Banken und Gesellschaft in der Zeitenwende: Warum wir einen breiten Dialog brauchen Bundesbank-Symposium 2023 – Bankenaufsicht im Dialog

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr, Sie heute anlässlich des Bundesbank-Symposiums begrüßen zu dürfen.[1]

Es ist bereits die 24. Veranstaltung dieser Art – aber wohl keine zuvor hat in einer ähnlichen Umbruchphase stattgefunden. In den vergangenen Jahren wurde die Weltwirtschaft von schweren Schocks getroffen, die geopolitische und die makroökonomische Lage ist unsicher, krisenhafte Entwicklungen auf den Finanzmärkten im März dieses Jahres werfen ihre Schatten. Realwirtschaftlich steht eine Transformation an, um den Klimawandel effektiv zu begrenzen und mit den strukturellen Herausforderungen unserer Zeit umzugehen. All dies hat Implikationen für unsere liberale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die weit über den Finanzsektor hinausgehen.

Banken können diese Rahmenbedingungen nicht direkt beeinflussen, aber sie müssen sich darauf einstellen. Denn wie Banken und Aufsicht reagieren ist äußerst relevant: Robuste Banken, die ihre Risiken im Griff haben und gut kapitalisiert sind, leisten einen wichtigen Beitrag zu einer gelingenden Transformation. Gerade in Umbruchzeiten können wir uns aber nicht auf das Risikomanagement der Banken allein verlassen. Eine starke Aufsicht, die die Finanzstabilität wahrt und der Gesellschaft Vertrauen in die Stabilität der Banken gibt, ist wichtiger denn je.

Gerade weil die Aufsicht im Auftrag der Gesellschaft handelt, brauchen wir einen konstruktiven und umfassenden Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen. „Bankenaufsicht im Dialog“ – das Motto unserer Veranstaltungsreihe – ist also sehr breit definiert. Diesen Dialog möchten wir intensivieren. Wir möchten künftig noch stärker neben der Industrie mit relevanten Gruppen in der Gesellschaft in das Gespräch kommen, darüber informieren und diskutieren, was die Aufsicht leisten soll und kann, darüber sprechen, wie wir mit den Herausforderungen dieser Zeit umgehen können.

Daher möchte ich heute drei Thesen mit Ihnen diskutieren:

  1. Die Wirtschaft befindet sich in einem Strukturwandel, der Realwirtschaft und Finanzsektor gleichermaßen betrifft.
  2. Die Banken spielen eine zentrale Rolle für eine erfolgreiche Transformation – und sind dabei Risiken ausgesetzt, die ein gutes Risikomanagement und eine starke Aufsicht erfordern.
  3. Wir brauchen eine gesellschaftliche Diskussion über die Rolle der Banken in der Transformation und die Erwartungen an Aufsicht und Regulierung.

1 Die Wirtschaft befindet sich in einem Strukturwandel, der Realwirtschaft und Finanzsektor gleichermaßen betrifft.

Die deutschen und europäischen Banken haben die Stressphasen an den internationalen Märkten im März 2023 recht glimpflich überstanden. Die Gewinne der Banken sind zuletzt gestiegen, Kapital- und Liquiditätskennziffern sind stabil.[2] Seit der Finanzkrise wurden strengere Regulierungen umgesetzt, und die Aufsicht verbessert, insbesondere haben wir einen funktionierenden europäischen Aufsichtsmechanismus. Wir haben die Schwerpunkte der Aufsicht in den vergangenen Jahren angepasst, um Risiken noch besser adressieren zu können und Probleminstitute frühzeitiger zu erkennen.[3] Aber ganz sicher haben die Banken auch von den massiven fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahre profitiert, durch die Schocks aufgefangen wurden.

