Die neue europäische Aufsichtsstruktur Rede anlässlich des 5. Finanzplatztages der Börsen-Zeitung

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Gründe für eine neue EU-Aufsichtsstruktur

Seit mehr als einem Jahr leben wir nun schon mit der neuen europäischen Aufsichtsstruktur. Die Eingewöhnungsphase ist vorüber, erste Erfahrungen wurden gemacht. Ich finde, dies ist ein sehr guter Zeitpunkt, eine erste Bilanz zu ziehen. Ausgangspunkt ist natürlich die Frage: „Wie kam es dazu?“

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben sich für eine neue europäische Aufsichtsstruktur entschieden, um die Anwendung der Finanzmarktregulierung zu harmonisieren und den Kooperationsrahmen in der europäischen Aufsicht weiterzuentwickeln. Beweggründe für diese Entscheidung waren zum einen der politische Wunsch nach einheitlichen Regeln und Aufsichtspraktiken, zum anderen die ökonomische Notwendigkeit, auf die Gefahren zu reagieren, die durch Regulierungs- und Aufsichtsarbitrage entstehen. Die Krise hat ein ganzes Bündel von Ursachen – ich werde sie hier nicht alle auflisten–; aber ich denke, wir sollten die mancherorts doch recht laxe Regulierung und Aufsicht dabei nicht vergessen.

Eine stärkere Harmonisierung bringt Staaten nicht nur größere Sicherheit, dass Regulierungs- und Aufsichtslücken anderswo nicht das hiesige Bankensystem destabilisieren. Faire Wettbewerbsbedingungen – das sogenannte „level playing field“ – können das Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft erhöhen. Auch grenzüberschreitend tätigen Banken kommt eine Angleichung der Regeln und Aufsichtspraktiken zu Gute, wenn sie von bürokratischen Erleichterungen profitieren und wenn sie gut aufgestellt sind.

Nun stellt die neue europäische Aufsichtsstruktur nicht den ersten Schritt zur Harmonisierung der Aufsicht in Europa dar. Eine Angleichung der Regeln erfolgte in der Vergangenheit beispielsweise, um die Einführung des „Europäischen Passes“ im Jahre 1989 vorzubereiten. Dabei wurde eine Vielzahl aufsichtlicher Mindeststandards festgelegt, von denen die Definition einheitlicher Mindestkapitalanforderungen wohl den bekanntesten Meilenstein darstellt. Der Wille zur Harmonisierung nicht allein der Regulierung, sondern auch der Aufsicht wurde sichtbar mit der Errichtung der sogenannten Level-3-Ausschüsse im Jahre 2004: Für die Bankenaufsicht wurde beispielsweise mit der Gründung von CEBS die Kooperation zwischen den europäischen Aufsehern auf eine neue Basis gestellt. Wichtigstes Ziel war dabei die Angleichung aufsichtlicher Regeln und Praktiken, allerdings nur per Selbstverpflichtung der Mitglieder.

In der Krise zeigten sich jedoch deutlich die Grenzen des alten Systems der Level-3-Ausschüsse. So reichte die Selbstverpflichtung der Mitgliedstaaten, die Beschlüsse der Ausschüsse umzusetzen, nicht aus, um einen harmonisierten Aufsichtsrahmen innerhalb Europas sicherzustellen und in Krisensituationen rasch reagieren zu können. Die Finanzkrise brachte vielmehr deutlich zu Tage, dass mit der gestiegenen Vernetzung der Finanzmärkte und deren Teilnehmer auch einheitlichere Aufsichts- und Regulierungsstandards in der Bankenaufsicht notwendig sind. Zu große nationale Spielräume bei der Umsetzung können aufsichtliche und regulatorische Lücken schaffen. Eine einheitlichere Regelanwendung kann darüber hinaus nur dann gelingen, wenn auch die Aufsichtsansätze konvergieren, d. h. wenn sich die aufsichtliche Praxis angleicht. Dabei erfordern die grenz- und sektorüberschreitenden Aktivitäten vieler Institute aber auch eine engere Zusammenarbeit der nationalen Aufseher über Grenzen hinweg. Und schließlich müssen die Erkenntnisse aus der Aufsicht über einzelne Institute, also mikroprudenzielle Erkenntnisse, stärker mit denen der makroprudenziellen Überwachung verknüpft werden. Systemische Risiken können dazu führen, dass auch eine Bank, die – für sich betrachtet – ihre Risiken gut steuert, in Bedrängnis kommt. Ziel der makroprudenziellen Überwachung ist es, solche Risiken frühzeitig zu erkennen und die mikroprudenzielle Aufsicht rechtzeitig zu warnen. Ebenso sollten aber Bankenaufseher ihre für die Makroüberwachung zuständigen Kollegen über Trends im Verhalten oder im Marktumfeld der Banken informieren, die sie für die Einschätzung systemischer Risiken als wesentlich erachten. Wichtig ist, dass der Informationsfluss in beide Richtungen verläuft.

