Rede anlässlich der Amtswechselfeier in der Hauptverwaltung in Bayern Rede in der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank Bayern

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrter Herr Söder, sehr geehrter Herr Weimer, lieber Herr Müller, lieber Herr Benedikt, sehr geehrte Damen und Herren,

Grüß Gott, ich heiße Sie herzlich Willkommen bei der Deutschen Bundesbank in Bayern.

Es freut mich, dass Sie heute Morgen so zahlreich zu uns in die Bundesbank gekommen sind. Das unterstreicht die engen und guten Beziehungen der Bayern zur Bundesbank.

Mit Ihrem zahlreichen Erscheinen ehren Sie aber vor allem den Präsidenten der Hauptverwaltung in Bayern, Herrn Müller, den wir heute verabschieden, und Herrn Benedikt, den wir heute als seinen Nachfolger begrüßen.

2 Alois Müller

Lieber Herr Müller, Sie sind nun fast auf den Tag genau seit sieben Jahren Präsident der Hauptverwaltung in Bayern. Sie sind damit die Stimme und das Gesicht der Bundesbank in Bayern und sie sind in dieser Eigenschaft am Finanzplatz München, aber auch bei Ihren Gesprächspartnern in Parlament, Regierung und Verwaltung hoch angesehen. Das habe ich bei meinen Besuchen in München immer wieder erfahren.

Darüber könnte man fast vergessen, dass Sie die längste Zeit Ihrer beruflichen Laufbahn in der Zentrale der Bundesbank in Frankfurt verbracht haben.

Sie kamen im Oktober 1981, nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre und einer Bankausbildung, zu uns nach Frankfurt.

Dabei war es eigentlich nur ein Zufall, dass Sie Ihren Dienst gerade in der Zentrale angetreten haben. Denn schon damals wollten Sie zur Landeszentralbank in Bayern. Allerdings haben Sie ihre Bewerbungsunterlagen der Einfachheit halber an die oberste Adresse auf der Stellenausschreibung geschickt - und das war nun einmal die Adresse der Zentrale in Frankfurt. So haben Sie es jedenfalls einmal berichtet, Herr Müller.

Nun, für die Zentrale war das jedenfalls ein Glücksfall. Das zeigt sich darin, dass Sie rasch wichtige Aufgaben in Frankfurt übernommen haben und die Karriereleiter stetig nach oben geklettert sind.

Zunächst haben Sie fast den gesamten Prozess der Europäischen Währungsintegration im Bereich der Internationalen Beziehungen begleitet. Als Gruppenleiter für die Internationale Währungsentwicklung waren Sie beispielsweise in den 1990er Jahren daran beteiligt, wenn die Finanzminister die Wechselkurse im Europäischen Währungssystem angepasst haben.

Und sie haben einem meiner Vorgänger, Karl-Otto Pöhl, zugearbeitet, als er die Bundesbank im sogenannten Delors-Ausschuss vertrat. Der Ausschuss hatte bekanntlich den Auftrag, einen Fahrplan zur Einführung einer europäischen Währungsunion auszuarbeiten. Er lieferte damit die Blaupause für den Vertrag von Maastricht.

Und als dieser Vertrag dann ausgehandelt wurde, gehörten Sie zu den Fachleuten, die manche Nacht hindurch in den Notenbanken und Finanzministerien an den Formulierungen gefeilt haben.

Es war daher selbstverständlich, dass Sie am 31. Dezember 1998 auch bei der "Geburt" des Euro dabei waren. An diesem Tag wurde der Wechselkurs der D-Mark zum Euro endgültig festgelegt. Es gibt in der Bundesbank noch Fotos, die Sie in diesem historischen Moment neben dem Vizepräsidenten der Bundesbank, Jürgen Stark, in unserem Handelsraum zeigen.

Vielleicht geben Sie uns ja nachher noch einen Einblick, wie Sie sich als einer der vielen "Geburtshelfer" des Euro fühlen, wenn sie in diesen Tagen auf die Währungsunion schauen.

Kurz danach wurde Ihnen die Leitung des neu geschaffenen Europa-Sekretariats anvertraut. Es war nun Ihre Aufgabe, den Bundesbankpräsidenten optimal auf die Sitzungen des EZB-Rats vorzubereiten.

Denn mit der Einführung des Euro änderte sich auch die Rolle der Bundesbank. Aus der alleinigen Verantwortung für die Geldpolitik in Deutschland wurde eine Mitverantwortung für die Geldpolitik in Europa.

