Finanzielle Rahmenbedingungen der Infrastrukturentwicklung

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die Einladung.

Als langjähriger Landespolitiker bin ich den Themen von damals immer noch verbunden. Es ist mir daher eine Freude, heute mit Ihnen über das Thema "Entwicklung der öffentlichen Infrastruktur – zwischen Finanzierungs- und Modernisierungsdruck" diskutieren zu dürfen.

Der Titel weist auf ein Dilemma hin, in dem nicht nur Kämmerer und Finanzminister stecken, sondern das jeder von Ihnen kennt:

Es gibt immer mehr Anschaffungen oder Investitionen, die eigentlich getätigt werden müssen, als Geld auf dem Konto.

Ökonomen bezeichnen dies als Budgetbeschränkung: Ausgaben, auch solche für die Modernisierung der Infrastruktur, müssen aus beschränkten Mitteln finanziert werden.

Ein Mehr beim einen bedeutet da ein Weniger beim anderen.

Diese Budgetbeschränkung lässt sich natürlich lockern. Dann müssen aber mehr Mittel aufgebracht werden.

Im Kontext mit Staatsausgaben hieße das die Forderung nach höheren Steuern – eine politisch wenig verlockende Aussicht.

"Jede Ausgabe des Staates beruht auf einem Verzicht des Volkes", so soll es Ludwig Erhard, der Vater der Sozialen Marktwirtschaft, einmal formuliert haben.

Was also der Staat seinen Bürgern abnimmt, um damit zum Beispiel die Modernisierung der Infrastruktur zu finanzieren, kann der Bürger selbst nicht mehr ausgeben.

Insofern ist es Aufgabe der Politik, den Umfang der Staatsausgaben und die Prioritäten bei den Ausgaben so zu setzen, dass die Bürger von ihrem Verzicht an der einen Stelle den größten Nutzen an anderer Stelle haben.

Aus ökonomischer Perspektive haben Ausgaben für die Modernisierung der Infrastruktur dabei tendenziell Vorrang vor rein konsumtiven Ausgaben – zumindest wenn die investiven Ausgaben das Produktionspotenzial heben und so die Grundlage für höhere Einkommen und spätere Steuereinnahmen schaffen.  

Aber ich weiß natürlich aus eigener Erfahrung nur zu gut, dass Politiker mit einer Vielzahl von Wünschen und Anforderungen konfrontiert sind. Sie müssen sich auch vor dem Wähler verantworten.

Wir Notenbanker können in dieser Hinsicht nur sehr grundsätzliche Empfehlungen geben, die zumeist darauf hinauslaufen, dass soliden Staatsfinanzen eine besondere Bedeutung zukommt.

Was das angeht, halte ich mich heute eher zurück. Angesichts der Schuldenbremse muss ich hier im Saal vermutlich keinen vom Wert solider Staatsfinanzen überzeugen.

2 Rahmenbedingungen

Und wir können die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen skizzieren, in denen sich die Finanzpolitik auf mittlere Sicht bewegen wird. Das werde ich heute versuchen.

Ich werde dabei auch auf die Frage eingehen, ob es in Deutschland eine Investitionslücke gibt. Die Diskussion darüber ist ja im vergangenen Jahr sehr intensiv geführt worden und meine Erwartung ist, dass uns das Thema auch in Zukunft beschäftigen wird.

2.1 Öffentliche Finanzen

Beginnen möchte ich jedoch mit den Öffentlichen Finanzen.

Die Lage der deutschen Staatsfinanzen war im Jahr 2015 günstig, und eine bedeutsame Verschlechterung ist derzeit nicht zu erkennen. Der Gesamtstaat erzielte, wie schon im Jahr 2014, einen strukturellen Finanzierungsüberschuss.

Zwei aufeinanderfolgende Jahre mit Finanzierungsüberschüssen des Gesamtstaats hat es seit der Wiedervereinigung nicht gegeben.

Die Gründe für die gute Entwicklung liegen vor allem in einer günstigen Tendenz der Steuereinnahmen, weiter steigender Beschäftigung und deutlich abnehmenden Zinslasten.

Die Finanzminister und Kämmerer konnten 2015 um 4,5 % höhere Steuereinnahmen verbuchen als im Jahr zuvor – die von mir angesprochene Budgetbeschränkung hat sich zuletzt also etwas gelockert.

Die gute Finanzlage erstreckte sich über alle staatlichen Ebenen: Bund, Länder und Gemeinden schlossen jeweils mit einem Überschuss ab.

Für dieses Jahr hatten wir zunächst mit einem etwas schlechteren Ergebnis als 2015 gerechnet, unter anderem wegen zusätzlicher Ausgaben für die Aufnahme der Flüchtlinge.

Nach derzeitigem Stand der Dinge muss sich die Lage im Vergleich zum Vorjahr aber nicht mehr unbedingt verschlechtern, als der Bund in seinem Kernhaushalt mit einem Überschuss von 12 Mrd. Euro abschloss und auch die Länder und Kommunen in ihrer Gesamtheit einen Überschuss (von 4 Mrd. Euro bzw. 3 Mrd. Euro) verzeichneten.