Die Schwächen der Regulierung hat der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht mit „Basel II.5“, „Basel III“ und vielen weiteren Standards, die sich mit einer verbesserten Corporate Governance und dem Risikomanagement befassen, adressiert. Die „institutionelle“ Aufarbeitung der Finanzkrise, dass heißt die Auseinandersetzung mit den Schwächen in der Aufsichtsstruktur und der Beaufsichtigung grenzüberschreitend tätiger Institute, erfolgte in der Expertengruppe um Jacques de Larosière. Die EU-Kommission beauftragte ihn Ende 2008, die Ursachen der Krise zu beleuchten und Vorschläge zu unterbreiten, wie die Überwachung der Finanzinstitute und -märkte in der Europäischen Union verbessert werden könnte. Die notwendigen Vorarbeiten wurden 2009 und 2010 in die Wege geleitet, so dass das „Europäische System der Finanzaufsicht“ zum 1. Januar 2011 seine Arbeit aufnehmen konnte.

2 Das „Europäische System der Finanzaufsicht“

Das „Europäische System der Finanzaufsicht“, oder kurz das „ ESFS “, ist ein Netzwerk, das aus den nationalen Aufsichtsbehörden der 27 EU-Mitgliedstaaten, den drei neuen europäischen Aufsichtsbehörden für Banken, Versicherungen und Wertpapiermärkte – genannt ESAs als Abkürzung für „European Supervisory Authorities“ –, deren gemeinsamen Ausschuss und dem „Europäischen Ausschuss für Systemrisiken“ (ESRB) besteht.

Ziel dieses Systems ist die Konvergenz der Aufsichtspraktiken nationaler Aufseher. Die EU-Mitgliedstaaten, genauer gesagt die Aufsichtsbehörden und Notenbanken, spielen dabei mit ihrem Erfahrungsschatz und den Detailkenntnissen über die von ihnen beaufsichtigten Institute eine wichtige Rolle.

Der „Europäische Ausschuss für Systemrisiken“ („European Systemic Risk Board“) nimmt im System der europäischen Finanzstruktur eine besondere Rolle ein. Er ist eine echte Neugründung und soll die Stabilität des gesamten europäischen Finanzsystems überwachen, indem er makroökonomische Trends analysiert, frühzeitig vor Gefahren warnt und Maßnahmen zur Beseitigung dieser Risiken vorschlägt. Der ESRB ist damit die zentrale Instanz der makroprudenziellen Überwachung in der Europäischen Union. Ihm stehen mit den oben genannten Warnungen und Empfehlungen eher weiche Einwirkungsinstrumente zur Verfügung. Dies und der eher punktuelle Einsatz dieses Instrumentariums in seiner noch jungen Geschichte ließen den einen oder anderen Kritiker Zweifel an der Durchschlagskraft des Gremiums aufkommen. Dass eine neue Institution zunächst jedoch die erforderliche Analysekapazität und Arbeitsstruktur aufbauen muss, ist selbstverständlich. Hier ist in den letzten Monaten intensive Arbeit geleistet worden. Auch sollte man nicht vergessen, dass sich die Staatsschuldenkrise, die sicherlich derzeit die größte Bedrohung der Finanzstabilität darstellt, bereits materialisiert und manifestiert hatte, als der ESRB seine Arbeit aufnahm. Öffentliche Warnungen schließlich können je nach Ausgestaltung des Risikos nicht immer die Maßnahme sein, die für eine effektive und effiziente Gefahrenabwehr am besten geeignet ist. Vor diesem Hintergrund hat der europäische Gesetzgeber sich bewusst dazu entschieden, dem ESRB mit seiner präventiven Aufgabenstellung auch die Möglichkeit einer vertraulichen Warnung zu geben.