Die gute Lage darf daher nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in den vergangenen Jahren Verwundbarkeiten aufgebaut haben. Nach vielen Jahren stabilen Wachstums, niedriger Inflation und niedrigen Zinsen war die Risikovorsorge der Banken stark gesunken. Kreditrisiken waren gering. Inzwischen wurde die Wirtschaft von schweren Schocks getroffen. Inflation und Zinsen sind deutlich gestiegen, die Unsicherheit ist hoch. Die Zinsen sind bereits stärker gestiegen, als wir es in adversen Szenarien der Vergangenheit angenommen haben.

Die Aufsicht hat daher Maßnahmen ergriffen, um die Folgen dieser Verwundbarkeiten zu begrenzen. Zinsänderungsrisiken sind ein Hauptaugenmerk. Rund zwei Drittel der durch die Bundesbank beaufsichtigten Institute müssen zusätzliche Anforderungen an das Eigenkapital erfüllen, um gestiegenen Zinsänderungsrisiken zu begegnen. Aktuell liegen die Einlagezinsen im Schnitt noch bei 0,22%[4] und sind damit weniger stark gestiegen als die Leitzinssätze der Notenbank. Sollten Einlagen aus niedrig verzinsten Sicht- in höher verzinsliche Termineinlagen umgeschichtet werden, würde dies die Zinsmargen der Banken reduzieren. Die laufende Aufsicht hält die beaufsichtigten Institute dazu an, Zinsänderungsrisiken konservativ zu modellieren, indem zum Beispiel bei Einlagen ohne feste Zinsbindung eine durchschnittliche Laufzeit von weniger als 5 Jahren ausgegangen werden soll.[5]

Zudem werden der EU-weite Stresstest der European Banking Authority (EBA) und der parallel dazu laufende SSM-weite Stresstest der EZB Ende Juli weitere Erkenntnisse zur Widerstandsfähigkeit der Banken liefern. Untersucht werden ein Basis- und ein adverses Szenario über den Zeitraum 2023 bis 2025. Im adversen Szenario wird dabei eine Verschärfung der geopolitischen Spannungen simuliert, was zu einem starken Rückgang des BIP bei anhaltend hoher Inflation und hohen Zinsen führen würde.[6]

Vor uns liegen fundamentale, strukturelle Veränderungen der Wirtschaft, die eine hohe Resilienz der Banken erfordern. Künftig werden die Banken in einem deutlich volatileren und risikoreicheren Umfeld arbeiten müssen. Resilienz – die Fähigkeit, Schocks zu verkraften, in Krisen zu funktionieren und nicht unter Druck zu zerbrechen – ist essentiell, damit der Strukturwandel gelingt.[7]

Denn neben Änderungen des makroökonomischen Umfelds wirken verschiedene globale Trends auf die deutsche Wirtschaft und erfordern Anpassungen auf Seiten der Banken und Unternehmen:

  • Digitalisierung: Digitaler Fortschritt ist bereits seit langem angelegt – die Pandemie hat seinen Einfluss aber enorm beschleunigt. Als Folge der Pandemie stieg die Nutzung mindestens einer digitalen Dienstleistung in Europa von 81% auf 95%.[8]
  • Dekarbonisierung und Klimapolitik: Die Notwendigkeit, klimapolitisch handeln zu müssen, ist seit langer Zeit bekannt. Die Dringlichkeit, politisch die richtigen Weichen zu stellen, dabei die sozialen Kosten einer Verteuerung der Preise für CO im Blick zu haben und international abgestimmte Lösungen zu finden, hat sich aber in den letzten Jahren erhöht.
  • Deglobalisierung: In den vergangenen Jahrzehnten ist die Weltwirtschaft deutlich enger zusammengewachsen. Zuletzt hat allerdings eine Reihe von Schocks diesen Trend gestoppt und in Teilen bereits umgekehrt. Gestiegene geopolitische Risiken und sicherheitspolitische Erwägungen können zu einer stärkeren Fragmentierung der Weltwirtschaft führen.
  • Demografie: Die Folgen demografischen Wandels sind bereits jetzt am Arbeitsmarkt spürbar. Viele Unternehmen sind von Fachkräftemangel betroffen, insbesondere im Dienstleistungssektor und damit auch die Banken.[9]

Dieser Strukturwandel erfordert weitreichende realwirtschaftliche Anpassungen. In seinem jüngsten Jahresgutachten beschreibt der Sachverständigenrat die mittel- bis langfristigen Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft.[10] Höhere Energiepreise werden den Strukturwandel insbesondere in energie- und handelsintensiven Wirtschaftszweigen beschleunigen. Stark vom Außenhandel abhängige Unternehmen werden Lieferketten stärker diversifizieren und Abhängigkeiten reduzieren müssen. Der Wettbewerb um Arbeitskräfte wird sich erhöhen. 

