Rede anlässlich des Neujahrsempfangs der Deutschen Bundesbank Hauptverwaltung in Sachsen und Thüringen Neujahrsempfang der Hauptverwaltung in Sachsen und Thüringen

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung und Einleitung

Sehr geehrter Herr Hauptverwaltungspräsident Poppe,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich freue mich sehr, heute hier in der Hauptverwaltung der Bundesbank in Leipzig vor Ihnen sprechen zu dürfen. Dies umso mehr als ich ja bereits im letzten Jahr als Redner beim Neujahrsempfang der Hauptverwaltung angekündigt war, ich jedoch dann leider wegen einer Erkrankung nicht kommen konnte. Ich bedaure noch einmal die Unannehmlichkeiten, die ich vor allem Ihnen, lieber Herr Poppe, im letzten Jahr durch meinen Ausfall bereitet habe und bedanke mich noch einmal an dieser Stelle dafür, dass Sie damals so kurzfristig meinen Part übernommen haben.

2 Rückblick 2011

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Ansprachen zum neuen Jahr sind für die meisten Redner immer auch ein willkommener Anlass, noch einmal einen Blick zurück auf das vergangene Jahr zu werfen. Es gilt, das Fundament zu bestimmen, auf dem das neue Jahr fußt. Auch ich möchte dies nicht anders halten und daher mit einem kurzen Rückblick auf das Jahr 2011 beginnen, bevor ich mich den Herausforderungen des neuen Jahres zuwende.

Das Jahr 2011 war in vielerlei Hinsicht ein sehr aufregendes Jahr. Es war – und man muss mittlerweile leider sagen „wieder“ – ein Jahr geprägt von der Krise und somit auch erneut gespickt mit zahlreichen Herausforderungen.

Anfang 2011 schien in der Öffentlichkeit die Wirtschafts- und Finanzkrise so gut wie überwunden. Die Wirtschaftsdaten Deutschlands entwickelten sich während des Jahres auch äußerst erfreulich.

Die Zahl der Arbeitslosen liegt mittlerweile unter 3 Millionen. Es hatten noch nie so viele Menschen in Deutschland Arbeit wie jetzt, die Steuereinnahmen sprudeln, die Neuverschuldung wird reduziert, bei nunmehr 7 Milliarden Menschen auf der Welt hat die Bundesrepublik Deutschland mit knapp 82 Millionen Einwohnern nur etwas mehr als 1% dieser Bevölkerung – ist aber die viertstärkste Wirtschaftsnation der Welt und wächst.

Als vorsichtige Bundesbanker haben wir dennoch immer darauf hingewiesen, dass wir uns im dritten, bzw. im vierten Jahr der Krise befänden. Damals wurden wir für diese Aussage häufig ungläubig angeschaut. Heute muss ich wieder feststellen: Wir befinden uns im fünften Jahr der Krise.

Denn die Unterstützungsmaßnahmen blieben nicht folgenlos. Die Finanzierung der Konjunkturprogramme erfolgte über die Erhöhung der Neuverschuldung der Staaten. Dieses führte weltweit zu einer Erhöhung des Schuldenstandes, auch außerhalb Europas.

Andere Länder haben ihre Verschuldung allerdings deutlich stärker erhöht als Deutschland: Der Schuldenstand der USA wird in der Amtszeit von Präsident Obama bis 2012 von 71,8% auf 105% des BIP steigen, also um die Hälfte der bisherigen Staatsverschuldung. Großbritannien wies beispielsweise im Jahr 2008 noch einen Schuldenstand von 54,8% des BIP auf. Für das Jahr 2012 wird für Großbritannien eine Verschuldensquote von 88,8% prognostiziert, also um mehr als 60%. Der Schuldenstand Japans liegt bei über 230% des BIP.

Die Staatsschuldenkrise hat das Jahr 2011 maßgeblich geprägt und man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass dies im Jahr 2012 nicht anders werden wird.