Die drei neuen EU-Aufsichtsbehörden – die zur Konvergenz der mikroprudenziellen Aufsicht beitragen sollen – mussten nicht bei null anfangen: Sie gingen aus den bereits erwähnten Level-3-Ausschüssen CEBS, CEIOPS und CESR hervor und verfügen als rechtlich selbständige Behörden über administrative und finanzielle Autonomie. Trotz der Umwandlung dieser Ausschüsse in EU-Behörden – die EBA in der Bankenaufsicht, die ESMA in der Wertpapieraufsicht und die EIOPA in der Versicherungsaufsicht – ist ein wesentliches Element erhalten geblieben: der „members driven approach“. So setzen sich nicht nur die obersten Entscheidungsgremien der Aufsichtsbehörden aus Vertretern der jeweils zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden zusammen. Die laufende Arbeit baut in hohem Maße auf den Beiträgen und der Expertise der nationalen Behörden auf. Insofern haben die neuen Aufsichtsbehörden einen Doppelstatus: Sie sind einerseits europäische Behörden mit eigener Rechtspersönlichkeit („EU agencies“), andererseits aber auch Kooperationsgremien.

Es wird Sie nicht überraschen, dass ich mich im weiteren auf die „European Banking Authority“ oder kurz die EBA konzentriere, weil die Bundesbank aufgrund ihrer Beteiligung an der Bankenaufsicht in Deutschland aktiv in die Arbeiten der EBA eingebunden ist.

Die EBA zielt wie alle der drei europäischen Aufsichtsbehörden auf eine Förderung der Konvergenz in der Aufsicht. Sie soll deshalb gemeinsam mit den nationalen Aufsichtsbehörden die Qualität und Kohärenz der Bankenaufsicht in Europa verbessern, die Beaufsichtigung grenzüberschreitender Bankengruppen stärken und zu einem einheitlichen europäischen Regelwerk für die Finanzinstitute beitragen.

  • Die EBA soll dabei insbesondere mittels einer soliden, wirksamen, risikoadäquaten und kohärenten Regulierung und Überwachung dazu beitragen, dass der Binnenmarkt besser funktioniert.
  • Sie soll Integrität, Transparenz, Effizienz und das ordnungsgemäße Funktionieren der Finanzmärkte gewährleisten,
  • die internationale Koordinierung der Aufsicht ausbauen,
  • Aufsichtsarbitrage verhindern und
  • gleiche Wettbewerbsbedingungen fördern.

Zurzeit verfügt die EBA mit etwa 50 Vollzeitkräften über eine vergleichsweise schlanke Organisation. Angesichts dessen stellt die Fülle der Aufgaben eine sehr große Herausforderung dar – allein die Ziele wären schon anspruchsvoll genug. Aber die EBA ist wegen des bereits angesprochenen „members driven approach“ nicht auf sich allein gestellt. Die Vorarbeiten für Entscheidungen werden in einer Vielzahl von Arbeitsgruppen geleistet, in denen die nationalen Behörden – so auch BaFin und Bundesbank – tatkräftig mitwirken. Zudem entsenden sowohl BaFin als auch Bundesbank Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur EBA, die dort auf Dauer, für einen bestimmten Zeitraum oder bei ad-hoc-Projekten mitarbeiten. Dem Rat der Aufseher, dem obersten Entscheidungsgremium, gehören die Vertreter der jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden an – Deutschland ist also auch hier vertreten.

Die EBA wird aufgrund ihres Aufgabenzuschnittes künftig erheblichen Einfluss auf die Art und Weise nehmen, wie reguliert, beaufsichtigt und wie Finanzmärkte gestaltet werden. Ich kann Ihnen versichern, dass wir unsere Präsenz in der EBA weiter ausbauen werden; sei es durch die beschriebene Gremienarbeit, sei es durch weitere Entsendungen. Dazu gibt es keine Alternative!

Zum einen haben wir als großes EU-Mitgliedsland gewissermaßen die Verpflichtung, unser Know-how und unsere Kapazitäten in die EBA mit einzubringen. Zum anderen kennen „unsere“ Leute die hiesigen Marktstrukturen sehr gut und können diese Kenntnisse bei der entscheidenden Frage, wie weit und in welchem Tempo die Harmonisierung in gewachsene Marktstrukturen eingreifen sollen, einbringen. Dabei sollte meines Erachtens grundsätzlich darauf geachtet werden, dass Gleiches zwar gleich, Ungleiches aber auch ungleich behandelt wird. Gerade in diesem Punkt ist es nicht immer einfach, die optimale Balance zu finden – das richtige Verhältnis zwischen dem Wunsch der EBA, einerseits als neue Behörde möglichst schnell Ergebnisse in möglichst vielen Aufgabenbereichen präsentieren zu können und andererseits den spezifischen nationalen Gegebenheiten Rechnung zu tragen.