Strukturwandel bedeutet immer auch eine große Unsicherheit. Wir wissen heute noch nicht, welche Unternehmen sich am besten an die neuen Gegebenheiten anpassen können, welche neuen Unternehmen in den Markt eintreten, welche Innovationen entstehen. Mit diesen fundamentalen Unsicherheiten müssen Banken umgehen – und ihre Kreditrisiken entsprechend gut managen.

Parallel hierzu nimmt der Wettbewerbsdruck auf die Banken zu. In der Bankenunion wurde zuletzt rund ein Viertel der Kredite von Nichtbanken vergeben – 2008 waren es 15%.[11] In Deutschland halten Banken die Hälfte der finanziellen Aktiva – 2008 waren es noch 70%.[12] Zudem ermöglichen es neue Technologien, die Wertschöpfungskette der Banken zu zerlegen. Etablierte Banken mit veralteten IT-System können gegenüber neuen Anbietern digitaler Dienstleistungen technologisch im Nachteil sein. Umfragen zeigen, dass die Banken sehr unterschiedliche Strategien haben, um mit den Herausforderungen der Digitalisierung umzugehen.[13]

Digitalisierung kann zudem Änderungen im Verhalten der Kunden fördern. Die Banken in Deutschland finanzieren sich zu mehr als 40% über Einlagen ihrer Kunden.[14] In der Niedrigzinsphase hat sich die Struktur der privaten Einlagen stark verschoben – der Anteil kurzfristig abrufbarer Sichteinlagen ist seit 2008 von 30% auf gut 60% im April 2023 gestiegen.[15] Bislang galten Einlagen als stabile Form der Finanzierung mit einer relativ geringen Zinssensitivität. Onlinebanking und Digitalisierung könnten allerdings das Verhalten von Kunden verändern und schnellere Abzüge von Einlagen ermöglichen.

In den amerikanischen Krisenbanken waren es im März vor allem ungesicherte Einlagen, die besonders schnell abgeflossen sind.[16] Viele dieser Einlagen waren stark im Technologiesektor konzentriert.[17] Die Finanzierungssituation der deutschen Banken ist eine andere; Institutssicherung und freiwillige Einlagensicherung führen zu einem zusätzlichen Schutz der Einlegerinnen und Einleger. Zudem sind die Einlagen bei den deutschen Banken nicht so stark konzentriert. Und selbst Banken mit einem höheren Anteil ungedeckter Einlagen haben Zentralbankguthaben oder Sichteinlagen bei anderen Banken, um Einlagenabflüsse in größerem Umfang bedienen zu können.

Auf die Frage, welche Lehren die Aufsicht aus den Entwicklungen in den USA zieht und welche Rolle das Risikomanagement der Banken spielt, wird Karlheinz Walch heute Nachmittag eingehen.

Als Reaktion auf diese Änderungen im wettbewerblichen Umfeld müssen Banken ihre Geschäftsmodelle anpassen. Können Einlagen weiterhin als relativ stabile und verlässliche Finanzierungsquelle gesehen werden? Wie viele Niederlassungen werden benötigt? Von welchen Standorten aus können Backoffice-Funktionen bereitgestellt werden? All dies sind wichtige strategische Entscheidungen, die das Management der Banken treffen muss. Für die Aufsicht ist eine gute Analyse der Geschäftsmodelle und des wettbewerblichen Umfelds wichtig, da beides unmittelbare Konsequenzen für die Resilienz der Banken hat.

