Das Projekt digitaler Euro: Ohne rechtliche Rahmensetzung geht es nicht Grußwort für den Tag des Bank- und Kapitalmarktrechts

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrte Frau Bergdolt,

meine sehr geehrten Damen und Herren, 

ich freue mich außerordentlich, zu Beginn des ersten Tages dieser Veranstaltung zu Ihnen sprechen zu dürfen. Es ist eine hervorragende Gelegenheit, Ihnen mit dem digitalen Euro ein Thema näherzubringen, bei dem in vielerlei Hinsicht juristisches Neuland betreten wird. 

Der ehemalige Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer bezeichnete „den Juristen“ in seiner früheren Zeit-Kolumne einmal als seiner Natur nach furchtsamen Mensch[en].

Natürlich stand bei dieser Zuschreibung der Unterhaltungswert der Kolumne im Zentrum. Aber es regt sich trotzdem Widerspruch in mir. 

Die Welt ist im Wandel. Die Digitalisierung schreitet voran. Neue Produkte, neue Geschäftsmodelle und neue Akteure tauchen auf. Gerade deshalb braucht es auf juristischer Seite eine große Neugierde auf die Welt, wenn sie als Anwältin oder Anwalt Mandanten auf dem Weg des Wandels begleitet.

Diese Neugierde und zudem einen Gestaltungswillen braucht es auch beim Gesetzgeber, schließlich muss er die Rahmenbedingungen so setzen, dass wirtschaftliche und gesellschaftliche Weiterentwicklung möglich wird. 

Neugierde und Gestaltungswillen werden auch beim Thema digitaler Euro benötigt. Unsere Währung ist ein Thema, das alle Menschen und Unternehmen betrifft. Daher geht die digitale Weiter­entwicklung der Währung auch alle an. 

Es gilt, Chancen zu nutzen. Dazu bedarf es eines Austauschs über Ziele, Absichten und Interessen. Es bedarf einer Verständigung, wie der digitale Euro ausgestaltet werden sollte. Und es muss auch klar sein, wie er genutzt werden kann. Angesichts der Vielzahl von Beteiligten ein komplexes Unterfangen. Ein wesentliches Fundament ist dabei die rechtliche Rahmensetzung.

2 Eine notwendige Weiterentwicklung

Zu Beginn möchte ich gern etwas zu den Grundlagen des digitalen Euro sagen: Warum ist der digitale Euro ein Thema geworden? Woran wird konkret gearbeitet? Und wer ist daran wie beteiligt?

2.1 Zentralbankgeld weiterentwickeln

Den ersten großen Schub hat das Thema digitales Zentralbankgeld im Jahr 2019 bekommen. Ein von Facebook angeführtes Konsortium hatte damals den Stablecoin „Libra“ angekündigt. Also eine Art digitaler Münze, die durch Vermögensgegenstände in mehreren Währungen „gedeckt“ werden und international in vielen Bezahlsituationen hätte Verwendung finden sollen. 

Für Zentralbanken war es eine aufrüttelnde Begegnung mit dem Gedanken, an Kontrolle zu verlieren, wenn ein Technologieunternehmen Geld herausgeben würde. Allerdings verdeutlichte diese Initiative, dass die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung neue Bedürfnisse und auch Möglichkeiten im Zahlungsverkehr schafft. 

Als Zentralbank kann man sich dem nicht einfach verweigern oder darauf hoffen, dass sich solche Innovationen am Markt am Ende nicht durchsetzen. Deshalb denken wir darüber nach, wie das Angebot öffentlichen Geldes so weiterentwickelt werden kann, dass es auch in Zukunft Rückgrat unseres Geldsystems bleibt.

Aber es ist nicht nur ein Risiko für die Zentralbank. Auch für die Kreditwirtschaft wäre das Angebot eines großen Tech-Unternehmens im Zahlungsverkehr mit erheblichen Risiken verbunden. 

Die Tech-Unternehmen stehen meist näher am Kunden und sind so erfolgreich, weil sie ihre Angebote eng mit dem Alltag der Menschen verweben konnten. Eine Integration neuer Bezahldienste oder gar weiterer Finanzservices in diese Angebote hätte womöglich zur Folge, dass Banken den Kundenkontakt verlieren. Im besten Fall wären Banken dann noch Dienstleister im Hintergrund, im schlechtesten weitestgehend obsolet. 

Sicherlich ist Wettbewerb zwischen Banken und Tech-Unternehmen an sich nicht schlecht. Kritisch wird es, wenn die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems beeinträchtigt würde. Im Interesse der Finanzstabilität haben nicht nur wir Zentralbanken ein großes Interesse an einem funktionsfähigen, gesunden Finanzsystem. 