Gleiche Regeln und Praktiken können die Aufsicht transparenter machen, entlasten europaweit aktive Institute und verhindern zudem Regulierungs- und Aufsichtsarbitrage. Gleichzeitig gilt aber auch, dass Harmonisierung keinen Selbstzweck darstellt und nicht mit Uniformität verwechselt werden sollte. Die Vielfalt der am Markt bewährten Geschäftsmodelle und Produkte kann nicht einfach zur Seite geschoben werden. Vielfalt kann Folge von unterschiedlichen Rechts- und Finanzierungstraditionen oder der unterschiedlichen Nachfrage von Finanzdienstleistungen sein; Vielfalt kann einen Beitrag zur Stabilität leisten und sollte nicht aufgegeben werden, ohne die Vor- und Nachteile von Regelungen, vor allem von den mit ihnen gesetzten Anreiz-strukturen, kritisch zu hinterfragen. Deshalb sollten wir darauf achten, dass unsere Regeln und Aufsichtspraktiken sowohl der europäischen als auch der nationalen Ebene gerecht werden. Dieser Gedanke wurde auch vom europäischen Gesetzgeber aufgegriffen und findet sich deshalb in den Erwägungsgründen der EBA-Verordnung wieder. Dort wird gefordert, dass die EBA einen Beitrag leisten soll, das Funktionieren des Binnenmarkts zu unterstützen, „… indem insbesondere unter Berücksichtigung der verschiedenen Interessen aller Mitgliedstaaten und der Verschiedenartigkeit der Finanzinstitute ein hohes, wirksames Maß an Regulierung und Beaufsichtigung gewährleistet wird“. Deshalb muss die EBA die jeweiligen nationalen Beweggründe und Motive angemessen würdigen. Angesichts der Fülle der Aufgaben liegt es im Interesse der EBA, die Expertise der nationalen Aufseher, nämlich ihre praktische Erfahrung und die detaillierten Kenntnisse über spezifische nationale Gegebenheiten und die von ihnen beaufsichtigten Institute, zu nutzen. Wir sind bereit dazu.

3 Kompetenzen der EBA auf dem Gebiet der Regulierung

Auf dem Gebiet der Regulierung wurden der EBA im Vergleich zum Vorgängerausschuss CEBS deutlich weiter gehende Kompetenzen eingeräumt. Bis Ende 2010 gab es ausschließlich rechtlich unverbindliche Guidelines, deren Nicht-Umsetzung lediglich erläutert werden musste, nach dem Grundsatz „comply or explain“. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sahen das aber zu Recht als nicht ausreichend an, um eine echte Harmonisierung der Regeln tatsächlich zu erreichen.

Deshalb wurde die EBA wie auch die beiden anderen Aufsichtsbehörden mit „quasi-legislativen“ Kompetenzen ausgestattet. Die EBA-Verordnung sieht vor, dass die EBA in vorab ausdrücklich festgelegten Bereichen Entwürfe für sogenannte technische Standards entwickelt, die der Kommission vorgelegt und von dieser dann in Gestalt von delegierten Rechtsakten oder Durchführungsrechtsakten erlassen werden. Beide Formen werden dann mittels Verordnung oder Beschluss der Kommission angenommen und sind damit unmittelbar gültiges Recht.

Auch wenn diese technischen Standards „nur“ einen Rechtsakt konkretisieren sollen, können sie die Aufsichtspraxis doch erheblich verändern. So werden nicht nur die Bereiche, in denen die Auslegung in nationaler Hoheit bleibt, fühlbar weniger. Vielmehr ermächtigen der Richtlinien- und Verordnungsentwurf zur Umsetzung von Basel III in der EU die EBA, in den nächsten drei Jahren etwa 80 technischen Standards in zahlreichen Bereichen zu entwickeln; dazu gehört etwa die Definition von Eigenkapital oder die gemeinsame Risikobeurteilung und Kapitalbewertung in den Aufsichtskollegien. Aktuell stehen beispielsweise Entwürfe für Standards im aufsichtlichen Meldewesen zur öffentlichen Konsultation.

Nicht nur die Auslegungsmöglichkeit in nationaler Hoheit wird erheblich eingeschränkt; auch das Konzept, auf dem Regulierung beruht, kann sich ändern. In Deutschland haben wir in den Neunzigern die prinzipienorientierte Aufsicht eingeführt; das heißt wir haben bewusst wegen der Vielfalt unterschiedlicher Geschäftsmodelle Prinzipien für das Risikomanagement in den Instituten entwickelt. Durch diesen prinzipienbasierten Ansatz konnte die deutsche Aufsicht nach Art und Umfang, Komplexität und Risiko – also risikoorientiert – die Anforderungen an den individuellen Gegebenheiten des Instituts ausrichten. Allein die Zahl der für die nächsten Jahre zu entwickelnden Standards lässt befürchten, dass dieser flexible Ansatz, der Neuerungen in Geschäftsmodellen und Produkten schnell berücksichtigen kann, im europäischen Kontext nicht mehr vollends zum Tragen kommen, sondern durch einen höheren Detaillierungsgrad ersetzt werden wird.

