Professor Dr. Axel A. Weber, Präsident der Deutschen Bundesbank anlässlich der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags zu einer haushalts- und wirtschaftspolitischen Koordinierung in der EU am 14. März 2011

Europa und die Europäische Währungsunion stehen derzeit vor großen Herausforderungen. Der Vertrauensverlust in die Staatsfinanzen einiger Mitgliedsländer stellt eine erhebliche Belastung dar, die der vorhandene institutionelle Rahmen eigentlich hätte verhindern sollen. Neben der Überwindung der aktuellen Probleme gilt es nunmehr, diesen Rahmen so anzupassen, dass künftigen Krisen besser vorgebeugt wird und sie – falls sie dennoch auftreten – besser bewältigt werden können.

Wenn keine grundlegende Neuausrichtung der politischen und wirtschaftspolitischen Ausgestaltung der EU und der Währungsunion angestrebt wird, bleiben Subsidiarität, Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Mitgliedstaaten in der Fiskalpolitik und gegenseitiger Haftungsausschluss konstitutive Merkmale der Währungsunion, die es bei der Problemüberwindung, Vorbeugung und Krisenbewältigung zu beachten gilt. Gegen eine grundlegende Neuausrichtung des institutionellen Rahmens der Währungsunion, die umfangreiche Änderungen der EU-Verträge erfordern würde, hat sich erst jüngst der Europäische Rat ausgesprochen, und es erscheint eher unwahrscheinlich, dass ein grundlegender Regimewechsel – etwa zu einem Bundesstaat, einer politischen Union oder einer Haftungs- und Transfergemeinschaft – demokratische Mehrheiten in den Mitgliedstaaten finden würde. Somit verbleibt die Entscheidungshoheit über weite Bereiche der Wirtschafts- und Finanzpolitik grundsätzlich auf der Ebene der Mitgliedstaaten. Im Rahmen dieser Kompetenzverteilung ist eigenverantwortliches Handeln aller Akteure – der Staaten und der Finanzmarktteilnehmer – allerdings durch geeignete Anreize zu stärken und auch den negativen Auswirkungen unsolider Finanzpolitiken auf die übrigen Mitglieder der Währungsunion entgegen zu wirken. Hier kommt der disziplinierenden Wirkung der Finanzmärkte eine wichtige Rolle zu. Daher ist es entscheidend, dass die Anreize zu einer adäquaten Einpreisung von Risiken durch die Gläubiger und damit zu einer soliden Finanzpolitik künftig gestärkt und nicht wie geschehen gemindert werden.

Zu den gegenwärtigen Problemen ist festzuhalten, dass in einigen Ländern der Währungsunion das Vertrauen in die Solidität der Staatsfinanzen weiter äußerst angespannt ist, und diese Staaten aufgrund entsprechender Risikoprämien nur zu hohen Zinsen Mittel am Kapitalmarkt aufnehmen können oder Finanzhilfen benötigen. Zur nachhaltigen, an den Ursachen ansetzenden Verbesserung dieser Situation sind in erster Linie die betroffenen Länder selbst gefordert, indem sie ihre Staatsdefizite schnell abbauen, die nationalen Finanzsysteme sanieren und umfassende Strukturreformen zur Stärkung deren Wirtschaftswachstums durchführen. Mit finanziellen Hilfen anderer Länder kann allenfalls Zeit gekauft werden, um die erforderlichen Anpassungsprozesse zu strecken. Hier steht mit dem im Mai 2010 beschlossenen Euro-Rettungsschirm ein aus heutiger Perspektive im Prinzip ausreichendes Instrumentarium bereit.[1]

