2012 – ein Blick aufs neue Jahr Rede beim Neujahrsempfang der IHK-Bezirkskammer Ludwigsburg

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrter Herr Dr. Schulte,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

zunächst einmal möchte ich Ihnen allen ein frohes neues Jahr wünschen.

Sodann möchte ich mich für die freundliche Einladung zum Neujahrsempfang der IHK-Bezirkskammer Ludwigsburg bedanken.

Im Mittelpunkt meines Vortrages sollen Fragen stehen, die uns in diesem Jahr bewegen werden:

Wie steht es um die Konjunktur in Deutschland? Welche Entwicklung ist zu erwarten?

Wie kann die Zukunft der Währungsunion aussehen?

Wird es gelingen, die Schuldenkrise im Euro-Raum einzudämmen?

Welche Rolle können und sollen die Notenbanken bei der Krisenbewältigung spielen?

Beginnen möchte ich aber mit den Perspektiven für die Wirtschaftsentwicklung, die freilich stark von der Entwicklung der Schuldenkrise beeinflusst werden.

2 Konjunkturelle Perspektiven

Hier besteht ja die Befürchtung, dass die Verwerfungen an den Finanzmärkten ähnlich wie nach dem Lehman-Schock 2008 zu einer gravierenden Beeinträchtigung in der Realwirtschaft führen könnten.

In den Ist-Zahlen hat sich die Krise an den Finanzmärkten indes noch kaum bemerkbar gemacht: Im Jahresdurchschnitt 2011 stieg das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland real um 3,0 %.

Zum Jahresende hin hat sich die Konjunktur allerdings deutlich abgekühlt. Im vierten Quartal 2011 ist das Wirtschaftswachstum wohl zum Stillstand gekommen – vielleicht sehen wir sogar ein leichtes Minus. Auch im laufenden Quartal dürfte das Konjunkturbild von einer „Seitwärtsbewegung“ gekennzeichnet sein, wie man an den Finanzmärkten sagt, wenn es weder nach oben noch nach unten geht.

Eine Verlangsamung der konjunkturellen Dynamik ist auch in Baden-Württemberg unverkennbar. Gleichwohl ist die regionale Wirtschaft auch im vergangenen Jahr schneller als die gesamtdeutsche Wirtschaft gewachsen.

Schon in den Jahren zuvor zeigten sich im regionalen Konjunkturverlauf stärkere Ausschläge als im Bund – sowohl im Abschwungjahr 2009 (- 7,1 %) als auch im Aufschwungjahr 2010 (+ 5,5 %).

Dieses Muster dürfte auf die Spezialisierung der baden-württembergischen Wirtschaft zurückzuführen sein: ein starkes Verarbeitendes Gewerbe, darunter viel Hochtechnologie und ein hoher Exportanteil.

Im Ergebnis bekommt Baden-Württemberg die Schwankungen in der Weltkonjunktur stärker zu spüren als andere Regionen.

Die Weltwirtschaft dürfte im Winterhalbjahr nur verhalten expandieren. Hier trägt zum einen die restriktivere Geld- und Fiskalpolitik in einigen Schwellenländern bei, mit der zum Teil einer Überhitzung der Volkswirtschaften entgegengewirkt werden soll. Zum anderen macht sich die Schuldenkrise im Euro-Raum bemerkbar, wo die unausweichlichen Konsolidierungsmaßnahmen der Tendenz nach konjunkturdämpfend wirken.

Das bleibt in Deutschland und gerade auch in Baden-Württemberg nicht ohne Wirkung. Jedoch wird der Aufschwung in Deutschland mittlerweile maßgeblich von binnenwirtschaftlichen Kräften getragen: Der private Verbrauch ist kräftig wie lange nicht – der DIHK wertet 2011 als bestes Konsumjahr seit mehr als zehn Jahren. Die positive Verbraucherstimmung wird von der guten Arbeitsmarktsituation und steigenden Realeinkommen begünstigt, so dass mit einem Einbruch nicht zu rechnen ist.

Es wird auch weiter kräftig investiert in Deutschland. Zwar gibt es kaum noch Nachholbedarf wegen der letzten Krise und angesichts der Abkühlung der Weltwirtschaft auch einen nachlassenden Bedarf für Erweiterungsinvestitionen. Dafür ist aufgrund der historisch niedrigen Hypothekenzinsen mit einer anhaltend lebhaften Tätigkeit im privaten Wohnungsbau zu rechnen.

