Herausforderungen für den Euro-Raum 2016

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Sehr geehrter Herr Benedikt,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich danke Ihnen für die freundliche Einladung zum Neujahrsempfang der Hauptverwaltung Sachsen und Thüringen und wünsche Ihnen allen ein gutes und erfolgreiches Jahr 2016.

Ich möchte mich auf zwei wichtige Großprojekte konzentrieren, bei denen wichtige Weichenstellungen anstehen.

Im Mittelpunkt meines Vortrages sollen deshalb die Zukunft der Währungsunion und der Länderfinanzausgleich in Deutschland stehen. Beides hat letztlich mit der angemessenen Zuordnung fiskalischer Kompetenzen zu tun, um dauerhaft solide Staatsfinanzen zu gewährleisten.

Beginnen möchte ich aber mit ein paar Worten zum wirtschaftlichen Ausblick im Euro-Raum und in Deutschland.

2 Wirtschaftlicher Ausblick

Meine Damen und Herren,

zu Beginn dieses Jahres haben die erneuten Turbulenzen an den chinesischen Aktienmärkten, die aktuellen geopolitischen Entwicklungen im Persischen Golf und der anhaltende Preisverfall bei Öl und Rohstoffen die Frage aufgeworfen, ob die Weltwirtschaft noch in der Lage ist, die Wirtschaft im Euro-Raum in dem Maße zu stützen, wie dies noch in der Dezemberprognose von der EZB unterstellt wurde.

Es lässt sich wohl nicht bestreiten, dass die Abwärtsrisiken für die Konjunktur zuletzt gestiegen sind. Allerdings sollte man die globalen Wachstumsaussichten auch nicht zu schwarz malen.

So wächst die Wirtschaft in China zwar langsamer, aber für einen starken Einbruch gibt es derzeit keine Anzeichen. Und der starke Rückgang der Öl- und Rohstoffpreise trifft in erster Linie die Wirtschaft der rohstoffexportierenden Länder.

Für sich genommen könnte dies zwar die Exporte aus dem Euro-Raum in solche Länder dämpfen, aber insgesamt gesehen profitiert die Wirtschaft im Euro-Raum von dem erneuten Fall der Öl- und Rohstoffpreise. Schließlich werden die Verbraucher und die Unternehmen nicht zuletzt an der Tankstelle und bei der Heizkostenrechnung durch die niedrigeren Ölpreise entlastet.

Allein der Ölpreisrückgang seit der Erstellung der Dezember-Prognose des Stabs des Eurosystems dürfte die Energierechnung der Haushalte und Unternehmen in Deutschland und dem Euro-Raum um gut ein halbes Prozent entlasten.

Dabei hat der Ölpreisrückgang vielfältige Ursachen:

  1. Die Ausweitung der Fördermenge in den USA, die erwartete Wiederaufnahme der Produktion in Libyen und die Expansion der Förderung im Irak;

  2. das mäßige Nachfragewachstum vor dem Hintergrund anhaltend moderater globaler Konjunktur;

  3. der faktische Zusammenbruch des OPEC-Kartells, das    sich Anfang Dezember 2015 nicht auf eine Mengenreduktion und künftige Fördermengenziele einigen konnte;

  4. die Aufhebung des Iran-Embargos;

  5. sehr hohe Lagerbestände bei gleichzeitig knapper werdender Lagerkapazität.

Aufgrund eines anhaltend deutlichen Angebotsüberhangs ist also in nächster Zeit wohl nicht mit einer Umkehr der Preisentwicklung zu rechnen.

Insofern wirkt gerade der neuerliche Ölpreisrückgang wie ein Konjunkturprogramm.

Und was Deutschland betrifft, so gibt es hier noch ein zweites Ausgabenprogramm: Ich denke dabei an die Ausgaben für die Flüchtlinge: Schätzungen der Bundesbank zufolge, die allerdings stark annahmeabhängig sind, könnten sie in diesem und im nächsten Jahr rund ein halbes beziehungsweise ein knappes dreiviertel Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen.

Während zunächst die staatlichen Konsumausgaben dominieren, werden mit der unterstellten abnehmenden Zuwanderung später die monetären Transfers an private Haushalte an Gewicht gewinnen.

Im Ergebnis könnte der bis zum Jahr 2017 kumulierte expansive Nachfrageimpuls der Flüchtlingsausgaben im Ergebnis dann bei etwa einem dreiviertel Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. Was den deutschen Staatshaushalt betrifft, erwarten wir für dieses und das nächste Jahr ein mehr oder weniger ausgeglichenes Ergebnis.