Gleichwohl wird derzeit diskutiert, den bis 2013 befristeten Rettungsschirm durch neue Instrumente zu ergänzen. So werden mitunter Sekundärmarktkäufe von Staatsanleihen der betroffenen Länder durch die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) gefordert. Im Ergebnis würden damit allerdings die privaten Gläubiger und die nationalen Finanzpolitiken noch stärker aus der Verantwortung entlassen und den Steuerzahlern der finanzierenden Länder weitere, möglicherweise umfangreiche Risiken aufgebürdet. In diesem Zusammenhang werden auch Anleiherückkäufe durch das Land selbst mittels zinsgünstiger Kredite der EFSF oder die Weiterreichung von durch die EFSF zu einem niedrigen Kurs erworbenen Titeln an das Schuldnerland unter dem Nominalwert vorgeschlagen. Ökonomisch wäre damit ebenso ein zusätzlicher, intransparenter zwischenstaatlicher Transfer verbunden, wie mit der Reduzierung der vereinbarten Zinskonditionen.

Hinsichtlich des künftigen wirtschaftspolitischen Handlungsrahmens sind folgende Punkte entscheidend:

  1. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt muss hinsichtlich der fiskalischen Disziplinierungswirkung wesentlich gestärkt werden.
  2. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in den einzelnen EWU-Staaten muss besser überwacht werden, um bei gravierenden Fehlentwicklungen rechtzeitig gegensteuern zu können. Dabei ist es wichtig, sich auf die Problemfälle zu konzentrieren und nicht der Versuchung einer zentralistischen wirtschaftspolitischen Feinsteuerung zu erliegen, die die Marktkoordinierung durch eine politische Steuerung ersetzen will.
  3. Für den Fall, dass es dennoch erneut zu einer drohenden Zahlungsunfähigkeit eines EWU-Staats kommt, sollte ein Krisenbewältigungsmechanismus geschaffen werden, der die Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten und der Akteure auf den Finanz-märkten nicht untergräbt. Hierzu könnte auch ein geordnetes Restrukturierungsverfahren beitragen, auf das zukünftig im Extremfall einer Überschuldung eines EWU-Staats zurückgegriffen werden kann.

Diese Änderungen des wirtschafts- und finanzpolitischen Rahmens der Währungsunion sollten durch eine Verbesserung der Finanzmarktregulierung sowie der Banken- und Finanzmarktaufsicht flankiert werden, die die Schockresistenz des Sektors erheblich erhöht und es ermöglicht, Probleme von Banken reibungsloser zu bewältigen.

Ad 1) Die Regelungen des AEU-Vertrags und der Stabilitäts- und Wachstumspakt sollen solide öffentliche Finanzen in den Mitgliedstaaten der EWU gewährleisten. Die vergangenen Jahre haben verdeutlicht, dass insbesondere die unzureichende Implementierung eine gravierende Schwachstelle dieser gemeinsamen europäischen Fiskalregeln war. So wurden die wirtschaftlich guten Zeiten vor Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise von zahlreichen Ländern entgegen den Regeln nicht genutzt, um solide Haushalte zu erreichen. Im Ergebnis war der fiskalische Handlungsspielraum in der Rezession begrenzt, und eine Dämpfung des Wirtschaftseinbruchs durch das Wirkenlassen der automatischen Stabilisatoren und darüber hinaus durch fiskalische Konjunkturprogramme und Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzsektors konnte in vielen Fällen nicht erfolgen, ohne das Vertrauen in die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen zu gefährden. Auch hat die Entwicklung gezeigt, dass unsolide öffentliche Finanzen in Teilen der EWU negative Auswirkungen auf die übrigen Staaten haben und sogar die Stabilität des Euro-Raums insgesamt gefährden können. Die Reform des Paktes ist daher ein zentraler Ansatzpunkt für eine dauerhaft stabile Währungsunion. Die Reformvorschläge, die derzeit in den europäischen Gremien diskutiert werden, beinhalten vor allem ein stärkeres Gewicht des Schuldenkriteriums und erweiterte Sanktionsmöglichkeiten. Diese Reformvorhaben sind grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings wird dem maßgeblichen Schwachpunkt einer unzureichenden Selbstbindung der nationalen Regierungen nicht ausreichend Rechnung getragen. Hierzu wären erstens transparente, einfache Regeln ohne zahlreiche Ausnahmetatbestände notwendig und zweitens müssten Sanktionen bei anhaltenden Regelverstößen weitgehend automatisch und unabhängig von politischen Interessen und Entscheidungsträgern in Kraft treten.

