Zwischen niedrigen Zinsen, Zinsänderungsrisiken und Regulierung: Aktuelle Herausforderungen des Bankensektors Festvortrag anlässlich des 70. Jubiläums des hessischen Bankenverbands

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einführung

Sehr geehrte Frau Rutzka-Hascher,
sehr geehrter Herr Finanzminister Schäfer,
sehr geehrter Herr Peters,
sehr geehrter Herr Behrends,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

es ist mir eine Freude, heute mit Ihnen das 70. Jubiläum des hessischen Bankenverbands zu feiern.

Dass Banken und Aufsicht dieses Jubiläum gemeinsam in der Hauptverwaltung der Bundesbank begehen, ist Ausdruck unserer respektvollen Zusammenarbeit in den letzten sieben Jahrzehnten, für die ich mich herzlich bedanken möchte.

Mit dem heutigen Festakt würdigen wir die Bedeutung der hessischen Banken für die deutsche Wirtschaft. Seit der Gründung im Jahr 1947 wurde viel erreicht: Die hessischen Banken haben wie alle deutschen Banken in diesen Jahren einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes geleistet.

Diese Leistungen möchte auch ich – im Namen der Deutschen Bundesbank – ausdrücklich würdigen – herzlichen Glückwunsch zum 70 Jubiläum!

Bekanntlich fängt ja mit 66 Jahren das Leben erst an – so sang es zumindest Udo Jürgens. Das wäre für den hessischen Bankenverband zwar schon in 2013 gewesen, aber was sind schon vier Jahre unter Freunden.

Deshalb: Auch nach 70 tatenreichen und erfüllten Jahren des hessischen Bankenverbands fängt das Leben jetzt noch einmal richtig an! Der Bankenverband geht mit 70 Jahren nicht in den Ruhestand, sondern ganz im Gegenteil, er bricht auf in neue Welten. Während manch rüstiger Rentner aufbricht, um schöne und aufregende neue Welten kennen zu lernen, so kommt die neue Welt zum Bankensektor – ob wir nun wollen oder nicht. Ich meine damit die sogenannte neue Normalität auf den Finanzmärkten, wie wir sie nun seit einigen Jahren erleben – Sie alle kennen das Schlagwort "the new normal".

Der Unterhaltungscharakter ist ganz gewiss etwas geringer als bei einer Weltreise – das Maß an Herausforderung hingegen umso höher; denn das Geschäftsumfeld hat sich seit der Finanzkrise grundlegend verändert.

Dabei klingt der Begriff "new normal" so unspektakulär. Doch damit wird er den enormen Herausforderungen für die deutschen Banken nicht gerecht. Ich widme mich heute diesen Herausforderungen – und hier besonders den niedrigen Zinsen und der verbesserten Regulierung.

2 Von der neuen Normalität

Wenn wir auf die letzten 70 Jahre zurückschauen und sie mit dem aktuellen Umfeld vergleichen, so ist schnell klar: Seit 2008 haben sich einige der Grundfesten im Bankgeschäft verändert.

Wie genau die Finanzmärkte der Zukunft aussehen, ist nach wie vor unklar, und auch, von welchen Gesetzmäßigkeiten sie getragen werden. Eine ganze Zunft von Makroökonomen zerbricht sich darüber den Kopf –natürlich tun dies auch die Kreditinstitute.

Ich denke, man kann mindestens drei wesentliche Veränderungen festhalten: Erstens ist das Geschäfts- und Marktumfeld rauer geworden. Hier hat das Maß an Vertrauen abgenommen, die Transaktionsvolumina vielfach ebenfalls; in manchen Teilmärkten gibt es eine geringere Liquidität als vorher, dafür aber auch keine übertriebene, aufgeblasene Liquidität mehr. Zweitens hat es einen Wandel im politischen Bewusstsein dafür gegeben, was Finanzmärkte leisten können – und was nicht. Als Folge gibt es einen breiten Konsens für eine stärkere Regulierung des Bankensystems. Die dritte Veränderung an den Grundfesten ist der Sinkflug des Zinsniveaus – Margen aus dem Zinsgeschäft gehen zurück, und das stellt die etablierten Geschäftsmodelle grundsätzlich in Frage.

Darüber hinaus gibt es noch einige weitere Herausforderungen im wirtschaftspolitischen Umfeld – denken Sie zum Beispiel nur an die Digitalisierung oder an geringe Investitionsquoten.

Heute möchte ich mich auf zwei große Herausforderungen konzentrieren: Die niedrigen Zinsen und die neue Regulierung.

