Hat Bargeld noch eine Zukunft? Bundesbank-Vorstand mit klarer Meinung Schwäbische Zeitung, Interview mit Burkhard Balz

Das Interview führte Andreas Knoch

Bundesbank-Vorstand Burkhard Balz warnt vor einer schleichenden Erosion der Bargeld-Infrastruktur in Deutschland und erklärt, welche Rolle Scheine und Münzen künftig noch spielen werden

In kaum einem europäischen Land hängen die Menschen so an Münzen und Scheinen wie in der Bundesrepublik. Dabei gilt: Je älter die Menschen sind, desto wichtiger ist ihnen Bargeld. Der Zugang zu Bargeld wird von immer mehr Bürgern inzwischen aber als schwierig empfunden. Insbesondere auf dem Land hat das Netz von Geldautomaten und Bankfilialen mittlerweile größere Löcher. Ist Bargeld perspektivisch also ein Auslaufmodell? Schwaebische.de hat sich darüber mit dem „Herrn über Münzen und Scheine“ in der Bundesrepublik unterhalten, dem in der Bundesbank für Bargeld und Zahlungsverkehr zuständigen Vorstand Burkhard Balz.

Herr Balz, wenn ich bei Ihnen ins Portemonnaie schauen dürfte, was würde ich da finden?

Sie würden zwischen 100 und 150 Euro Bargeld finden. So viel habe ich immer dabei, denn ich bin ein Bargeld-Fan. Sie würden aber auch Kredit- und Debitkarten finden.

Sie haben jüngst über einen erhöhten Aufwand bei der Bargeldversorgung berichtet. Müssen sich die Bürger Sorgen machen, irgendwann nicht mehr an Euro-Scheine zu kommen?

Die Infrastruktur der Bargeldversorgung in Deutschland, also das Netz an Bankfilialen und Geldautomaten, ist nach wie vor solide. Auswertungen der Verkehrswege zwischen Wohnorten und den nächstgelegenen Abhebeorten haben ergeben, dass die Menschen im Durchschnitt 1,4 Kilometer davon entfernt leben. Das ist im europaweiten Vergleich ein guter Wert.

Der Durchschnitt sagt aber nichts über das Einzelschicksal aus …

Wahr ist, dass 3,6 Millionen Menschen keinen Bargeldbezugspunkt in ihrer Gemeinde haben. Das Netz von Bankfilialen und Geldautomaten in der Republik ist im internationalen Vergleich zwar noch gut, aber nicht mehr so dicht wie noch vor ein paar Jahren. Bei unserer letzten großen Umfrage zum Zahlungsverhalten aus dem Jahr 2023 gaben immerhin 15 Prozent der Befragten an, dass der Zugang zum Geldautomaten oder zum Bankschalter schwierig oder sehr schwierig ist. Bei der Umfrage 2021 waren es nur sechs Prozent.

Was heißt das in Zahlen?

Die Anzahl der Bankstellen hat sich von rund 53.500 im Jahr 2002 auf rund 20.900 im Jahr 2023 mehr als halbiert. Und auch die Anzahl der Geldautomaten geht zurück. Von 59.000 im Jahr 2018 auf etwa 51.000 Ende 2023.

Woran liegt das?

Der schon länger anhaltende Trend zur Schließung von Bankfilialen hängt mit dem Kostendruck im Bankensektor sowie der zunehmenden Verbreitung des Onlinebanking zusammen. Auch die Sprengungen von Geldautomaten dürfte den Rückbau der Bargeldinfrastruktur beschleunigt haben. Denn beschädigte Geldautomaten werden wegen des Risikos erneuter Attacken und der deshalb erforderlichen kostspieligen Sicherheitsmaßnahmen oftmals nicht wieder in Betrieb genommen.

Wie gravierend ist das Problem der Automatensprengungen?

Die Lage hat sich glücklicherweise beruhigt. Kreditwirtschaft, Polizei und Staatsanwaltschaft haben in den vergangenen Jahren eine Menge getan, um den Banden die Raubzüge zu erschweren. Diese Maßnahmen greifen. Aktuell beobachten wir, dass sich die Aktivitäten der Automatensprenger auf andere Länder konzentrieren. Österreich etwa meldet steigende Zahlen.

Mit der innigen Beziehung zum Bargeld stechen die Deutschen in Europa heraus. Aber zeigt sich das auch im Bezahlverhalten?

Bargeld ist zwar noch das meistgenutzte Zahlungsmittel in Deutschland, aber die Bedeutung ist rückläufig. Aktuell werden 51 Prozent der Transaktionen im Alltag mit Bargeld beglichen. Vor nicht allzu langer Zeit waren es noch 75 Prozent der Transaktionen. Dennoch: Wir stehen zum Bargeld. Wann immer Menschen mit Bargeld bezahlen möchten, soll das möglich sein. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Bargeld – neben seiner Funktion als Zahlungsmittel – auch zur Wertaufbewahrung nachgefragt wird. Insbesondere in Krisenzeiten.