Denn erstens dürften die Steuereinnahmen im Jahr 2016 insgesamt etwas besser ausfallen als erwartet.

Der Arbeitskreis Steuerschätzung geht davon aus, dass die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden in diesem Jahr insgesamt 4,3 Mrd. Euro höher ausfallen werden als noch im Mai prognostiziert.

Zweitens läuft auch der Arbeitsmarkt in diesem Jahr etwas besser als erwartet.

Drittens zeichnet sich auch bei den Zinsen eine nochmals günstigere Entwicklung ab.

Abschließend ist zu konstatieren, dass der Zustrom von Flüchtlingen geringer ausgefallen ist, als erwartet.

Bund und Länder dürften daher erneut mit einem Haushaltsplus abschließen. Bei den Kommunen ist das nicht ganz so klar, aber wenn nichts schief geht, ist für die Kommunen insgesamt zumindest im nächsten Jahr ebenfalls wieder ein deutlicher Überschuss drin.

Trotz der momentan vergleichsweise guten Lage der Öffentlichen Finanzen will ich aber Folgendes betonen:

Zum einen sollte das nunmehr erreichte niedrige Zinsniveau nicht einfach fortgeschrieben werden.

Wenn die Zinsen wieder steigen, wird sich dies auch in den öffentlichen Haushalten bemerkbar machen. Das sollte man schon jetzt im Auge behalten.

Zumal wir uns auch darauf vorbereiten müssen, dass uns die Steuereinnahmen nicht immer positiv überraschen werden. Und das heißt unter anderem:

Die immer noch sehr hohen Staatsschulden weiter abbauen, um auch in Zukunft fiskalpolitische Handlungsfähigkeit zu besitzen.

In dieser Hinsicht, wird das Jahr 2020 ein entscheidendes Datum für die Öffentlichen Finanzen sein. Denn dann greift die Schuldenbremse für alle Bundesländer.

Die Landeshaushalte müssen von da an strukturell ausgeglichen sein. Für einige Bundesländer bedeutet das noch einen erheblichen Konsolidierungsbedarf.

Vor diesem Hintergrund ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass sich Bund und Länder auf ein gemeinsames Konzept für die zukünftigen Fiskalbeziehungen geeinigt haben.

Das schafft Planungssicherheit für alle Beteiligten - auch wenn die Möglichkeit für eine grundlegende Stärkung der Eigenverantwortung im deutschen Bundesstaat ungenutzt zu bleiben droht.

Und schließlich steht Deutschland vor einem tiefgreifenden demografischen Wandel. Die Bevölkerung wird in den nächsten Jahrzehnten durchschnittlich immer älter. Der Anteil der Erwerbspersonen wird zurückgehen, der Anteil der Rentner und Pensionäre steigen.

Das bedeutet, dass altersbedingte Ausgaben für Renten, Gesundheit oder Pflege schneller in die Höhe klettern dürften als die Steuereinnahmen. Auch diese Entwicklung erfordert ein umsichtiges Haushalten.

Die Haushaltsspielräume werden also nicht größer werden, darauf müssen sich die Finanzminister und Kämmerer einstellen.

2.2 Investitionslücke

Auch vor diesem Hintergrund kommt der Diskussion über die notwendigen öffentlichen Investitionen, vor allem in die Modernisierung der Infrastruktur, eine besondere Bedeutung zu.

Es wurden eine Reihe von Studien vorgestellt, nach denen Deutschland entweder weniger als früher oder weniger als andere Länder investiere.

Die Kommunen beziffern ihren Investitionsrückstand in einer Umfrage der KfW-Bankengruppe auf 136 Mrd. Euro[1].

Allerdings sind Studien, die sich auf Ländervergleiche oder auf Vergleiche in der Zeit stützen, stets mit Vorsicht zu genießen.

Nehmen Sie das Beispiel der staatlichen Investitionen: Zwar werden die staatliche Investitionen in Europa weitgehend einheitlich erfasst. Einige Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten gibt es jedoch. So werden Krankenhäuser in einigen Ländern dem Staat zugeordnet. während sie in anderen zum Unternehmenssektor gezählt werden. Auch deshalb ist ein reiner Ländervergleich problematisch und ein europäischer Durchschnittswert eine unvollkommene Bezugsgröße.

Aber auch die Entwicklung im Zeitablauf erlaubt keine einfachen Schlussfolgerungen: Die Bruttoanlageinvestitionen des Staates waren in den 1990er Jahren bis 2006 in Relation zum Bruttoinlandsprodukt rückläufig. Seitdem verlaufen sie weitestgehend seitwärts. Für einige Jahre werden sogar negative Nettoinvestitionen des Staates ausgewiesen.

