Impulsvortrag "Finanzstabilität auch im Immobiliensektor?" 19. Immobilien-Symposium „Zwischen Stillstand und Aufbruch: Die Immobilienwirtschaft im Wandel“
Es gilt das gesprochene Wort.
- 1 Einleitung
- 2 Warum ist Finanzstabilität wichtig?
- 3 Warum sind Immobilienmärkte so ein wichtiges Thema für Finanzstabilität?
- 4 Wie schätzt die Bundesbank die Risikolage am Wohnimmobilienmarkt ein?
- 5 Wie schätzt die Bundesbank die Risikolage am Gewerbeimmobilienmarkt ein?
- 6 Einschätzung aus der makroprudenziellen Perspektive
- 7 Wo sehen wir die größten weiteren Herausforderungen?
1 Einleitung
Stellen Sie sich vor, ein Jurist und eine Ökonomin fahren gemeinsam zum Immobilien-Symposium im Kloster Eberbach.
Die Sonne scheint, die Fahrt führt durch die Weinberge und beeindruckende Natur. Doch plötzlich das: Der Fahrer macht eine Vollbremsung. Was ist los? Ein großes Schlagloch ist auf dem Weg.
Der Jurist und die Ökonomin steigen aus und sehen sich das Schlagloch an. Der Jurist sagt: „Wir sollten eine Klage gegen die Stadt einreichen!“
Die Ökonomin erwidert: „Nach meinen Modellannahmen darf es hier gar kein Schlagloch geben!“
Was sagt uns das? Dass beide wenig pragmatisch sind? Dass Juristen überall eine Möglichkeit zur Klage finden? Dass Ökonominnen ihren Modellrahmen nie verlassen?
All das sind nicht meine Schlussfolgerungen. Die Deutsche Bundesbank ist eine Institution, in der bekanntlich viele Ökonominnen und Ökonomen arbeiten. Und ich bin einer davon: Seit September vergangenen Jahres bin ich Mitglied im Bundesbank-Vorstand.
Manche sagen den Ökonominnen und Ökonomen nach, dass sie innerhalb ihrer Modellwelt wenig anpassungsfähig sind. Doch Sie werden heute sehen, dass es auch anders geht.
Unser Thema heute sind Immobilienmärkte aus Sicht der Finanzstabilität. Auf diesem Gebiet haben die Bundesbank-Ökonominnen und -Ökonomen gezeigt, dass sie auf geänderte Rahmenbedingungen reagieren.
Dazu gleich mehr.
Was ist unsere Agenda heute? Wir schauen uns fünf Fragen an.
Erstens: Was ist die Finanzstabilitäts-Perspektive?
Zweitens: Warum sind Immobilienmärkte so ein wichtiges Thema für Finanzstabilität?
Drittens und viertens gehe ich jeweils auf die Risiken bei Wohn- und Gewerbeimmobilien ein.
Die fünfte und letzte Frage ist, wie wir die Lage an den Immobilienmärkten aus der makroprudenziellen Perspektive einschätzen.
2 Warum ist Finanzstabilität wichtig?
Zur ersten Frage. Warum ist Finanzstabilität wichtig? Alle hier im Raum beschäftigt das Thema „Immobilien“. Allein die Perspektiven darauf sind unterschiedlich. Die Bundesbank-Perspektive ist die aus Sicht der Finanzstabilität. Denn wir haben zusammen mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin und dem Bundesfinanzministerium seit 2012 das Mandat, die Finanzstabilität in Deutschland sicherzustellen. Gemeinsam beraten wir im Ausschuss für Finanzstabilität AFS.
Die Bundesbank-Rolle hierbei ist, Gefahren für die Finanzstabilität frühzeitig zu identifizieren und zu bewerten. Im Fall der Fälle schlagen wir auch Maßnahmen vor, um Risiken einzudämmen. Hierbei nehmen wir ergänzend zur Bankenaufsicht, die auf der mikroprudenziellen Ebene die Einzelinstitute überwacht das System als Ganzes in den Blick und untersuchen die Risiken somit auf der makroprudenziellen Ebene.
Wann ist das Finanzsystem stabil? Für uns ist das ein Zustand, in dem das Finanzsystem jederzeit seine volkswirtschaftlichen Funktionen erfüllt, zum Beispiel Kredite zu vergeben oder Risiken zu versichern und zu verteilen. Also auch trotz kleiner und großer Schlaglöcher. Denn diese können in Form von unerwarteten Ereignissen immer auftreten, wir nennen sie Schocks.
