„Kein Ersatz für Bargeld“ Südwest Presse , Interview mit Burkhard Balz

Das Interview führte Sabine Rößing

Die EZB hat ein Rulebook zum digitalen Euro veröffentlicht: Was hat es damit auf sich?

Burkhard Balz: Im Rulebook werden die Spielregeln für die Nutzung des digitalen Euro formuliert, nach denen alle Beteiligten – also das Eurosystem, die Kreditwirtschaft, der Handel, Verbraucher und deren Verbände – künftig zusammenarbeiten sollen. Die Rahmenbedingungen für diese Zusammenarbeit müssen von den europäischen Gesetzgebern formuliert werden. In diesem Verfahren sind wir jetzt.

Was genau muss geklärt werden?

Die EU-Kommission hatte vor zwei Jahren einen Verordnungsentwurf vorgelegt mit dem Namen ‚Single Currency Package‘. Diese Verordnung zielt darauf ab, sowohl die Verfügbarkeit von Bargeld als auch digitale Zahlungen mit Zentralbankgeld zukunftssicher zu machen. Die Politik muss klären, welche Funktionen ein digitaler Euro haben soll und welche rechtlichen Rahmenbedingungen dafür notwendig sind. Gleichzeitig muss sie die Akzeptanz von Bargeld und den Zugang dazu für die Zukunft absichern. Deswegen werden diese Themen in einem Gesetzes-Paket behandelt. Viele Menschen haben den Eindruck, dass der digitale Euro das Bargeld ersetzen soll. Das wollen wir aber gerade nicht. Wir setzen weiterhin voll auf Bargeld. Es gibt da keine versteckte Agenda.

Viele Menschen fragen sich: Was nützt uns der digitale Euro?

Wir möchten der Bevölkerung auch in Zukunft Zugang zu Zentralbankgeld ermöglichen. Zentralbankgeld ist ausfallsicher, denn Zentralbankgeld ist eine Forderung gegen die Zentralbank. Der zweite wichtige Punkt ist für uns die Effizienz: Es ist der europäischen Kreditwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten nicht gelungen, eine europaweite private Bezahllösung zu etablieren. Bei zwei Dritteln der Kartenzahlungen in Europa sind wir nach wie vor abhängig von außereuropäischen Anbietern.

Wie meinen Sie das?

Wir haben zwar in Deutschland mit der Girocard (früher EC-Karte) ein tolles Produkt, mehr als 100 Millionen Karten sind in Umlauf. Das System funktioniert technisch aber nur bis zur Landesgrenze. Wenn Sie in den Urlaub fahren, können Sie beispielsweise in Südeuropa zwar meistens mit Ihrer Girocard bezahlen. Abgewickelt wird die Transaktion dann aber über große US-Zahlungsdienstleister wie Mastercard oder Visa.

Warum ist das ein Problem?

Unter dem Souveränitätsaspekt, den wir als öffentlich-rechtliche Einrichtung immer im Blick haben, ist diese Abhängigkeit von außereuropäischen Anbietern potenziell problematisch. Vor allem in politisch unruhigen Zeiten brauchen wir zwingend ein eigenes europäisches System. Der Zahlungsverkehr gehört nicht umsonst zur kritischen Infrastruktur unseres Landes. Darüber hinaus sind die außereuropäischen Anbieter teuer. Im E-Commerce, der ja immer bedeutsamer wird, erheben sie vergleichsweise hohe Gebühren von Händlern und Verkäufern. Diese Wertschöpfung findet dann zu einem großen Teil außerhalb Europas statt.

Wie kommen die Menschen künftig an ihre digitalen Euro?

Wir werden ein Wallet-System, also ein digitales Portemonnaie einführen. Bereits heute verwenden viele von uns eine digitale Wallet auf ihrem Mobiltelefon für Tickets oder digitale Zahlkarten. Geplant ist der Zugang über eine App. Wir wollen hierbei als Zentralbanken eng mit der Kreditwirtschaft zusammenarbeiten. Am besten sollte der digitale Euro in die jeweilige Bank-App integriert werden. Das Gesetzgebungsverfahren läuft auch an dieser Stelle noch. Aus meiner Sicht muss die Entwicklung aber dahin gehen.

Die Kreditwirtschaft macht sich Sorgen: Wie viele digitale Euro darf jeder Bankkunde in seiner Wallet aufbewahren?

Wie hoch genau dieser Schwellenwert sein wird, ist noch nicht entschieden. Bei diesem Thema werden wir uns mit der Kreditwirtschaft sicher einigen können. Wir werden den Banken keine Liquiditätsprobleme bereiten. Als Zentralbank sind wir auch für die Sicherung der Stabilität des Finanzsystems zuständig. Wir wollen nicht eine Aufgabe der Zentralbank gegen eine andere ausspielen. Am Ende kommt es darauf an, welche technische Lösungen wir finden. Wir denken momentan in Richtung einer sogenannten Wasserfall-Funktion.

Was bedeutet das konkret?

Sie gehen beispielsweise in ein Möbelhaus und kaufen Möbelstücke für zehntausend Euro. Das Guthaben in der Wallet wird dann automatisch von Ihrem Girokonto nachgefüllt, solange es gedeckt ist. Dann ist es im Grunde für Sie egal, wie groß der Schwellenwert für die Haltung von digitalen Euro ist, solange ausreichend Guthaben auf Ihrem Konto ist.

Die privaten Banken befürchteten mit Blick auf das neue europäische Bezahlsystem Wero Konkurrenz durch Zentralbanken als Zahlungsdienstleister.

Die Privatwirtschaft hat es über Jahrzehnte nicht geschafft, ein europäisches System zu etablieren. Jetzt ist Wero auf dem Weg. Wenn es sich weiter etabliert, wäre es ein perfekter Kooperationspartner für uns, technisch gesprochen ein Distributionskanal für den digitalen Euro. Man könnte ihn mit dem Wero-Wallet verknüpfen. Dazu finden bereits Gespräche statt.

Warum ist in Bezug auf die Bargeldnutzung ein neuer regulatorischer Rahmen nötig?

Wir sehen seit Jahren eine abnehmende Bargeldnutzung, bei uns in Deutschland ist sie aber weiterhin auf hohem Niveau. Nach der letzten Bundesbank-Erhebung vor knapp zwei Jahren waren hierzulande mehr als die Hälfte aller Transaktionen Bargeld-Transaktionen. In vielen anderen europäischen Ländern, insbesondere in Skandinavien, verschwindet Bargeld zunehmend aus dem Zahlungsalltag.

Was wäre ein Punkt, den man aus Ihrer Sicht überarbeiten muss?

Bei dem Single Currency Package, das derzeit auf EU-Ebene diskutiert wird, geht es unter anderem um die Festlegung, wo überall Bargeld – und dessen digitale Variante – angenommen werden muss. Hier gibt es unterschiedliche Sichtweisen, bis hin zu einem Annahmezwang. Bargeld-Annahmestellen wie der Einzelhandel sehen das kritisch.

Gibt es einen Punkt – bei abnehmender Akzeptanz – ab dem die Aufrechterhaltung einer flächendeckenden Bargeldinfrastruktur nicht mehr zu gewährleisten ist?

Ich sehe diesen Punkt nicht, dass wir irgendwann sagen, wir müssen die Bargeldversorgung aufgeben. Bargeld wird weiterhin ein Kernprodukt der Bundesbank bleiben.

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