Genauso wie alle anderen Länder auch, hat die Bundesbank im EZB-Rat nur eine Stimme. Um dort trotzdem ein entscheidendes Wort mitzureden, muss die Bundesbank mit guten Argumenten überzeugen. Dank der Kompetenz unserer Mitarbeiter und ihrer fundierten Analyse haben wir dafür auch beste Voraussetzungen. Zumal sich die Bundesbank auf die Unterstützung einer stabilitätsorientierten Bevölkerung verlassen kann.

Aber die Bundesbank muss ihre PS in den EZB-Ratssitzungen auch auf die Straße bringen können. Dafür haben Sie als Leiter des Europa-Sekretariats die Weichen gestellt. Das damals von Ihnen eingeführte Dokumentenmanagementsystem EURAS ist immer noch in Betrieb. Es sorgt dafür, dass alle Mitarbeiter, die die Bundesbank in den unterschiedlichen Arbeitsgruppen des Eurosystems vertreten, optimal informiert sind.

Nach 28 Jahren hat es dann doch noch geklappt mit der Stelle in München: Im Jahr 2009 wurden Sie Präsident der Hauptverwaltung in Bayern. Der Umweg über Frankfurt hatte sich also gelohnt.

An Ihrer neuen Wirkungsstätte in München haben Sie dann gleich viel Fingerspitzengefühl zeigen müssen. Einige Jahre zuvor hatte der Vorstand der Bundesbank eine umfassende Strukturreform beschlossen, um die Bundesbank auch organisatorisch an die neuen Gegebenheiten in der Währungsunion anzupassen. Diese Reform bedeutete unter anderem die Schließung zahlreicher Filialen, allein 14 in Bayern - mit den damit verbundenen tiefen Einschnitten in die Lebensplanung der betroffenen Mitarbeiter. Ich vermute, dass die Bundesbankmitarbeiterinnen und -mitarbeiter in Bayern damals dem neuen Chef aus der Zentrale in Frankfurt daher mit einer gewissen Skepsis begegnet sind.

Sie haben aber mit Ihrer Offenheit, fachlichen Kompetenz und Ihren kommunikativen Fähigkeiten schnell das Vertrauen Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewonnen und diesen wichtigen Wandel konstruktiv und im Interesse der Beschäftigten begleitet.

Um es auf den Punkt zu bringen: Sie haben Ihr Amt mit großem Engagement und Erfolg wahrgenommen. 35 Jahre haben Sie sich - mit Herzblut - in den Dienst der Bundesbank und stabilen und sicheren Geldes gestellt und sich dabei große Verdienste erworben. Dafür möchte ich Ihnen danken. Und diesen Dank spreche ich Ihnen auch im Namen des gesamten Vorstands aus. Ich wünsche Ihnen für die Zeit nach der Bundesbank von Herzen alles Gute.

Der Ruhestand wird Ihnen einen erheblichen Gewinn an Freiheit und an Freizeit bringen.  Für den Ruhestand wünsche ich Ihnen auf gut bayrisch, dass Krankheit und Langeweile "a Ruh geben" mögen, so heißt es ja wohl. Ich mache mir bei Ihnen aber überhaupt keine Sorgen, was letzteres angeht, denn ich weiß, Sie lieben das Radfahren. Und diesem Hobby können Sie in Zukunft ausgiebig nachgehen.

3 Franz Josef Benedikt

Ihr Nachfolger wird Herr Benedikt, der derzeit noch das Amt des Präsidenten der Hauptverwaltung in Sachsen und Thüringen bekleidet.

Herr Benedikt ist ein waschechter Bayer. Er dürfte vielen von Ihnen bestens bekannt sein. Denn Sie, lieber Herr Benedikt, haben ja die meiste Zeit ihrer Laufbahn hier in der HV in München verbracht.

Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre in Regensburg und einer Trainee-Ausbildung bei der Dresdner Bank traten Sie 1986 den Vorbereitungsdienst der Bundesbank in München an.

Nach verschiedenen Funktionen in der Hauptverwaltung wurden Sie dann Leiter der Volkswirtschaftlichen Abteilung, also der "Chefvolkswirt der Hauptverwaltung".  Danach leiteten Sie den Stab des Präsidenten, bevor Sie 2012 zum Bereichsleiter des Innen- und Filialbetriebs ernannt wurden. In dieser Funktion waren Sie auch schon der Vertreter des Präsidenten der HV. Es war somit ein naheliegender Schritt, dass Sie 2013 selber zum Präsidenten einer Hauptverwaltung, nämlich der in Sachsen und Thüringen, ernannt wurden.

Jetzt kehren Sie also zurück an Ihre alte Wirkungsstätte. Oder um es mit Ludwig Thoma zu sagen: "Ein Münchner im Himmel!"