Aber auch im alltäglichen privaten Zahlungsverkehr, also abseits von Stablecoins im dezentralen Finanzsystem oder im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr, ist es nicht mehr zu leugnen, dass Zentralbankgeld weiterentwickelt werden muss: Die Bedeutung des Bargelds, bislang das einzige Zentralbankgeld für die breite Öffentlichkeit, nimmt ab.  

Zwar ist Bargeld den Umfragen der Bundesbank zufolge an der Ladenkasse noch immer das am häufigsten genutzte Zahlungsmittel und wird auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Aber im stark wachsenden Onlinehandel oder für digitale Dienste lässt sich Bargeld praktisch nicht verwenden. Bereits vor zwei Jahren wurde jeder vierte Euro online ausgegeben. Entsprechend hat sich der Anteil des Bargeldes als Zahlungsmittel in den letzten Jahren merklich verringert. In einigen europäischen Ländern liegt er inzwischen bei weniger als der Hälfte aller getätigten Zahlungen.[1]

Als Ausgeber von Banknoten, dieser besonderen Form einer öffentlichen Leistung, wäre es daher nicht nur fahrlässig, sondern unverantwortlich, wenn die Zentralbanken des Eurosystems nicht an der Weiterentwicklung des Geldes für ein digitales Zeitalter arbeiten würde.

2.2 Das Projekt digitaler Euro

Wir befinden uns bereits mitten in der Weiterentwicklung des Euro. Im Jahr 2021 haben wir im Eurosystem damit begonnen, eine sogenannte „Retail“-Variante eines digitalen Euro zu prüfen. Gemeint ist damit digitales Zentralbankgeld zur Nutzung durch die breite Bevölkerung – also eine digitale Ergänzung des Bargeldes. In diesem Zusammenhang kann man es nicht häufig genug betonen: Mit dem digitalen Euro wird das Bargeld nicht abgeschafft. Bargeld bleibt und Bargeld wird bleiben. 

Ein digitaler Euro könnte den Menschen etwas bieten, was es derzeit nicht gibt: ein digitales Zahlungsmittel, das im gesamten Euroraum allgemein akzeptiert wird, sei es für Zahlungen in Geschäften, online oder zwischen Personen. Wie Bargeld wäre ein digitaler Euro ausfallsicher, einfach zugänglich, und grundsätzlich kostenlos.

Der digitale Euro würde damit auch eine Lücke in der strategischen Autonomie Europas füllen. Er wäre eine paneuropäische Zahlungslösung unter europäischer Führung. Er würde dazu beitragen, die Abhängigkeit Europas von privaten, außereuropäischen Zahlungs-anbietern zu verringern, und gleichzeitig ein Gegengewicht zu deren Marktdominanz bilden. 

Zudem würde ein digitaler Euro die europäische Zahlungsverkehrslandschaft wettbewerbsfähiger und innovativer machen. Wenn wir den digitalen Euro so ausgestalten, dass er technisch etwas Neues bietet, kann er eine Plattform werden, die es Unternehmen erleichtert, eigene europaweite Lösungen anzubieten.

Zwischen Herbst 2021 und Herbst 2023 wurde an den Grundkonzepten zum digitalen Euro gearbeitet. Das Eurosystem hat ein solides Fundament gelegt, auf dem nun aufgebaut werden kann. Der EZB-Rat hat daher am 18. Oktober 2023 entschieden, in eine nächste Projektphase einzutreten. Diese Phase bereitet eine Umsetzung und mögliche Einführung des digitalen Euro vor. Es ist aber noch keine Entscheidung, wirklich einen digitalen Euro entwickeln und einführen zu wollen.

Zunächst sind noch weitere Arbeiten notwendig. Dazu gehören die Fertigstellung des Regelwerks für den digitalen Euro, das sogenannte „Scheme Rulebook“, weitere technische Überlegungen sowie auch die Frage, wer als möglicher Anbieter für die Plattform und Infrastruktur des Digitalen Euro überhaupt in Frage kommen könnte.

Die zweijährige Vorbereitungsphase ist aber auch aus einem anderen Grund notwendig: Für die Entwicklung und Einführung eines digitalen Euro ist der Rechtsrahmen eine entscheidende Voraussetzung. Denn in ihm wird festgelegt, was geht und was nicht. Den Rechtsrahmen können wir als Eurosystem aber nicht bestimmen. 

3 Der notwendige rechtliche Rahmen

Das Gesetzgebungsverfahren, das mit dem Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission im Juni 2023 gestartet ist, zielt darauf ab, für den digitalen Euro einen in demokratischer Diskussion entstandenen Rechtsrahmen zu schaffen.

Damit bekommt der digitale Euro die nötige gesellschaftliche Legitimation, um bei Einführung von der Bevölkerung gut angenommen zu werden.