Die binnenwirtschaftlichen Voraussetzungen für einen lang gezogenen, breit angelegten Aufschwung sind in Deutschland also nach wie vor gegeben, und auch die Weltwirtschaft sollte im Laufe des Jahres wieder an Dynamik gewinnen.

Basislinie unserer Erwartungen für die Perspektiven der deutschen Wirtschaft ist daher, dass der konjunkturelle Schwung im Jahresverlauf zurückkehrt. Der wirtschaftliche Aufschwung wäre demnach nicht beendet, sondern lediglich vorläufig unterbrochen.

Diese Erwartung setzt freilich voraus, dass sich die allgemeine Verunsicherung, die aus der aktuellen Krise herrührt, allmählich wieder legt, und die Krise sich nicht weiter zuspitzt.

Vor dem Hintergrund der hohen Unsicherheit sind Konjunkturprognosen derzeit noch schwieriger zu treffen als sonst. Das erklärt auch, weshalb die Prognosespanne zurzeit recht breit ist.

Nach der Prognose der Bundesbank, die wir Anfang Dezember veröffentlicht haben, wird die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um 0,6 % wachsen. Das Expansionstempo wird sich verglichen mit den vergangenen beiden Jahren – in jahresdurchschnittlicher Betrachtung – also spürbar verringern.

Dabei ist es vor allem die erwartete Durststrecke im Winterhalbjahr, die die Wachstumsrate 2012 drücken wird, im Jahresverlauf rechnen wir indessen mit einer Rückkehr auf einen soliden Wachstumspfad – die weiterhin expansive Geldpolitik und eine wieder stärker wachsende Weltwirtschaft sollten dies unterstützen.

Im Jahr 2013 könnte sich dann ein BIP-Zuwachs von 1,8 % ergeben. Die deutsche Wirtschaft befände sich damit über dieses und nächstes Jahr gesehen im Bereich der Normalauslastung. Als Ende des Aufschwungs kann das wohl kaum bezeichnet werden. Aber wie schon gesagt: Die Unsicherheit über die wirtschaftliche Entwicklung ist derzeit außergewöhnlich groß.

Ausgesprochen positiv – und das steht in krassem Gegensatz zu anderen Ländern des Euro-Raums – hat sich der Arbeitsmarkt in Deutschland entwickelt. Die saisonbereinigte Zahl der Arbeitslosen ist im Dezember erneut gefallen. Mit 6,8 % ist die Quote auf den niedrigsten Stand im wiedervereinigten Deutschland gesunken. Auf der anderen Seite ist die Zahl der Erwerbstätigen mit 41 Mio. im Jahr 2011 auf ein neues Rekordhoch gestiegen.

So bemerkenswert die deutsche Arbeitsmarktentwicklung ist, ein „Wunder“ ist sie nicht. Allein mit der guten Konjunktur ist sie aber auch nicht zu erklären. Es ist vielmehr nicht zuletzt den viel geschmähten Arbeitsmarktreformen zu verdanken, dass wir der Vollbeschäftigung deutlich näher gerückt sind.

Hier im Südwesten ist die Arbeitslosigkeit ja schon so weit zurückgegangen, dass man im ökonomischen Sinn bereits von Vollbeschäftigung sprechen kann. Dadurch rückt ein anderes Problem zunehmend in den Vordergrund, nämlich der drohende Fachkräftemangel.

Sicherlich können einige von Ihnen von Schwierigkeiten bei der Rekrutierung geeigneten Fachpersonals berichten; Umfragen des DIHK bestätigen diesen Befund. Man muss allerdings differenzieren: In der Reife einer konjunkturellen Aufschwungphase ist es nicht ungewöhnlich, dass Fachkräfte da und dort knapp werden; dem kann durchaus mit unternehmerischen Mitteln gegengesteuert werden. Das ist nicht gleichzusetzen mit dem strukturellen Fachkräftemangel, der uns mittel- bis langfristig aus der demografischen Entwicklung bevorsteht, dem zu begegnen ein breites Spektrum an unternehmensinternen, tariflichen und politischen Maßnahmen bedarf.