Auf Ihre neue Aufgabe sind Sie gleich doppelt gut vorbereitet: Durch Ihre Arbeit in Leipzig kennen Sie das Geschäft eines HV-Präsidenten bereits bestens. Und als ehemaliger Stellvertreter des Präsidenten kennen Sie auch die hiesige Hauptverwaltung und den Finanzplatz München schon aus dem Eff-Eff.

Sie wissen also, worauf Sie sich eingelassen haben - ein späteres "Frohlocken" wie beim berühmten Engel Aloisius muss ich deshalb wohl nicht befürchten. Und dass Sie mit den Botschaften der Bundesbank zuerst ins Hofbräuhaus statt zur bayrischen Regierung gehen, ist auch nicht zu erwarten.

Ich habe im Übrigen auch keinen Zweifel, dass Sie die Aufgaben auf Ihrem neuen Posten mit der gleichen Bravour wahrnehmen werden, wie Sie das in Leipzig getan haben.

Meine Damen und Herren, die Bundesbanker unter Ihnen wissen natürlich, dass in einer Behörde Pensionierungen und Versetzungen durch entsprechende Verwaltungsakte vollzogen werden. Dabei fällt dann meistens eine Urkunde an, die man dem Pensionär feierlich überreicht.

Herr Müller, Sie bekommen gleich von mir ein letztes offizielles Schriftstück. Es heißt ja, als Beamter soll man immer darauf achten, dass man eine ungerade Anzahl von Urkunden hat. Nur dann könne man sich sicher sein, dass man auch wirklich ein Amt innehat. Insofern hoffe ich, dass Sie nun über eine gerade Anzahl von Urkunden verfügen, um Ihren wohlverdienten Ruhestand genießen zu können.

4 Niedrigzinsumfeld

Doch vorher möchte ich noch die Gelegenheit nutzen, um etwas zu einem Thema zu sagen, das in den vergangenen Wochen und Monaten zu einer intensiven Debatte in Deutschland geführt hat: Die Geldpolitik der EZB.

Der Hauptrefinanzierungssatz liegt inzwischen bei null und wenn die Banken Gelder bei den Notenbanken des Euro-Raums anlegen, müssen sie dafür einen Zins zahlen, anstatt einen zu bekommen.

Die Auswirkungen der expansiven Geldpolitik auf Sparer, Banken, Versicherer und Finanzmärkte bewegen die Gemüter. Natürlich kann ich die Sorgen der Sparer nachvollziehen, die derzeit auf ihre sicheren Anlagen kaum oder keine Erträge erhalten. Allerdings ist gleichzeitig die Entwertung des Geldes durch die Inflation so gering, dass die reale Verzinsung von Spareinlagen über null liegt. Damit ist sie höher als in den 1970er Jahren, aber auch später, zum Beispiel in den Jahren 2011 bis 2014, als der Realzins sogar negativ war.

Es ist Aufgabe der Notenbanken, die Menschen vor Inflation zu schützen. Eine Mindestrendite für Sparer können sie nicht versprechen, denn sie müssen bei ihrer Geldpolitik stets auf die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen abstellen.

Wir alle sind aber nicht nur Sparer, sondern auch Arbeitnehmer, Häuslebauer, Steuerzahler und Unternehmer - und aus dieser Perspektive erscheinen die niedrigen Zinsen nicht nur negativ.

Und nimmt man in den Blick, dass Anleger ihr Geld nicht ausschließlich auf Sparkonten anlegen, sondern beispielsweise auch in Aktien und Investmentfondsanteilen, ergibt sich ein anderes Bild. Denn der durchschnittliche reale Ertrag des Geldvermögens der privaten Haushalte in Deutschland lag zuletzt bei gut 2 %.

Phasen negativer realer Sparzinsen gab es also auch zu Bundesbankzeiten immer wieder. Was allerdings historisch niedrig ist, sind die Zinsen am langen Ende der Marktes, zum Beispiel die Zinsen für zehnjährige Bundesanleihen.

Neben den langfristigen Inflationserwartungen hängt die Höhe der langfristigen Zinsen im Gleichgewicht auch von den Wachstumsaussichten einer Volkswirtschaft ab. Denn die Zinsen für die Anleger fallen ja nicht vom Himmel. Sie müssen von den Unternehmen erwirtschaftet werden.

In vielen Ländern der Welt hat sich das Wachstum in den vergangenen Jahren auch deshalb verlangsamt, weil der Produktivitätsanstieg zurückgegangen ist.

Damit die realen Zinsen wieder höher ausfallen können, sind ein Anstieg der Produktivität und eine Verbesserung der Wachstumsaussichten daher eine wichtige Voraussetzung.