3 Verbesserte Regulierung

Beginnen wir mit der Regulierung. Seit 2008 haben wir viele der bestehenden Schwachstellen überarbeitet – und damit ein robusteres Regelwerk geschaffen. Mit Basel III haben wir die Mindestkapitalvorgaben verbessert und Mindestliquiditätsvorgaben sowie eine Verschuldungsquote eingeführt. Mit der europäischen Bankenunion haben wir die Aufsicht über die Institute grenzüberschreitend und stringenter aufgestellt. Mit dem Sanierungs- und Abwicklungsregime soll künftig jedes Institut abgewickelt werden können, ohne das Finanzsystem lahm zu legen – gerade bei letzterem steht der Lackmustest aber noch aus, und wichtige Feinheiten müssen noch vollendet werden.

Diese Regeln einzuhalten ist ein gutes Stück Arbeit. Und so äußern Viele scharfe Kritik an der neuen, strengeren Regulierung. Sie sehen sie als eine Ursache für die Ertragsprobleme des Bankensektors.

Dieser Logik kann ich aber nur bedingt folgen. Zum einen sollten die Reformen nicht für strukturelle Ertragsprobleme verantwortlich gemacht werden. Zum anderen profitieren letztlich Alle von den neuen Regeln, denn sie sollen dabei helfen, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. Schließlich haben wir in der Finanzkrise einmal mehr lernen müssen: Ohne Regeln funktioniert eine Marktwirtschaft – und auch ein Finanzsystem – leider nicht.

Natürlich führt das zu Anpassungskosten. Ich erwarte auch bestimmt keine Begeisterungsstürme – aber die Reformen waren richtig und wichtig; und ihre Kosten sind zu einem guten Teil einmalige Umsetzungskosten.

Bis die Kreditinstitute diese Regeln gänzlich umgesetzt haben, liegt noch ein gutes Stück Arbeit vor ihnen. Aber ich bin überzeugt, dass sie die dicksten Brocken schon überwunden haben; was nun kommt, ist weniger steiniges Gelände.

Nun schauen Sie natürlich auf die Regulierer und fragen, ob nicht noch weitere dicke Brocken aus Basel und Brüssel kommen. Lassen Sie mich drei Punkte machen:

Erstens: Wie Sie wissen, arbeiten wir im Baseler Ausschuss daran, die letzten Elemente der Basel III-Reformen zu vollenden. Dabei geht es vornehmlich um die Überarbeitung der Berechnung der risikogewichteten Aktiva. Die Verhandlungen sind schon sehr weit gediehen, aber es hängt noch an Kleinigkeiten – an entscheidenden Kleinigkeiten zugegebenermaßen. Ich bin guter Dinge, dass wir das Basel III-Rahmenwerk zeitnah abschließen und dass das Ergebnis für die deutschen Institute gut tragbar sein wird.[1]

Zweitens: In der Europäischen Union werden im Moment die nach der Krise entstandene Kapitaladäquanzverordnung und die zugehörige Richtlinie überarbeitet. Dabei werden erstens Überarbeitungen und Detailverbesserungen vorgenommen; zweitens werden einige bereits im Baseler Ausschuss verabschiedete Maßnahmen umgesetzt – besondere Bedeutung hat hier die grundlegende Überarbeitung der Handelsbuchansätze. Drittens  werden Erleichterungen für kleinere Institute eingebaut, die die Belastungen abmildern sollen.

Drittens: Es ist fraglich, ob vereinzelte Erleichterungen die operative Überforderung kleinerer Banken grundsätzlich lösen. Deshalb plädiere ich für einen stärker grundsätzlichen Ansatz: Die Zweiteilung der Regulierung für kleine Institute einerseits und große, international tätige Häuser andererseits. Ich setze mich dafür ein, dass ein solcher Ansatz in der EU ernsthaft geprüft wird. Damit können sich die Institute darauf einstellen, dass sie die wesentlichen Bedingungen der neuen Regulierungswelt kennen. Das macht die Herausforderung nicht geringer, aber beherrschbarer.

4 Niedrigzinsen und schlechte Ertragslage

Die zweite große Herausforderung in der neuen Welt sind die sehr niedrigen, teilweise sogar negativen Zinsen.

Sie belasten die Ertragskraft zinslastiger Geschäftsmodelle. Für die deutschen Institute mit ihrem Fokus auf dem Zinsgeschäft ist diese Herausforderung sehr schwerwiegend.