2 Banken haben eine zentrale Rolle für eine erfolgreiche Transformation – sind dabei aber auch Risiken ausgesetzt.

Banken haben eine wichtige Funktion für die Finanzierung des Wandels und müssen gleichzeitig die damit einhergehenden Risiken gut managen. Das Finanzsystem ist das Herz-Kreislauf-System einer funktionierenden Realwirtschaft – es sollte Finanzmittel dorthin lenken, wo sie am meisten benötigt werden, und Risiken dorthin verteilen, wo sie am besten getragen werden können.

Das heißt aber auch: Alle Entscheidungen, die wir als Gesellschaft treffen, wie die Transformation verläuft, wie gut der Wandel gelingt, aber auch wo nötige Anpassungen aufgehalten werden, spiegeln sich letztlich in den Bilanzen der Banken. Eine gute Wirtschaftspolitik, die die richtigen Anreize schafft, über einen langen Zeitraum klare Leitplanken setzt und die Fiskalpolitik nicht überfordert, handelt im besten Interesse stabiler Banken.

Wie stark sind die Banken von dem realwirtschaftlichen Strukturwandel betroffen? Einen Hinweis liefern sektorale Kreditportfolien. Deutsche Banken vergeben rund ein Drittel ihrer Unternehmenskredite[18] im Immobilienbereich, gefolgt von der verarbeitenden Industrie und dem Handel mit jeweils knapp 10%. All dies sind Bereiche, die vor erheblichen strukturellen Herausforderungen stehen.

Die üblichen Risikomodelle können den Strukturwandel nur schlecht abbilden. Denn letztlich beruhen diese Modelle auf den Erfahrungen der Vergangenheit. In Umbruchzeiten können wir aus den Anpassungsmustern der Vergangenheit aber kaum Erwartungen über die Zukunft abgeleitet werden. Das gilt aktuell in besonderem Maße: Trotz schwerer Schocks, die die Wirtschaft getroffen haben, sind die notleidenden Kredite nicht wesentlich gestiegen. Mit rund 1,3% Ende 2022 blieben sie auf einem niedrigen Niveau. Entsprechend gering waren Rückstellungen für notleidende Kredite bei den Banken.[19]

Umfangreiche wirtschaftspolitische Maßnahmen sind ein Grund dafür, dass sich der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Kreditrisiken gelockert hat. Hinzu kommt, dass die Risikomodelle der Banken nicht „trainiert“ wurden, um in einem Szenario gestiegener Zinsen, sektoraler Anpassungen und hoher makroökonomischer Unsicherheit Auskunft über künftige Risiken zu geben. Das heißt: Banken sollten künftige Kreditrisiken auf Basis möglichst adverser Szenarien berechnen und Ermessensspielräume so nutzen, dass wenig aussagekräftige Daten der Vergangenheit die Ergebnisse der Modelle nicht verzerren.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich strukturell notwendige Anpassungen nicht einfach auf Ebene einer Verschiebung zwischen den Sektoren zeigen. Ein Großteil der Anpassung wird innerhalb der Sektoren stattfinden. Unternehmen in demselben Sektor werden es unterschiedlich gut schaffen, mit den neuen Rahmenbedingungen umzugehen. Um die Risiken der Transformation abzuschätzen, müssen Banken und Aufseher daher eine detailliertere Perspektive einnehmen. Das betrifft zum Beispiel die Auswirkungen von Klimarisiken. Ein Kredit an eine Glasmanufaktur beispielweise geht mit unterschiedlichen Klimarisiken einher, je nachdem, ob die Glasschmelze mit regenerativ erzeugtem Strom erfolgt oder unter Einsatz von Erdgas. Standardisierte Offenlegungspflichten sind daher wichtig, damit Kreditrisiken belastbar eingeschätzt und eine entsprechende Risikovorsorge getroffen werden kann. 

