3. Fachtagung "Wertpapier Compliance" Begrüßungsansprache

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident,
sehr geehrter Herr Prof. Dr. Dieter Krimphove,
sehr geehrter Herr Prof. Dr. Oliver Kruse,
sehr geehrte Damen und Herren,

guten Morgen und herzlich willkommen!

Ich freue mich, Sie auch im Namen der Deutschen Bundesbank zu der dritten Fachtagung Wertpapier-Compliance begrüßen zu können.

Besonders freue ich mich, dass die Deutsche Bundesbank zum dritten Mal zusammen mit der Universität Paderborn diese Fachtagung veranstaltet. Sie ist aus meiner Sicht ein besonders gutes Beispiel für eine lohnenswerte Kooperation zwischen Hochschulen. Und sicherlich eine Kooperation mit Potenzial für eine Vertiefung. Für die Bundesbank ist ihre eigene Hochschule in Hachenburg von großer Bedeutung, denn sie ermöglicht eine Qualifizierung, die auf die spezifischen Anforderungen einer Notenbank abstellt. Ohne hervorragend ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können wir unsere Aufgaben nicht erfolgreich erfüllen. Meiner Ansicht nach ist dabei auch die enge Verzahnung von Wissenschaft und Praxis ein entscheidender Erfolgsfaktor. Die Hochschule der Bundesbank bietet nicht nur eine wissenschaftlich exzellente Ausbildung. Sie ist auch ein wichtiger Mittler zwischen Theorie und Praxis, indem das Studium durch Praxisphasen in der Bundesbank ergänzt wird. Dies fördert die Identifikation unserer Studierenden mit der Bundesbank und deren Aufgaben, denn Themen werden theoretisch beleuchtet und zugleich anhand von aktuellen, konkreten Fragestellungen in der Praxis "mit Leben" gefüllt.

In diesem Sinne geht es heute um einen Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis zu einer sehr konkreten und wichtigen Fragestellung. Der Begriff "Compliance" hat gerade in der Finanzwirtschaft in den vergangenen Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Und für einige Unternehmen hat eine fehlende Compliance durchaus zu erheblichen finanziellen und Reputationsschäden geführt. Aus meiner Sicht geht es bei Compliance um Risikomanagement. Konkret: Um die Minimierung des Risikos von Verstößen gegen gesetzliche oder interne, aus dem Wertesystem der Unternehmen abgeleitete Regelungen durch den Aufbau geeigneter Strukturen und Verfahren. Dabei geht es nicht nur um Vorbeugung, sondern auch um Überwachung und Erkennung.

Die Finanzkrise von 2008 hat nachdrücklich vor Augen geführt, dass nicht nur die Einhaltung von Regeln sichergestellt werden muss, sondern auch bessere Regeln erforderlich sind, um die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems nachhaltig zu stärken. Konsequenterweise hatten die G20 auf dem Gipfel von Pittsburgh im Jahr 2009 eine ganze Reihe von Maßnahmen vereinbart, die gegenwärtig in Europa auch durch die MiFIDII und die MiFIR[1] für den Wertpapierhandel umgesetzt werden. Insgesamt sollten die Maßnahmen sowohl die einzelnen Finanzmarktakteure, als auch den Handel in den Märkten und die zur Abwicklung notwendige Finanzmarktinfrastruktur sicherer machen. Ein wesentliches Element war auch die Reform der Derivatemärkte, unter anderem durch die Vorgabe, standardisierte Derivate künftig über Börsen oder elektronische Handelsplattformen und zentrale Kontrahenten - Central Counterparties oder kurz CCP - abzuwickeln.

Im Vorstand der Bundesbank bin ich unter anderem für den Zahlungsverkehr und die Abwicklungssysteme zuständig. Erlauben Sie mir daher kurz auf die Finanzmarktinfrastrukturen einzugehen. Hier geht es um die Abwicklung, also den "Nachhandelsbereich". Dieser Bereich führt häufig ein "Schattendasein". Denn alle setzen wie selbstverständlich voraus, dass die Abwicklung funktioniert. Aber wenn sie nicht funktioniert, schlägt es Wellen.