Der Rückgang seit den 1990ern dürfte aber zu einem großen Teil auf einen abnehmenden Nachholbedarf in den neuen Bundesländern zurückzuführen sein. Zudem kam es auch in dieser Zeit noch zu Ausgliederungen von (insbesondere gebührenfinanzierten) Einheiten aus den staatlichen Haushalten, die seitdem im Unternehmenssektor geführt werden. Daher kann aus dem Rückgang der staatlichen Investitionen nicht ohne weiteres auf eine Investitionslücke geschlossen werden.

Und auch Umfragen zum Investitionsbedarf sind nicht ohne Probleme: Ein Kämmerer wäre ein schlechter Kämmerer, wenn er seinen Ausgabebedarf zu vorsichtig ansetzen würde.

Ökonomisch sachgerecht wäre es, den Investitionsbedarf anhand von Wirtschaftlichkeitsrechnungen zu identifizieren. Auf aggregierter Ebene ist das kaum zu machen.

Denken sie zum Beispiel daran, dass wachsende Kommunen einen anderen Investitionsbedarf haben, als schrumpfende Kommunen.

Aber um auch das klar zu sagen: Die Infrastruktur in Deutschland wird von den Unternehmen weiterhin als ein Standortvorteil benannt.

Und entgegen dem weit verbreiteten Bild vom Land der maroden Straßen und Brücken zeigen internationale Vergleiche, dass Deutschland eine insgesamt gute Infrastruktur hat. Im jüngsten Global Competitiveness Report des Weltwirtschaftsforums liegt Deutschland hier auf dem achten Rang von 144 Ländern.

Ich bestreite aber nicht, dass zusätzliche öffentliche Investitionen an manchen Stellen vermutlich sinnvoll sind, damit wir den Vorteil einer guten Infrastruktur behalten.

Dazu müssen Erneuerungs- und Erweiterungsbedarfe präzise ermittelt und kostengünstig gedeckt werden. Dazu gehört auch, vorhandene Effizienzreserven konsequent zu nutzen – ich erinnere nur an Negativbeispiele wie den Berliner Flughafen, die Elbphilharmonie oder diverse Regionalflughäfen.

Dafür braucht man keine neuen Schulden. Es geht darum, bei den Ausgaben die Prioritäten richtig zu setzen.

3 Finanzierungsformen

Angesichts knapper Kassen wird gelegentlich behauptet, der Handlungsspielraum der Finanzminister und Kämmerer ließe sich dadurch erweitern, indem die Finanzierungskosten gesenkt werden, etwa durch die Beteiligung Privater an der Finanzierung der Öffentlichen Infrastruktur.

Letzteres halte ich allerdings eher für eine theoretische Möglichkeit: Günstiger als die Öffentliche Hand in Deutschland werden sich nur wenige am Markt finanzieren können.

Die von einigen als Reformoption ins Spiel gebrachte private Infrastrukturfinanzierung ist daher nur erwägenswert, wenn dadurch Effizienzverbesserungen beim Bau und anschließendem Betrieb der Investitionsprojekte gehoben werden können. Auch hier kommt es aber jeweils auf eine Einzelfallprüfung an.

Die von der Fratzscher-Kommission in Erwägung gezogene Variante einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft könnte zwar unter Umständen helfen, Fehlanreize in der Länder-Auftragsverwaltung zu beseitigen.

Problematisch wäre es allerdings, wenn dadurch nennenswerter Kreditspielraum außerhalb des Geltungsbereichs der Schuldenbremse geschaffen würde. Es würde sich dann eher um Haushaltsalchemie als um effiziente Finanzierung handeln.

Da sich Bund und Länder jetzt grundsätzlich auf eine solche Gesellschaft geeinigt haben, ist besonders auf den letztgenannten Punkt zu achten.

Der Bundesrechnungshof hat sich jüngst in dieser Thematik bereits deutlicher geäußert. Danach darf privates Kapital nur eingebunden werden, wenn es für den Bund wirtschaftlicher ist und den Steuerzahler nicht belastet.

Meine Damen und Herren, ich habe jetzt einige Themen angeschnitten. Mir ging es darum deutlich zu machen, dass es um die Öffentlichen Finanzen in Deutschland derzeit – zumindest im Aggregat – gut bestellt ist, dass die vor uns liegenden Belastungen für die Zukunft zur Vorsicht gemahnen.

Ich habe auch dargelegt, dass die wohl schwieriger werdende Haushaltslage einer bedarfsgerechten Pflege der Infrastruktur nicht entgegenstehen muss, wenn man bei den Ausgaben die richtigen Prioritäten setzt.

Und mir war es wichtig zu zeigen, dass es bei der Beteiligung Privater an der Finanzierung der Öffentlichen Infrastruktur Vor- und Nachteile gibt, die je nach Investitionsprojekt das Pendel in die eine oder andere Richtung ausschlagen lassen können.

Ich hoffe, dass ich für unsere Diskussion genügend Stichworte geliefert habe, und freue mich nun auf den gemeinsamen Austausch.

Vielen Dank!

Fußnote:

  1. KfW Bankengruppe (2016). KfW Kommunalpanel 2016.