Klimastresstests zeigen, wie stark Banken von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen wären. In einem aktuellen Klimarisikostresstest haben wir modelliert, wie sich ein Anstieg der CO2-Preise auf bis zu 345 US-Dollar auf die Finanzkennzahlen einzelner Banken auswirken würde. Angenommen werden unterschiedliche Szenarien: In einem Szenario steigen die Preise schrittweise und nicht plötzlich, die Portfolien der Banken werden also nicht über Nacht neu bewertet.[20] Im zweiten Szenario wird zwar ein plötzlicher, aber moderater CO-Preisanstieg auf 200 Euro pro Tonne simuliert. Betrachtet werden somit Transitionsrisiken im Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft, keine physischen Risiken. 

Die Ergebnisse zeigen, dass Kreditrisiken der CO2-intensiven Sektoren zu Verlusten bei Banken führen können.[21] Diese Verluste scheinen über den gesamten Bankensektor hinweg jedoch verkraftbar. Im Kern bestätigen diese Ergebnisse daher frühere Klimarisikoanalysen der Bundesbank.[22] Ein Grund hierfür ist, dass Kredite an Sektoren, die Klimarisiken besonders ausgesetzt sind, insgesamt rund 9% der Unternehmenskredite betragen. Einzelne Institute können hingegen stark betroffen sein. Die Ergebnisse dieses Klimarisikostresstests werden Susanne Korbmacher und Alexander Schulz heute Nachmittag präsentieren.

Parallel hierzu haben wir die Banken befragt, wie sie Nachhaltigkeitsrisiken messen und bewerten.[23] Rund zwei Drittel der Institute steht mit der Umsetzung aufsichtlichen Empfehlungen zu Nachhaltigkeitsrisiken erst am Anfang. Nur ein kleiner Anteil, vorwiegend größere Institute, führt interne Stresstests und Szenarioanalysen durch. Eine Rückkopplung der Ergebnisse in die strategischen Überlegungen oder das Risikomanagement erfolgt bisher nur begrenzt. Die Institute sollten daher über Methoden und Prozesse verfügen, um Nachhaltigkeitsrisiken zu bestimmen und in das Risikomanagement einbeziehen zu können.

3 Wir brauchen eine gesellschaftliche Diskussion über die Rolle der Banken in der Transformation und die Erwartungen an Aufsicht und Regulierung.

Banken handeln in einem Spannungsfeld von Ertrag und Risiko. Das gilt auf Ebene der einzelnen Banken, das gilt aber auch volkswirtschaftlich. Stabile Banken ermöglichen Wachstum und ein gutes Management von Risiken; Banken, die unter Stress geraten, können schwerwiegende Kosten für Wachstum, Innovationen und den sozialen Zusammenhalt haben.

Wie wollen wir diese Abwägung zwischen Wachstum und Stabilität treffen? Wachstum und Strukturwandel sind nicht ohne Risiken zu haben. Aber wer soll diese Risiken tragen? Wie „streng“ soll die Aufsicht sein? Welche Risiken sind akzeptabel für die Gesellschaft? Kurzum: Welche Rolle Banken für die Volkswirtschaft und Gesellschaft spielen, entscheidet sich nicht allein an der Vergabe von Krediten und der Finanzierung der Wirtschaft, sondern auch an den Risiken, die damit verbunden sind.[24]

Eine effektive Bankenaufsicht übernimmt in diesem Sinne eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe.[25] Denn Banken finanzieren sich über Einlagen, die wiederum durch eine Einlagenversicherung abgesichert sind. Damit keine Fehlanreize entstehen, braucht es Regulierung von Banken und eine Aufsicht, die Risiken überwacht.[26] Hinzu kommt, dass der größte Teil des umlaufenden Geldes von privaten Banken emittiert wird – im Eurosystem sind das etwa 90%. Nur ein kleiner Teil, etwa 10% der Geldmenge M3, wird von Notenbanken in Form von Bargeld bereitgestellt.[27] Für die Stabilität und das Vertrauen in Geld spielen also solide Banken – und damit eine starke Aufsicht – eine wesentliche Rolle.