Entscheidend dafür, ob die wirtschaftlichen Chancen, die aus der Flüchtlingsmigration resultieren können, tatsächlich genutzt werden, ist vor allem die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt.

Diese Herausforderung wird Deutschland in den nächsten Jahren zweifelsohne beschäftigen – und dafür sind letztlich auch mehr Ausgaben für Bildung und Ausbildung notwendig. Kurzfristig dürfte die Zuwanderung erst einmal dazu führen, dass die Arbeitslosenquote um einen halben Prozentpunkt höher liegt.

Insgesamt sind die Wachstumsaussichten für Deutschland für dieses und das nächste Jahr gut. Wir erwarten, dass das Bruttoinlandsprodukt in den beiden Jahren um kalenderbereinigt 1,7 Prozent und 1,9 Prozent steigen wird.

Wesentliche Stütze dürfte dabei eine recht lebhafte Binnennachfrage sein, die insbesondere von einem kräftigen Anstieg der Reallöhne und einer weiter steigenden Beschäftigung profitiert.

Die gute finanzielle Lage der Unternehmen und die nach wie vor günstigen Finanzierungsbedingungen sowie der deutlich in den positiven Bereich steigende gesamtwirtschaftliche Auslastungsgrad dürften dazu führen, dass auch die Investitionen im Laufe des Jahres 2016 anziehen werden. 

Angesichts dieser Vorgaben gibt es aus meiner Sicht keinen Grund, mit Blick auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und dem Euro-Raum in Trübsal zu verfallen. Mittelfristige werden dann übrigens auch die Preise wieder stärker steigen. Rechnet man den Energiepreisrückgang heraus, liegt die Kernrate auch jetzt schon bei einem Prozent. Mit einem Ausklingen der dämpfenden Preiseffekte des Ölpreisrückgangs und einem Anziehen der Wirtschaft dürfte sich die Preisentwicklung dann langsam der Definition von Preisniveaustabilität des EZB-Rats annähern, die bei nahe aber unter zwei Prozent liegt.

3 Die Zukunft der Währungsunion

Meine Damen und Herren,

damit sind wir bei Europa:

Ein Währungsraum mit einer einheitlichen Geldpolitik setzt unter anderem voraus, dass die Mitgliedstaaten über ausreichende Spielräume in den nationalen Haushalten verfügen. Denn nur dann können sie die automatischen Stabilisatoren (Bsp.) wirken lassen, wenn sie von einem Wirtschaftsabschwung betroffen sind.

Ansonsten besteht die Gefahr, dass der EZB-Rat unter politischen Druck gerät, der Politik mit einer zu lockeren Geldpolitik zur Seite zu springen, möglicherweise dann auch zu Lasten des Ziels der Preisstabilität.

Damit es so weit nicht kommt, haben die Gründerväter des Euro im Vertrag von Maastricht einige Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die die Solidität der öffentlichen Finanzen absichern sollten, damit die Geldpolitik ungehindert von politischer Einflussnahme das Ziel der Preisstabilität verfolgen kann:

  1. Verschuldungsregeln, die verhindern sollten, dass Mitgliedstaaten sich übermäßig verschulden.

  2. Die Nichtbeistandsklausel ("No-Bailout-Regel"), die klarstellt, dass kein Mitgliedstaat für die Schulden anderer Mitgliedsländer haftet.

  3. Das Verbot der Staatsfinanzierung durch die Notenbank – um zu verhindern, dass Staatsschulden mit der Notenpresse bedient werden.

Die Grundidee hinter diesen Regelungen war letztlich das Prinzip der fiskalischen Eigenverantwortung der Mitgliedsländer. Getreu dem Motto von Walter Eucken, "Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen", sollten die Länder für ihre Schulden selber gerade stehen.

Im Kern sollte dies die disziplinierende Funktion der Kapitalmärkte stärken. Die Investoren sollten für die von ihnen eingegangen Risiken haften und für diese Risiken auch einen angemessenen Zins verlangen.

Die höheren Zinsen hätten dann der Schuldenaufnahme Grenzen gesetzt. Sie alle wissen, dass es so nicht kam. Bereits mit dem Eintritt in die Währungsunion glichen sich die Kapitalmarktzinsen der Euro-Länder sehr weit an.

Mit Blick auf die wirtschaftlichen und finanziellen Verflechtungen der Euro-Länder gingen die Märkte von einer europäischen Schicksalsgemeinschaft aus – und wie sich später herausstellte, lagen sie damit auch nicht ganz falsch.