Finanzinstabilität entsteht, wenn das Finanzsystem seine Funktionen für die Realwirtschaft nicht mehr übernimmt. In Krisensituationen kann es dazu kommen, dass das Vertrauen innerhalb des Finanzsektors verloren geht. Die Finanzmarktakteure gehen dann in den Überlebensmodus und sind nur noch darauf bedacht, die Risiken für sich selbst zu begrenzen. Das macht man am besten, indem keine neuen Risiken eingegangen, Kredite nicht vergeben oder nicht verlängert werden.
3 Warum sind Immobilienmärkte so ein wichtiges Thema für Finanzstabilität?
Zur zweiten Frage: Warum sind gerade Immobilienmärkte so wichtig für ein stabiles Finanzsystem?
Kreditfinanzierte Booms auf den Immobilienmärkten spielen eine wesentliche Rolle dafür, dass Finanzkrisen entstehen und wie stark sie die Realwirtschaft treffen.
Wenn ein kreditfinanzierter Immobilien-Boom eine Krise auslöst, sind deren Kosten oft besonders hoch.[1] Dies trifft insbesondere zu, wenn außer dynamischer Kredit- und Preisentwicklung auch die Kreditvergabestandards lockerer werden. Wenn dann noch viel realwirtschaftliche Aktivität in die Baubranche wandert, sind die anschließenden Verwerfungen besonders hoch. In diesem Fall müssen nämlich nicht nur hohe Verluste getragen werden, sondern zusätzlich muss auch die realwirtschaftliche Aktivität wieder umgelenkt werden. Die Wirtschaftsleistung geht aufgrund abrupter Anpassungsprozesse in der Krisenphase deutlich zurück, mehr Menschen werden arbeitslos, Kreditausfälle steigen an. Dies belastet Kreditgeber wie Banken und andere Finanzintermediäre. Vertrauen zwischen den Banken und in die Finanzmärkte geht verloren. Oftmals musste dann der Staat einspringen, wodurch die Staatsverschuldung anstieg.
Bei rund zwei Drittel der internationalen systemischen Finanzkrisen seit 1980 gingen laut Analysen des Internationalen Währungsfonds Übertreibungen am Wohnimmobilienmarkt voraus. Einige prominente Beispiele aus jüngerer Vergangenheit: die Finanzkrise in den USA oder die Immobilienkrisen in Irland und Spanien. Sie alle materialisierten sich nach einem mehrjährigen Risikoaufbau ab den Jahren 2007/08.[2] Die Folgen waren hohe realwirtschaftliche Belastungen und Verwerfungen an den Finanzmärkten.
Gewerbeimmobilienkredite waren in diesen Krisen zwar nicht der Auslöser, aber sie trugen ebenfalls signifikant zu den Verlusten von Banken bei. Die Bankenkrise in Schweden Anfang der 1990er Jahre wurde zum Beispiel maßgeblich durch Wertkorrekturen am Gewerbeimmobilienmarkt verursacht.[3]
Auch in Deutschland haben Immobilienkredite einen hohen Anteil an der gesamten Kreditvergabe. Etwa die Hälfte der Kredite des deutschen Bankensektors an Unternehmen und Privatpersonen entfällt auf Wohnungsbaukredite.
Neben Wohnimmobilien spielen auch Gewerbeimmobilien eine wichtige Rolle. Banken, Immobilienfonds und Versicherer finanzieren den Bau und Erwerb von Gewerbeimmobilien durch Kredite, Direktinvestitionen und Vermögensanlagen. Etwa 34 Prozent der Kredite von deutschen Banken an nicht-finanzielle Unternehmen sind Kredite, die mit Gewerbeimmobilien besichert sind. Dementsprechend bedeutsam sind Gewerbeimmobilien als Sicherheiten für Banken.
In der Vergangenheit waren die Kosten von Finanzkrisen höher, wenn sich private Haushalte stark verschuldet haben.[4] Auch die Kreditvergabestandards spielten eine Rolle. Wenn sie sehr locker waren, fielen besonders viele Kredite aus.[5]
Hier kommt die makroprudenzielle Politik zum Tragen. Denn sie hat das Mandat, für Finanzstabilität zu sorgen und soll teure Finanzkrisen verhindern.