Nach der globalen Finanzkrise wurden Regulierung und Aufsicht verbessert. Anforderungen an das Eigenkapital und die Liquidität wurden gestärkt, gerade für große, systemrelevante Banken. Derivatemärkte wurden reformiert. Der einheitliche europäische Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) wurde etabliert. Diese Reformen haben die Widerstandsfähigkeit des Bankensystems gestärkt – die oft befürchteten Nebenwirkungen einer geringeren Kreditvergabe oder stärker fragmentierter Märkte sind nicht eingetreten.[28]

Heute stehen wir an einer ähnlichen Wegmarke und müssen die Weichen für das Finanzsystem der Zukunft stellen. Lassen Sie mich zwei wesentliche Fragen herausgreifen. Zum einen ist in den vergangenen Jahren intensiv diskutiert worden, wie die Aufsicht auf die zunehmende Digitalisierung von Finanzdienstleistungen reagieren sollte. Sollen neu auf den Markt tretende Anbieter genauso reguliert werden wie traditionelle Banken? Oder würde das den Wettbewerb über Gebühr behindern? Welche Risiken entstehen dabei?

Aufsicht sollte möglichst „neutral“ sein, also neue Technologien nicht behindern, gleichzeitig aber risikoorientiert regulieren. In diesem Sinne hat die europäische Regulierung wichtige Leitplanken für den Umgang mit neuen Technologien wie Krypto-Assets gesetzt.[29]

Klar ist, dass Aufsicht und Regulierung Klimarisiken berücksichtigen müssen. Klimarisiken behandelt die Aufsicht grundsätzlich wie andere Risiken– Banken sollten diese Risiken kennen und steuern, und die Aufsicht gibt hierfür einen Rahmen vor. Ein mögliches Absenken von Standards der Regulierung, um klimapolitische Ziele zu erreichen, läge aber außerhalb des aufsichtlichen Mandats. Geringere Kapitalanforderungen senken zudem die Widerstandskraft der Banken – und letztlich ihre Fähigkeit, die ökologische Transformation zu finanzieren.

Die Antworten auf die Fragen nach dem Umgang mit neuen Technologien und neuen Risiken kann nicht die Aufsicht alleine geben. Wir handeln im Auftrag der Gesellschaft – und damit steckt die Politik den Rahmen ab, in dem wir agieren. Und wir sind der Politik Rechenschaft darüber schuldig, was wir tun.

Für ein stabiles Finanzsystem ist ein breiter gesellschaftlicher Dialog nötig. Mit den beaufsichtigten Instituten sind wir naturgemäß in engem Kontakt. Aber das relevante Ökosystem ist sehr viel breiter: Rating-Agenturen, Analysten, Unternehmen und private Haushalte als Nutzerinnen und Nutzer von Dienstleistungen der Banken, Nichtregierungsorganisationen, Journalisten und Medien, die Wissenschaft – letztlich profitieren alle Teile der Gesellschaft von einem stabilen Finanzsystem und können ihren Beitrag leisten, wenn wir die Rolle und Zukunft des Finanzsystems diskutieren.

Künftig wollen wir unsere Formate für einen gesellschaftlichen Dialog ausbauen. Bereits jetzt gibt es die Reihe „Bundesbank im Dialog“ – dieses wollen wir künftig stärker nutzen. Im Herbst werden wir eine neue Diskussionsreihe starten, die sich damit beschäftigt, wie sich der Strukturwandel – Digitalisierung, Demografie, Dekarbonisierung und Deglobalisierung – auf den Wettbewerb und die Risiken im Bankensektor auswirken.

Zudem werden wir uns an den Veranstaltungen zum 10-jährigen Jubiläum der europäischen Aufsicht im kommenden Jahr beteiligen. Die europäische Aufsicht ist ein Beispiel für eine gelungene Integration. Eine aktuelle Evaluierung durch die Europäische Kommission zeigt, dass der SSM die Banken gut und proaktiv beaufsichtigt.[30] Nationale und europäische Aufsicht wirken positiv zusammen und bilden so Vertrauen. Für das Jubiläum sind europaweit Veranstaltungen geplant, von einer Ausstellung bis hin zu internationalen Forschungskonferenzen und Workshops.