Die damit notwendigerweise verbundenen Fehlentwicklungen in der Währungsunion begannen bereits sehr früh. Erst in der Krise wurden diese jedoch für alle offensichtlich:

Sei es die Erosion an Wettbewerbsfähigkeit, die hohen Leistungsbilanzdefizite, die unproduktive Verwendung von Kapitalzuflüssen oder die steigende Verschuldung des privaten Sektors.

Das sind alles Entwicklungen, die die entsprechenden Länder krisenanfällig machten, für die es aber kein Frühwarn- oder gar Korrektursystem gab.

Im Gegensatz zur staatlichen Haushaltsentwicklung wurden gesamtwirtschaftliche Fehlentwicklungen wie übermäßige Leistungsbilanzungleichgewichte nicht in den Blick genommen.

Doch selbst in dem Bereich, wo es seit jeher Regeln gab, nämlich bei den öffentlichen Finanzen, traten gravierende Fehlentwicklungen auf, die durch eine laxe Anwendung der vereinbarten Regeln erleichtert wurden.

Die Krise zwang die betroffenen Länder schließlich zu einer scharfen Korrektur der genannten Fehlentwicklungen.

Geholfen haben ihnen dabei die fiskalischen Hilfen aus den Rettungsprogrammen, die es ermöglicht haben, den Anpassungsprozess zu strecken und damit vielleicht auch politisch gangbarer zu machen.

Die zahlreichen Rettungs- und Krisenmaßnahmen der letzten Jahre haben also den Euro-Raum vorübergehend stabilisiert. Sie haben aber auch faktisch Elemente von Gemeinschaftshaftung etabliert.

Sie haben damit das Verhältnis von Haftung und Kontrolle aus dem Gleichgewicht gebracht. Denn es wurden zwar Risiken vergemeinschaftet, entsprechende Kontrollrechte wurden der Gemeinschaft aber nicht übertragen.

Das Prinzip der nationalen Eigenverantwortung hat offenbar an Geltung eingebüßt, doch es wurde nicht von einem überzeugenden Prinzip der gemeinschaftlichen Verantwortung abgelöst.

Damit hat eine tragende Säule der Währungsunion einen Riss bekommen. Um die Währungsunion wieder auf Dauer stabil zu machen, muss diese Säule zukünftig verstärkt werden.

Die zahlreichen Vorschläge zur institutionellen Reform der Währungsunion, wie sie in den letzten Wochen und Monaten geäußert wurden, lassen sich im Prinzip drei Kategorien zuordnen:

Erstens gibt es Vorschläge, die darauf abzielen, das Grundprinzip des Rahmens, wie er im Maastricht-Vertrag formuliert wurde, zu bekräftigen: mit weiterhin dezentraler Entscheidungskompetenz in der Finanz- und Wirtschaftspolitik und nationaler Haftung, wobei die Schwächen, die dieser Rahmen gezeigt hat, gezielt beseitigt werden sollen.

Zweitens gibt es Vorschläge für einen großen Sprung in der europäischen Integration, die eine Fortentwicklung der Währungsunion zu einer Fiskalunion, vielleicht sogar zu einer umfassenden politischen Union vorsehen – mit einer gemeinschaftlichen Haftung, aber auch gemeinschaftlichen Kontrollrechten.

Und drittens gibt es eine Reihe von Vorschlägen, die Mischformen der ersten und der zweiten Kategorie sind, meist in der Gestalt, dass gemeinschaftliche Haftung ausgeweitet, die nationale Souveränität in der Fiskalpolitik aber weitgehend unangetastet bleiben würde.

Das Problem dieser Mischformen ist, dass Haftung und Kontrolle auseinanderfallen.

Die Stabilität der Währungsunion würde damit aber nicht auf Dauer gewährleistet, denn die Einheit von Haftung und Kontrolle ist nach meinem Dafürhalten eine zentrale Voraussetzung für eine stabile Statik der Währungsunion.

Ich sehe daher letztlich nur zwei Wege, die zu einer stabilen Währungsunion führen. Der von vielen empfohlene Mittelweg könnte sich hingegen als Holzweg erweisen. Getreu der Devise: "In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod."

Im Juni des vergangenen Jahres hat Kommissionspräsident Juncker mit den Präsidenten Tusk, Dijsselbloem, Draghi und Schulz einen Bericht zur Zukunft der Währungsunion vorgelegt. Sie schlagen in dem Bericht konkrete Schritte vor, die das reibungslose Funktionieren der Währungsunion gewährleisten sollen. Der Bericht zielt nach meiner Einschätzung eindeutig in Richtung Zentralisierung und Risikoteilung.