Welche Maßnahmen kann die makroprudenzielle Politik einsetzen?
Zum einen haben wir für Banken kapitalbasierte Zusatzpuffer. Dazu gehören der antizyklische Kapitalpuffer und der sektorale Risikopuffer für mit Wohnimmobilien besicherte Kredite: Diese werden eingesetzt, um vorbeugend für den Fall eines zyklischen Abschwungs Eigenkapital aufzubauen. Das zusätzliche Eigenkapital kann mögliche Kreditausfälle abfedern. Dies mindert die Gefahr, dass der Bankensektor kaum oder keine Kredite mehr vergibt, weil es kaum freies Eigenkapital gibt.
Zum anderen haben wir kreditnehmerbezogene Maßnahmen: diese begrenzen die Risiken bei neu vergebenen Krediten. In Deutschland hat die BaFin beispielsweise die Option, eine Obergrenze für die Verschuldung der Wohnimmobilienfinanzierungen im Verhältnis zum Immobilienwert festzulegen, die Loan-to-Value-Ratio (kurz: LTV). Das heißt, es wird vorgegeben, wieviel Eigenkapital anteilig in eine Finanzierung eingebracht werden muss.
4 Wie schätzt die Bundesbank die Risikolage am Wohnimmobilienmarkt ein?
Kommen wir zur dritten Frage, der nach der Risikolage am deutschen Wohnimmobilienmarkt. Bis 2022 waren die Zinsen lange Zeit sehr niedrig. In dieser Zeit hatten sich in der mehrjährigen Aufschwungsphase am deutschen Wohnimmobilienmarkt Verwundbarkeiten aufgebaut.
Zum Höhepunkt des Zyklus am Wohnimmobilienmarkt haben wir zweistellige Wachstumsraten bei den Preisen beobachtet. Die Jahreswachstumsrate des Wohnimmobilienkreditbestands lag bei rund 7 Prozent.[6]
Zudem waren Immobilien in den Städten im Vergleich zu den soziodemografischen und wirtschaftlichen Fundamentalfaktoren um 15 Prozent bis 40 Prozent überbewertet.[7] Das ist ein ganz schön tiefes Schlagloch. Bei einem Abschwung können solche Überbewertungen die Sicherheitenwerte belasten. Und so kam es später auch.
Unsicherheiten bestanden und bestehen weiterhin auch über die Kreditvergabestandards. Zwar zeigten die Durchschnittswerte keine extreme Lockerung der Vergabestandards an: So lagen die LTVs im Durchschnitt ungefähr bei 80 Prozent; der Schuldendienst der Kreditnehmer im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen (Debt-Service-to-Income, DSTI) betrug 30 Prozent. Aus makroprudenzieller Sicht ist das im Durchschnitt in Ordnung. Wobei die Werte zum Höhepunkt des Zyklus durchaus eine gewisse Lockerung der Vergabestandards anzeigten. So gab und gibt es bei einem genaueren Blick hinter diese Durchschnittswerte auch einige Finanzierungen mit hohen Verschuldungsrelationen. Im Extremfall gab es auch 100 Prozent Finanzierungen, bei denen außer den Kaufnebenkosten der gesamte Kaufpreis fremdfinanziert wurde.
Wie hat die makroprudenzielle Aufsicht gehandelt? Angesichts der dynamischen Preis- und Kreditentwicklung hatte die BaFin Anfang 2022 den sektoralen Systemrisikopuffer aktiviert. Für mit Wohnimmobilien besicherte Kredite waren 2 Prozent Zusatzkapital notwendig. Das ist, als ob ein Autofahrer für eine Strecke mit vielen Schlaglöchern vorher etwas mehr Luft in die Reifen pumpt.[8] Denn viele von uns wissen: nach einem Aufschwung kommt oft ein Abschwung. Dafür galt es vorzusorgen.
Die Verwundbarkeiten am Wohnimmobilienmarkt sind aber seitdem zurückgegangen. So ist beispielsweise die Verschuldung der privaten Haushalte im Verhältnis zu ihrem verfügbaren Einkommen seit Ende des Jahres 2021 um rund 11 Prozentpunkte gesunken. Ende 2024 lag sie bei rund 86 Prozent.
