Makroökonomische Auswirkungen und makroprudenzielle Aspekte von Basel III Rede bei der Wirtschaftsministerkonferenz

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

zuerst möchte ich mich bei den Veranstaltern für die Einladung bedanken, auf dieser so hochrangig besetzten Konferenz zu sprechen. Im Rahmen dieses Tagesordnungspunkts werde ich heute mögliche Auswirkungen von Basel III auf die Realwirtschaft ansprechen, wobei ich es Frau Dr. König überlasse, etwas detaillierter auf kleine und mittlere Unternehmen einzugehen. Weiterhin möchte ich kurz einige makroprudenzielle Instrumente vorstellen, die mit der CRD-IV-Richtlinie eingeführt werden.

Aber lassen Sie mich Basel III zunächst in den Kontext der Finanzkrise stellen, die 2007 ihren Ausgang in den USA nahm und die, wie wir schmerzhaft erfahren haben, verheerende Folgen zunächst für das Finanzsystem, dann für die Realwirtschaft und schließlich für die Staatsfinanzen hatte. Die Ursachenanalyse hat sehr schnell klar gemacht, dass aus so gravierenden Fehlentwicklungen tiefgreifende Schlussfolgerungen zu ziehen sind. Aus diesem Grund haben die Staats- und Regierungschefs der G20 eine umfangreiche Agenda zur Reform der Finanzmarktregulierung verabschiedet. Mit ihrer Umsetzung soll das Finanzsystem gesamtwirtschaftlich leistungsfähig bleiben und zugleich deutlich robuster werden. Dafür muss vor allem die Widerstandskraft der Banken über höhere Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen gestärkt werden.

Das hat aber nicht nur stabilere Banken zur Folge. Eine wesentliche Befürchtung ist, dass höhere Kapital- und Liquiditätsanforderungen auf schlechtere Finanzierungsbedingungen für die Wirtschaft hinauslaufen, also höhere Zinsen und vielleicht sogar Einschränkungen der Kreditgewährung
– die viel debattierte „Kreditklemme“. Ich nehme diese Sorgen ernst, möchte Ihnen aber entgegentreten.

2 Makroökonomische Auswirkungen von Basel III

Sämtliche Baseler Reformen – also auch Basel III – werden von Untersuchungen begleitet, die über Modellrechnungen sowohl die kurzfristigen als auch die langfristigen Auswirkungen der neuen Regulierung auf die Banken und die Realwirtschaft schätzen.

So hat die Macroeconomic Assessment Group des Baseler Ausschusses die Auswirkungen des neuen bankenaufsichtlichen Rahmenwerks auf die Realwirtschaft untersucht und schätzt die kurzfristigen Kosten von Basel III als sehr gering ein. Demnach soll das Wirtschaftswachstum während der Übergangsphase kaum beeinträchtigt werden: Aus der Simulationsstudie ergibt sich für den Zeitraum 2011 bis 2016 eine kumulierte negative Abweichung des Bruttoinlandsprodukts von der Basislinie um rund 0,4 %. Dabei sind die Vorteile schärferer Regulierung noch gar nicht berücksichtigt. Der LEI-Report des Baseler Ausschusses – LEI steht für Long Term Economic Impact –, der die langfristigen Auswirkungen von Basel III untersucht, kommt zu einem noch erfreulicheren und recht intuitiven Ergebnis: Aufgrund der geringeren Wahrscheinlichkeit von Bankenkrisen sollte sich nach vollständiger Implementierung der Regeln ein höherer Wohlstand einstellen als ohne die avisierten Maßnahmen. Langfristig wirken die Reformen somit wohlstandsfördernd, da Finanzkrisen weniger wahrscheinlich werden.

Diese Ergebnisse decken sich weitgehend mit den von der Bundesbank durchgeführten Analysen. Auch wir finden keine Anzeichen, die auf eine signifikante Einschränkung der Kreditvergabe hindeuten würden. Sicherlich, solche langfristigen und hochkomplexen Prognosen sind naturgemäß mit Unsicherheiten verbunden. Letztendlich muss uns aber bewusst sein: Wir befinden uns stets in einem Spannungsverhältnis, in dem der langfristige Nutzen verhinderter Krisen den kurzfristigen, in gewissem Umfang unvermeidbaren Kosten strengerer Regulierung gegenübersteht.

3 Auswirkungen auf das Kreditangebot

Lassen Sie mich nun auf die Befürchtungen einer Kreditklemme eingehen: Zur Abschätzung des Kreditangebots bietet sich dabei ein Blick auf die einschlägigen Umfragen an. Neue Ergebnisse des Bank Lending Survey der Bundesbank deuten für Deutschland nicht auf Probleme bei der Kreditversorgung hin. Auch liegt die monatlich vom ifo-Institut in München ermittelte Kredithürde für die gewerbliche Wirtschaft Deutschlands seit längerem auf historisch niedrigem Niveau und hat zuletzt trotz der Turbulenzen auf europäischer Ebene kaum zugenommen. Auch daher sieht die Bundesbank keine Anzeichen für eine Kreditverknappung oder gar Kreditklemme in Deutschland. Und es ist in Zukunft nicht zu erwarten, dass Banken ihr Kreditangebot an die Wirtschaft aufgrund regulatorischer Anforderungen einschränken.