Für höheres Wachstum braucht es vor allem bessere Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt, aber auch auf den Güter- und Produktmärkten. Es ist Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass sie zu mehr Beschäftigung, Produktivität und Wettbewerb führen. Je eher Strukturreformen greifen, desto eher gelingt der Ausstieg aus der ultra-lockeren Geldpolitik.

Mit der Ankündigung, die Notenbankzinsen "für einen ausgedehnten Zeitraum" auf dem niedrigen Niveau zu halten ("Forward Guidance"), und mit dem umfangreichen Ankauf von Staatsanleihen trägt die Geldpolitik allerdings auch zu den derzeit niedrigen längerfristigen Zinsen bei.

Meine Damen und Herren, auch wenn aufgrund der anhaltend niedrigen Inflationsaussichten und der nur verhaltenen wirtschaftlichen Erholung im Euro-Raum eine expansive Ausrichtung der Geldpolitik derzeit angemessen ist, kann man über die konkrete Ausgestaltung der Geldpolitik natürlich unterschiedliche Auffassungen haben. Die geldpolitischen Entscheidungen sind im Detail nicht alternativlos.

Meine kritische Haltung im Hinblick auf den Ankauf von Staatsanleihen ist in diesem Zusammenhang bekannt. Ich halte solche Käufe für ein reines Notfallinstrument, um ein Abgleiten in eine gefährliche deflationäre Abwärtsspirale zu verhindern.

Die Deflationsgefahr ist derzeit aber gering, zumal die gedämpfte Inflationsentwicklung zu einem Gutteil den gesunkenen Ölpreisen geschuldet ist. 

Notenbankkäufe von Staatsanleihen führen zu einer gefährlichen Vermengung von Geld- und Fiskalpolitik. Die Notenbanken werden zu den größten Gläubigern der Staaten. Für einen bedeutenden Teil seiner Schulden sind die Finanzierungskosten des Staates von den Kapitalmarktbedingungen entkoppelt. Wenn sich die Staaten an die günstigen Finanzierungsbedingungen gewöhnen und wenn sie die Zeit nicht nutzen, um die hohen Schuldenberge abzubauen, kann später Druck auf die Notenbanken entstehen, mit Blick auf die öffentlichen Finanzen eine geldpolitisch gebotene Straffung der Zinszügel in die Zukunft zu verschieben.

Darüber hinaus können von einer ultra-lockeren Geldpolitik auf Dauer auch Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems ausgehen: Zum einen besteht das Risiko von Blasen an den Finanzmärkten, da die niedrigen Zinsen und die großzügige Liquidität möglicherweise Anreize liefern, übermäßige Risiken einzugehen. Deswegen haben mittlerweile auch einige Mitgliedstaaten der Währungsunion sogenannte makroprudenzielle Maßnahmen ergriffen, um zum Beispiel Übertreibungen am Immobilienmarkt vorzubeugen.

Zum anderen können Gefahren für die Finanzstabilität entstehen, wenn die Profitabilität des Bankensektors sinkt. Und das tut sie umso stärker, je länger die Phase niedriger Zinsen anhält und je flacher die Zinsstrukturkurve ist.

Natürlich geht es uns Notenbankern nicht um die Gewinne der Banken an sich, sondern um deren Fähigkeit, geldpolitische Impulse zu übertragen. Diese Fähigkeit ist aber nicht unabhängig von der Eigenkapitalausstattung, denn die bestimmt maßgeblich darüber, wie gut Banken Schocks abfedern können.

Deshalb ist es besonders wichtig, dass sich die Banken so ausrichten, dass sie nachhaltig profitabel sind. Dazu müssen sie ihre Geschäftsmodelle überprüfen, ihre Bilanzen solide aufstellen und den sich bietenden Raum für Konsolidierungen nutzen, um Kosten zu sparen. Andernfalls könnte es ihnen in einem anhaltenden Niedrigzinsumfeld schwer fallen, Gewinne zu thesaurieren, um damit das Eigenkapital weiter zu stärken.

Wenn Finanzstabilitätsrisiken drohen, ist in erster Linie die makroprudenzielle Politik gefordert, denn eine stabilitätsorientierte Geldpolitik soll nicht zwischen den Zielen Geldwertstabilität und Finanzstabilität abwägen müssen. Ohne einen klaren Kompass könnte die Geldpolitik nämlich schnell in den Ruf der Beliebigkeit geraten. Eine auf Preisstabilität angelegte Geldpolitik kann Finanzstabilitätsrisiken aber auch nicht völlig ausblenden, weil Finanzstabilitätsrisiken regelmäßig auch die Preisstabilität bedrohen - das hat die Finanzkrise schmerzhaft gezeigt.