Die Wohnimmobilienpreise stabilisierten sich im Jahr 2024, nachdem sie laut Angaben des Statistischen Bundesamtes zwischen Mitte 2022 und Anfang 2024 um insgesamt rund 13 Prozent gesunken waren.
Auch die Überbewertungen haben sich in der Folge größtenteils abgebaut.[9] Folglich sehen wir nun ein geringeres Rückschlagpotenzial bei den Wohnimmobilienpreisen.[10]
Gleichzeitig haben in Folge dieser Preisrückgänge aber die Sicherheitenwerte gelitten.
Denn ein durchaus bedeutender Teil der Kreditportfolios wurde um den Höhepunkt des Zyklus vergeben. Also zu einem Zeitpunkt, an dem die Transaktions- wie auch die Kredit- und Preisdynamik am höchsten waren. Die Werthaltigkeit dieser Kredite ist am meisten vom Preisrückgang betroffen. Infolge der Preisrückgänge besteht daher nach unseren Schätzungen ein signifikanter Anteil von Krediten, bei denen das ausstehende Darlehensvolumen den aktuellen Immobilienwert übersteigt.[11]
Doch nicht nur ein hoher Fremdkapitalanteil in der Finanzierung birgt Risiken, sondern auch die unsichere gesamtwirtschaftliche Lage in Deutschland.
In der Vergangenheit stiegen die Kreditausfälle in der Wohnimmobilienfinanzierung besonders stark in Zeiten höherer Arbeitslosigkeit. Denn wenn ein Teil des Einkommens wegbricht, können manche Haushalte ihre Kredite nicht mehr bedienen.[12] Auch aktuell sehen wir einen steigenden Trend bei der Entwicklung notleidender Kredite für private Wohnimmobilienfinanzierungen, wenn auch auf einem insgesamt niedrigen Niveau.[13]
Insgesamt konnte sich der Arbeitsmarkt der gesamtwirtschaftlichen Schwäche nicht ganz entziehen. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit ist bislang aber im Vergleich zu früheren Abschwungphasen moderat. Dies hat auch die Kreditausfälle begrenzt.
Vorausschauend muss sich allerdings noch zeigen, ob alles ausgestanden ist. Wir stehen vor erheblichen strukturellen Herausforderungen wie beispielsweise die aktuelle US-Zollpolitik verdeutlicht.
Für negative Szenarien müssen wir beachten, dass viele Unternehmen mehr Personal behalten haben, als es die konjunkturelle Lage erwarten lässt. Zum einen nehmen sie laut Umfragen eine stärkere konjunkturelle Erholung an als bislang festzustellen ist. Zum anderen haben viele Unternehmen aufgrund des demografischen Wandels in der Personalplanung vorgesorgt. Dies könnte allerdings die Rückschlaggefahr am Arbeitsmarkt im Falle negativer gesamtwirtschaftlicher Szenarien verstärken. Das würde auch die Kreditausfallwahrscheinlichkeiten auf breiterer Front als bislang erhöhen. Wir hoffen natürlich, dass es nicht so kommt. Aber Finanzstabilitätspolitik bedeutet eben gerade auch solche negativen Szenarien zu berücksichtigen. Dann sind wir im Fall der Fälle vorbereitet.
Gerade das Verarbeitende Gewerbe steht vor großen Herausforderungen angesichts der US-Zollpolitik und eines zunehmend intensiveren internationalen Wettbewerbs. Es geht um gutbezahlte Industriejobs. Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben überdurchschnittlich oft eine Wohnimmobilienfinanzierung. Ganz besonders betrifft dies natürlich Regionen mit einem hohen Industrialisierungsgrad, die bislang weit unterdurchschnittliche Arbeitslosenquoten aufweisen.
Zusammenfassend sehen wir am Wohnimmobilienmarkt zwar insgesamt einen Rückgang der Verwundbarkeiten. Zugleich sollten wir aber wachsam bezüglich möglicherweise noch auftretender Schlaglöcher bleiben und immer vorbereitet sein. Sonst könnten wir von Unwägbarkeiten auf dem falschen Fuß erwischt werden. Resilienz ist hier das Zauberwort.
Diese gilt es auch gegenüber den Risiken auf dem Gewerbeimmobilienmarkt zu stärken.