Allerdings ist die Kreditsituation nicht unabhängig vom konjunkturellen bzw. makroökonomischen Umfeld zu bewerten. Diesbezüglich haben sich die Risiken am aktuellen Rand zweifellos erhöht. Die deutsche Volkswirtschaft, bisher gegenüber der Krise im Euroraum sehr robust, erfährt nun doch Beeinträchtigungen. Das würde sich natürlich auch am Kreditmarkt auswirken, sei es angebotsseitig (durch höhere Kreditausfallrisiken), sei es nachfrageseitig (durch gedämpften Mittelbedarf für Investitionen).

Insgesamt scheint die Gefahr, dass wegen Basel III die Kreditvergabe an die Realwirtschaft stärker eingeschränkt wird, also eher gering. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass die Änderungen in Zusammensetzung und Höhe des Kapitals mit zahlreichen Übergangsfristen versehen sind. Manche Vorgaben treten erst 2022 vollständig in Kraft. Vor allem die Sparkassen und Kreditgenossenschaften als klassische Mittelstandbanken könnten die ab 2019 einzuhaltende harte Kernkapitalquote von 7 % bereits heute im Mittel gut erfüllen.

Außerdem sind deutsche Unternehmen traditionell stark eigen- und innenfinanziert, was sich dämpfend auf die Kreditnachfrage auswirkt. Der Anteil der Innenfinanzierung am gesamten Mittelaufkommen nicht-finanzieller Unternehmen lag zwischen 1991 und 2010 im Durchschnitt bei über 65 %. So erklärt sich auch das teilweise verhaltene Kreditwachstum in Deutschland nicht durch das fehlende Kreditangebot, sondern durch die geringe Nachfrage. Und schließlich ist das heimische Kreditgeschäft das Geschäftsfeld, in dem alle Banken wachsen wollen.

Auf die Frage, ob die neue Regulierung im Zuge von Basel III die Kreditversorgung der Realwirtschaft gefährdet, kann ich also eine klare Antwort geben: Nein, die Kreditversorgung der deutschen Wirtschaft ist nicht in Gefahr.

4 Die Einführung makroprudenzieller Instrumente

Lassen sie mich nun kurz auf einen anderen Aspekt der Reform der Bankenregulierung eingehen, der zwar nicht im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit steht, aber dennoch von großer Bedeutung für die Realwirtschaft ist: die makroprudenzielle Regulierung.

Mit der Umsetzung von Basel III in europäisches Recht werden verschiedene makroprudenzielle Instrumente eingeführt. Sie sollen die zuständigen Behörden in die Lage versetzen, insbesondere dem zyklischen Aufbau von Risiken im Finanzsystem präventiv zu begegnen. Ich will den potenziellen Nutzen dieser Instrumente kurz an einem anschaulichen Beispiel erläutern, das im Rahmen der Veröffentlichung des Finanzstabilitätsberichts der Bundesbank vor wenigen Wochen bereits in der Presse diskutiert wurde: der Bekämpfung einer theoretisch möglichen Immobilienblase in Deutschland.

Wie Sie wissen, sehen wir in der Bundesbank aktuell keinen Handlungsbedarf, da unsere Untersuchungen nicht auf eine bedrohliche Blasenbildung bei den Immobilienpreisen hinweisen. Allerdings weisen einige Faktoren darauf hin, dass die Entwicklung an den deutschen Immobilienmärkten sehr aufmerksam beobachtet werden muss. Es liegt ein Umfeld anhaltend niedriger Zinsen vor, in Verbindung mit der Tatsache, dass Ersparnisse zunehmend in Anlageformen gelenkt werden, von denen Anleger Schutz vor mangelnder Geldwert- und Währungsstabilität erwarten.

Der Immobilienkredit ist ein Schwergewicht für die Finanzstabilität. Über zwei Drittel der Verschuldung privater Haushalte in Deutschland rühren von Immobilienkrediten. Umgekehrt machen sie 40 % der gesamten inländischen Kreditvergabe aus; bei Sparkassen und Kreditgenossenschaften sogar etwa die Hälfte. Wie Sie wissen, weisen die Wohnimmobilienpreise in Ballungsgebieten seit einiger Zeit einen beschleunigten Anstieg auf. So sind die Preise für Neubauten 2011 dort durchschnittlich um über 9 %, für wiederverkaufte Immobilien um 7 % gestiegen. In der ersten Hälfte des laufenden Jahres scheint sich der Preisanstieg fortgesetzt zu haben.

Ein rascher Aufbau von Risiken für die Finanzstabilität in Deutschland ist gleichwohl noch nicht zu erkennen. Die Leitplanken dafür sind sowohl die robuste Schuldentragfähigkeit der privaten Haushalte als auch der moderate Anstieg der Kreditvergabe: So sinkt die Verschuldung der privaten Haushalte in Relation zum verfügbaren Einkommen seit Jahren und so erwarten wir für dieses Jahr eine Zunahme der Wohnimmobilienkredite von weniger als 2 %. Schließlich haben wir in Deutschland eine konservative Ausgestaltung der Kreditverträge mit längerer Zinsbindung und begrenztem Fremdfinanzierungsanteil; auch dies dämpft den Aufbau von Risiken für die Finanzstabilität.

