Ansprache von Moritz Karl Ulrich Pöhl anlässlich der Gedenkfeier für Karl Otto Pöhl

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Bundesbankpräsident Dr. Weidmann,

sehr geehrter Herr Präsident Schlesinger, sehr geehrter Herr Professor Stürmer,

meine Damen, meine Herren,

es ist mir eine große Ehre und Freude, als Sohn von Karl Otto Pöhl ein Wort der Erinnerung sagen zu dürfen. Auch im Namen meiner Familie möchte ich mich sehr für dieses außerordentliche Privileg bedanken.

Erlauben Sie mir daher, dass ich nach den eindrucksvollen finanz- und wirtschaftspolitischen Analysen und Würdigungen der Amtszeit meines Vaters hier noch einige Anmerkungen zur privaten Seite, zum Mensch Karl Otto Pöhl beisteuere.

Bei der Recherche hierzu ist mir aufgefallen, wie viele Fragen wir Geschwister meinem Vater nicht gestellt haben. Aber so etwas wird einem meist erst zu spät klar. Er war ein treu sorgender Vater, den wir vier Kinder sehr geliebt und verehrt haben. Und wir vermissen ihn sehr. Da er selbst kein Vatervorbild kannte, interpretierte er die Vaterrolle aus seiner Sicht. Er hat uns zum Beispiel nie unter Druck gesetzt, nie Dinge von uns verlangt und war immer großzügig. Er war eben ein Vater, der sich nicht in alles einmischen wollte – natürlich wenig Zeit hatte – doch niemals uninteressiert an uns war. Er sagte: "Ihr macht das schon. Aber wenn Ihr etwas braucht, kommt ruhig zu mir." Pädagogisch vielleicht nicht ganz ausgereift, trotzdem effektiv – eben seine Art. Die Art eines Mannes, der sich alles selbst erarbeitet hat. Und der nur auf sich selbst vertraute.

Heute, auf den Tag und auf die Stunde vor fünf Wochen, ist mein Vater friedlich Zuhause nach langer Krankheit eingeschlafen. Wie es seine Art war, hat er zuletzt mit klarem Kopfe bestimmt, dass er keine Dialyse mehr wollte. Und die Konsequenzen, zwar schweren Herzens, aber tapfer, ertragen.

Ein Leben hat sich erfüllt, das überdurchschnittlich und ungewöhnlich war, große Höhen und bittere Tiefen eingeschlossen. Dabei waren Begriffe wie Herkunft, Heimat, Heimweh in seiner Biographie von besonderer, individueller Note. Seine häufig wechselnden Lebensräume fanden erst ihren letzten Ort in seiner Seelenheimat im Oberengadin. Hier, wo wir als Familie über 40 Jahre lang unsere schönsten Zeiten miteinander verbracht haben. Hier wollte er nach seinem 75. Geburtstag sein. Dieser Ort hatte auch schon einige andere wie Nietzsche, Hesse, Thomas Mann und selbst Adorno glücklich gemacht.

Thomas Mann, sein Lieblingsdichter, hat ein mal gesagt: "Das Oberengadin ist der schönste Aufenthalt. Nicht leicht spreche ich von Glück, aber ich glaube beinahe, ich bin hier glücklich!" Könnte mein Vater genauso gesagt haben, mit der ihm eigenen, ewigen Skepsis: "Ich glaube beinahe." Denn wenn er eines erlebt hat, dann das, dass im Leben nichts von Dauer ist!

Mein Vater wurde am 1. Dezember 1929 in Hannover in äußerst bescheidenen Verhältnissen geboren. Die Familie wurde schon bei einem der ersten Luftangriffe auf Hannover völlig ausgebombt. Später dann noch einmal.

Mein Vater erzählte uns wenig von früher, aber besonders verblieb in unserem Kindergedächtnis, dass er "gerne", wie er sagte, in der Kinderlandverschickung war, da habe er im Gegensatz zu den anderen Kindern nämlich kein Heimweh gehabt und es gab genug zu essen.

Statt an den Nachmittagen des Deutschen Jungvolks, die sogenannten Pimpfe, der 10 bis 14 Jährigen, Vorstufe zur Hitlerjugend, teilzunehmen, schwänzte er und versteckte sich regelmäßig in Schrebergärten mit einem Freund: "Bei denen habe es ihnen einfach nicht gefallen."

Seine Mutter starb als er fast 15 Jahre alt war, am Ende des Krieges. Mit dem Stiefvater verstand er sich nicht und er ging ab da an eigene Wege. Er fand verständnisvolle Lehrer und Mentoren, die ihn im Nachkriegsdeutschland forderten und förderten. Da er kein Geld hatte, musste er mit 15 arbeiten und es war ein Glücksfall, dass er an die Hannoversche Presse vermittelt wurde und dort 80 DM im Monat verdiente. Er wurde mit 18 Volontär, obwohl diese dort erst mit 21 Jahren eingestellt wurden.

Bald wurde er vorzeitig Redakteur und konnte dadurch eine Stelle in Göttingen antreten, verdienen und dort parallel Volkswirtschaft studieren. Parallel arbeitete er noch als Sportreporter. Er ernährte inzwischen eine kleine Familie. Dabei lernte er – wie er oft betonte – kurz, bündig und auf den Punkt zu formulieren. Die Berichte von Sport- und sonstigen Ereignissen musste er seiner Redaktion zu bestimmten Zeiten druckfertig per Telefon durchgeben.