4 Fazit

Banken sind vom Strukturwandel doppelt betroffen. In ihren Bilanzen spiegeln sich die Anpassungen in der Realwirtschaft, gleichzeitig stehen sie selbst vor einer digitalen Transformation.

Eine starke Aufsicht ermöglicht es dem Finanzsystem, auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gut zu funktionieren. Die jüngsten Turbulenzen auf den internationalen Bankenmärkten haben gezeigt, wie wichtig effektive Regulierung und Aufsicht sind. Gerade die enge Zusammenarbeit in Europa hat sich hier ausgezahlt.

Um die Weichen für ein auch künftig stabiles Finanzsystem zu stellen, brauchen wir einen breiten gesellschaftlichen Dialog zur Rolle der Banken in der Transformation und dem Umgang mit Risiken. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine erfolgreiche Tagung und einen guten Austausch!
 

5 Quellenverzeichnis

Barth, James R., Gerard Caprio und Ross Levine (2012). Guardians of Finance: Making Regulators Work for UsThe MIT Press. Cambridge, Massachussetts.

Brunnermeier, Markus K. (2021). Die resiliente Gesellschaft: Wie wir künftige Krisen besser meistern können. Aufbau Verlag. Berlin.

Deutsche Bundesbank (2021). Finanzstabilitätsbericht 2021. Frankfurt a. M.

Deutsche Bundesbank (2023). Monatsbericht, April 2023. Frankfurt a.M.

Dewatripont, Mathias und Jean Tirole (1994). The prudential regulation of banks. The MIT Press. Cambridge, Massachussetts.

Financial Stability Board (2021). Evaluation of the Effects of Too-Big-To-Fail Reforms, Final Report. April 2021. Basel.

Basel Committee on Banking Supervision (2022). Evaluation of the impact and efficacy of the Basel III reforms. Dezember 2022. Basel.

Hellwig, Martin (2000). Banken zwischen Politik und Markt: Worin besteht die volkswirtschaftliche Verantwortung der Banken? Perspektiven der Wirtschaftspolitik 1(3): 337-356.

Enria, Andrea (2023). The role of banks in mitigating systemic risks arising in the non-bank financial sector. Rede anlässlich der ECB conference on Counterparty Credit Risk am 20.6.2023. 

ifo Institut (2023). Mangel an Fachkräften entspannt sich leicht. Pressemitteilung vom 15. Februar 2023. Abrufbar unter: Mangel an Fachkräften entspannt sich leicht | Pressemitteilung | ifo Institut.

Koont, Naz, Tano Santos und Luigi Zingales (2023). Destabilizing Digital 'Bank Walks' (8. Mai 2023). Abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.44443273.

Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2022). Energiekrise solidarisch bewältigen, neue Realität gestalten. Jahresgutachten 2022/23. Bonifatius GmbH Druck-Buch-Verlag, Paderborn.

Wuermeling, Joachim (2022). Gemeinsam für ein stabiles und leistungsfähiges Finanzsystem: Zusammenspiel von Kreditwirtschaft und Aufsicht. Rede beim 5. DK-Forum zu Aufsicht und Regulatorik 2022 am 15.06.2022.

Fußnoten:

  1. Mein herzlicher Dank gilt Roman Goldbach, Jakob Hartmann, Laura-Chloé Kuntz, Alexandra Mitschke und Joachim Zwanzger für Beiträge und Kommentare zu einer früheren Fassung dieses Textes. Alle verbliebenen Fehler und Ungenauigkeiten liegen in meiner Verantwortung.
  2. Der deutsche Bankensektor weist derzeit ein Überschusskapital von knapp 150 Milliarden Euro auf, er hält damit gut ein Viertel mehr Kapital vor als regulatorisch vorgegeben. Die Liquidity Coverage Ratio für deutsche Institute betrug im März 2023 durchschnittlich rund 160%, für signifikante Institute 147%. Berechnungen der Bundesbank auf Basis des bankaufsichtlichen Meldewesens (COREP).
  3.  Zu der Frage, wie Aufsicht und Regulierung auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagieren vgl. Wuermeling (2022).
  4. Berechnungen der Bundesbank auf Basis der MFI Zinsstatistik.
  5. Vgl. BaFin - Rundschreiben - Rundschreiben 06/2019 (BA) - Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch.
  6. Vgl. EU-wide stress testing | European Banking Authority (europa.eu).
  7. Vgl. Brunnermeier (2021).
  8. Vgl. https://www.mckinsey.com/capabilities/mckinsey-digital/our-insights/europes-digital-migration-during-covid-19-getting-past-the-broad-trends-and-averages?cid=eml-web.
  9. Vgl. ifo Institut (2023).
  10. Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2022).
  11. Vgl. Enria (2023).
  12. Diese Informationen wurden berechnet auf Grundlage der gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnung der Bundesbank. Vgl. Finanzierungsrechnung | Deutsche Bundesbank.
  13. Signifikante Institute haben im Jahr 2021 durchschnittlich 2,8% ihres Betriebsergebnisses in Projekte zur digitalen Transformation investiert, rund 5% ihres Personals sind in diesen Projekten tätig. Diese Informationen basieren auf einer Umfrage der EZB. Vgl. Take-aways from the horizontal assessment of the survey on digital transformation and the use of fintech (europa.eu).
  14. Bezogen auf den Anteil der Einlagen und aufgenommenen Kredite von inländischen und ausländischen Nichtbanken an der Bilanzsumme. Berechnungen der Bundesbank auf Basis der monatlichen Bilanzstatistik (BISTA).
  15. Berechnungen der Bundesbank auf Basis der monatlichen Bilanzstatistik (BISTA).
  16. Vgl. Koont, Naz, Tano Santos und Zingales (2023).
  17. Vgl. Review of the Federal Reserve’s Supervision and Regulation of Silicon Valley Bank.
  18. Das Kreditvolumen an nichtfinanzielle Unternehmen betrug etwa 1,6 Billionen Euro zum Stichtag 31.03.2023. Berechnungen der Bundesbank auf Basis der Kreditnehmerstatistik.
  19. Berechnungen der Bundesbank auf Basis des bankaufsichtlichen Meldewesens (FINREP).
  20. Es wurde angenommen, der CO2-Preis steige schrittweise von 213,24 US-Dollar in 2024 auf 266,55 US-Dollar in 2025 und 345,07 US-Dollar in 2026.
  21. Die Einstufung, ob ein Sektor CO2-intensiver ist oder nicht, wurde an der Teilnahme des entsprechenden Sektors am europäischen CO2-Emissionszertifikatehandel festgemacht. Vgl. Deutsche Bundesbank (2023).
  22. Vgl. Deutsche Bundesbank (2021).
  23. Unsere im März abgeschlossene Erhebung erfragte den bisherigen Umsetzungsstand des BaFin-Merkblatts zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken. Vgl. Ergebnisse der strukturierten Erhebung zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken unter deutschen Instituten | Deutsche Bundesbank.
  24. Vgl. Hellwig (2000, S. 354).
  25. Vgl. Barth, Caprio und Levine (2012).
  26. Vgl. Dewatripont und Tirole (1994).
  27. Die Geldmenge M3 schließt auch Geldmarktfondsanteile ein, deren Anteil etwa 4% beträgt. Berechnungen der Bundesbank auf Basis der monatlichen Bilanzstatistik.
  28. Vgl. Financial Stability Board (2021) und Basel Committee on Banking Supervision (2022).
  29. Auf EU-Ebene stellen die Markets in Crypto-Assets (MiCA) Regulation und der Digital Operational Resilience Act (DORA) wichtige Projekte zur Steuerung digitaler Risiken dar. Auf globaler Ebene wird der Baseler Standard zu Krypto-Exposures vorbereitet.
  30. Vgl. eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52023DC0212