Insgesamt haben die Mitgliedstaaten der EBA also eine große Verantwortung in der Regelsetzung übertragen. Mit der Ermächtigung, bindende Standards zu entwickeln, die der Präzisierung von Vorgaben der CRD dienen, wurde der EBA somit eine entscheidende Rolle in der Bankenregulierung zugewiesen.

Die technischen Standards kann man zu Recht als großen Fortschritt in der Harmonisierung der europäischen Regulierung bezeichnen. Allein ihre große Zahl, aber auch ihre inhaltliche Spannweite und vor allem ihre Wirkungsmacht stellen eine besondere Herausforderung an die neue Aufsichtsbehörde und die nationalen Aufseher dar. Deshalb ist eine sorgfältige Ausarbeitung umso wichtiger, auch wenn die hierfür vorgesehen Zeitspanne knapp bemessen ist. Wie ich bereits betont habe: Es steht außer Frage, dass die Aufseher der 27 EU-Mitgliedstaaten ihren Beitrag leisten wollen und müssen, was vor allem bedeutet: Einsatz personeller Ressourcen und Know-how. Ich will jedoch auch an die „Finanzindustrie“ appellieren: Leisten auch Sie Ihren Beitrag, sei es über die Einbindung in die bei der EBA eingerichtete „Banking Stakeholder Group“ oder anlässlich öffentlicher Konsultationen von Entwürfen, damit uns dieses Unterfangen gelingen kann.

4 Kompetenzen der EBA in der Aufsicht

Die angestrebte Harmonisierung in der Regulierung wird durch eine starke Rolle der EBA auch in der Aufsicht ergänzt, um so zur weiteren Kohärenz der Aufsichtspraxis und zu einer verbesserten Überwachung der grenzüberschreitenden oder systemrelevanten Institute beizutragen. Das bringt also nicht nur für jedes Institut, sondern auch für jeden nationalen Aufseher über grenzüberschreitend tätige Banken erheblichen Anpassungsbedarf mit sich.

Die EBA hat unter anderem in der Koordinierung der nationalen Aufseher wichtige Aufgaben übernommen. So nehmen Vertreter der EBA an den Sitzungen der Aufsichtskollegien (Supervisory Colleges) teil. In einem Aufsichtskollegium kommen die Aufseher aus allen EU-Ländern zusammen, in denen eine Bankengruppe vertreten ist. Ziel ist es, den grenzüberschreitenden Aktivitäten der Institute Rechnung zu tragen und die laufende Aufsicht auch auf eine gruppenweite Sicht einzustellen. Im Kern geht es darum, dass die zuständigen Aufseher von grenzüberschreitend tätigen Bankengruppen ihre Analysen und Bewertungen untereinander abstimmen und aufsichtliche Maßnahmen gemeinsam festlegen.

Für mehr als 100 grenzüberschreitende EU-Bankengruppen sind mittlerweile solche Aufsichtskollegien eingerichtet. Deutschland ist in 18 EU-Aufsichtskollegien als konsolidierender Aufseher federführend und in weiteren 24 EU-Aufsichtskollegien als „Gastland“-Aufseher beteiligt. Für diese Aufsichtskollegien wurden bereits vom Vorgängerausschuss CEBS Empfehlungen entwickelt, die in den kommenden Jahren zum Teil in Standards überführt werden sollen.
Darüber hinaus unterliegen die 44 größten Institute der EU einem speziellen „Monitoring“ durch die EBA. Hierbei überprüft die neue europäische Aufsichtsbehörde vor allem, ob die nationalen Aufseher den ihnen von der Bankenrichtlinie vorgegebenen Verpflichtungen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nachkommen. Die EBA überprüft also beispielsweise, ob das College aus nationalen Aufsehern eine verbindliche gemeinsame Entscheidung darüber getroffen hat, welche Mindestkapitalausstattung eine Institutsgruppe auf Gruppenebene vorweisen muss.