Im Übrigen verfolgt der EZB-Rat eine nach vorne gerichtete Strategie mit einem mittelfristigen Ziel. Konkret heißt das: Er strebt eine Inflationsrate von unter, aber nahe 2 Prozent in der mittleren Frist an. Der Begriff "mittelfristig" enthält ganz bewusst eine gewisse Unschärfe bezüglich des exakten Zeithorizonts. Denn die Geldpolitik gewinnt damit die Flexibilität, um auf die unterschiedlichen gesamtwirtschaftlichen Schocks jeweils angemessen reagieren zu können. Mittelfristig heißt nicht "irgendwann in ferner Zukunft", es heißt aber auch nicht "so schnell wie irgend möglich und zu jedem Preis". Die Erwartung, die Geldpolitik könne stets und immer eine Inflationsrate von knapp 2 % gewährleisten, würde sie sicher überfordern.

Meine Damen und Herren, es wäre fatal, wenn sich die Politik auf die kurzfristigen Wirkungen der ultra-lockeren Geldpolitik verlassen und darüber das Reformieren vergessen würde.

Das wäre keine nachhaltige Lösung, denn die Geldpolitik kann zwar die konjunkturellen Schwankungen um einen längerfristigen Wachstumspfad beeinflussen, sie kann diesen Pfad aber nicht dauerhaft nach oben schieben.

Das Gleiche gilt übrigens auch für die Fiskalpolitik. Eine Lockerung des Konsolidierungskurses kann zwar kurzfristig für eine Verbesserung der Konjunkturlage sorgen. Für dauerhaft höheres Wachstum sorgt sie aber nicht - höchstens für ein konjunkturelles Strohfeuer.

Angesichts der hohen Staatsschulden im Euro-Raum gibt es zu einer soliden Haushaltspolitik keine Alternative. Daher muss der Stabilitäts- und Wachstumspakt konsequent angewandt werden.

Es ist allerdings mein Eindruck, dass die EU-Kommission mit ihrer jüngsten Klarstellung zur Flexibilität des Paktes vor allem die Bindungswirkungen der Regeln weiter gelockert hat.

Früher hieß es einmal "Drei Prozent sind drei Prozent". Inzwischen gibt es aber Länder, die seit sieben Jahren das 3 % - Kriterium für das Haushaltsdefizit verletzen - nach einer konsequenten Anwendung der Regeln klingt das für mich nicht.

Flexibilität darf nicht bedeuten, dass es für jede Situation eine passende Ausnahmeklausel gibt.

Zumal die vielen Ausnahmen es immer schwieriger machen nachzuvollziehen, ob die Regeln in allen Ländern einheitlich angewendet werden. Darauf hat jüngst auch der Europäische Rechnungshof hingewiesen. Er fordert, die Regeln einfacher und transparenter zu machen.

Der Vorsitzende des ECOFIN-Rats, Jerom Dijsselbloem, hat dazu einen Vorschlag gemacht, den die Finanzminister vor einer Woche in Amsterdam diskutiert haben.

Sollte es am Ende eine Mehrheit für einen Vorschlag geben, der die Regeln einfacher und transparenter macht, wäre das auf jeden Fall ein Fortschritt. Der strukturelle Haushaltssaldo muss dabei natürlich die zentrale Kenngröße bleiben.

Ich halte aber daran fest, dass es langfristig das Ziel sein sollte, die Prüfung, ob sich die Mitgliedstaaten an die Regeln halten, von der Kommission auf eine unabhängige europäische Fiskalbehörde zu verlagern.

Denn der offenkundige Zielkonflikt, in dem sich die Kommission befindet, führt immer wieder zu politischen Kompromissen zu Lasten der Haushaltsdisziplin.

Dass die Währungsunion nicht unter einer Austeritätspolitik leidet, sondern eher Gefahr läuft, dass die krisenbedingt hohen Schulden nicht rasch abgebaut werden, zeigen auch die Defizitzahlen. Sieht man von konjunkturbedingten Änderungen ab, bewegen sich die Primärüberschüsse der Euro-Länder seit zwei oder drei Jahren nur noch seitwärts oder sinken sogar wieder.

5 Schluss

Meine Damen und Herren, bei aller Sorge um die Reformanstrengungen wollen wir natürlich den Anlass unserer Feier nicht vergessen. Ich komme daher noch einmal zurück zu Ihnen, lieber Herr Müller, und übergebe Ihnen zum Abschluss noch feierlich Ihre Ruhestandsurkunde. Alles Gute für Ihren neuen Lebensabschnitt!