Begrüßungsworte bei der G20-Auftaktveranstaltung

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Sehr geehrter Herr Minister Schäuble,
sehr geehrter Herr Botschafter Shi Mingde,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

im Namen der Deutschen Bundesbank begrüße auch ich Sie herzlich zur Auftaktveranstaltung der deutschen G20-Präsidentschaft.

Das Gespräch erleichtert das gegenseitige Verständnis und gegenseitiges Verständnis ermöglicht gemeinsames Handeln. Die Fortentwicklung der G20 zum zentralen Forum der internationalen wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit war deshalb die richtige Antwort auf die globale Finanzkrise.

"A global crisis requires a global solution." So stand es im G20-Kommuniqué im April 2009 und in einer immer vernetzteren Welt gewinnt die Zusammenarbeit auch in Nicht-Krisenzeiten stetig an Bedeutung.

Während die Treffen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs erst seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 stattfinden, war das Gründungstreffen der G20 auf Ebene der Finanzminister und Notenbankgouverneure bereits vor ziemlich genau 17 Jahren hier in Berlin.

Dieser Meinungsaustausch innerhalb des Finanzstrangs der G20 zum Beispiel auf dem Feld der Finanzmarktregulierung ist die Grundlage für ein koordiniertes politisches Handeln. Auf dem Weg zu einem stabileren internationalen Finanzsystem wurden mittlerweile große Fortschritte erzielt. Es wäre jedoch verfrüht zu sagen: "Mission accomplished".

So zeigen auch die laufenden Verhandlungen über die Finalisierung von Basel III, dass wir immer noch darum ringen, die richtige regulatorische Antwort auf die Finanzkrise zu finden, zumindest was die konkrete Umsetzung betrifft.

Während der Verhandlungen des Baseler Ausschusses in den vergangenen Tagen in Santiago de Chile haben sich die unterschiedlichen Positionen zwar weiter angenähert und es konnten viele offene Fragen geklärt werden, eine Einigung wurde jedoch nicht erzielt. Wir werden daher weiter mit Nachdruck daran arbeiten, bis Anfang Januar – wenn sich die Chefs der Notenbanken und der Bankaufsichtsbehörden treffen – zu einem Abschluss der Verhandlungen zu kommen, denn auch die regulatorische Unsicherheit belastet die Funktionsfähigkeit des Bankensektors.

Ein erfolgreiches Verhandlungsergebnis muss zum einen die Widerstandskraft des Finanzsektors weiter stärken, zum anderen muss es aber auch regional ausgeglichen sein und darf den risiko-orientierten Ansatz des Baseler Rahmenwerks nicht aushöhlen.

Die Krise und ihre ökonomischen Folgen haben uns allen vor Augen geführt, wie eng unsere Volkswirtschaften miteinander verknüpft sind. Das dürfen wir nicht vergessen. Auch dann nicht, wenn eine wachsende Anzahl von Menschen die Vorzüge von offenen Märkten und über Ländergrenzen hinweg stattfindendem Handel in Zweifel ziehen.

Natürlich dürfen wir aus der Feststellung, dass eine Volkswirtschaft von Globalisierung insgesamt profitiert, nicht den Schluss ziehen, dass jeder einzelne Arbeitnehmer und jedes einzelne Unternehmen von ihr profitieren. Und deshalb ist es auch verständlich, dass der zunehmende internationale Wettbewerbsdruck manchem Angst macht. Abschottung und Protektionismus wären jedoch die falschen Antworten auf diese Sorgen.

Die Globalisierung ist kein Nullsummenspiel. Im Gegenteil: Durch internationalen Handel geht es uns insgesamt besser. Diese Überzeugung einte die G20 nach dem starken Wirtschaftseinbruch infolge der Finanzkrise.[1] Denn Handel eröffnet die Möglichkeit zur Spezialisierung, so dass verstärkt Skalenvorteile genutzt werden können. Handel erleichtert außerdem den Wissenstransfer, fördert also die Verbreitung von Innovationen, begünstigt die produktiven Unternehmen zulasten der weniger produktiven und führt, kurz gesagt, zu einem höheren Wachstum. In dem Maße, in dem die Löhne mit dem Produktivitätswachstum verbunden sind, steigt damit auch der Lebensstandard.

Globalisierung verlangt den Menschen aber auch viel ab. Denn um die Chancen der Globalisierung nutzen zu können, müssen die Volkswirtschaften in der Lage sein, sich den ständig wandelnden Rahmenbedingungen anzupassen. Das bricht bestehende Strukturen auf und löst Unsicherheit aus.

Damit der Wandel vor allem eine Chance ist und nicht als Bedrohung empfunden wird, ist eine gute Ausbildung, aber auch eine lebenslange Weiterbildung entscheidend. Denn nur dann sind die Menschen in der Lage, mit den schnellen Veränderungen Schritt zu halten. Und die Unternehmen müssen in der Lage sein, flexibel zu reagieren. Das verlangt am Ende auch niedrige Markteintritts- und Marktaustrittsbarrieren.