Ein solches Vorgehen ist essenziell, da für den digitalen Euro besondere Eigenschaften diskutiert werden, die nur staatliches Geld haben kann. Vergleichbar zum Bargeld soll der digitale Euro gesetzliches Zahlungsmittel werden. Auch eine generelle Annahmeverpflichtung mit nur wenigen Ausnahmen soll zu den Besonderheiten gehören.

Nicht weniger wichtig ist der Interessensausgleich zwischen den beteiligten Parteien: Als öffentliches Geld sollte der digitale Euro weitgehend kostenfrei für Bürgerinnen und Bürger sein. Intermediäre wie Banken, welche für die Verteilung zum Endkunden ähnlich wie beim Bargeld zuständig wären, müssen aber auch Erträge erwirtschaften können. Händler, die daher Gebühren an Intermediäre zu zahlen hätten, müssten allerdings gegen eine unfaire Gebührengestaltung trotz Annahmezwangs abgesichert sein. 

Und aus Gründen der Finanzstabilität wollen wir ja auch vermeiden, dass es zu substanziellen Einlageabflüssen in der Bankwirtschaft kommt. Eine mögliche Lösung sind hier sog. Halteobergrenzen. Hier ist nicht nur die Höhe zu diskutieren, sondern auch die Frage, wer sie in welchem Verfahren festlegen kann.

Sie merken, zu diesen Fragen wird es nicht nur eine Sichtweise und eine Antwort geben. Das Eurosystem, die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union können ein Ausgleichssystem bilden, das dies gebührend berücksichtigt. Klar sollte sein: Ohne die rechtliche Rahmensetzung geht es nicht.

4 Die Ambitionen nicht vergessen

Ich nehme auf allen beteiligten Ebenen der Gesetzgebung nicht nur eine große Neugierde, sondern auch den notwendigen Gestaltungswillen wahr. Lassen Sie mich zwei Punkte erläutern, bei denen der Gestaltungswille notwendig sein wird.

Erstens, das technologische Potenzial. Mit dem digitalen Euro wird eine neue Infrastruktur geschaffen. Das Ziel sollte sein, dass die Infrastruktur für den digitalen Euro maximal zukunftsfähig ist. Der digitale Euro müsste bei seiner Einführung – die noch ein paar Jahre dauern würde – dem aktuellsten technologischen Potenzial entsprechen. Das könnte zum Beispiel heißen, dass der digitale Euro als sogenannter Token konzipiert sein sollte.

Etwas grob gesprochen wäre ein solcher Token das digitale Abbild einer Banknote. Ein Token wäre zum Beispiel besser in programmierbare Anwendungen integrierbar. Eine solche, vorausschauend geplante Infrastruktur würde auch das Potenzial des digitalen Euro für Folgeinnovationen durch private Anbieter erhöhen. 

Eine Token-Struktur würde allerdings rechtliches Neuland beschreiten. Im heutigen Zahlungsverkehr wird mit einer Konten-Logik gearbeitet. Käme es zu einer Token-Struktur, müsste geprüft werden, wie Technologie und Recht zusammenpassen. Möglicherweise wären Anpassungen notwendig.

Zweitens, ein hoher Grad an Vertraulichkeit. Das Eurosystem hat die Absicht geäußert, Nutzern des digitalen Euro ein Maß an Vertraulichkeit zu bieten, das von bisherigen Anbietern nicht geboten wird. Gerade in Deutschland besteht ein klares Interesse in der Bevölkerung an einem Zahlungsmittel ohne kommerzielle Datennutzung oder Nachverfolgung. Der digitale Euro könnte diesen Wunsch erfüllen.  

Um ein besonders hohes Niveau an Vertraulichkeit zu bieten, sollen auch Offlinezahlungen möglich sein, die ohne Beteiligung einer dritten Partei ablaufen. Damit würde ein neuer Grad von Vertraulichkeit bei digitalen Zahlungen erreicht. Ein solches Novum bei bargeldlosen Zahlungen müsste auch rechtlich in den entsprechenden Gesetzen verankert werden.

5 Schlussbemerkung

Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte, hat Gustav Heinemann einmal gesagt. Furchtsamkeit wird jeden Einzelnen, aber auch Europa als Ganzes nicht weiterbringen können. 

Ich freue mich daher außerordentlich über die Neugierde, die ich hier und heute, aber auch an vielen anderen Orten dem digitalen Euro gegenüber wahrnehme. Die Neugierde kann der erste Schritt sein. Wenn sie auf Offenheit und bei Entscheidern zudem auf Gestaltungswillen trifft, dann wird positive Veränderung möglich. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

Fußnote:

EZB (2022): SPACE study https://www.ecb.europa.eu/stats/ecb_surveys/space/html/ecb.spacereport202212~783ffdf46e.en.html