Ein nennenswerter Rückgang der Erwerbstätigkeit ist trotz der konjunkturellen Seitwärtsbewegung vorerst nicht zu erwarten. Der Abbau der Arbeitslosigkeit könnte sich weiter fortsetzen, wenngleich mit kleineren Schritten.

Die über den Zeitraum von einigen Monaten hinweg kaum noch gesunkene Zahl der Arbeitslosen im Versicherungssystem deutet im Übrigen darauf hin, dass sich die Rekrutierungsreserven in der Gruppe der Kurzzeitarbeitslosen allmählich erschöpfen.

Weitere Beschäftigungsgewinne sind also vor allem im Bereich der strukturellen Arbeitslosigkeit, durch höhere Erwerbsbeteiligung oder durch verstärkte Zuwanderung zu erreichen. Meldungen über wachsende Zuwanderung aus Spanien und Griechenland sind positive Nachrichten, wenngleich die Quantitäten hier nicht überwertet werden sollten.

Arbeitskräftemobilität ist übrigens ein wichtiges Anpassungsinstrument in einer Währungsunion, wo es den Wechselkurs als Anpassungsinstrument nicht mehr gibt, fiskalische Ausgleichsmechanismen (aus guten Gründen) nur rudimentär bestehen und eine einheitliche Geldpolitik für den gesamten Währungsraum betrieben wird.

Das vorrangige Ziel der gemeinsamen europäischen Geldpolitik ist es Geldwertstabilität zu gewährleisten. Weniger erfreulich ist in diesem Zusammenhang die Inflationsentwicklung in der jüngeren Vergangenheit. Die Preissteigerungsrate im Euro-Raum lag im vergangenen Jahr bei 2,7 % und damit deutlich oberhalb der Stabilitätsschwelle des EZB-Rats von knapp 2 %. In Deutschland stieg der Harmonisierte Verbraucherpreisindex im Jahr 2011 um 2,5 % an. Die relativ hohe Preissteigerungsrate ist aber insbesondere auf die gestiegenen Energiepreise zurückzuführen. Im Laufe des Jahres erwarten wir eine Rückkehr der Teuerungsraten in den Stabilitätsbereich, zumal der Preisdruck von den internationalen Rohstoffmärkten nachlassen dürfte und die wirtschaftliche Dynamik im Euro-Raum sehr gedämpft ist.

In der Erwartung mittelfristiger Preisstabilität hat sich der EZB-Rat im Herbst 2011 mehrheitlich dazu entschlossen, den Leitzins abermals auf das historische Tief von 1 % zu senken. Die beiden Zinssenkungen wurden auch vor dem Hintergrund der Belastungen, die von der Finanzkrise auf die Realwirtschaft ausgehen können, und der damit verbundenen Unsicherheit getroffen.

Darüber hinaus hat der EZB-Rat in jüngster Zeit umfangreiche Liquiditätsmaßnahmen ergriffen, die den anhaltenden Verspannungen an den Finanzmärkten entgegenwirken sollen. Mit diesen geldpolitischen Sondermaßnahmen leistet das Eurosystem einen wichtigen Beitrag, dass die Kreditversorgung der Realwirtschaft auch in Zeiten hoher Finanzmarktanspannung aufrecht erhalten werden kann.

Gerade im Mittelstand, wo die Finanzierung über den Bankkredit nach wie vor eine dominierende Rolle spielt, geben mögliche Engpässe bei der Kreditversorgung ja immer wieder Anlass zur Sorge. Für Deutschland halte ich Befürchtungen einer breiter angelegten Kreditklemme allerdings für unbegründet.

So zeigen unsere aktuellen Daten, dass die Vergabe von Buchkrediten an nichtfinanzielle Unternehmen in den letzten Monaten sogar gestiegen ist. „Schön und gut“ könnten Sie einwenden, aber was passiert, wenn die Banken in nächster Zeit ihre Bilanzen möglicherweise verkürzen, um die erhöhten Kapitalanforderungen zu erfüllen? Tatsächlich ist es plausibel zu erwarten, dass Banken neben einer Erhöhung der regulatorischen Eigenmittel auch ein solches „Deleveraging“ betreiben werden, um die neuen gestiegenen Minimumanforderungen zu erfüllen. Wir halten es jedoch für unwahrscheinlich, dass die Kreditvergabe an den Mittelstand davon in einem Ausmaß betroffen sein könnte, dass eine Kreditklemme entsteht.