Finanzmarktinfrastrukturen wie Zahlungsverkehrssysteme, Zentralverwahrer und zentrale Kontrahenten sind wesentliche Bestandteile eines funktionierenden Finanzmarktes. Wenn sie nicht in angemessener Weise betrieben werden, können Risiken für das gesamte Finanzsystem entstehen. Außerdem können Finanzmarktinfrastrukturen im Krisenfall einen Ansteckungskanal für andere Finanzmarktakteure bilden.

Die Sicherheit und Effizienz dieser Infrastrukturen liegt daher im Interesse von Zentralbanken, und ihre Überwachung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als Zentralbankfunktion etabliert. Widerstandsfähige und sichere Finanzmarktinfrastrukturen setzen aber ein Mindestmaß an Regulierung voraus.

Die Finanzmarktinfrastrukturen haben in der Finanzkrise - also auch unmittelbar nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers - zwar ihre Stabilität und Leistungsfähigkeit bewahren können. Allerdings darf nicht verkannt werden, dass die Finanzmarktinfrastrukturen davon profitierten, dass einzelne Banken als Teilnehmer gestützt wurden. So wurde verhindert, dass Finanzmarktinfrastrukturen selbst unter stärkeren Druck gerieten. Eine Regulierung, die umfassend die Banken als Teilnehmer von Finanzmarktinfrastrukturen und die Infrastrukturen selbst adressiert, liegt daher im ureigenen Interesse aller Beteiligten.

Einen Meilenstein für eine höhere Sicherheit der Finanzmarktinfrastruktur stellten die im Jahre 2012 veröffentlichten Prinzipien für Finanzmarktinfrastrukturen (PFMI) dar. Diese wurden vom Basler Zahlungsverkehrsausschuss CPMI[2], in dem auch die Bundesbank vertreten ist, und der Internationalen Organisation der Wertpapieraufseher IOSCO[3] entwickelt. Die Prinzipien bilden nun die Grundlage für einen international konsistenten Ansatz für die Risikopolitik und die Überwachung von Zahlungsverkehrssystemen, Zentralverwahrern und zentralen Kontrahenten.

Zudem sind in der Zwischenzeit auch die bereits erwähnten Bestrebungen weiter vorangekommen, die darauf abzielen, standardisierte, nichtbörsengehandelte Derivate einem zentralen Clearing zu unterwerfen und hierfür zentrale Gegenparteien, auch zentrale Kontrahenten oder CCPs[4] genannt, zu nutzen.

Hierdurch wird das Kontrahentenausfallrisiko einerseits maßgeblich reduziert. Ein Gewinn an Sicherheit ist das Ergebnis. Andererseits steigen jedoch die Anforderungen an Sicherheit, Verlässlichkeit und Stabilität eben dieser zentralen Gegenparteien - gerade hierauf muss die Regulierung die richtigen Antworten geben.

Die Reformen im Derivatemarkt - und zwar im Handels- und im Nachhandelsbereich - wurden in Europa durch die Verordnung EMIR[5] umgesetzt. Diese Regulierung wird derzeit - wie vorgesehen drei Jahre nach ihrem Inkrafttreten im Jahre 2012 -überprüft. Ergänzend wird an Lösungsansätzen für eine mögliche Sanierung oder Abwicklung von zentralen Gegenparteien gearbeitet. Auch bei Gestaltung solcher EU-Verordnungen sowie der ergänzenden technischen Standards wirkt die Bundesbank mit, und zwar in beratender Funktion für die Bundesregierung und die ESMA[6].