5 Wie schätzt die Bundesbank die Risikolage am Gewerbeimmobilienmarkt ein?
Das bringt uns zur vierten Frage, der nach den Risiken am Gewerbeimmobilienmarkt. Anders als bei Wohnimmobilien sehen wir hier unverändert erhöhte systemische Risiken. Es gibt aber auch positive Entwicklungen am Gewerbeimmobilienmarkt: eine ist die Preisstabilisierung in den vergangenen Quartalen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob diese nachhaltig ist. Denn auch im Jahr 2024 blieben die Investoren bei Transaktionen zurückhaltend. Es wurden fast 60 Prozent weniger Gewerbeimmobilien gehandelt als im Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2021.[14] Zwar gibt es weiterhin die Nachfrage im Prime-Bereich. Jedoch treffen Trends wie Homeoffice, Onlinehandel und ESG-Kriterien auch auf viele veraltete Gewerbeimmobilien. Dies erhöht zumindest teilweise die Gefahr von stranded assets, also unrentablen Investitionen.
Neben den strukturellen Umbrüchen belastet auch das höhere Zinsniveau die Nachfrage nach und Finanzierung von Gewerbeimmobilien. In den vergangenen Monaten hat sich die Lage zwar entspannt. Die Kreditzinsen für besicherte Unternehmenskredite sind wieder etwas gesunken. Dennoch, die Zollpolitik der USA und damit einhergehende gestiegene konjunkturelle Risiken, lassen den Ausblick unsicher erscheinen.
Doch was heißt das konkret? Wie materialisieren sich diese Risiken bisher im Finanzsystem?
Bankkredite sind in Deutschland der wichtigste Finanzierungskanal für Gewerbeimmobilien. Deshalb gehe ich auf diese zuerst ein. Etwa drei Viertel der ausgereichten Gewerbeimmobilienkredite ist festverzinst. Höhere Zinsen wirken somit oft nicht unmittelbar auf laufende Kreditverträge. Die durchschnittliche Zinsbindungsfrist der festverzinsten Kredite ist jedoch mit etwa sechs Jahren kürzer als bei Wohnimmobilien. Positiv ist, dass wir sehen, dass die Fälligkeitsstruktur der festverzinsten Gewerbeimmobilienkredite über die Zeit relativ gleich verteilt ist. Das heißt, es gibt keine Maturity Wall. In den kommenden drei Jahren werden etwa 24 Prozent der festverzinsten Finanzierungen neu verhandelt.
Gleichwohl sind die Kreditrisiken infolge der Marktlage gestiegen. Der Abschwung am deutschen und an den internationalen Gewerbeimmobilienmärkten hat bei den heimischen Banken zu einem merklichen Anstieg an überfälligen Krediten geführt. In den vergangenen zwei Jahren ist die Quote für notleidende Kredite bei Gewerbeimmobilien von 2 Prozent auf aktuell 5 Prozent angestiegen. Bei systemrelevanten Banken tragen insbesondere Gewerbeimmobilienkredite in den USA zum Anstieg bei. Weniger signifikante Banken haben durch ihren Fokus auf den heimischen Markt eine etwas niedrigere Quote. Allerdings beobachten wir auch, dass oft Kredite notleidend sind, die eine hohe LTV haben. Hier ist von besonderer Relevanz, ob der Wert der Sicherheiten ausreicht, um die ausstehenden Kreditvolumina zu tilgen. Etwa 85 Prozent der Gewerbeimmobilienkredite der systemrelevanten Banken haben jedoch eine LTV von unter 80 Prozent.
Angesichts der aktuellen Lage und Unsicherheit an den Märkten erwarten wir, dass die notleidenden Kredite weiter ansteigen könnten.
Die Materialisierung der Risiken verlief bisher insgesamt geordnet. Die Banken sind weiterhin solide kapitalisiert und ihre Widerstandsfähigkeit hat sich verbessert. Die Risikovorsorgequoten bei Gewerbeimmobilienkrediten wurden im Jahr 2024 weiter erhöht. Szenarioanalysen der Bundesbank zeigen, dass ein weiterer Abschwung, der auf den riskanten Bereich des Gewerbeimmobilienmarkts begrenzt bleibt, für das Bankensystem als Ganzes verkraftbar bliebe. Er würde allerdings vor allem für einige kleine und mittelgroße Banken zu signifikanten Verlusten führen. Kommen zusätzlich Verluste aus anderen Unternehmenssektoren hinzu – was angesichts der aktuellen Entwicklungen nicht auszuschließen ist – wäre das Bankensystem allerdings flächenbedeckend betroffen.[15] Makroprudenzielle Puffer könnten in diesem Fall begrenzten Handlungsspielraum bieten.
