen, wie die Finanzierungsspielräume genutzt werden. 

Was konkret meinen Sie?

Insbesondere müssen Investitionen, Arbeitsanreize, Innovation, Technologie und Produktivitätswachstum in den Blick genommen werden. Es gilt die Infrastruktur gezielt zu sanieren und zu modernisieren. Auch hat die Bundesbank schon verschiedentlich eingefordert, dass Bürokratie abgebaut wird und dass es strukturelle Reformen gibt – etwa mit dem Vorschlag, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung anzupassen. Damit würde auch der Druck auf den Bundeshaushalt durch den Rentenzuschuss verringert. Hier würden wir uns von den politischen Entscheidungsträgern in Bund und Ländern mehr Ambition wünschen. Mit moderaten Defiziten und solidem Wirtschaftswachstum verhindern wir, dass Handlungsspielräume in den öffentlichen Haushalten der Zukunft immer weiter eingeengt werden, weil dann ein größerer Anteil für Zins- und Tilgungslasten aufgebracht werden muss. 

Sie wirken wenig alarmiert?

Die Stabilität des Finanzsystems in der Bundesrepublik sehen wir durch diese Ausweitung der Staatsverschuldung nicht gefährdet. Allerdings sehen wir mit dem weiter steigenden Verschuldungsgrad in den Euro-Ländern und im Zusammenhang mit der starken Ausweitung der globalen Staatsverschuldung durchaus wachsende Risiken für die Finanzstabilität.

Erst vor zwei Jahren gab es, ausgehend von den USA, wieder Turbulenzen in der Bankenwelt – kann sich das wiederholen?

Es kann jederzeit krisenhafte Zuspitzungen geben. Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank, der zunächst in den USA weitere Institute in Mitleidenschaft gezogen hat, hat aber auch vor Augen geführt, dass die Banken in der EU durch ein erhöhtes Niveau an Kapitalpuffern und entsprechender Vorsorge in der Lage waren, diese Turbulenzen durchzustehen. Ohne, dass es zu einer Systemkrise gekommen ist. Es ist gelungen, eine Ansteckung zu verhindern. 

In jüngerer Zeit mussten einige Genossenschaftsbanken gerettet werden. Wie kann so etwas passieren? 

In allen bekannten Fällen im Genossenschaftssektor waren die Ursachen Managementfehler, schlechte Governance und ein nicht funktionierendes Risikomanagement. Das waren im Übrigen häufig auch Banken, die anstelle der Verbandsprüfungs-Einrichtungen eigenständig zu Prüfungsverbänden gewechselt sind, die externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit der Prüfung beauftragen. Wir haben die Probleme gegenüber dem Bundesverband der Volksbanken und Raiffeisenbanken adressiert und ihn aufgefordert, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die Unternehmensführung zu verbessern. Dies umfasst auch die Forderung an die einzelnen Genossenschaftsbanken, die aktuellen Problemfälle zum Anlass zu nehmen, ihr eigenes Risikomanagement zu überprüfen und die Governance, z. B. hinsichtlich der Qualifikation und der Auswahl von Aufsichtsräten, zu stärken.

Sind die Genossenschaftsbanken prinzipiell den Herausforderungen gewachsen?

Wir können kein systemisches Problem bei den Genossenschaftsbanken erkennen, allerdings verursacht die Anzahl der Fälle mittlerweile schon ein gewisses Störgefühl. Insgesamt gibt es 672 Kreditgenossenschaften in Deutschland, mit sinkender Tendenz. Insbesondere in Baden-Württemberg ist der Konzentrationsprozess stark im Gange. Binnen zehn Jahren ist die Anzahl der Institute von 216 auf 127 zurückgegangen. Diese Fusionswelle ist vielleicht auch dem Umstand geschuldet, dass kleine Banken die Anforderung des Marktes nicht mehr immer allein erfüllen können und durch die regulatorischen Anforderungen überproportional belastet sind.

Die Wirtschaftskrise verursacht viele Unternehmensinsolvenzen. Erwarten Sie noch höhere Kreditausfälle für die Banken?

In der Tat stellen wir fest, dass sich das Volumen der notleidenden Kredite deutlich erhöht hat, wenn auch ausgehend von einem niedrigen Niveau. Besonders bei den Gewerbeimmobilien stellen wir fest, dass diese Zahl stark angestiegen ist – da hat sie sich in den letzten zwei Jahren mehr als verdoppelt. Auch bei Unternehmenskrediten und Verbraucherkrediten sehen wir steigende Insolvenzen und erhöhte Kreditrisiken. Deshalb hat die Aufsicht die Ansage gemacht, dass die Kreditinstitute die gute wirtschaftliche Situation durch höhere Zinsmargen in den Jahren 2023 und 2024 nutzen, um ausreichend Vorsorge zu treffen. Unser Stresstest im vorigen Jahr hat aber auch gezeigt, dass das deutsche Bankensystem widerstandsfähig ist. Selbst bei einem unterstellten starken wirtschaftlichen Abschwung und einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit unterschreitet lediglich eine mittlere zweistellige Zahl von Instituten das gesetzlich vorgeschriebene harte Kernkapital. Generell sind die deutschen Banken stabil aufgestellt.

Infolge der Digitalisierung kommen immer mehr Neobanken und Start-ups auf den Finanzmarkt – wie skeptisch beobachtet die Bundesbank diese Entwicklung?

Die Aufsicht begleitet auch solche Neugründungen. Die digitale Innovation ist aber nicht auf Start-ups, Fintechs oder Neobanken beschränkt. Es gibt auch etablierte Banken im Markt: Sowohl Genossenschaften und Sparkassen als auch große Privatbanken machen große Anstrengungen – bis hin zu den ausländischen Playern, die sich da zum Teil erhebliche Marktanteile erarbeitet haben. Sobald neue Player aber regulierte Tätigkeiten ausüben, wie zum Beispiel Einlagenkreditgeschäft, gelten natürlich dieselben Anforderungen wie für alle Banken. Darüber klagt ja auch die Tech-Szene, dass sie manche Dinge einhalten muss, die sie vielleicht zunächst daran hindern, ein schnelles Wachstum hinzulegen. Es ist aber notwendig, auch um die Sicherheit der Einlagen zu gewährleisten. Denn wenn es auf die Sicherheit der Gelder von Kleinsparern zurückschlagen kann, wird es problematisch. 

Was meinen Sie zum Beispiel?

Wenn einige Neobanken eine höhere Verzinsung anbieten, ist damit in aller Regel für den Einleger auch ein höheres Risiko verbunden – sei es, weil diese Gelder dann auch riskanter angelegt werden, zum Teil sogar in Produkte mit geringerem Verbraucherschutzniveau. Darum kümmert sich in Deutschland die Bafin. Es ist richtig, dass Verbraucher ökonomisch denken und vielleicht auch bereit sind, ein höheres Risiko zu gehen, um damit höhere Renditen zu erwirtschaften. Aber dann muss man sich im Klaren sein, dass das gegebenenfalls nicht mehr der Einlagensicherung unterliegt, die ja in Deutschland eine Einlage von bis zu 100 000 Euro bei jedem Kreditinstitut sicherstellt.

Würden Sie ihr privates Geld bei jeder dieser Neobanken anlegen? 

Ich würde mir das wie bei jeder Geldanlage vorher genau anschauen.

 

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