Perspektiven für den deutschen Bankensektor Rede bei den Alumni der Deutschen Bank

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einführung

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

vieles wird zusehend schlechter, aber nichts wird wegsehend besser.

Dieses Zitat des Kabarettisten Helmut Qualtinger bringt die Perspektiven für den deutschen Bankensektors süffisant und zugleich schmerzhaft auf den Punkt. Ich wurde gebeten, über dieses Thema heute zu Ihnen zu sprechen, und dies tue ich sehr gerne.

Dafür habe ich zwei Gründe: Der erste ist ein persönlicher, denn auch ich bin ein Deutsche Bank Alumni – ich habe 1987 in der Frankfurter Zentrale meine Laufbahn gestartet. Und gleich vorweg: Zu Einzelinstituten äußere ich mich grundsätzlich nicht – heute wird es davon auch keine Ausnahme geben.

Der zweite, noch wichtigere Grund ist das Thema, das Sie mir vorgeschlagen haben, denn die Zukunft des deutschen Bankensektors ist meine Hauptaufgabe und zugleich halte ich sie für eine immer noch vernachlässigte Baustelle.

Ich beginne deshalb mit einem dringenden Appell: Wir müssen aufhören, von der „guten alten Zeit“ im Banking zu träumen, in der angeblich alles besser war. Wir müssen aufhören, uns über die Umstände zu beschweren. Stattdessen müssen wir den Blick nach vorne richten. Denn die künftigen Herausforderungen, aber auch die Chancen, sind riesengroß.

Ich werde heute drei Punkte machen:

  1. Der Bankensektor muss aktuell wahrlich in einem extremen Umfeld zurechtkommen – vor allem das Niedrigzinsumfeld bereitet mir Sorge.

  2. Die deutschen Banken und Sparkassen müssen den Strukturwandel ernst nehmen und den technologischen Wandel proaktiv gestalten.

  3. Wir sollten aufhören, uns über Basel III und das Niedrigzinsumfeld zu streiten. Viel besser wäre es, den konjunkturell günstigen Moment in Europa nutzen, um eine prosperierende Zukunft zu gestalten. 

2 Extremes Umfeld für den Bankensektor

Beginnen wir mit den schwierigen Bedingungen im Umfeld der Banken und Sparkassen. Die zwei Themen, über die wir hier am häufigsten sprechen,  sind die Niedrigzinsen und die Regulierung.

Man kann bekanntlich über vieles streiten. Und bei Zinsen kann man ganz vortrefflich streiten – unter anderem, weil es bei den komplexen Zusammenhängen kaum eindeutige Antworten gibt. So ist die Geldpolitik nur eine von vielen Einflussfaktoren – andere, schon länger beobachtbare Faktoren tragen ebenfalls zu sinkenden Realzinsen bei. In Deutschland sehen wir bereits seit den 1970er Jahren eine Verlangsamung unseres Produktivitätswachstums.

Die Ertragslage der deutschen Institute ist vom Zinsumfeld stärker betroffen als in anderen europäischen Ländern. Bei deutschen Instituten war der Zinsüberschuss im Jahr 2016 mit 73,2% die mit Abstand wichtigste Ertragsquelle; und dies trotz eines Rückgangs um fast 5 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. Und so fand unsere im August veröffentlichte Niedrigzinsumfrage massive Verschlechterungen bei der Ertragssituation – sowohl in den Planszenarien der Banken und Sparkassen als auch in den von uns vorgegebenen Szenarien konstanter Zinsen.

Auch die Negativzinsen im Euroraum machen es den Banken sehr schwer – vor allem, weil es eine durchaus verständliche Hemmschwelle für die Kreditinstitute gibt, Negativzinsen an Privatpersonen weiterzugeben. Folgerichtig plant der überwiegende Teil der Institute im Privatkundengeschäft ohne Negativzinsen.

Kommen wir zur zweiten schwierigen Bedingung: der Regulierung. Und hier denken wohl die meisten an den Abschluss der Basel III-Reformen. Ich kann so viel sagen: Ein Kompromiss ist in greifbarer Nähe. Auf technischer Ebene sind die Verhandlungen jedenfalls abgeschlossen. Die Reformagenda der G 20 wäre damit im Wesentlichen erfüllt.