Sollte doch Handlungsbedarf entstehen, so werden künftig makroprudenzielle Instrumente bereitstehen, um diesen Risiken zu begegnen. Darüber hinaus wird mit dem neuen Ausschuss für Finanzstabilität ein Gremium zur Verfügung stehen, in dem national alle Stränge zusammenlaufen und das der Bankenaufsicht den Einsatz dieser Instrumente empfehlen kann.

Im Folgenden zeige ich makroprudenzielle Handlungsoptionen mit Bezug zu Immobilienmärkten als Fallbeispiel. Ich möchte aber betonen, dass dies kein aktuelles Handlungsszenario darstellt.

Wie bereits erwähnt, werden verschiedene makroprudenzielle Instrumente voraussichtlich mit der für kommendes Jahr geplanten Umsetzung der CRD IV/CRR, dem neuen aufsichtlichen Rahmenwerk, eingeführt. So sieht die CRD IV (Capital Requirements Directive) die Einführung eines antizyklischen Kapitalpuffers vor, der aus hartem Kernkapital nach der Definition von Basel III bestehen muss. Er wird in Phasen exzessiven Kreditwachstums aktiviert oder heraufgesetzt, um auf Übertreibungen an den Märkten antizyklisch zu reagieren und Banken zu zwingen, in wirtschaftlich guten Zeiten Eigenkapitalpuffer für Abschwungphasen anzulegen.

Eine weitere Möglichkeit für die makroprudenzielle Aufsicht, Risiken an den Immobilienmärkten zielgerichtet zu begegnen, sind Anpassungsmöglichkeiten von Risikogewichten für Immobilienkredite. Nach der aktuell vorliegenden Fassung der CRR (Capital Requirements Regulation) kann so die Kapitalunterlegung von privaten und gewerblichen Realkrediten erhöht werden, um die durch Immobilien besicherte Kreditvergabe für die Kreditinstitute unattraktiver zu machen und somit Blasen auf nationalen Immobilienmärkten abzuschwächen. Gleichzeitig führt eine solche Anpassung zu einer stärkeren Eigenkapitalbasis und damit einer verbesserten Widerstandsfähigkeit der Finanzinstitute.

Zudem sieht die CRR vor, den Aufsehern zu ermöglichen, gegebenenfalls niedrigere Beleihungsgrenzen, zum Beispiel Loan-to-Value, zu fordern. Eine solche Absenkung der Beleihungsgrenzen kann dämpfend auf Übertreibungen an den Immobilienmärkten wirken, da die Möglichkeiten für Finanzinstitute zur Kreditvergabe für Immobilieninvestitionen eingeschränkt werden.

Die Begrenzung des maximalen Fremdkapitalhebels mittels einer Leverage Ratio stellt ein weiteres Mittel dar, einer exzessiven Kreditvergabe zu begegnen. Sie ist allerdings als Instrument gegen Übertreibungen an den Immobilienmärkten wenig zielgenau einsetzbar, da sie generell und undifferenziert nach einzelnen Kreditkategorien das Bilanzwachstum von Kreditinstituten bremst. Die Leverage Ratio soll im Rahmen der CRD IV/CRR als Beobachtungskennziffer eingeführt werden.

5 Abschließende Bemerkungen

Wie Sie sehen, wird in Deutschland eine ganze Reihe von Instrumenten zur Verfügung stehen, die es den zuständigen Behörden erlauben, zielgerichtete Maßnahmen gegen eine mögliche Blase auf den Immobilienmärkten zu ergreifen. Ich möchte aber nochmals betonen, dass wir derzeit keinen konkreten Handlungsbedarf erkennen können. Dennoch begrüßt es die Bundesbank sehr, dass diese Möglichkeiten nun auf europäischer Ebene geschaffen werden, damit zukünftigen Gefahren für die Finanzstabilität – nicht nur aus Entwicklungen an den Immobilienmärkten – wirksam begegnet werden kann. Und dies kommt am Ende auch immer der Realwirtschaft zugute.

In Anbetracht der Kosten der Finanzkrise, deren voller Umfang noch gar nicht absehbar ist, kann zudem kein Zweifel daran bestehen, dass eine substanzielle Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems notwendig ist. Dies sollte nach meiner Auffassung besonders im Interesse der Realwirtschaft liegen, denn nur ein stabiles Bankensystem kann ein langfristig zuverlässiger Partner bei der Versorgung mit Kreditmitteln sein. Die neuen Regeln und Instrumente dürften zudem zu weniger zyklischen Schwankungen bei der Kreditvergabe führen. Dies wiederum schafft bessere Planungssicherheit für Unternehmen. Grundsätzlich gibt es auch kein Recht auf billigen Kredit. Günstige Kreditkonditionen sind kein Wert an sich: Ressourcen und Risiken müssen angemessen bepreist werden.

Hiermit möchte ich nun schließen und das Wort an Frau Dr. König übergeben.