Eine weitere, wichtige Funktion der EBA besteht in der verbindlichen Schlichtung von Meinungsverschiedenheiten, die zwischen nationalen Aufsichtsbehörden bei der Überwachung einer EU-weit tätigen Bankengruppe entstehen können. Die für eine Mediation prinzipiell möglichen Anwendungsfelder sind von der Bankenrichtlinie vorgegeben, denn die EBA trifft im Falle eines gescheiterten Vermittlungsversuches eine Entscheidung, der die nationalen Aufsichtsbehörden zu folgen haben. Die bindende Schlichtungskompetenz ist ein neues Instrument für die EBA. Der Vorgängerausschuss CEBS hat zwar ein Verfahren für eine Mediation entwickelt. Allerdings wäre diese Streitschlichtung lediglich unverbindlich gewesen; auch gab es während des Bestehens des CEBS auch keinen praktischen Anwendungsfall. Die konkrete Ausgestaltung des bindenden Schlichtungsverfahrens muss die EBA deshalb noch klären. Dabei kann es durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber geben, wann eine Meinungsverschiedenheit vorliegt, die einer bindenden Mediation der EBA bedarf. Ist es etwa eine solche Meinungsverschiedenheit, wenn nationale Aufseher die gesetzlich gewährten Spielräume unterschiedlich nutzen und deshalb bei den Instituten auf Gruppen- und Einzelebene zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen? Meines Erachtens ist dies kein Anwendungsfall für eine Schlichtung, da gerade ein solches in der CRD vorgesehene Ermessen nicht durch eine EBA-Entscheidung eingeschränkt werden sollte.

Die Aufsichtskollegien und die weitgehenden Rechte der EBA in den Colleges sind ein Meilenstein in der europaweiten Beaufsichtigung von Bankengruppen. Angesichts der großen Zahl der Kollegien und der variablen Zusammensetzung sind allgemeine, organisatorische und inhaltliche Vorgaben und Vereinheitlichungen notwendig. Allerdings sind auch an dieser Stelle wieder Freiräume erforderlich, denn gerade in der laufenden Aufsicht muss den Besonderheiten der jeweiligen Bankengruppe Rechnung getragen werden. Es ist einfach nicht sinnvoll, 100 Bankengruppen über einen Kamm zu scheren und damit möglicherweise Risiken zu übersehen oder falsch einzuschätzen. Die Praxis ist sehr komplex und dieser Komplexität muss ein Aufseher sich stellen.

Darüber hinaus soll die EBA im Krisenfall die nationalen Aufsichtsbehörden unterstützen und etwaige Maßnahmen koordinieren. Nachdem der ECOFIN den Krisenfall festgestellt hat, kann die EBA die nationalen Behörden zu bestimmten Maßnahmen verpflichten. Konkrete Beispiele hierzu nennt die EBA-Verordnung nicht.

Auch wenn europäisches Bankenaufsichtsrecht missachtet wird, enthält der Instrumentenkoffer der EBA direkte Durchgriffsrechte auf Einzelinstitute. Dies ist bemerkenswert – und potenziell konfliktträchtig –, schließlich liegt die fiskalische Letztverantwortung beim jeweiligen Staat.

Um die Widerstandsfähigkeit von Finanzinstituten und insbesondere das von Finanzinstituten ausgehende Systemrisiko gegenüber ungünstigen Marktentwicklungen bewerten zu können, kann die EBA auch EU-weite Stresstests durchführen. Ihre Empfehlungen richtet sie dann an die zuständigen nationalen Behörden, um die festgestellten Schwächen abzustellen.
Das Instrument „Stresstest“ dürfte Ihnen noch lebhaft in Erinnerung sein. Das altbekannte aufsichtliche Instrument dient dazu, bei Kreditinstituten mögliche Schwachstellen, die bei extremen Marktumfeld-Bedingungen auftreten, frühzeitig zu identifizieren. Es kann aber auch dazu dienen, bestimmte Informationen gezielt der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Gerade die Veröffentlichung muss aber gut überlegt sein, denn mit der Ausgestaltung des Stresstests setzt der Aufseher Anreizstrukturen für Institute und den Markt. Stehen beispielsweise Staatsanleihen im Fokus des Stresstests und werden die Ergebnisse institutsindividuell veröffentlicht, werden sich die betroffenen Banken unter Umständen darauf einrichten und dies bei der Steuerung ihres Exposures künftig berücksichtigen.

Das Instrument „Stresstest“ dürfte Ihnen noch lebhaft in Erinnerung sein. Das altbekannte aufsichtliche Instrument dient dazu, bei Kreditinstituten mögliche Schwachstellen, die bei extremen Marktumfeld-Bedingungen auftreten, frühzeitig zu identifizieren. Es kann aber auch dazu dienen, bestimmte Informationen gezielt der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Gerade die Veröffentlichung muss aber gut überlegt sein, denn mit der Ausgestaltung des Stresstests setzt der Aufseher Anreizstrukturen für Institute und den Markt. Stehen beispielsweise Staatsanleihen im Fokus des Stresstests und werden die Ergebnisse institutsindividuell veröffentlicht, werden sich die betroffenen Banken unter Umständen darauf einrichten und dies bei der Steuerung ihres Exposures künftig berücksichtigen.

