Statement von Bundesbankpräsident Prof. Axel A. Weber zu den Konjunkturperspektiven der deutschen Wirtschaft

Die deutsche Wirtschaft befindet sich derzeit – mehr noch als andere Industrieländer – in einer scharfen Rezession. Das BIP ist im Winterhalbjahr 2008/2009 außerordentlich kräftig gesunken. Im ersten Quartal 2009 unterschritt die Wirtschaftsleistung ihren Vorjahrsstand kalenderbereinigt um 6,9%. Die realwirtschaftliche Aktivität ist inzwischen auf das Produktionsniveau von Ende 2005 zurückgeworfen worden. Zurückzuführen ist die außergewöhnlich starke Drosselung der Produktion vor allem auf den heftigen Einbruch des Welthandels und den abrupten Ausfall der Nachfrage nach deutschen Industrieprodukten. In der Folge wurden auch die gewerblichen Investitionen stark eingeschränkt. Zusätzlich belastend war der Lagerabbau als Reaktion auf den unfreiwilligen Lageraufbau zuvor. Der private Konsum wirkte hingegen in den ersten Monaten des laufenden Jahres vor allem durch selektive Kaufanreize bei einem im Übrigen günstigen Preisklima stützend.

Wichtige Indikatoren am aktuellen Rand bestätigen die Erwartung, dass der Abwärtsdruck spürbar nachgelassen hat. Damit bestehen durchaus gute Chancen auf eine Bodenbildung in der zweiten Jahreshälfte 2009. Die Gesamtlage ist aber nach wie vor sehr fragil und störanfällig, zumal eine Bodenbildung noch keine Stabilisierung des Auslastungsgrads bedeutet und eine Verschlechterung der Kreditqualität den Bankensektor belastet.

Die Prognose der Bundesregierung für die BIP-Veränderungsrate liegt für 2009 nahe an unserer Schätzung. Für 2010 zeigt sich zwar ein etwas breiteres Spektrum im Zahlenwerk, aber in qualitativer Hinsicht besteht weitgehend Einigkeit. So geht die Bundesregierung davon aus, dass die gesamtwirtschaftliche Schwäche anhält. Auch wir erwarten keine durchgreifende Belebung in naher Zukunft.

Im Hinblick auf die Mittelfristprojektion ist zu berücksichtigen, dass wir in den kommenden Jahren mit einem flacheren Potenzialpfad rechnen müssen. Dies liegt vor allem an einer ausgesprochen geringen Sachkapitalbildung. Zudem dürfte der Faktor Arbeit – im Gegensatz zu den vergangenen Jahren – keinen positiven Wachstumsbeitrag mehr leisten, und die mittelfristigen Produktivitätsgewinne fallen eher bescheiden aus. Es ist zudem plausibel, dass die Nachfragestruktur nach Überwindung der konjunkturellen Schwächephase ein ausgewogeneres Profil annehmen wird als im vergangenen Zyklus, ohne dass die Außenhandelsorientierung der deutschen Wirtschaft damit im Grundsatz zur Disposition steht.

Die Beschäftigungsreaktion auf den scharfen Konjunktureinbruch war bisher sehr verhalten. Die Erwerbstätigkeit geht zwar seit einigen Monaten zurück, und die Arbeitslosenquote ist seit ihrem Tiefpunkt um etwa ½ Prozentpunkt gestiegen. Aber eine rückläufige Arbeitszeit (Abbau von Überstunden, Nutzung von Arbeitszeitkonten, Inanspruchnahme von Kurzarbeit) hat einen großen Teil der Auswirkungen des scharfen konjunkturellen Rückschlags auf den Arbeitsmarkt aufgefangen. Zudem ist ein deutlicher Rückgang der Stundenproduktivität festzustellen. Dieser aufgestaute Anpassungsbedarf am Arbeitsmarkt wird sich trotz intensivierter Förderung der Kurzarbeit allerdings nach und nach auflösen. Die Arbeitslosigkeit (in der Definition der Bundesagentur für Arbeit) wird kräftig steigen, und zwar gemäß unserer Prognose von 3,3 Millionen Personen im Jahr 2008 auf 4,4 Millionen im Jahr 2010. Entscheidend sind die weiteren Konjunkturerwartungen der Betriebe. Die neuesten ifo-Daten für Juni können in diesem Sinne positiv interpretiert werden.

Das Preisklima bleibt freundlich und konjunkturstützend. Die Vorjahrsrate der Verbraucherpreise wird zwar in den nächsten Monaten ins Negative drehen. Dies stellt aber vor allem eine Spätfolge der bis in den Sommer 2008 anhaltenden kräftigen Verteuerung von Energie und Nahrungsmitteln und ihrer sich anschließenden partiellen Korrektur dar. Der mittelfristige Preistrend wird voraussichtlich im positiven Bereich bleiben, sodass die Vorjahrsraten gegen Jahresende 2009 wieder zunehmen dürften. Im Jahresmittel 2009 werden sich die Verbraucherpreise wohl nur wenig ändern (+0,1%). Im Jahr 2010 könnten sie hingegen um ½% steigen. Bei moderaten und temporären Preisrückgängen als Folge vorangegangener Übertreibungen an den internationalen Energie- und Nahrungsmittelmärkten besteht kein Risiko von realwirtschaftlich relevanten Deflationseffekten.