Das habe ihm beim Studium und seiner zukünftigen Arbeit sehr genutzt. Zeitlebens war er berühmt für seine kurzen Briefe, die einfachen Formulierung komplizierter Sachverhalte und die Kritik, wenn andere das nicht so konnten. Er fand vor allem in Zeiten der Bundesbank kongeniale Mitarbeiter, die sich auf ihn einzustellen wussten, dann konnte er großzügig sein, auch im Delegieren.

Ich überspringe die vielen Einzelheiten seines interessanten Lebensweges. Nur so viel:

Als er gerade zum Staatssekretär ernannt wurde, verunglückte seine erste Frau tödlich und er war mit zwei Kindern allein. Ein Schicksalsschlag, der nicht einfach zu meistern war.

In meiner Mutter fand er die nächsten 40 Jahre wieder eine Lebenspartnerin, an der er vor allem ihren Humor schätzte und die sich für seine Themen interessierte.

Meine Schwester und ich wurden dann gewissermaßen in die Bundesbank geboren. Als meine Schwester am 12. März 1979 zur Welt kam, liebte er es den Witz zu machen, es sei endlich was mit Hand und Fuß aus dem Zentralbankrat herausgekommen.

Ich bin meinem Vater ins Bankenwesen gefolgt. Und da ich die meiste Zeit meines Lebens im angelsächsischen Ausland verbracht habe, freut es immer besonders, wenn mich Menschen außerhalb Deutschlands ansprechen und sich an ihn erinnern und mit Respekt von ihm sprechen. Es wird mir dann immer bewusst, dass mein Vater international, vor allem in England und Amerika, sehr angesehen war. Er hatte nach seinem Rücktritt zahlreiche Aufsichtsratsmandate.

Ältere Väter haben übrigens einen Vorteil, irgendwann haben sie Zeit – Zeit zuzuhören. Mein Vater wollte in langen Telefonaten immer ganz genau wissen, was ich im Finanzwesen so mache. Er hatte natürlich alles dazu gelesen, wusste sehr gut Bescheid und hat mir oft gute Ratschläge gegeben. Er bedauerte besonders, einmal aus dem Amt, dass der Fluss der zugearbeiteten Informationen stoppte. Trotzdem war er immer mehr als andere informiert, weil Lesen sein Lebenselexier war. Und er hatte deshalb bis zum Schluss die interessantesten Gesprächspartner.

Seine schönste Zeit – und er war sehr sparsam mit solchen Festlegungen – war die Zeit in der Bundesbank, sagte er oft.

Und wie auch immer sein Rücktritt als Bundesbankpräsident interpretiert wurde, es ist ihm, wie ich von meiner Mutter weiss, unheimlich schwergefallen und er habe sehr, sehr lange mit sich gerungen. Und – er sei unausstehlich gewesen in jener Zeit. Er hat diesen Job geliebt. Für mich persönlich war sein Rücktritt ein wertvolles Lehrstück, was für ein Mann mein Vater war. Er war eben einer der Männer, die ihren Prinzipien immer treu blieben. Die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank und seine persönliche Unabhängigkeit waren so ein Prinzip. Das Privatleben war ihm auch sehr wichtig, die Familie, gute Freunde, gute Gespräche, gutes Essen, gute Weine. Viel Lesen. Und vor allem mit Freunden Lachen. Dafür musste auch Zeit sein!

Die Hauptabteilung Presse und Information der Bundesbank hatte ihm zum Andenken ein wunderbares Buch mit Fotos und Karikaturen gemacht, mit dem Titel eines Zitats aus dem Kölner Stadtanzeiger vom 8. September 1980: "Reden wir über das Schöne in der Welt  .....und nicht über Währungspolitik"! Unter dem Motto alles zu seiner Zeit.

Natürlich war Karl Otto Pöhl ein Mensch in seinem Widerspruch!

Er hatte die Gabe, schwierige Phasen wie einen Spaziergang aussehen zu lassen. Daher wurde er von manchem unterschätzt. Bei einem englischen Interview sagte er einmal: "In Germany you have to look overworked in order be taken seriously!"

Er hat eben viele Dinge mit Charme, Intelligenz und Witz in seine Form gebracht. Seine ungewöhnliche Lebensgeschichte erklärt, dass er kein einfacher Mensch war, kein einfacher Mensch sein konnte. Manchem war er unbequem – manchmal allerdings auch sich selbst. Stimmungsschwankungen gehörten zu seiner Grundausstattung. Anmaßung und Dummheit störten ihn über die Maßen.

Er war ein anständiger, großzügiger und toleranter Mensch, er war stark und unabhängig. Manchmal war er einsam, weil er es so wollte. Er hatte es schwer, Autoritäten anzuerkennen und wollte selbst keine sein. Hohe Fachkompetenz hingegen, eigene Leistung, Souveränität und Unabhängigkeit konnte er in höchstem Maße bewundern, anerkennen und Respekt erweisen, wie er allerdings auch Respekt für sich erwartete.

Ein Mann wie er war immer irgendwie im Mittelpunkt. Naturgemäß auch das Zentrum, die Sonne unserer Familie.

Er hat in den letzten Jahren seine Krankheiten mit großer Würde ertragen. So trifft das Kafka-Zitat, dass meine Mutter für die Todesanzeige ausgewählt hat besonders zu: "Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist!"

Ich danke Ihnen.