Der neue Standard wird die Finanzstabilität erhöhen und den regulatorischen Mehraufwand durch Harmonisierung minimieren. Er wird dazu beitragen, die Kapitalausstattung der Institute auf eine nachhaltige Basis zu stellen und somit das Vertrauen in den Bankensektor weiter zu festigen.

Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf konnten die deutschen Vertreter im Baseler Ausschuss die wichtigsten deutschen Anliegen erfolgreich verankern. Im Vergleich zu den ursprünglichen Vorschlägen wurde der Kapitalanstieg für die deutschen Banken halbiert – das konnten wir durch hartes Verhandeln sicherstellen.

Es ist nun an der Zeit, dass wir alle diesen Kompromiss annehmen. Dabei ist es mir aber sehr wichtig, dass es kein Déjà-vu gibt – bei Basel II verhandelten die USA nämlich mit, setzten dann aber die Reformen nicht vollständig um. Auch die USA müssen Basel III uneingeschränkt einführen. Das schließt auch die komplette Überarbeitung des Handelsbuches mit ein. Dies ist eine Grundbedingung für uns, um dem Kompromiss zustimmen zu können.

Bei aller Aufmerksamkeit, die wir Basel III schenken – die regulatorischen Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen stellen nur eine von vielen Herausforderungen für Banken und Sparkassen hierzulande dar.

Mit der Umstellung auf IFRS 9 und dem Aufbau von verlustabsorbierendem Kapital – also TLAC und MREL – stehen weitere wichtige Themen an. Zusammengenommen führen sie zu einer erheblichen Herausforderung für Bilanzstruktur und Banksteuerung.

Um es ganz klar zu sagen: Ich halte jede einzelne dieser neuen Anforderungen für sinnvoll – aber natürlich müssen die Institute die Herausforderungen für die Passivseite ihrer Bilanzen auch insgesamt meistern können.

IFRS 9 wird bereits ab dem 1. Januar nächsten Jahres den aktuell gültigen IAS 39 als internationalen Standard für die Bilanzierung von Finanzinstrumenten ablösen. Ein Kernstück der Neuerungen betrifft Wertberichtungen: Sie sind dann nicht mehr nur für eingetretene Verluste, sondern für bereits erwartete Verluste zu erfassen. Das ist mehr als anspruchsvoll. Eine Untersuchung der EZB zeigt, dass die Wertberichtigungen für erwartete Kreditverluste wohl ein wesentlicher Treiber des Rückgangs der Eigenkapitalquote beim Übergang von IAS 39 auf IFRS 9 sein werden. Bei den untersuchten signifikanten Instituten liegt der durchschnittliche Rückgang bei 0,4 Prozentpunkten, bei den weniger signifikanten Instituten liegt er sogar höher.

Diese höheren Anforderungen aus der Rechnungslegung kommen teilweise noch zu denen aus der Basel-III-Reform hinzu – auch wenn es sicherlich einige Überschneidungen gibt. Genau aus diesem Grund halte ich eine schrittweise Einführung der IFRS 9-Anforderungen für richtig – so wie sie auch im Baseler Ausschuss für die Basel III-Finalisierung vereinbart wurde.

Eine weitere Herausforderung stellt auch das Thema Abwicklungsfähigkeit von Instituten dar. Nach den ersten Abwicklungsfällen in diesem Sommer wurde zu Recht viel über die Lehren gesprochen, die aus diesen Fällen gezogen werden müssen – zum Beispiel sollten wir überlegen, die nationalen Rechtsordnungen für Insolvenzfälle an das europäische Abwicklungsregime anzugleichen.

Diese Änderungen sind in der Tat wichtig. Wir dürfen dabei aber nicht die Herausforderungen an anderer Stelle vernachlässigen. Denn im Abwicklungsfall ist ein ausreichender Puffer an Kapital, das für einen Bail-in zur Verfügung steht, unerlässlich. Die Abwicklungsbehörden sind gerade dabei entsprechende Anforderungen, die sogenannten MREL-Quoten, für Europas Kreditinstitute festzulegen. Zur Erfüllung dieser Anforderungen werden einige Banken und Sparkassen künftig ihren Bestand an MREL-Verbindlichkeiten ausweiten müssen.