All das sind wirtschaftspolitische Felder, auf denen die nationalen Regierungen durchaus Gestaltungsmöglichkeiten haben. Ebenso wichtig ist aber eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen den Nationen – und hier spielen die G20 eine zentrale Rolle.

Zu den großen Verdiensten der G20 gehört es etwa, dass ihre Mitglieder der Versuchung widerstanden, nach der Krise 2008/09 in großem Stil zu protektionistischen Maßnahmen zu greifen.

So ganz konnten sie dieser Versuchung aber anscheinend nicht widerstehen: Laut Zählung der Welthandelsorganisation (WTO) wurden von den G20-Staaten seit 2009 immerhin fast 1.600 handelsbeschränkende Maßnahmen ergriffen; nur ein Viertel davon wurde bereits wieder aufgehoben.[2]

Umso mehr hoffe ich, dass die G20 an ihrem Bekenntnis zu offenen Märkten mit fairem Wettbewerb festhält, dass Reformen für mehr Wachstum und Beschäftigung durchgeführt und nachhaltig solide Staatsfinanzen angestrebt werden.

Denn solide Staatsfinanzen sind eine entscheidende Grundlage für dauerhaftes Wachstum. Deshalb halte ich es auch für wichtig, gemeinsam darüber nachzudenken, was getan werden kann, damit die hohen staatlichen Schulden weniger Risiken für die Finanzstabilität bergen.

Ich denke hier insbesondere an die problematische Verknüpfung von Staaten und Banken, die nicht zuletzt dadurch entsteht, dass Banken einen regulatorischen Anreiz haben, übermäßig in Staatsanleihen zu investieren. Ich denke aber auch an die Einführung von BIP-indexierten Bonds, die bei kluger Ausgestaltung dazu beitragen könnten, das Risiko von staatlichen Zahlungsausfällen zu reduzieren.

2 Digitalisierung

Meine Damen und Herren,

Finanzminister Schäuble hat Ihnen ja bereits einen Ausblick auf die Prioritäten der deutschen Präsidentschaft geliefert.

Eines der Hauptthemen innerhalb des Finance Tracks wird die Digitalisierung des Finanzsektors sein und dieses Thema ist durchaus in Zusammenhang mit den anderen Prioritäten zu sehen. Schließlich tragen technische Innovationen ganz maßgeblich zur Widerstandsfähigkeit unserer Volkswirtschaften bei. Sie erhöhen die Produktivität, verbessern die Allokation von Risiken und können so die gesamtwirtschaftliche Dynamik stärken. Vieles hängt natürlich – wie immer – von der konkreten Umsetzung ab.

Für etablierte Akteure am Finanzmarkt bietet die Digitalisierung Möglichkeiten, kosteneffizienter zu arbeiten. Gleichzeitig stellt der verschärfte Wettbewerb in einem ohnehin schon schwierigen Umfeld eine zusätzliche Herausforderung dar.

"Die wichtigste Finanzinnovation der letzten 20 Jahre war der Geldautomat." Dieser berühmte Spruch von Paul Volcker, dem früheren Chairman der Federal Reserve, ist schon oft zitiert worden. Vor mittlerweile fast sieben Jahren, sprach Volcker sein vernichtendes Urteil über moderne Finanztechniken wie CDOs oder Credit Default Swaps. Diese hätten das Finanzsystem beinahe an den Abgrund geführt.

So ganz Unrecht hatte er damit ja auch nicht, denn der Missbrauch von Verbriefungstechniken hat sicherlich zur Finanzkrise beigetragen. Wenn Verbriefungen ihre positiven Funktionen erfüllen sollen, müssen sie einfach und transparent sein, aber auch klug reguliert werden. Und ich glaube, dass die Risiken aus Verbriefungen mittlerweile deutlich reduziert wurden. Aber darauf will ich hier gar nicht näher eingehen.

Vielmehr möchte ich den Blick auf die technologische Dimension von Finanzinnovationen richten, die in den vergangenen Jahren entwickelt wurden. Und diesbezüglich bin ich bei Weitem nicht so skeptisch wie Paul Volcker. Im Gegenteil: Ich glaube, dass sehr vielversprechende Innovationen geschaffen wurden, deren praktischen Nutzen wir uns zum Teil noch gar nicht so recht vorstellen können.

Denken Sie zum Beispiel an die Blockchain- oder allgemeiner formuliert: die Distributed Ledger-Technologie. Ursprünglich für die virtuelle Währung Bitcoin entwickelt, ermöglicht sie, ohne eine zentrale Institution einzuschalten, Eigentumsrechte von A nach B zu transferieren. So können mit dieser Technik zum Beispiel auch Wertpapiere übertragen werden.