Auch aktuelle Unternehmensumfragen wie zum Beispiel die ifo-Kredithürde liefern keine Hinweise auf eine bevorstehende Kreditklemme für die Unternehmen der Realwirtschaft. Aber auch diese Erwartung beinhaltet als wichtige Voraussetzung, dass die europäische Schuldenkrise nicht weiter eskaliert, sondern allmählich überwunden wird.

3 Überwindung der Schuldenkrise im Euro-Raum

Die Schuldenkrise im Euro-Raum hat die Europäische Währungsunion zweifellos vor ihre größte Bewährungsprobe gestellt.

Eine Überwindung der Krise kann nach meiner Überzeugung nur gelingen, wenn die Politik ihrer Verantwortung gerecht wird.

Zunächst einmal muss es der Politik gelingen, eine verlässliche Perspektive für solide Staatsfinanzen zu entwickeln. Wer die Schuldenkrise überwinden möchte, muss die Ursachen der Krise angehen, und dazu zählen ganz wesentlich die übermäßige Verschuldung, aber auch die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit einiger Länder.

Die Mitgliedstaaten, die übermäßige Defizite aufweisen, müssen diese zügig abbauen. Es darf dabei nicht nur bei Ankündigungen bleiben, sondern es kommt jetzt auf die Verabschiedung und Umsetzung konkreter Maßnahmen an. Einige Länder sind hier auch schon ein Stück weit vorangekommen.

Kritiker wenden an dieser Stelle gerne ein, dass Sparen in der jetzigen Situation genau das Falsche sei, die Länder würden sich „kaputtsparen“ ist in diesem Zusammenhang eine gern verwendete Formulierung. Ich halte diese Einwände für falsch. Es ist zwar unbestritten, dass sich Haushaltskonsolidierung normalerweise zunächst einmal dämpfend auf die Konjunktur auswirkt. In der Situation einer massiven Vertrauenskrise, ausgelöst durch den übermäßigen Anstieg der Staatsverschuldung, gibt es aber keine Alternative dazu. Ohne fiskalische Anpassung würden die Risikoprämien und Zinsen immer weiter steigen. Ein weiterer Vertrauensverlust, ausgelöst durch „Nichtstun“, würde das Wachstum damit auch kurzfristig wohl noch stärker belasten als die Konsolidierung.

Im Übrigen sollte nicht übersehen werden, dass wir es in einigen Ländern des Euro-Raums mit Anpassungsrezessionen zu tun haben. Das Wirtschaftswachstum war in diesen Ländern in erheblichem Maße durch nicht nachhaltige Entwicklungen aufgebläht – heiße Luft gewissermaßen, die nun abgelassen werden muss. Denken Sie an die Immobilienblasen in Irland und Spanien oder schuldenfinanzierten öffentlichen und privaten Konsum. Nur die Umsetzung von Strukturreformen kann in diesen Ländern dazu führen, dass sich neue Wachstumskräfte entfalten können. Das wird aber nicht von heute auf morgen gehen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Worte sagen zu der breit angelegten Ratingherabstufung europäischer Staaten durch die Agentur Standard & Poor’s am vergangenen Freitag. Ich möchte bestimmt nicht in den Chor der Kritiker der Ratingagenturen einstimmen. Wer den Agenturen die Schuld für die Krise gibt, verdreht Ursache und Wirkung. Letztlich sind sie nur die Überbringer schlechter Nachrichten und nicht die Verursacher. Problematisch fände ich es allerdings, wenn Ratingagenturen über ihre Bewertungen bestimmte wirtschaftspolitische Vorstellungen propagierten. Es wäre daher durchaus ratsam, den Kreditratings von regulatorischer Seite her ein geringeres Gewicht beizumessen und die Anreize der Marktteilnehmer zu einer eigenständigen Risikoanalyse zu stärken. Entsprechende Regelungen sind angestoßen. Kurzfristig sind aber nicht in allen Bereichen Alternativen verfügbar; Marktindikatoren (wie CDS-Spreads) sind häufig volatiler und zyklischer.