Bei all diesen Regulierungen muss die internationale Konsistenz gewährleistet bleiben, um Wettbewerbsnachteile einzelner Regionen zu vermeiden und ein gleich hohes Sicherheitsniveau zu gewährleisten. Deshalb kommt den Arbeiten des Financial Stability Board (FSB) besondere Bedeutung zu, die derzeit die ersten Erfahrungen aus der Umsetzung der internationalen Standards für die Regulierung zentraler Gegenparteien auswertet. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Widerstandsfähigkeit, der Sanierungsplanung und der Fähigkeit zur Abwicklung von zentralen Gegenparteien. Am Ende wird zu entscheiden sein, ob der bestehende Ansatz, der nur auf allgemeinen Prinzipien basiert, für eine international konsistente Umsetzung auf einem hohen Sicherheitsniveau ausreichend ist oder ob weitere Verfeinerungen erforderlich sind.  

Ein vorläufiger Schlusspunkt auf dem Weg zu einer sichereren Finanzmarktinfrastruktur ist in der Europäischen Union die Regulierung für Zentralverwahrer (CSDR[7]), mit der die Abwicklung von Wertpapiergeschäften über Zentralverwahrer reformiert wird.

In der Europäischen Union spielt aber nicht nur die Erhöhung der Sicherheit eine Rolle. Ein weiteres wichtiges Thema stellt die europäische Integration dar. In einem zunehmend härteren Wettbewerb auf globaler Ebene kann Europa nur dann Stärke entfalten, wenn es seine wirtschaftlichen Potenziale besser nutzt. Mehr Wettbewerb durch einen vollständigen, funktionierenden Binnenmarkt, mehr Effizienz und Innovation sind notwendig.

Einen bedeutenden Beitrag zur Integration der europäischen Finanzmärkte soll TARGET2-Securities (T2S) Ieisten. T2S schafft einheitliche Bedingungen für die Abwicklung von Wertpapiertransaktionen und wird so den Wettbewerb zwischen den verschiedenen Zentralverwahrern fördern.

Der Weg zur europäischen Integration ist allerdings kein leichter Spaziergang, sondern ein kräftezehrender und häufig langer Marsch. So gehen die ersten Diskussionen über T2S auf das Jahr 2006 und damit auf die Zeit vor der Finanzkrise zurück. Als Projekt wurde T2S im Sommer 2008 auf den Weg gebracht, der Betrieb wurde am 22. Juni 2015 erfolgreich aufgenommen. In drei weiteren Wellen werden in den nächsten Jahren weitere Zentralverwahrer auf T2S migrieren. Die Bundesbank ist gemeinsam mit der EZB, der Banque de France, der Banca d’Italia und der Banco de España an der Gestaltung des Systems beteiligt. Betrieben wird das System von der Banca d’Italia und der Deutschen Bundesbank.

T2S bietet eine harmonisierte und zentrale Wertpapierabwicklung in Zentralbankgeld an. Dabei handelt es sich um einen reinen Abwicklungsservice, d.h. die Buchung von Wertpapierkäufen in einem "Lieferung gegen Zahlung"-Modus. Die Wertpapierverwahrung und die damit verbundenen Dienstleistungen verbleiben dagegen in den Händen der nationalen Zentralverwahrer.

Aus der Perspektive der angeschlossenen nationalen Zentralverwahrer ist T2S ein gemeinsam genutzter Dienstleister für die Abwicklung. Technisch betrachtet werden in T2S die von den Zentralverwahrern geführten Wertpapierdepotkonten sowie die von den Zentralbanken geführten Geldkonten auf einer einzigen, gemeinsamen Plattform gehalten. Dadurch kann das Management von bis­her dezentral und auf mehrere Systeme verteilt gehaltenen Wertpapieren, Sicherheiten und Liquidität optimiert werden. Die Nutzung eines einzigen Geldkontos in T2S ermöglicht es den Teilnehmern, Liquiditätspuffer bei verschiedenen nationalen Zentralbanken aufzulösen und somit die Liquiditätshaltung zu optimieren.