Zur Übertragung von effektiven Kontrollrechten, gar Souveränitätsrechten sagen die fünf Präsidenten aber nichts Konkretes – das wäre aus Kongruenzgründen aber nötig.

Nur ein Beispiel:

So fordern die fünf Präsidenten die baldige Schaffung einer gemeinsamen Einlagensicherung und die Kommission hat hierzu mittlerweile konkrete Vorschläge gemacht.

Vor dem Hintergrund, dass wir mittlerweile eine gemeinsame Bankenaufsicht im Euro-Raum haben, wäre eine gemeinsame Einlagensicherung zumindest für die direkt von der EZB überwachten Institute in gewisser Weise konsequent.

Allerdings hängt das Wohl und Wehe von Banken nicht nur von der Aufsicht ab, sondern es wird auch weiterhin maßgeblich von der nationalen Wirtschaftspolitik und nationalen Gesetzen beeinflusst.

Denken Sie zum Beispiel an die nationalen Insolvenzordnungen. Großzügigere Regeln zur Insolvenz von Unternehmen oder Privatpersonen können die Wirtschaftlichkeit von Banken beeinträchtigen und Lasten vom Privatsektor oder der öffentlichen Hand in die Bankbilanzen verschieben. Geraten Banken deswegen in Schieflage, müssten Einleger aus anderen europäischen Ländern dann faktisch die Zeche dafür bezahlen.

Eine grenzüberschreitende Risikoteilung auf dem Gebiet der Einlagensicherung erscheint mir deshalb verfrüht.

Mit diesem oder anderen Instrumenten – mal ist von einem Euro-Raum-Budget die Rede, mal von einer "Fiskalkapazität", mal von einer "makroökonomischen Stabilisierungsfunktion" –, könnten natürlich wirtschaftliche Schocks, die einzelne Länder treffen, besser abgefedert werden.  

Es besteht jedoch die große Gefahr, dass aus Zahlungen, die länderspezifische Schocks abfedern sollen, dauerhafte Transfers in eine Richtung werden.

Manche fordern ja auch ganz offen einen Finanzausgleich.

Der französische Wirtschaftsminister Macron sagt zum Beispiel in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung: "Eine Währungsunion ohne Finanzausgleich – das gibt es nicht! Die Starken müssen helfen."

Macron gibt zu, dass die Forderung nach dauerhaften Finanztransfers für Deutschland einen Tabubruch darstelle, stellt aber im Gegenzug Reformen in Frankreich in Aussicht.

Eine echte Fiskalunion oder gar politische Union setzt allemal voraus, dass Souveränität an die gemeinschaftliche Ebene abgegeben wird.

Dazu wären nicht nur Änderungen der europäischen Verträge, sondern häufig auch der nationalen Verfassungen erforderlich.

Und die Stabilitätsorientierung der Währungsunion dürfte dabei auch nicht in Frage gestellt werden.

Als Fazit bleibt:

  • Solange der politische Wille zur Souveränitätsabgabe fehlt, ist eine Bekräftigung und Stärkung des Maastricht-Rahmens der richtige Weg, um die Währungsunion stabiler zu machen.
  • Die dezentrale Entscheidungskompetenz in der Finanzpolitik sollte im Grundsatz beibehalten werden. Gestärkt werden muss das Haftungsprinzip – das Grundgesetz der Marktwirtschaft.
  • Ohne das Haftungsprinzip kann eine marktwirtschaftliche Ordnung nicht funktionieren.

Die Schwachstellen, die der dezentrale Ansatz hat, können meines Erachtens behoben werden.

Eine Reihe von institutionellen Reformen wurde ja bereits umgesetzt, manche leider etwas halbherzig:

  1. Erstens wurden die Fiskalregeln des Stabilitätspakts verändert und ein Fiskalpakt beschlossen. Die Fiskalregeln sollen damit wieder stringenter und verbindlicher werden.

  2. Zweitens wurde ein Verfahren zur frühzeitigen Aufdeckung gesamtwirtschaftlicher Ungleichgewichte etabliert, bei dem die Europäische Kommission regelmäßig untersucht, ob zum Beispiel von der Verschuldung des privaten Sektors oder von den Leistungsbilanzsalden der Mitgliedstaaten destabilisierende Wirkungen ausgehen. Die Krise hat gezeigt, dass es dabei vor allem darauf ankommt, die Defizitländer in den Blick zu nehmen. Denn schließlich könnte ihnen möglicherweise wieder ein plötzlicher Vertrauensentzug der Kapitalmärkte drohen – umgekehrt könnte man auch sagen: Es ist noch nie ein Land Pleite gegangen, weil es zu viel gespart hat.