Der Verlust des (S&P-)Top-Ratings für den Euro-Rettungsschirm EFSF belegt nach meinem Dafürhalten nur einmal mehr, dass der Bewältigung der Krise mit immer mehr Geld Grenzen gesetzt sind. Von Seiten der Bundesbank haben wir deshalb in den vergangenen Monaten nachdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Vertrauenskrise nur dann gelöst werden kann, wenn ein konsistenter mittel- und langfristiger Rahmen für die Währungsunion in Aussicht gestellt wird und wenn Verträge und Vereinbarungen auch eingehalten werden. Nicht konsistent ist dabei, wenn einerseits die Gemeinschaftshaftung immer weiter ausgeweitet wird und die aufgerufenen Hilfsleistungen immer schneller wachsen und andererseits der fiskalische Rahmen nicht umgesetzt beziehungsweise aufgeweicht wird.

Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die bisher vorgenommenen Änderungen am fiskalischen Rahmenwerk der Währungsunion nicht ausreichen, um die Stabilität und Integrität der Währungsunion auch in Zukunft zu sichern.

Mit dem Anfang Dezember beschlossenen Fiskalpakt wurde eine Härtung der fiskalischen Haushaltsregeln nicht zuletzt auf nationaler Ebene in Aussicht gestellt.

Positiv an dem Grundsatzbeschluss ist, dass die bestehenden europäischen Fiskalregeln gestärkt und ergänzt werden sollen. Dies kann einen hilfreichen Beitrag zur Überwindung der aktuellen Krise leisten.

So wie in Deutschland sollen auch in den anderen Ländern, die dem Fiskalpakt beitreten, Schuldenbremsen, die grundsätzlich ausgeglichene Haushalte vorgeben, auf nationaler Ebene möglichst verfassungsrechtlich verankert werden. Allerdings gab es ja bereits in der Vergangenheit Haushaltsregeln, die nicht eingehalten wurden. Warum sollte es also jetzt funktionieren? Es wird auf jeden Fall eine Weile dauern, bis Vertrauen wieder entsteht. Jetzt kommt es zunächst auf die Ausformung im Detail und die Umsetzung in der Praxis an und darauf, dass Verstöße gegen nationale Schuldenregeln nicht möglich sind. Ein Umschiffen der Regeln und eine Verschiebung der Konsolidierung in die Zukunft muss verhindert werden.

Der Fiskalpakt muss sich auch daran messen lassen, ob er wirklich einen „Mehrwert“ gegenüber dem geänderten Stabilitäts- und Wachstumspakt bringt. Grundsätzlich sind stärkere Automatismen und eine stärkere Bindungswirkung in Aussicht gestellt worden. Zudem sollen europäische Hilfszahlungen an die Regeleinhaltung geknüpft werden.

Auch hier kommt es aber am Ende neben einer stringenten Ausformulierung darauf an, dass die neuen Regeln nicht so lax angewandt werden wie die alten.

Für eine endgültige Bewertung ist es derzeit zu früh, da die Verhandlungen hier noch laufen. Allerdings stimmen Zwischenstände, die an die Öffentlichkeit dringen, nicht besonders hoffnungsfroh; Aufweichungstendenzen sind unverkennbar. Zuletzt hat die EZB, die an den Verhandlungen beteiligt ist, deutliche Kritik geübt.

Haushaltsdisziplin ist sicherlich nicht alles. Die Vermeidung von gravierenden gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichten und eine effiziente Finanzmarktregulierung sind sicherlich auch von entscheidender Bedeutung. Aber ohne Haushaltsdisziplin wirken alle anderen Maßnahmen zur Krisenbewältigung bestenfalls kurzfristig.

Deswegen müssen auch dauerhafte Anreize zu soliden Staatsfinanzen aufrecht erhalten werden. Finanzhilfen darf es weiterhin nur als letztes Mittel – als Hilfe zur Selbsthilfe – und unter harten Bedingungen geben. Günstige Zinsen sind dagegen eine Einladung, Hilfen möglichst lange in Anspruch zu nehmen. Es muss darauf geachtet werden, dass die Empfängerländer die Hilfsbedingungen einhalten, auch Griechenland.