Ergänzend werfe ich noch einen kurzen Blick auf die Entwicklungen bei Immobilienfonds. Besonders die offenen Immobilienfonds haben in Deutschland eine große Bedeutung für Investitionen und die Finanzierung von Gewerbeimmobilien. Bis 2023 traten sie stark als Nettokäufer am deutschen Gewerbeimmobilienmarkt auf. Diese prominente Rolle spiegelt ihre wesentliche Bedeutung für einen aktiven Handel von Gewerbeimmobilien wider. Seit Mitte 2023 sind jedoch vor allem Publikumsimmobilienfonds mit anhaltenden, aber noch moderaten Nettomittelabflüssen konfrontiert. Vorausschauend begrenzen Kündigungs- und Mindesthaltefristen das Risiko abrupter Mittelabflüsse. Liquiditätspuffer, die über die regulatorischen Anforderungen hinausgehen, mindern zusätzlich die Liquiditätsrisiken.
6 Einschätzung aus der makroprudenziellen Perspektive
Nun zur fünften Frage: was sagen wir aus makroprudenzieller Perspektive dazu?
Die Banken – aber auch andere Finanzintermediäre – in Deutschland sind insgesamt resilient. Dennoch sollten sie ihre Widerstandsfähigkeit weiter stärken, da sich neue Risiken ergeben können, wie die geopolitischen Entwicklungen zeigen. Und diesen Risiken sollte mit einer angemessenen und vorausschauenden Risikovorsorge begegnet werden.
Im Jahr 2022 hat die BaFin aufgrund der im langjährigen Aufschwung aufgebauten Verwundbarkeiten ein makroprudenzielles Maßnahmenpaket für die Banken in Deutschland aktiviert. Dieses besteht aus dem antizyklischen Kapitalpuffer und dem bereits erwähnten sektoralen Systemrisikopuffer für mit Wohnimmobilien besicherte Kredite.
Der antizyklische Kapitalpuffer adressiert dabei die generellen Risiken und unter anderem auch die zyklischen Gewerbeimmobilienrisiken. Damit wird von makroprudenzieller Seite das Ziel unterstützt, die Widerstandsfähigkeit der Banken zu stärken.
Zusätzlich wurde der schon erwähnte sektorale Systemrisikopuffer eingeführt. Er sollte den in der langjährigen Aufschwungsphase entstandenen Verwundbarkeiten am Wohnimmobilienmarkt vorbeugen.
Begleitet wurde das Maßnahmenpaket von einem fortlaufenden Monitoring möglicher Nebenwirkungen. Dabei hat sich gezeigt: die Aktivierung hat weder kurz- noch mittelfristig dazu geführt, dass Banken ihr Kreditangebot reduziert haben. Zudem wurden die Hypothekenzinsen nicht nennenswert durch die Puffer beeinflusst: Die Hypothekenzinsen folgen – damals wie heute – vielmehr der Entwicklung des allgemeinen Zinsniveaus.
Aktuell hat sich der Wohnimmobilienmarkt stabilisiert und die Risiken für Wohnimmobilienkredite sind gesunken. Deshalb hat die BaFin zum 1. Mai 2025 die Quote des sektoralen Systemrisikopuffers von 2 Prozent auf 1 Prozent gesenkt.
Der AFS und auch die Bundesbank als AFS-Mitglied begrüßen diese Entscheidung. Wir werden die weitere Entwicklung am Wohnimmobilienmarkt wie auch bezüglich der Risiken am Gewerbeimmobilienmarkt aber weiter genau beobachten. Bei Bedarf kann der AFS empfehlen, die Maßnahmen flexibel an eine veränderte Risikolage anzupassen.