  3. Drittens wurde ein Krisenmechanismus etabliert – erst temporär, dann dauerhaft –, der als "Brandmauer" die Stabilität des Finanzsystems des Euro-Raums sichern soll. Ein Mechanismus, der seine Berechtigung hat, für absolute Notfälle. Getreu dem Motto "Solidarität für Solidität" sollten Finanzhilfen nur mit strikter Konditionalität gewährt werden.

  4. Viertens wurde eine Bankenunion beschlossen, die eine gemeinsame Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB und einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus für marode Banken eingeführt hat. Schließlich hatte sich gezeigt, dass Schieflagen von Banken grenzüberschreitende Ausstrahleffekte haben, nationale Aufseher aber allzu gerne die "rosarote Brille" aufsetzen, wenn es um "ihre Institute" geht.

  5. Und fünftens wurde die Finanzmarktregulierung verschärft. Auch hier war es wichtig, dem Haftungsprinzip wieder mehr Geltung zu verschaffen.

Es genügt freilich nicht, strengere Regeln zu beschließen. Sie müssen auch angewandt werden.

Was die Fiskalregeln betrifft, sind jedoch Zweifel an der konsequenten Umsetzung angebracht. Es wurden erhebliche Interpretations- und Ermessensspielräume geschaffen, die nun genutzt werden, um die Haushaltskonsolidierung immer wieder hinauszuzögern.

Bundesfinanzminister Schäuble hat zuletzt wiederholt angemahnt, wie wichtig es sei, "dass die Kommission die richtige Balance zwischen ihrer politischen Funktion sowie der Rolle als Hüterin der Verträge wahrt".

Bedingt durch ihre Doppelrolle neigt die EU-Kommission dazu, Kompromisse zulasten der Haushaltsdisziplin einzugehen.

Eine strenge Auslegung der Fiskalregeln wird allerdings alleine nicht ausreichen, um solide Staatsfinanzen zu gewährleisten. Deswegen muss auch die Disziplinierungsfunktion der Finanzmärkte gestärkt werden.

Der "No-Bailout-Klausel" fehlte es schlicht an Glaubwürdigkeit. Der gegenseitige Haftungsausschluss kann nur dann glaubwürdig funktionieren, wenn die Anleger davon ausgehen müssen, dass ein Mitgliedstaat auch zahlungsunfähig werden kann. Um Gefahren für die Finanzstabilität zu vermeiden brauchen wir also ein geregeltes Verfahren für die Insolvenz eines Staates. Man muss der Staatsinsolvenz quasi den Schrecken nehmen.

Die im Jahr 2013 eingeführten Umschuldungsklauseln haben bereits das Signal gesendet, dass Anleger im Falle der staatlichen Überschuldung mit einem Schuldenschnitt rechnen müssen.

Um die Halter von Staatsanleihen gegebenenfalls noch besser für ihre Entscheidung in Haftung nehmen zu können, wäre eine Laufzeitverlängerung von Staatsanleihen hilfreich, die automatisch in Kraft träte, wenn ein Land Mittel aus dem ESM bekommt. Damit würde verhindert, dass private Gläubiger zulasten der europäischen Steuerzahler ausbezahlt werden.

Wenn man der Staatsinsolvenz den Schrecken nehmen möchte, muss man aber auch sicherstellen, dass ein solches Ereignis nicht die Stabilität des gesamten Finanzsystems gefährdet.

Die Hilfe für Griechenland wurde ja nicht zuletzt damit begründet, dass eine Staatspleite die Stabilität des europäischen Finanzsystems bedroht hätte.

Und hier kommt die Bankenregulierung als entscheidender Faktor ins Spiel:

Je mehr Eigenkapital und haftendes (sogenanntes "bail-in-fähiges") Fremdkapital Banken haben, desto besser kann eine staatliche Schuldenrestrukturierung verkraftet werden.

Deswegen ist es wichtig, dass die auf internationaler Ebene beschlossenen Regelungen zur Aufstockung der Haftungsmasse umgesetzt werden. Und danach braucht es natürlich den Willen, die neuen Regeln auch anzuwenden.

Um außerdem die unheilvolle Verknüpfung von Banken und Staaten wirksam zu durchbrechen, die die Krise im Euro-Raum so drastisch verstärkt hat, muss auch die sogenannte Privilegierung von staatlichen Schuldnern mittelfristig beendet werden.