Klar ist damit auch: Dies ist eine weitere Herausforderung für die Gesamtbanksteuerung, die nicht von heute auf morgen erfüllt werden kann. Institute sollten daher ausreichend Zeit erhalten, um ihre MREL-Quoten aufzubauen. Dabei müssen auf der einen Seite die Aufnahmefähigkeit der Märkte und die Belastung der Institute gebührend berücksichtigt werden; auf der anderen Seite dürfen wir das Ziel nicht aus den Augen verlieren, zeitnah ausreichend verlustabsorbierendes Kapital aufzubauen.

3 Was die Aufsicht tun kann

Angesichts der herausfordernden Übergangszeit müssen wir als Aufsicht insgesamt schauen, wo wir Lasten für Banken und Sparkassen abmildern können.

Hierbei setze ich mich für Folgendes ein:

  1. dass wir den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Regulierung weiter stärken und kleine und mittelgroße Institute entlasten.

  2. dass wir bei jeder Sonderprüfung hinterfragen, ob diese auch wirklich dringlich ist, oder ob sie vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen kann.

  3. dass auch die Überprüfung der internen Modelle durch das TRIM-Projekt der europäischen Aufsicht verantwortungsvoll und mit Bedacht erfolgt. Wir werden uns auch künftig konsequent für den Erhalt der Risikosensitivität einsetzen.

Darüber hinaus sollte nach den aktuellen Projekten meiner Meinung nach eine Regulierungspause herrschen. Denn wir haben dann die wesentlichen Felder abgearbeitet.

Für uns als Aufsicht heißt das, dass wir uns die nötige Zeit nehmen sollten, um die Wirkung der Reformen gründlich zu überprüfen. Und wo sich Lücken, Dopplungen oder Fehler zeigen, sollten wir den Mut haben, konsequent nachzubessern.

4 Strukturwandel gestalten, nicht verwalten

Zinsniveau und Regulierung hin oder her – eine Bank muss bei jedem Zinsniveau ertragreich sein können und sie muss robuste Regeln stets einhalten können – sonst ist sie letztlich nicht marktfähig.

Deshalb dürfen diese zweifelsohne schwierigen Bedingungen nicht von der größten Herausforderung für den Bankensektor ablenken – ich meine damit den Strukturwandel.

Ich könnte viele Zahlen aufzählen, doch ein einfacher Wert bringt es auf den Punkt: Die Erträge deutscher Kreditinstitute sinken seit mehr als 15 Jahren – zwischen 1999 und 2015 um etwa 30%.

Wir haben uns schon fast daran gewöhnt, dass es seit Jahren heißt: Umbruch, Revolution, Bankensterben, Strukturwandel. Passiert ist aber scheinbar nicht viel. Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass wir den Strukturwandel wohl als etwas Lästiges akzeptiert haben, das man aber aushalten kann – etwa so wie Aufsichtsgespräche.

Doch vor dem technischen Fortschritt gibt es kein Entrinnen. Denn dieser bedeutet immer Umbruch, bedeutet Umlenkung gesellschaftlicher Ressourcen: Ehemals hochwertschöpfende Tätigkeiten werden über kurz oder lang zu Standardprozessen automatisiert.

Diese Entwicklung hat nun auch den Finanzsektor erreicht: Immer mehr ehemals innovative Banktätigkeiten werden standardisiert und der Technik überlassen. Der technologische Wandel verändert die Wertschöpfung des Bankensektors.

Deshalb sollten die unbestritten großen Herausforderungen von Niedrigzinsen und Regulierung unseren Blick nicht vor der unbequemen Wahrheit verschließen: Die Strukturen im Bankensektor wandeln sich.

Wer sich nicht anpasst und sich diesen Entwicklungen verschließt, der wird vermutlich vom Markt verschwinden.

Wegweisende Entscheidungen brauchen neue Fragen – Fragen, die die Welt durch ein neues Raster beleuchten. Braucht das Land also „neue Banker“?

Im Prinzip ja – denn die Welt ändert sich: Aus Banken werden Dienstleister mit Banklizenzen; aus Kontoinhabern und Hausbankkunden werden „User", die ein breites Spektrum an flexiblen Finanzdienstleistungen wünschen. Eine neue Welt braucht neue Banker. Entweder müssen neue Banker her – oder erfahrene Banker, die mutig sind, neue Entscheidungen zu treffen.