Um nicht in der Gestaltung des Stresstests eingeschränkt zu sein und ein aussagekräftiges Ergebnis für die Überwachung der Institute zurückzugewinnen, sollte die EBA meines Erachtens daher beim nächsten europäischen Stresstest zur ursprünglichen Idee eines internen Aufsichtsinstruments zurückkehren.

5 Bankenaufsicht und makroprudenzielle Überwachung

Kommen wir zum letzten Themenblock: dem Zusammenspiel von Bankenaufsicht und makroprudenzieller Überwachung.

Eine der Lehren der Finanzkrise war und ist, die beiden Bereiche der mikro- und makroprudenziellen Überwachung stärker als bisher zu verknüpfen. Auf europäischer Ebene wurde nicht zuletzt aus dieser Erkenntnis heraus der eingangs kurz beschriebene ESRB errichtet.

Der ESRB und die europäischen Aufsichtsbehörden stehen im intensiven Austausch, und zwar sowohl über die gegenseitige Präsenz in den Beschlussorganen als auch bei der inhaltlichen Arbeit. Die Regeln, die das Zusammenspiel der European Supervisory Authorities und des ESRB festlegen, geben lediglich einen allgemeinen Rahmen vor, dessen konkrete Ausgestaltung durch beispielsweise die EBA und den ESRB noch erfolgen muss. Einen meines Erachtens wichtigen Rahmen möchte ich aber herausgreifen. Es geht um das sogenannte Risikosteuerpult, das EBA und ESRB gemeinsam entwickeln sollen. Dabei sollen sie, so will es die EBA-Verordnung, einen „gemeinsamen Rahmen quantitativer und qualitativer Indikatoren (…) zur Ermittlung und Messung des Systemrisikos“ entwickeln. Diese Risikoindikatoren sollen etwa für Vergleichsanalysen grenzüberschreitend tätiger EU-Bankengruppen genutzt werden oder als Input für systemweite Untersuchungen des ESRB dienen.

Der ESRB ist Ende vergangenen Jahres mit drei Empfehlungen öffentlich in Erscheinung getreten und hat die EU-Mitgliedstaaten unter anderem aufgefordert, eine nationale Institution mit einem makroprudenziellen Mandat zu betrauen. Es ist kein Geheimnis, dass in Deutschland die Bundesbank ein makroprudenzielles Mandat erhalten soll. Dafür spricht, dass die Bundesbank maßgeblich in die laufende Überwachung der Kreditinstitute eingebunden ist, und die Verknüpfung der beiden Felder – in enger Abstimmung mit der BaFin – quasi „in-house“ erfolgen kann.

Sowohl mikro- als auch makroprudenzielle Analysen sind kein intellektueller Selbstzweck, sondern müssen sich fühlbar niederschlagen, und zwar in einer verbesserten Regulierung oder in der aufsichtlichen Praxis. Wichtig ist also, die Ergebnisse der Makroanalyse auch für die Bankenaufsicht nutzbar zu machen; dann kann die Aufsicht die Ursachen vor Ort klären und aktiv eingreifen. Aber der Informationsfluss darf keine Einbahnstraße sein. Um es deutlich zu sagen: Die makroprudenzielle Analyse zu stärken, ist eine wichtige Erkenntnis der Krise. Genauso sehe ich es aber auch als Aufgabe der mikroprudenziellen Aufsicht an, auf negative Entwicklungen in der Kreditwirtschaft hinzuweisen und den für die Makroüberwachung zuständigen Kollegen Analysen und Ideen zu liefern. Wenn uns das gelingt, dann sage ich: „Lektion gelernt“.

Faktisch ist das konkrete Zusammenspiel zwischen Mikroaufsicht und Makroüberwachung noch in einer Findungsphase. So sind zwei aus meiner Sicht entscheidende Fragen noch nicht abschließend geklärt:

  • Welche potenziellen „Makro-Instrumente“ gibt es und wie sollen sie im Zusammenspiel mit den bekannten Instrumente in die Bankenregulierung aufgenommen werden?
  • Wie regulieren wir die Verwerfungen im „level playing field“, wenn nationale Maßnahmen lediglich auf einen Teil der am selben Markt agierenden Akteure – nämlich den der nationalen Aufsicht unterliegenden Marktteilnehmern – Anwendung finden.