Diese Privilegierung besteht unter anderem darin, dass Banken für Ausleihungen an den Staat kein Eigenkapital vorhalten müssen, weil unterstellt wird, dass diese risikolos seien.

Die Folge der Vorzugsbehandlung ist, dass Banken einen starken Anreiz haben, in Staatsanleihen zu investieren, und zwar gerade solche Banken, die ohnehin wenig Eigenkapital haben.

Das griechische Drama hat eindrucksvoll gezeigt, dass Staatsanleihen nicht risikolos sind.

Eine stufenweise Abschaffung der Privilegierung dürfte dazu führen, dass die Risikoprämien der Anleihen von Staaten steigen, die eine höhere Ausfallwahrscheinlichkeit aufweisen. Das wiederum dürfte eine zusätzliche disziplinierende Wirkung auf diese Länder entfalten.

Umgekehrt wird die Kreditvergabe an private Haushalte und Unternehmen attraktiver, so dass sich in bestimmten Ländern die Kreditversorgung verbessern würde.

Ich sehe es durchaus als Erfolg, dass dieses Thema mittlerweile auf der Agenda der relevanten Gremien steht und die Notwendigkeit regulatorischer Änderungen breite Unterstützung findet.

4 Neuordnung der föderalen Finanzbeziehungen

Meine Damen und Herren, bei der Frage nach der künftigen Ausrichtung der Währungsunion geht es um die Übereinstimmung von Haftung und Kontrolle, um das Prinzip der Eigenverantwortung und um solide öffentliche Haushalte.

Diese Aspekte müssen auch in dem deutschen Föderalstaat immer wieder richtig austariert werden.

Die deutsche Finanzpolitik steht hier vor schwierigen Entscheidungen, denn Bund und Länder müssen sich auf eine Neuordnung der komplizierten innerstaatlichen Finanzbeziehungen einigen.

Der Grund dafür ist, dass die derzeitigen Regelungen des Länderfinanzausgleichs im Jahr 2019 auslaufen. Es muss daher über ein Umverteilungsvolumen von zuletzt 17 Mrd € pro Jahr neu entschieden werden. 

Anfang 2020 wird zudem die Schuldenbremse für die Länder scharf gestellt. Dann müssen die Bundesländer grundsätzlich ohne neue Schulden auskommen.

Meine Damen und Herren, bei den innerstaatlichen Finanzbeziehungen geht es vor allem um Politik.

Jeder Finanzminister – ganz egal ob in Düsseldorf  oder Dresden, ob in Stuttgart oder Saarbrücken, wird Reformvorschläge nur danach bewerten, wie sie sich auf seinen Haushalt auswirken.

Bei den Verhandlungen wird mitunter gefeilscht wie auf dem türkischen Basar. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die Minister von ihrem Stab mit detaillierten Tabellen ausgestattet werden, die auf Euro und Cent genau darüber Aufschluss geben, was die Vorschläge für das eigene Bundesland bedeuten.  

Aus der Perspektive eines Zentralbankers spielt die konkrete regionale Verteilung eine untergeordnete Rolle. Wir bewerten die Vorschläge im Hinblick auf die Effizienz des Gesamtsystems.

In einem Föderalstaat hängt es nicht zuletzt auch von der Finanzverfassung ab, ob die öffentlichen Haushalte dauerhaft solide aufgestellt sind und ob die Regierungen in Bund, Ländern und Kommunen die Rahmenbedingungen so setzen, dass die Wirtschaft floriert und die Steuereinnahmen sprudeln.

Die Bundesbank hat daher im September 2014 in einem Monatsberichtsaufsatz eine detaillierte Analyse des Länderfinanzausgleichs vorgelegt und Verbesserungsvorschläge diskutiert.

Sie laufen im Kern darauf hinaus, die Einnahmeautonomie der Länder zu stärken.

Ebenfalls soll der Finanzausgleich transparenter werden.

Denn anders als bei den Ausgaben, wo signifikante Entscheidungsmöglichkeiten bestehen, haben die Länder derzeit so gut wie keinen Einfluss auf die Höhe ihrer Einnahmen.

Nur ein sehr geringer Teil ihrer Einnahmen speist sich aus Steuern, deren Aufkommen alleine den Ländern zusteht. Hierzu zählen die Erbschaftsteuer, die Grunderwerbsteuer, die Rennwett- und Lotteriesteuer und die Biersteuer.

Und auch nur bei der Grunderwerbsteuer können die einzelnen Länder in signifikantem Ausmaß eigenverantwortlich handeln, indem sie die Steuersätze eigenständig festlegen.