Ad 2) Die Krise hat aber auch verdeutlicht, dass solide Staatsfinanzen alleine keine hinreichende Bedingung für Krisenresistenz sind. Vielmehr hat sie Fehlentwicklungen in anderen Bereichen offengelegt, die vorher zu wenig Beachtung fanden. Hierzu zählen permanente und deutliche Verluste an preislicher Wettbewerbsfähigkeit, die unproduktive Nutzung von Kapitalzuflüssen aus dem Ausland oder die Entwicklung von überdimensionierten Finanz- und Immobiliensektoren. Krisenprävention muss deshalb auch solche gravierenden makroökonomischen Fehlentwicklungen, die die Funktionsweise der Währungsunion stören können, identifizieren und ihnen frühzeitig entgegen wirken. Damit eine solche makroökonomische Überwachung einen Beitrag zu mehr Stabilität leisten kann, kommt es darauf an, die richtigen Indikatoren heranzuziehen, diese angemessen zu interpretieren und entsprechende wirtschafts-politische Korrekturen einzuleiten. Hier kommt dem Verlust von Wettbewerbsfähigkeit einzelner Mitgliedsstaaten eine wichtige Rolle zu. Insgesamt besteht aber die Gefahr, dass der diskutierte makroökonomische Überwachungsmechanismus überfrachtet wird. Er darf nicht als Einfallstor für eine zentralistische makroökonomische Feinsteuerung dienen, mit der funktionierende Marktmechanismen durch zentral beschlossene politische Vorgaben ersetzt und wettbewerbsfähige Länder zu nachteiligen wirtschaftspolitischen Maßnahmen gezwungen werden.[2]

Ad 3) Für den Fall, dass sich die verschärfte Prävention als nicht ausreichend erweist, soll ein Krisenbewältigungsmechanismus geschaffen werden. Die Finanzminister der EWU-Staaten haben Ende November 2010 wichtige Eckpunkte für diesen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) festgelegt, die im Dezember durch den Europäischen Rat bestätigt wurden.[3] Danach wird der ESM grundsätzlich an die aktuelle Ausgestaltung der EFSF angelehnt. Finanzielle Hilfen sind nur im Fall eines Risikos für die Stabilität der Euro-Zone als Ganzes zulässig und an ein striktes finanz- und wirtschaftspolitisches Anpassungsprogramm zu knüpfen. Private Gläubiger sollen bei einer Liquiditätskrise aufgefordert werden, ihr Engagement beizubehalten, während im Fall einer Überschuldung eine umfassende, die Tragfähigkeit der Staatsschulden wieder herstellende Vereinbarung zwischen ihnen und dem jeweiligen Schuldnerstaat Voraussetzung für finanzielle Hilfen ist. Um diesen Prozess zu erleichtern, sollen von Juni 2013 an alle neu begebenen Staatsanleihen im Euro-Raum sogenannte collective action clauses enthalten, die eine Restrukturierung von Anleihen per Mehrheitsbeschluss der Gläubiger erlauben. Die Käufer von Staatsanleihen werden deshalb in Zukunft in ihrem Eigeninteresse besonderes Gewicht darauf legen, die mit dieser Anlage verbundenen Risiken realistisch zu bewerten, wodurch auch ein wünschenswerter disziplinierender Effekt auf die Verschuldungsneigung der Mitgliedstaaten ausgeübt werden dürfte. Die Steuerzahler der Geberländer sollen durch Vorrangigkeit der Hilfskredite abgesichert, und der Mechanismus soll als zwischenstaatliche Vereinbarung ausgestaltet werden, in der Beschlüsse zu Hilfsmaßnahmen von den Geberländern einstimmig getroffen werden.