5 Den günstigen Konjunktur-Moment nutzen

Mit meinem dritten Punkt möchte ich den Blick noch weiter über den Tellerrand richten: Wir müssen den aktuell konjunkturell günstigen Moment in Europa nutzen, um eine prosperierende Zukunft zu gestalten.

Denn zum Strukturwandel kommt auch noch der Brexit hinzu, den ich für die größte mittelfristige Herausforderung für die europäische Wirtschaft und damit nicht zuletzt auch für den Finanzsektor halte.

Ein harter Brexit, also ein Austritt am 29. März 2019 ohne Anschlussvereinbarung würde die Unterbrechung von etablierten Produktions-, Dienstleistungs- und Versorgungsketten bedeuten und damit die europäische Arbeitsteilung und den Handel massiv schwächen. Auf dieses Szenario sollten wir uns einstellen.

Kreditinstitute und alle anderen Unternehmen müssen gewissenhaft Vorsorge betreiben – eine Art internen Brexit-Stresstest, wenn Sie so wollen. Für den Fall eines harten Brexit etwa müssen sie sich fragen, was das für sie bedeutet – für Kundenbeziehungen, für ausländische Dienstleistungsangebote und für aufsichtliche Lizenzen. Dieser gewissenhaften Analyse muss dann eine ebenso minutiöse Vorbereitung folgen.

Für die Politik bedeutet der Brexit wiederum, Strukturen bereitzustellen, die den neuen Realitäten gerecht werden. Das gilt insbesondere auch für Frankfurt, wo der Brexit eine Chance für Stadt und Region darstellt. Der Zuzug vieler Finanzinstitute bringt großes wirtschaftliches Potenzial mit sich.

Mit der Entscheidung vom Montag, die Europäische Bankenregulierungsbehörde EBA von London nach Paris zu verlagern, müssen und können wir aus deutscher Sicht gut umgehen. Neben fachlichen haben letztlich aber auch politische Argumente eine gewichtige Rolle gespielt; Effizienzgesichtspunkte hätten dagegen für Frankfurt gesprochen. Für uns als deutsche Aufsicht ist es zweitrangig, in welcher Stadt die EBA letztlich angesiedelt ist. Die übrigen Standortentscheidungen von Banken für Frankfurt oder andere Städte werden von der Ansiedlung der EBA in Paris nicht berührt.

Ich kann das gar nicht deutlich genug sagen: Die Vorbereitungen sind zeitaufwändig und sollten schon weit fortgeschritten sein. Gerade die Institute in Frankfurt sollten und müssen sich darauf einstellen, dass aus London umziehende Banken massiv bei ihren Mitarbeitern „wildern“ werden.

Der Erfolg wird sich nicht von allein einstellen. So muss die Infrastruktur für die Post-Brexit-Welt gestärkt werden – internationale Schulen sind da nur ein Stichwort unter vielen.

Die staatlichen Behörden müssen nun zeigen, wie wettbewerbsfähig die deutsche Wirtschaft ist. Wir Bankenaufseher zum Beispiel verstehen uns als Ansprechpartner für ausländische Banken: Wir erklären Anforderungen und helfen bei den Prozeduren, ohne dabei in unseren Ansprüchen nachzulassen.

Dabei muss unmissverständlich klar sein: Standortpolitik durch großzügigere Regulierung darf es nicht geben. Ein steuerlicher oder aufsichtlicher Deregulierungswettbewerb würde das Fundament unserer künftigen Kooperation erodieren.

6 Fazit

Meine Damen und Herren, Kreditinstitute erleben derzeit ein raues Umfeld – dabei besorgen mich insbesondere die niedrigen Zinsen. Mit den Regulierungsreformen haben wir einen Grundstein für ein stabileres Finanzsystem gelegt – jetzt müssen wir bei der Umsetzung mit Augenmaß vorgehen und unserer Verantwortung gerecht werden.

Aber dies darf nicht davon ablenken, dass der Strukturwandel die größte, ja die grundlegendste Herausforderung ist. Nur die Institute werden erfolgreich sein, die ihn proaktiv gestalten.

Außerdem müssen wir den günstigen konjunkturellen Moment in Europa nutzen, um trotz Brexit eine blühende Zukunft zu gestalten.

Mein dringender Appell ist deshalb: Wir müssen es anpacken und den Blick nach vorne richten. Denn wegsehend wird nichts wirklich besser.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.