Den wesentlichen Teil ihrer Einnahmen erzielen die Länder stattdessen aus Steuern, die Bund und Ländern gemeinsam zustehen und die nach bundesweit einheitlichen Steuersätzen erhoben werden. Für das Jahr 2014 Jahr betrug das Aufkommen aus diesen Steuern gut 460 Mrd. € – und für 2015 wurden von den Steuerschätzern zuletzt mehr als 480 Mrd. € erwartet.

Diese Gemeinschaftssteuern werden von den Ländern erhoben und in einem komplizierten Verfahren zwischen dem Bund und den einzelnen Ländern aufgeteilt. In einem letzten Schritt nimmt der Bund dann einen weiteren Ausgleich vor.

Am Ende dieses komplizierten und eher intransparenten Verfahrens sind die Unterschiede in der Finanzkraft nahezu vollständig ausgeglichen.

Dieses System führt dazu, dass Länder, die ihre Einnahmen steigern, einen großen Teil der zusätzlichen Einnahmen an die anderen Bundesländer abführen müssen.

Den Länderfinanzministern geht es dabei im Prinzip so wie ihnen bei der Einkommenssteuer: Wenn sie ein höheres Einkommen erzielen, etwa weil sie mehr arbeiten oder den Gewinn ihres Unternehmens gesteigert haben, behält der Staat einen Teil des zusätzlichen Geldes über die Steuer ein.

Die Länder müssen ihre Einnahmen natürlich nicht versteuern. Aber wer höhere Einnahmen erzielt, muss im bestehenden System einen Teil davon an die anderen Länder abgeben.

Vor allem in den Nehmerländern sind die so genannten Grenzabschöpfungsquoten sehr hoch. Von einem zusätzlichen Euro an Steuereinnahmen bleiben dort im günstigsten Fall nur etwa 20 Cent im eigenen Haushalt hängen. Die anderen 80 Cent verringern die Einnahmen aus dem Umsatzsteuervorwegausgleich, die Abführungen aus den Haushalten der Geberländer und die allgemeinen Ergänzungszuweisungen des Bundes.

Wenn es gelänge, die Grenzabschöpfungsquoten zu verringern, würde dies auch dazu beitragen, dass der Gesamtstaat leistungsfähiger wird. Allerdings dürfte dabei die im Grundgesetz verankerte Vorgabe einer Mindestfinanzkraft für die Nehmerländer nicht gefährdet werden.

Die fehlenden Möglichkeiten, über die Höhe der eigenen Einnahmen bestimmen zu können, hat noch einen weiteren Nachteil: Länder mit höheren Ausgabewünschen können diese nur über Kredite finanzieren.

Die Länder haben in der Vergangenheit von der Kreditfinanzierung allerdings in sehr unterschiedlichem Maße gebrauch gemacht.

Während die Schulden von Ländern und Gemeinden in Sachsen und Bayern unter 5.000 € pro Kopf liegen, betragen sie im Saarland rund 15.000 €.

Ab 2020 greift die Schuldenbremse auch für die Länder vollständig. Dann wird die Kreditfinanzierung höherer Ausgabewünsche nicht mehr möglich sein.

4.1 Vorschlag der Länder

Meine Damen und Herren, die Verhandlungen über die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs ziehen sich nun schon über mehrere Jahre hin. Am Donnerstag beschäftigen sich die Regierungschefs aus Bund und Ländern erneut damit.

Dies liegt auch daran, dass sehr viele Akteure mit unterschiedlichen Interessen am Tisch sitzen. Bei den Ländern verläuft die Trennlinie meistens zwischen den Nettozahlern und den Nettoempfängern. Im Dezember vergangenen Jahres haben die Länder dem Bund jedoch einen gemeinsamen Vorschlag unterbreitet, bei dem sie sich alle besser stellen. Verlierer wäre allerdings der Bundesfinanzminister, der nicht mit am Tisch saß als die Länder sich geeinigt hatten. Entsprechende Unzufriedenheiten mit der Lösung konnte man aus den Regierungsfraktionen im Bundestag hören.

Die Länder fordern vom Bund zusätzliche Mittel in Höhe von 9,7 Milliarden Euro jährlich. Bislang hat der Bund lediglich 8,5 Milliarden Euro angeboten.

Es handelt sich bei dem Vorschlag der Länder also um einen Vorschlag von 16 zu Lasten des 17ten.

Die Nettozahlerländer sollen unter anderem durch eine Abflachung der Abschöpfungsquoten entlastet werden. Für die Nettoempfängerländer ist ein Ausgleich über neue Bundesergänzungszuweisungen vorgesehen.