Verantwortlich für diesen Entwicklungsschub sind nicht zuletzt die sog. Fintechs, also Start-ups im Bereich der Finanztechnologie. Der Fintech-Sektor ist in den vergangenen Jahren rasant gewachsen, und diese Entwicklung ist sowohl von angebotsseitigen als auch von nachfrageseitigen Faktoren getrieben.

Angebotsseitig spielt das Streben nach Kostenreduktion sicher eine wichtige Rolle. Und auf der Nachfrageseite ist es so, dass Kunden heutzutage einen nutzerfreundlichen und bequemen Zugang zu Finanzdienstleistungen erwarten, und zwar rund um die Uhr.

Und davon profitieren nicht nur technik-affine Verbraucher in entwickelten Volkswirtschaften. Gerade für die weniger entwickelten Volkswirtschaften bietet die Finanzdigitalisierung große Entwicklungschancen, finanzielle Inklusion ist hier das Stichwort. In Kenia, um ein besonders positives Beispiel zu nennen, ist der Anteil der Menschen, die ein Konto haben, innerhalb von drei Jahren von 42 % (2011) auf 75 % (2014) gestiegen.

Finanzielle Inklusion gilt als förderlich für wirtschaftliches Wachstum und weniger Ungleichheit.[3] Der Themenschwerpunkt Digitalisierung hat also auch Berührungspunkte mit dem dritten Schwerpunkt der deutschen G20-Präsidentschaft: Förderung von Investitionen in Afrika.

Gleichzeitig besteht jedoch ein Trade-off zwischen finanzieller Inklusion und Finanzstabilität. Wenn sich der Zugang zu Finanzdienstleistungen sehr schnell entwickelt – und das betrifft vor allem den Zugang zu Krediten – birgt diese an sich positive Entwicklung Risiken für die Finanzstabilität.

Denken Sie nur an die Mikrofinanzkrise in Indien (2010). Hier haben viele Menschen, die in finanziellen Angelegenheiten unerfahren sind, leicht Zugang zu Krediten bekommen, ohne sich der weitreichenden Konsequenzen bewusst zu sein. Deshalb muss auch die finanzielle Bildung ausgeweitet werden.

Darüber hinaus ist aber natürlich auch eine kluge Regulierung von Fintechs und des gesamten digitalen Finanzsektor erforderlich. Regulierungslücken dürfen keine Geschäftsmodelle begründen.

Zu den Zielen der deutschen Präsidentschaft zählt deswegen auch eine Bestandsaufnahme unterschiedlicher regulatorischer Ansätze. Außerdem wollen wir einen gemeinsamen Kriterienkatalog für die Regulierung von Fintechs entwickeln.

Ich bin sicher, die G20 ist eine ideale Plattform, um die Herausforderungen, die vor uns liegen, zu diskutieren, um best practices voneinander zu lernen und um unser politisches Rahmenwerk weiterzuentwickeln.

3 Schluss

Meine Damen und Herren,

stellen Sie sich vor, ein ehemaliger Notenbanker oder Finanzpolitiker wird in 20 Jahren gefragt, welche Finanzinnovationen der dann vergangenen beiden Jahrzehnte gesellschaftlich von Nutzen waren. Was wird er oder sie antworten? Vielleicht die Distributed Ledger Technologie, vielleicht auch Crowdfunding oder Robo Advice. Oder eine Technik, von der wir noch gar nicht gehört haben?

Ich wage hier keinen Tipp. Höchstens einen: Die Innovation wird grundlegender sein als der Geldautomat.

Klar ist aber, dass die Regulierer von heute die Möglichkeit haben, die Welt des digitalen Finanzsektors von morgen entscheidend zu prägen. Wir sollten das als Chance sehen und die Finanzdigitalisierung wohlwollend begleiten, ohne die damit verbundenen Risiken aus den Augen zu verlieren.

Heute war der Startschuss für diese Präsidentschaft und das ist der Anlass für unsere Feier heute Abend. Nun hoffe ich, dass wir gemeinsam einen schönen Abend miteinander verbringen.

Vor allem aber hoffe ich, dass wir im kommenden G20-Jahr eine gemeinsame Sicht auf die Themen unserer Präsidentschaft entwickeln können und für den Gipfel in Hamburg vorzeigbare Ergebnisse erarbeiten können.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

Fußnoten:

  1. OECD, ILO, WORLD BANK, WTO FINAL REPORT (2010), "Seizing the Benefits of Trade for Employment and Growth", Final Report prepared for submission to the G-20 Summit meeting Seoul (Korea), 11-12 November 2010.
  2. WTO (2016), Report on G20 Trade Measures, issued in June.
  3. R. Sahay et al (2015), "Financial Inclusion: Can It Meet Multiple Macroeconomic Goals?", IMF Staff Discussion Note 15/17, International Monetary Fund, Washington.