Eine zunehmende Gemeinschaftshaftung, gar eine Einführung von Eurobonds lässt sich mit den neuen Regeln nicht rechtfertigen. Der Grundstein für eine echte Fiskalunion wurde bislang nämlich gerade nicht gelegt. Offenkundig sind die Mitgliedstaaten mehrheitlich nicht bereit, auf ihre fiskalische Souveränität zu verzichten.

Im Kern bleibt die nationale Souveränität in Haushaltsfragen nämlich erhalten; echte Durchgriffsrechte auf die nationale Gesetzgebung wird es vorerst nicht geben, auch nicht bei fortgesetztem fiskalischem Fehlverhalten.

In dem sich abzeichnenden Rahmen würden gemeinschaftliche europäische Anleihen die Schuldenkrise nicht lösen, weil sie Anreize für eine solide Finanzpolitik schwächten. Ein geeignetes Mittel zur perspektivischen Überwindung der Schuldenkrise sind sie sicherlich nicht.

4 Zur Rolle der europäischen Geldpolitik bei der Überwindung der Schuldenkrise

Ebenso wenig lässt sich mit dem Fiskalpakt rechtfertigen, dass die europäische Geldpolitik stärker in die Pflicht genommen wird. Das Eurosystem hat ein sehr klares Mandat – nämlich die Gewährleistung von Preisstabilität – und aus guten Gründen ein strenges Statut.

Der Beitrag des Eurosystems zur Eindämmung der Staatsschuldenkrise – wie übrigens bereits zuvor in der Finanzkrise – besteht darin, solventen Banken gegen ausreichende Sicherheiten Liquidität bereitzustellen. Damit sollen die Spannungen am Geldmarkt gemildert und die Kreditvergabe an die Wirtschaft unterstützt werden. Die jüngsten Beschlüsse des EZB-Rates – das Angebot von Refinanzierungsgeschäften für 36 Monate, die Ausweitung des Sicherheitenverzeichnisses und die Senkung des Mindestreservesatzes – zielen letztlich darauf ab. Dabei nehmen naturgemäß die Risiken aus der Liquiditätsbereitstellung zu. Hier gilt es darauf zu achten, dass die Balance gewahrt bleibt. Die Geldpolitik darf den Auftrag für stabile Preise zu sorgen nicht aus den Augen verlieren, indem übermäßige Risiken übernommen werden oder sie außerhalb ihres Mandats handelt.

Nun steht aber auch die Forderung im Raum, das Eurosystem solle quasi unbegrenzt Staatsanleihen ankaufen und die Zinsaufschläge für Staatsanleihen nach oben hin begrenzen. Abgesehen davon, dass mir die martialische Terminologie, die in diesem Zusammenhang verwendet wird („Bazooka“, „Nuklearoption“), nicht gefällt, gibt es eine ganze Reihe von rechtlichen, ökonomischen und politischen Gründen, warum wir dies nicht tun sollten:

Erstens wäre eine solche Vorgehensweise mit dem bestehenden EU-Vertrag, der eine monetäre Staatsfinanzierung verbietet, nicht zu vereinbaren. Kann man eine Vertrauenskrise überwinden, indem man das Recht ignoriert? Wie will man so Vertrauen in künftige Vereinbarungen schaffen?

Zweitens wäre es kontraproduktiv, wenn das Eurosystem den Regierungen der Mitgliedstaaten damit unter anderem die Möglichkeit „erkaufen“ würde, notwendige Reformen auf die lange Bank zu schieben. Dies mag besonders in Wahlkampfzeiten relevant werden, wenn man sich vor Augen führt, dass zum Teil schmerzhafte, aber notwendige Reformen durchaus mit politischen Kosten verbunden sind. Es ist ja nicht so, dass die Politik nicht handlungsfähig wäre. Die Frage ist vielmehr, ob der Wille oder die politischen Mehrheiten für die Reformen vorhanden sind. Wenn das aber nicht der Fall ist, kann die Geldpolitik nicht einfach in die Bresche springen.