Für die hochverschuldeten und weiter hoch defizitären Länder Bremen und Saarland wird eine Ausweitung der bisher befristeten Konsolidierungshilfezahlungen vorgeschlagen, was den Konsolidierungsdruck allerdings spürbar verringern würde.

Die Länder begründen ihren Vorschlag unter anderem damit, dass er für mehr Transparenz sorgen würde. Das bisher vorgelegte Eckpunktepapier erlaubt in dieser Hinsicht jedoch noch keine abschließende Bewertung. Angesichts einiger darin enthaltener Detailregelungen habe ich aber Zweifel daran, dass die Transparenz des Systems am Ende tatsächlich steigt.

Was die mit dem Länderfinanzausgleich verbundenen Anreizprobleme angeht, könnte das Fazit sogar noch ungünstiger ausfallen, da in den vorliegenden Eckpunkten zumindest bei einigen Empfängerländern eine eher stärkere Nivellierung der Finanzkraft angelegt zu sein scheint.

Aber nun ist ohnehin erst einmal der Bund am Zug. Er hat angekündigt, den Vorschlag zu prüfen.

Aus meiner Sicht positiv ist, dass sich die Länder – für viele unerwartet – in einem Kraftakt geeinigt haben. Das macht es dem Bund nicht leicht.

4.2 Umgang mit Altschulden

Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion über die Zukunft der Länderfinanzen betrifft die Altschulden der Länder.

Im Hinblick auf die Schuldenbremse und die anstehende Reform der Finanzverfassung wird mitunter vorgeschlagen, hoch verschuldete Länder in einer Übergangsphase gesondert zu unterstützen.

Der Vorschlag der Länder sieht vor, dass die  Konsolidierungsländer ab 2016 ihre bestehenden Schulden gemeinsam mit dem Bund finanzieren, um von dessen Finanzierungsvorteil zu profitieren. Ab 2020 sollen auch die anderen Länder diese Möglichkeit nutzen können. Der Bund würde dann letztlich die Schulden der Länder garantieren.

Ordnungspolitisch gilt: Haushaltsautonomie und Eigenverantwortung gebieten es, dass die Länder die Kosten aus alten Krediten selber tragen. Schließlich haben sie von den damit finanzierten Ausgaben profitiert.

Jetzt die Zinslast auf den Bund oder andere Länder zu verlagern würde bedeuten, die Kosten des eigenen Handelns auf Dritte abzuwälzen.

Ich habe Walter Eucken heute bereist zitiert: "Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen" – das sollte im Grundsatz auch für die deutschen Bundesländer gelten.

Zwingende Voraussetzung für gemeinschaftliche Hilfen wäre aber zumindest, dass diejenigen Länder, die Übergangshilfen empfangen, sich im Gegenzug zu besonderen Anstrengungen verpflichten. Etwa indem sie ihre laufenden Haushalte sanieren und diesen Zustand dann auch dauerhaft beibehalten.

Die Überwachung solcher Zusagen könnte dann der Stabilitätsrat übernehmen. In diesem Gremium sitzen die Finanzminister des Bundes und der Länder sowie der Minister für Wirtschaft und Energie, um die Haushalte des Bundes und der Länder regelmäßig zu überwachen. Ziel ist es, drohende Haushaltsnotlagen bereits in einem frühen Stadium zu erkennen, um rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen einleiten zu können.

5 Schluss

Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle nicht weiter ins Detail gehen. Ich vermute, ich habe Ihre Aufmerksamkeit schon genug strapaziert.

Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass die Geldpolitik auch darauf angewiesen ist, dass die Länder ihrer Verantwortung gerecht werden, die die Mitgliedschaft in der Währungsunion mit sich bringt. Sie müssen für solide Staatsfinanzen, wettbewerbsfähige Wirtschaftsstrukturen, leistungsfähige Verwaltungen und stabile Finanzsysteme sorgen.

Darüber hinaus muss der Ordnungsrahmen der Währungsunion so ausgestaltet werden, dass dem Prinzip der Eigenverantwortung wieder mehr Geltung verschafft wird. Vor diesem Hintergrund freut es mich, dass die Debatte über die Ausrichtung der Währungsunion nun wieder intensiver geführt wird.

Und in Deutschland müssen die Länderfinanzen dazu beitragen, dass die öffentlichen Haushalte weiterhin solide aufgestellt sind. Auch hier stehen wichtige Weichenstellungen an.

Vielen Dank fürs Zuhören.