Aber auch für die Bundesbank als Institution war das Jahr 2011 ein aufregendes Jahr. So kam es im Mai zu einem Wechsel im Amt des Bundesbankpräsidenten. Darüber hinaus endete einen Monat später planmäßig auch die Amtszeit von Vizepräsident Zeitler, so dass mit dem Amtsantritt von Präsident Weidmann und der Vizepräsidentin Lautenschläger die Spitze der Bundesbank im vergangenen Frühsommer neu und – wie ich mir zu sagen erlaube – wieder hervorragend besetzt worden ist.

Es ist für mich schon etwas erstaunlich festzustellen, dass ich, der ich am 3. Mai 2010 in den Vorstand der Bundesbank eingetreten bin, heute bereits das zweitdienstälteste Mitglied im Vorstand bin. Zu meinen Zuständigkeitsbereichen gehören der unbare Zahlungsverkehr und die Bargeldversorgung in Deutschland. Und im letztgenannten Bereich feiern wir in diesem Jahr ein Jubiläum.

3 10 Jahre Euro-Bargeld

Vor fast genau zehn Jahren, am 1. Januar 2002 erfolgte die Einführung des Euro-Bargelds. Einige von Ihnen hier im Raum erinnern sich bestimmt noch sehr gut daran, welche logistische Herausforderung es war, mehr als 300 Millionen Menschen in damals zwölf Ländern quasi über Nacht mit einer neuen Währung zu versorgen.

So wurde zum Beispiel bereits drei Jahre vor der Einführung damit begonnen, die neuen Scheine und Münzen herzustellen. Bis Ende 2001 waren insgesamt 14,5 Mrd. Banknoten gedruckt und 50 Mrd. Münzen geprägt worden – ein Gesamtwert von 632 Mrd. Euro. Ungefähr 40% davon sind auf Deutschland entfallen, wo beim Bezahlen traditionell gerne Bargeld verwendet wird.

Allerdings: Auch zehn Jahre danach tauscht die Bundesbank noch D-Mark in Euro um. Es befinden sich immer noch alte D-Mark-Scheine und -Münzen im Wert von mehr als 13 Mrd. DM im Umlauf – ein großer Teil davon steckt wahrscheinlich in längst vergessenen Sparstrümpfen.

Alles in allem hat die Bargeldeinführung fast reibungslos funktioniert. Die schnelle und reibungslose Einführung der neuen Banknoten und Münzen trug in Deutschland wesentlich zur breiten Akzeptanz der gemeinsamen Währung bei.

Dabei erforderte die Einführung des Euro-Bargeldes das besondere Engagement aller Beteiligten. Und ich möchte heute meinen Besuch in der Hauptverwaltung in Sachsen und Thüringen auch dazu nutzen noch einmal meinen Dank an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesbank zu richten, die vor allem in den Filialen der Bundesbank in Zusammenarbeit mit der Kreditwirtschaft und den Werttransportunternehmen zum Erfolg der Euro-Bargeldeinführung beigetragen haben.

Gerade uns Deutschen ist der Abschied von der D-Mark schwer gefallen. Sie war das Symbol des Wirtschaftswunders und auch der Wiedervereinigung, und sie galt neben dem Schweizer Franken als die stabilste Währung Europas. Daher verwundert es wenig, dass recht bald eine Debatte um steigende Preise begann; aus dem Euro wurde schnell der „Teuro“.

In der Tat gab es einzelne Händler und Dienstleister, die im Windschatten der Währungsumstellung versucht haben, ihre Preise zu erhöhen. Das waren aber Einzelfälle, die durch Kaufzurückhaltung bestraft und so wieder auf den Weg der Tugend zurückgeführt wurden. Die deutsche Preisstatistik – sie ist gut und verlässlich – zeigt uns: Seit der Euro-Einführung lag die durchschnittliche jährliche Inflationsrate in Deutschland bei nur 1,6% – im Euroraum insgesamt bei 2%. Und damit, meine Damen und Herren, ist der Euro sogar stabiler als die D-Mark, denn von Mitte 1948 bis Ende 2001 betrug die Teuerungsrate zu D-Mark-Zeiten durchschnittlich 2,6%.