Drittens wäre ein Ankauf von Staatsschulden in großem Stil gleichbedeutend mit einer massiven Umverteilung und Vergemeinschaftung von staatlichen Solvenzrisiken innerhalb des Euro-Raums. Etwaige Verluste aus den Käufen müssten am Ende von den Steuerzahlern aller EWU-Staaten getragen werden. Über solche Verteilungsfragen zu entscheiden, ist aber eindeutig das Mandat der demokratisch gewählten Politiker und nicht des EZB-Rats. Deshalb wurde ja die monetäre Staatsfinanzierung in den EU-Verträgen verboten. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht die Verantwortung des Parlaments für die Übernahme von Solvenzrisiken anderer Staaten zuletzt deutlich herausgestellt.

Die Geldpolitik würde bei einer massiven Ausweitung der Anleihekäufe die Trennlinie zur Finanzpolitik definitiv überschreiten. Notenbanken, die sich vor den Karren der Finanzpolitik spannen lassen, riskieren aber schnell die Legitimation ihrer Unabhängigkeit.

Nur zur Erinnerung: Die Unabhängigkeit der Notenbanken ist allein damit zu rechtfertigen, dass eine abhängige, also politisch gesteuerte Geldpolitik Gefahr läuft, für andere Ziele als die Stabilität des Geldes missbraucht zu werden. Stabiles Geld ist aber der beste Beitrag, den die Geldpolitik für das wirtschaftliche Wohlergehen eines Währungsraumes leisten kann. Stabiles Geld kommt Unternehmern genauso wie Verbrauchern zugute. Inflation dagegen ist unsozial, sie führt zu einer Umverteilung von Wohlstand.

Den Geldwert stabil halten kann die Geldpolitik nur, wenn sie diesem Ziel glaubwürdig verpflichtet ist. Eine Notenbank, die sehr glaubwürdig in der Inflationsbekämpfung ist, kann ihr Ziel mit geringerem Mitteleinsatz erreichen. Umgekehrt: Wenn eine Notenbank an Glaubwürdigkeit einbüßt, sind kräftigere Zinserhöhungen nötig, um Inflationsgefahren zu bannen. Von einer höheren Zinsvolatilität gehen aber erhöhte Schwankungen der Gesamtwirtschaft aus. Das trifft alle: die Unternehmen, die Arbeitnehmer, die Verbraucher und letztlich auch den Staat.

Eine fiskalpolitisch agierende Notenbank würde die eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen und damit mittel- bis langfristig die Gewährleistung von Geldwertstabilität erschweren.

Vergleiche mit anderen Notenbanken wie zum Beispiel der amerikanischen Fed, die, wenn es um den Ankauf von Staatsanleihen geht, weniger „zimperlich“ sei, verkennen zwei wesentliche Unterschiede: Erstens ist die Fed die Zentralbank eines Nationalstaates und nicht einer Währungsunion, in der die Finanzierung von Staaten über die Notenpresse auch noch verboten ist. Und zweitens geht es bei der Politik der quantitativen Lockerung darum, das Zinsniveau in einem kapitalmarktbasierten Finanzsystem „am langen Ende“ zu drücken und nicht die Zinsaufschläge einzelner Teilstaaten. Im Übrigen zielt das Fed-Programm auf Papiere eines Staates mit hoher Bonität.

5 Schluss

Ich möchte zum Ende meines Vortrages kommen.

2012 wird ein Jahr entscheidender Weichenstellungen für die Zukunft der Europäischen Währungsunion sein. Ich bin der Überzeugung, dass alle Beteiligten den klaren Willen haben, die Krise zu überwinden, um eine stabile Währungsunion zu erhalten, die das Vertrauen der Bürger verdient. Und ich bin zuversichtlich, dass dies gelingt.

Die Notenbanken des Eurosystems leisten einen wichtigen Beitrag zur Krisenlösung. Sie müssen aber ihr Mandat beachten und im Rahmen dieses Mandates handeln. Der Schlüssel zur Bewältigung der Krise liegt in jedem Falle bei den Regierungen der Mitgliedstaaten. Sie müssen ihrer Verantwortung gerecht werden.

Die deutsche Wirtschaft, und damit meine ich nicht nur die Exportwirtschaft, profitiert enorm von der Stabilität der Währungsunion und des Euro. Nicht zuletzt deshalb hat Deutschland ein großes Interesse daran, dass die Krise überwunden wird und der Euro perspektivisch eine stabile Währung auf einem stabileren Fundament bleibt.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.