Noch einmal zurück zur Bargeldversorgung: Ist das Abheben an der Ladenkasse nicht eine veritable Alternative?

Wir begrüßen die Möglichkeit, Bargeld an der Ladenkasse zu beziehen. Insbesondere in Regionen, wo die Zahl der Bankfilialen und Geldautomaten abnimmt, ist das eine sinnvolle Alternative. Allerdings liegt der maximal mögliche Auszahlbetrag bei 200 Euro und es gibt keine gesetzliche Verpflichtung, Banknoten systematisch auf ihre Qualität zu prüfen. Dadurch könnte es vorkommen, dass beschädigte oder abgenutzte Scheine weiter zirkulieren. Demgegenüber sind Kreditinstitute verpflichtet, die Qualität und Echtheit von Bargeld zu prüfen und beschädigte Scheine oder Falschgeld aus dem Verkehr zu ziehen.

Nicht mehr zirkulieren sollen in absehbarer Zeit auch Kleinstmünzen. In Teilen der Öffentlichkeit wird das als der Anfang vom Ende des Bargelds gedeutet …

Ganz und gar nicht. Ich werte das als deutliches Zeichen pro Bargeld. Entscheidend ist doch, dass das Barzahlen verbraucherfreundlich ist. Bei den 1- und 2-Cent-Münzen muss man dahinter ein Fragezeichen setzen. Hinzu kommt, dass die ökonomischen und ökologischen Kosten der Kleinstmünzen für Herstellung, Verpackung und Transport im Verhältnis zu ihrem Nennwert zu hoch sind.

Wann wird die Abschaffung der Kleinstmünzen kommen?

Es geht bei der Einführung einer Rundungsregel erst einmal darum, den Bedarf zu reduzieren und möglichst keine neuen Kleinmünzen zu prägen. Die im Umlauf befindlichen Kleinstmünzen können weiterhin bei Zahlungen verwendet werden. Ich hoffe, dass die neue Bundesregierung einen europäischen Vorschlag unterstützen wird.

Wie werden diese Rundungsregeln aussehen?

In der Tat hatten wir zuletzt einen Anstieg bei gefälschten Banknoten und Münzen. Allerdings ist der wirtschaftliche Schaden gesunken. Ein Großteil der Fälschungen war zudem relativ plump und leicht zu erkennen. Oftmals haben die Fälscher Wasserzeichen, Hologramm und Smaragdzahl nicht einmal versucht, nachzuahmen. Ich kann Sie beruhigen: Die Sicherheitsmerkmale taugen noch.

Haben Sie einen Rat an die Bürger, wie man Falschgeld erkennt?

Da muss ich nicht weit ausholen. Fühlen, sehen, kippen – das ist die goldene Regel, mit der jeder einen Geldschein prüfen kann. Fälscher konzentrieren sich meistens auf ein oder wenige Sicherheitsmerkmale, so dass bei der Prüfung immer mehrere Merkmale einbezogen werden sollten. Voraussichtlich 2026 wird das Eurosystem über das zukünftige Design und die Ausgabe von neuen Euro-Banknoten entscheiden. Mit den neuen Geldscheinen machen wir den Fälschern das Leben noch einmal deutlich schwerer.

Können Sie Details verraten?

Ich könnte, darf es aber nicht. Nur so viel: Es wird eine Reihe neuer Sicherheitsmerkmale geben, die die Banknoten deutlich fälschungssicherer machen werden. Zudem setzt die EZB auf nachhaltigere Materialien, damit die Geldscheine länger halten und weniger Ressourcen verbrauchen. Auch die Barrierefreiheit wird verbessert, um Menschen mit Sehbeeinträchtigung die Nutzung zu erleichtern.

Seit geraumer Zeit arbeitet die EZB an einem digitalen Euro. Wie ist der Stand des Projekts?

Wir sind nach wie vor in der Vorbereitung, in der Fragen zur Technologie und zur Ausgestaltung geklärt werden. Dann brauchen wir einen gesetzlichen Rahmen. Ist das geschafft, schließt sich eine Testphase mit der Kreditwirtschaft und dem Handel an. Und erst dann erfolgt der Rollout. Im besten Fall werden die Bürger Ende 2028 mit dem digitalen Euro bezahlen können.

Wie wichtig ist der digitale Euro?

Der digitale Euro ist ein wichtiges strategisches Projekt. Er macht Europa im Zahlungsverkehr unabhängig von den USA und China – in Anbetracht der aktuellen geostrategischen Lage ist das aus meiner Sicht notwendiger denn je.



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