Wenn man über den Euro spricht, kommt man natürlich in diesen Tagen auch nicht umhin, die Schwierigkeiten, die auch das neue Jahr 2012 für die Gemeinschaftswährung bringen wird, anzusprechen.

4 Die Europäische Währungsunion in einer Belastungsprobe

Nun ist es offensichtlich, dass wir uns gegenwärtig in einer schwierigen Situation befinden. Die Währungsunion wird durch eine Krise belastet, die auch in den übrigen Ländern Europas und im Rest der Welt mit Sorge verfolgt wird.

Die Kanzlerin hat die Frage des Euro als Schicksalsfrage für Europa deklariert. Das klingt zunächst mal sehr pathetisch. Allerdings sollte man sich die Bedeutung der Eurozone in der Weltwirtschaft auch mal vor Augen führen.

Nach meinem Eindruck ist es weitgehend unbekannt, dass die EU27 nach wie vor der größte Wirtschaftsraum der Welt ist, noch vor den Vereinigten Staaten. Direkt danach kommt der Euro-Raum. Es verwundert daher nicht, dass ungeachtet der eigenen wirtschaftlichen Probleme die USA beunruhigt nach Europa schauen.

Wir sollten allerdings nicht mit Mutlosigkeit oder Resignation auf diese Krise reagieren. Die Krise ist in erster Linie eine Vertrauenskrise. Eine alte Juristenweisheit zum Gutglaubensschutz lautet: suche Deinen Glauben dort, wo du ihn verloren hast.

Vertrauen ist verloren gegangen bei den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch bei den Marktteilnehmern. Derzeit sind die Bürger und Anleger verunsichert, weil es an überzeugenden Antworten auf die Herausforderungen fehlt. Sie alle haben das Vertrauen in die Architektur der Währungsunion verloren.

Wir müssen daher die richtige Balance finden zwischen dem, was kurzfristig notwendig, und dem, was langfristig sinnvoll ist. Der Fokus auf kurzfristig drängende Probleme ist naheliegend und wichtig, muss aber in ein langfristiges Konzept eingebettet werden.

Um den oben zitierten Glauben wieder zu finden, sollten wir uns auf die Grundpfeiler der Währungsunion zurückbesinnen und diese stärken. Jedes Land in der Eurozone hatte sich bei Gründung bzw. bei späterem Beitritt in die Währungsunion verpflichtet, die Neuverschuldung nicht über 3% und die Gesamtverschuldung nicht über 60% des BIP steigen zu lassen.

Diese Regeln wurden im März 2005 auf Drängen der damaligen Defizitsünder Deutschland und Frankreich geändert und Verstöße wurden nicht sanktioniert.

Was also ist nötig, um angesichts der Staatsschuldenkrise das Vertrauen von Bürgern und Anlegern wieder herzustellen?

Erstens brauchen wir glaubwürdige Reformen in den betroffenen Ländern. Nicht nur die Staatshaushalte müssen saniert werden, auch wirtschaftliche Reformen sind notwendig, um wieder wettbewerbsfähig zu werden und das Wirtschaftswachstum zu fördern.

Das ist sicherlich eine enorme Herausforderung. Tragfähige Staatshaushalte und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft liegen im Interesse aller, insbesondere aber der jungen Generation. Staatsschulden müssen auf ein vertretbares Maß zurückgeführt werden, damit die junge Generation nicht unter den Schulden ihrer Eltern leidet.

Zweitens brauchen wir wie eben bereits angesprochen einen verbesserten Ordnungsrahmen für die Währungsunion. Hierzu sind beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs Entscheidungen gefallen, die durchaus ermutigend sind.