Gegenwärtig werden Verhandlungen mit dem Ziel geführt, den Mechanismus bis März 2011 zu konkretisieren. Dabei sind – beispielsweise mit Sekundärmarktkäufen, gemeinschaftlichen Anleihen (Euro-Bonds) oder einer spürbaren Absenkung der Verzinsung der Hilfskredite – auch Vorschläge in der Diskussion, die die Anreize zu einer soliden Finanzpolitik vermindern und wichtige Grundprinzipien der Währungsunion wie Subsidiarität, finanzpolitische Eigenverantwortlichkeit und einen gegenseitigen Haftungsausschluss beeinträchtigen.[4]

Vorteilhaft wäre es vielmehr, wenn die Anleihebedingungen zukünftig so gestaltet wären, dass die Laufzeiten der Anleihen automatisch um einen festen Zeitraum – zum Beispiel drei Jahre – verlängert werden, sobald für ein Land ein ESM-Hilfsprogramm beschlossen wird.[5] Eine solche Klausel in den Anleihebedingungen, die gleichzeitig mit den zukünftig ohnehin vorgese-henen collective action clauses eingeführt werden könnte, hätte zahlreiche Vorteile. So würde das Prinzip der Haftung der privaten Gläubiger in besonderem Maße berücksichtigt und zudem eine breite Verteilung der Risiken gewährleistet. Gleichzeitig würden Probleme, die mit einem Zahlungsausfall oder einem Schuldenmoratorium verbunden wären, vermieden, da hier ein in den Anleihebedingungen enthaltenes Ereignis eintritt und die Anleihe nicht notleidend wird. Dies unterscheidet den Vorschlag maßgeblich von einem einseitig erklärten Moratorium, und es entstehen daher keine Unsicherheiten auf Grund von rechtlichen Unklarheiten. Direkte Auswirkungen auf CDS-Kontrakte und automatische Rating-Herabsetzungen dürften vergleichsweise gering sein und sich kaum von dem Fall einer ESM-Kreditgewährung ohne Verlängerungsklausel unterscheiden. Insgesamt dürfte daher durch eine automatische Laufzeitverlängerung die Finanzmarktstabilität tendenziell erhöht werden. Außerdem würde das notwendige Finanzierungsvolumen für den künftigen Hilfsfonds und damit auch das Risiko für die Steuerzahler der Geberländer deutlich stärker begrenzt und gleichzeitig das Hilfe empfangende Land im Anpassungsprozess durch niedrigere Zinsen entlastet werden. Schließlich würde eine solche Klausel helfen, Refinanzierungsspitzen nach einem Hilfsprogramm zu vermeiden. Zusätzliche Kosten einer solchen Regelung in Form von Zinsaufschlägen wären demgegenüber – vor allem für mittel- bis langfristige Anleihen – begrenzt und bei guter Bonität sogar gar nicht zu erwarten.

Fußnoten:

1. Siehe auch Deutsche Bundesbank, Öffentliche Finanzen, Monatsbericht, Februar 2011, S. 63-81.
2. Siehe zur Beurteilung der Vorschläge der Europäischen Kommission auch: Opinion of the European Central Bank of 16 February 2011 on economic governance reform in the European Union (CON/2011/13).
3. Siehe auch Deutsche Bundesbank, Auf dem Weg zu einem Europäischen Stabilitätsmechanismus, Monatsbericht, Februar 2011, S. 68f.
4. Siehe auch Deutsche Bundesbank, Zur Diskussion um Sekundärmarktkäufe des künftigen Europäischen Stabilitätsmechanismus, Monatsbericht, Februar 2011, S. 72f.
5. Siehe auch A. Weber, J. Ulbrich und K. Wendorff, Krisenhilfe ohne Gemeinschaftshaftung, FAZ vom 3. März 2011, S. 12.