Die Verknüpfung der mikroprudenziellen Aufsicht mit der makroprudenziellen Überwachung ist also nicht nur eine institutionelle Frage, sondern auch eine Frage der Instrumente, die den zuständigen Institutionen zur Verfügung stehen. Eines dieser makroprudenziellen Instrumente ist im Basel III-Regelwerk erstmals explizit definiert: der antizyklische Kapitalpuffer. Dieser soll als Schutz dienen, wenn exzessives Kreditwachstum mit einem Anstieg systemweiter Risiken verbunden ist. Mit diesem Kapitalpuffer soll das Bankensystem über zusätzliches Kapital zur Abschirmung gegen potenziell eintretende Verluste verfügen.

Bei den Verhandlungen zur „vierten Capital Requirement Directive“ wurden die Möglichkeiten der Makroüberwachung deutlich gestärkt: In den aktuellen Entwürfen stehen unter anderem folgende Überlegungen im Mittelpunkt:

  • Neben dem antizyklischen Kapitalpuffer könnte ein von den nationalen Aufsehern festzulegender „genereller Puffer“ für systemische Risiken erhoben werden.
  • Darüber hinaus könnte die Säule II dahingehend geöffnet werden, systemischen Risiken ein stärkeres Gewicht zu verleihen, etwa bei der Festlegung zusätzlicher Kapitalanforderungen.
  • Zusätzlich soll ein Mitgliedsstaat, allerdings nur mit Zustimmung der EU-Kommission, die Möglichkeit erhalten, für alle Institute strengere Anforderungen an die Mindestkapitalquote und die Großkreditvorschriften sowie zusätzliche Veröffentlichungspflichten zu erlassen, wenn die Finanzstabilität auf nationaler Ebene gefährdet erscheint.

Die Überlegungen sind aber bei weitem noch nicht abgeschlossen, sondern stellen nur ein Zwischenergebnis dar. Alles in allem zeigt sich damit auch in der Ausübung makroprudenzieller Instrumente auf nationaler Ebene das Spannungsfeld zwischen Maximalharmonisierung und der Schaffung eines „level playing fields“ einerseits und der Berücksichtigung nationaler Gegebenheiten andererseits. Dieser Konflikt zwischen der Aufrechterhaltung des „Single Rule Book“ bei gleichzeitiger Flexibilität zur Anwendung makroprudenzieller Instrumente auf nationaler Ebene muss noch endgültig geklärt werden. Aus meiner Sicht sind Koordinierung und Überprüfung makroprudenzieller Maßnahmen auf EU-Ebene unerlässlich, denn das „Single Rule Book“ sollte nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden; gleichzeitig müssen makroprudenzielle Instrumente jedoch hinreichend flexibel sein, um auch in kurzer Zeit angemessen systemische Risiken adressieren zu können.

6 Fazit: Erfolgskriterien für die neue europäische Aufsichtsstruktur

Wir sind am Ende unserer gemeinsamen „Tour de Force“ durch das neue Aufsichtssystem angekommen. Ich hoffe, ich habe Ihnen nahebringen können, warum mit der neuen Aufsichtsstruktur ein Fortschritt im evolutionären Prozess der Harmonisierung von aufsichtlichen Regeln und Praktiken verbunden ist. Es ist also nur natürlich, dass es an der einen oder anderen Stelle noch Ungereimtheiten gibt. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir gemeinsam, das heißt die Aufseher und Notenbanken in den 27 EU-Mitgliedstaaten, die neuen EU-Behörden und der ESRB, die Herausforderungen meistern werden.

Dazu bedarf es einer erfolgreichen Verknüpfung von makroprudenzieller Überwachung und mikroprudenzieller Aufsicht. Auch brauchen wir einerseits eine Weiterentwicklung der aufsichtlichen Regeln in Richtung eines „Single Rule Book“ zur Verhinderung von aufsichtlicher Arbitrage und Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen. Andererseits müssen am Markt bewährte nationale Besonderheiten auch Berücksichtigung finden; dies ist kein Widerspruch zum vorherigen Kriterium der einheitlichen Regeln, sondern die Vorbedingung für einen funktionierenden Wettbewerb. Auch in einem „Single Rule Book“ muss Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden.

Letztendlich ist es meines Erachtens entscheidend, den „members driven approach“ auch tatsächlich zu leben. Durch ihn wird die Expertise der nationalen Aufseher in die EBA eingebracht und das Spannungsfeld zwischen EBA und nationalen Behörden entschärft, das entsteht – ja entstehen muss – wenn Rechtsetzungskompetenz und zum Teil auch Durchgriffsrechte nicht mit aufsichtlicher und fiskalischer Letztverantwortung einhergehen. Ein gelebter „members driven approach“ kann Konflikte vermeiden helfen und wird nicht zuletzt die Akzeptanz der EBA insgesamt erhöhen.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!