So sind zum Beispiel nationale Schuldenbremsen verabredet worden. Indem diese dafür sorgen, dass die Staaten nicht weiter über ihre Verhältnisse leben, sollen sie verhindern, dass heutige Generationen auf Kosten der kommenden Generationen leben. Das ist ein Schritt nach vorn.

Auch sollte der Stabilitäts- und Wachstumspakt nun besser vor politischen Manipulationen geschützt sein, indem Strafen nahezu automatisch auf Verfehlungen folgen. Auch das ist eine Verbesserung. Aber natürlich kommt es jetzt entscheidend darauf an, dass diese Ziele bei der konkreten Ausgestaltung und später bei der Anwendung nicht wieder verwässert werden. Offenbar ist die Sorge vor einer Aufweichung der politischen Beschlüsse nicht unbegründet. Jedenfalls hat die EZB, die an den Verhandlungen beteiligt ist, jüngst deutliche Kritik geübt.

Die Politik hat die Herausforderung angenommen, der Währungsunion einen besseren Ordnungsrahmen zu geben. Aber an alles, was sie jetzt neu verabredet hat, muss sie sich auch halten. Einer der großen Fehler der Vergangenheit war es, Verabredungen nicht einzuhalten. Es geht jetzt darum, eine stabile Währung für künftige Generationen in Europa sicher zu stellen, an der zu zweifeln niemand mehr Grund hat.

Dazu bedarf es anhaltender Selbstdisziplin, und die Eigenanreize zu soliden Staatsfinanzen müssen erhalten bleiben. Das heißt: Gegenseitige Hilfen darf es im Rahmen des beschlossenen Fiskalpakts nur als letztes Mittel geben und mit strikten Auflagen, um die Ursachen der jeweiligen Probleme zu beheben.

Fatal wäre es auch, die Disziplinierungswirkung steigender Zinsen völlig auszuhebeln. Werden die Kredite für Staaten teurer, so sinkt der Anreiz, sich weiter zu verschulden. Gute Haushaltspolitik muss durch die Kreditkosten belohnt, schlechte bestraft werden.

Das, was ich eben kurz umrissen habe, ist das, was rasch getan werden muss, und zugleich das, was langfristig sinnvoll ist.

Die immer wieder aufgestockten Rettungsfonds können dagegen nur eins: Zeit kaufen. Zeit, die genutzt werden muss, um die grundlegenden Probleme zu lösen.

Dauerhaftes Vertrauen kann man mit Geld alleine aber nicht kaufen. Eine Idee jedenfalls sollte endlich beiseitegeschoben werden, die Idee nämlich, das benötigte Geld über die Druckerpresse zu beschaffen. Denn damit würde man die wichtigste Grundlage einer stabilen Währung gefährden: die Unabhängigkeit einer auf Preisstabilität ausgerichteten Zentralbank.

Diese Unabhängigkeit geht verloren, wenn die Geldpolitik vor den Karren der Finanzpolitik gespannt wird und dann die Kontrolle über die Preisentwicklung verliert.

5 Schlussbemerkungen

Meine Damen und Herren,

eine Reihe von Herausforderungen liegt vor uns, die es zu meistern gilt. Im neuen Jahr gibt es Risiken, aber auch Chancen.

Auf europäischer Ebene und mit Blick auf die Stabilität der europäischen Währungsunion sind viele der diskutierten Maßnahmen im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht worden, die meines Erachtens richtig sind und die es nun umzusetzen gilt. Auch was die Aufstellung der Bundesbank an-geht, bin ich überzeugt, dass wir uns in einer guten Ausgangsposition befinden und so entscheidende Fortschritte erzielen können. Ich wünsche uns allen, dass dies gelingen möge, und wünsche Ihnen für das neue Jahr Gesundheit, persönliches Wohlergehen und dass sie Ihre Chancen erkennen und nutzen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.