7 Wo sehen wir die größten weiteren Herausforderungen?
Kommen wir zum Schluss. Schlaglöcher können an den Märkten jederzeit auftauchen, wie auch die Turbulenzen Anfang April gezeigt haben. Wir wissen, dass die Marktteilnehmer täglich zwischen Chancen und Risiken abwägen, wenn sie mit solchen Unwägbarkeiten umgehen. Allerdings besteht die Gefahr, dass ein bedeutender Anteil der am Markt teilnehmenden Personen und Institutionen sich im Überschwang mitreißen lässt. Beispielsweise erwarteten die privaten Haushalte in Deutschland nach unserer Bundesbank-Umfrage Anfang 2022 im Durchschnitt einen Anstieg der Wohnimmobilienpreise um 9 Prozent für das kommende Jahr.
Sie sehen, wir sind alle nicht vor Fehleinschätzungen gewappnet. Tatsächlich kam es zu den größten Preisrückgängen seit Beginn der modernen Immobilienpreisstatistik in Deutschland in 1975.[16]
Finanzkrisen sind eine wiederkehrende Gefahr.[17] Es ist daher als nahezu sicher anzusehen, dass die Geschichte der Finanzkrisen nicht zu Ende ist. Deshalb sollten wir mit hoher Resilienz auf die nächste Krise vorbereitet sein.
In der makroprudenziellen Aufsicht handeln wir daher vorausschauend und risikobasiert. Wir haben im jüngsten Immobilienzyklus Übertreibungen beobachtet und entsprechend mit Maßnahmen reagiert. Jedoch stets mit Verstand und Augenmaß. Wir nehmen die Gegebenheiten zur Kenntnis und handeln entsprechend. Im Gegensatz zur Ökonomin im Eingangsbeispiel definieren wir weder Schlaglöcher weg, noch fahren wir aus übertriebener Vorsicht immer nur Schritttempo.
Auch in Zukunft stehen wir als Bundesbank für solch eine risikobasierte und evidenzbasierte makroprudenzielle Politik in Deutschland. Angesichts der noch fortbestehenden Risiken und Unsicherheiten sollten die verbleibenden makroprudenziellen Kapitalpuffer zunächst erhalten bleiben. Hier folgen wir einem Daten-getriebenen Ansatz und analysieren auf einer umfassenden Datenbasis die weiteren Entwicklungen.
- Vgl.: Jordà, O., M. Schularick und M. Taylor (2015), Leveraged bubbles, Journal of Monetary Economics, 76.
- Vgl.: Levitin, A.J. und S.M. Wachter (2013), The Commercial Real Estate Bubble, Harvard Business Law Review, Vol. 3, No 1, S. 83–118.
- Vgl.: Englund, P. (1999), The Swedish Banking Crisis: Roots and Consequences, Oxford Review of Economic Policy, Vol. 15, No 3, S. 80–97.
- Vgl.: Alter, A., A. X. Feng und N. Valckx (2018), Understanding the Macro-Financial Effects of Household Debt: A Global Perspective, IMF Working Paper No. 2018/076.
- Vgl.: Gaudêncio, J., A. Mazany und C. Schwarz (2019), The impact of lending standards on de-fault rates of residential real estate loans, ECB Occasional Paper 220.
- Wohnimmobilien + 11,6 Prozent in 2021; Gewerbeimmobilien + 7,1 Prozent in 2021.
- Vgl.: Deutsche Bundesbank (2022), Die Preise für Wohnimmobilien in Deutschland im Jahr 2021, Monatsbericht Februar 2022.
- https://www.autobild.de/artikel/schlaglochschaeden-praxistest-1560730.html
- Vgl.: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht, Februar 2025.
- Vgl.: Hafemann (2023) A house prices at risk approach for the German residential real estate market, Bundesbank Technical Paper 07/2023.
- Vgl.: Deutsche Bundesbank, Finanzstabilitätsbericht 2024.
- Vgl.: Möhlmann, A. und Vogel, E. (2024) Late payments on mortgage loans and unemployment: Evidence from a German household panel, Bundesbank Technical paper 07/2024.
- NPL Quote private Baufinanzierung Ende 2024: rund 1 %.
- Quelle: Savills.
- Vgl.: Herbst, T. und Roling, C. (2024), A top-down loan level stress test for banks’ corporate credit risk: Application to risks from commercial real estate markets, Deutsche Bundesbank, Technical Paper 09/2024
- In den Anfangsjahren enthielt die Statistik nur Daten für einige Städte.
- Vgl.: Reinhart, C. M., und Rogoff, K. S. (2009). This time is different: Eight centuries of financial folly.