Und auch wenn die Migration aller Marktteilnehmer auf T2S erst im Jahr 2017 abgeschlossen sein wird, nimmt schon das nächste große Integrationsprojekt in Europa langsam Gestalt an. Am 18. Februar 2015 veröffentlichte die EU-Kommission ein Grünbuch zur "Schaffung einer Kapitalmarktunion"[8]. Denn nach wie vor gelten die Kapitalmärkte als fragmentiert und primär eher an nationalen Grenzen orientiert. Eine solche Situation hatten wir übrigens lange im unbaren Zahlungsverkehr. Durch die Schaffung des einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums (SEPA) zum 1. August 2014 wurde ein großer Integrationsschritt erreicht.

Die Anstrengungen der EU-Kommission zielen auf eine Stärkung der Kapitalmärkte als Ergänzung der in Europa sehr stark ausgeprägten Unternehmensfinanzierung über Banken. Damit sollen insbesondere auch die Finanzierungsmöglichkeiten mittelständischer Unternehmen verbessert und mehr Investitionen mobilisiert werden. Das zweite Ziel ist eine bessere grenzüberschreitende Integration der Märkte. Im Ergebnis sollen Kosten gesenkt und die Risikoteilung in Europa - also die Schockresistenz der europäischen Wirtschaft - verbessert werden.

Die Deutsche Bundesbank begrüßt die Pläne zur Schaffung einer Kapitalmarktunion[9]. Wir hoffen dabei sogar auf eine "doppelte Dividende". Zum einen könnte der Anteil des Eigenkapitals bei der Unternehmensfinanzierung steigen. Zum anderen legen Erfahrungen in den USA und Europa nahe, dass ein höheres Angebot an "externem" Eigenkapital Innovation und Investition positiv beeinflusst.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich wieder zum Ausgang meiner Betrachtungen zurückkehren. In den sieben Jahren seit Ausbruch der Krise im US-Subprime-Markt wurden erhebliche Regulierungsfortschritte erzielt. Wie nicht anders zu erwarten, sind die Ansichten darüber, ob die bereits umgesetzten Aufsichtsreformen ausreichen, uneinheitlich. Die Sichtweise des Marktes unterscheidet sich deutlich von der öffentlichen Wahrnehmung: Während in der Öffentlichkeit der Eindruck vorherrscht, es sei so gut wie nichts geschehen, beschweren sich Vertreter von Banken und Finanzmarktinfrastrukturbetreibern bereits über ein "Zuviel" an Regulierung. Meiner Meinung nach trifft weder das eine, noch das andere zu.

Aber mit der Regulierung ist es wie mit dem Verhältnis von Risiko und Sicherheit. Wie sagte doch Altbundespräsident Walter Scheel einmal richtig: "Nichts geschieht ohne Risiko, aber ohne Risiko geschieht auch Nichts." Insoweit bleibt Regulierung und Risikomanagement immer auch eine Sache des richtigen Augenmaßes.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen einen guten Verlauf der Fachtagung. Und ich bin sicher, dass uns die Themen auch für künftige oder weitere Fachtagungen nicht ausgehen werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

Fußnoten:

  1. Markets in Financial Instruments Directive (MiFID) bzw. Markets in Financial Instruments Regulation (MiFIR): Finanzmarktrichtlinie bzw. -verordnung
    Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (1)
    Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (1)
    Beide in: Amtsblatt der Europäischen Union, L 173, 12. Juni 2014
  2. Committee on Payments and Market Infrastructures
  3. International Organisation of Securities Commissions

  4. Central Counterparty

  5. European Market Infrastructure Regulation (EMIR), Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister, L 201, 27. Juli 2012

  6. European Securities Market Authority

  7. Central Securities Depository Regulation

  8. Europäische Union: Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion COM(2015) 63

  9. Vgl. Stellungnahme der Deutschen Bundesbank vom 21.05.15