Das wird an einer einfachen Zahl deutlich: Der Zinsüberschuss macht bei Banken und Sparkassen in Deutschland aktuell etwa 75 % der operativen Erträge aus. Ein lang anhaltendes Niedrigzinsumfeld bedeutet, dass ein grundlegender Baustein ihres Geschäftsmodells nicht mehr funktioniert: Es heißt schlicht und einfach, dass mit einem Schwerpunkt auf der Fristentransformation nicht mehr genügend Geld verdient werden kann.

Lassen Sie mich diese Herausforderung anhand der Niedrigzins-Umfrage erläutern, die 2015 von Bundesbank und BaFin unter rund 1.500 kleineren und mittelgroßen deutschen Banken und Sparkassen durchgeführt wurde. Dort wurde unter anderem simuliert, was in den Instituten passieren würde, wenn die Zinsen noch weiter sinken würden – was ja seitdem auch stattgefunden hat. Da Banken noch Bestandsgeschäft zu anderen Konditionen haben, wirken sich die niedrigen Zinsen erst allmählich aus, aber ein im Modell angenommener Zinsrückgang um weitere 100 Basispunkte führt bis 2019 zu branchenweiten Ergebnisrückgängen von 60 %.

Das liegt natürlich daran, dass ein niedriges Zinsniveau die Zinsen sowohl auf der Aktiv- als auch auf der Passivseite drückt. Insbesondere beim Passivgeschäft sind Banken und Sparkassen aber in ihrem Spielraum eingeschränkt. Es gibt Vorbehalte, niedrige bzw. sogar negative Zinsen an Einleger weiterzugeben. Bislang haben in Deutschland nur wenige Institute diesen Schritt gewagt. Die Bedeutung der Einlagen für die eigene Finanzierung ist gleichzeitig enorm gestiegen – seit 2008 hat sich ihr Anteil in den Bilanzen deutscher Banken nahezu verdoppelt. Als Resultat daraus wird die Zinsspanne, die Differenz aus Zinserträgen und Zinsaufwendungen, tendenziell kleiner. Mit anderen Worten: Bei gleicher Bilanzsumme sinkt der Ertrag.

Noch ist dieser Effekt beherrschbar. In der Umfrage zum Niedrigzinsumfeld wird beim oben erwähnten Szenario mit vorsichtigen Modellannahmen erkennbar, dass Institute bis 2019 aufgrund ihrer Rücklagen mit den Ergebnisrückgängen noch gut umgehen können. Aber danach wird es für einige schwer, sich mit dem bestehenden Geschäftsmodell über Wasser zu halten.

Die deutschen Bankenaufseher nehmen diese Tendenzen sehr ernst. Deshalb werden wir dieses Jahr eine Neuauflage der Niedrigzinsumfrage durchführen. Die Umfrage ist bereits Anfang April angelaufen und wird im dritten Quartal 2017 präsentiert. Die Ergebnisse sind für uns in zweierlei Hinsicht wichtig: Zum einen werden wir einen systemweiten Überblick über die Ertragslage und die Zinsänderungsrisiken erhalten; zum anderen werden wir individuelle Einsichten in die Situation der Banken und Sparkassen in Deutschland erhalten. Diese Erkenntnisse werden eine wesentliche Grundlage für die Kommunikation mit den Instituten sein.

Was können nun aber die Institute tun? Sie können beispielsweise auf der Aktivseite durch längere Zinsbindung oder durch riskantere Kredite die durchschnittliche Verzinsung erhöhen; allerdings wird das mit gutem Grund durch aufsichtliche Vorgaben begrenzt. Der Handlungsspielraum innerhalb des zinsabhängigen Geschäfts ist somit begrenzt.

Banken und Sparkassen sind daher gezwungen, an anderen Stellen Handlungsspielraum auszuloten. Geschäftsmodelle müssen auf ihre Zinsabhängigkeit hin überprüft– und vermutlich teilweise angepasst werden.

Diese Herausforderung ist im aktuellen Niedrigzinsumfeld durchaus gegeben und würde grundsätzlich auch bei steigenden Zinsen fortbestehen. Denn bei genauerer Betrachtung sehen wir, dass nicht die Geldpolitik alleine für die niedrigen Zinsen verantwortlich ist. Nein, auch fundamentale gesellschaftliche Verschiebungen wie der demographische Wandel sorgen dafür, dass das Zinsniveau bereits seit den 1980ern kontinuierlich sinkt.[2] Diese Situation erfordert Umdenken.

Dass das nicht einfach wird, zeigt die Debatte über Gebührenerhöhungen – viele Kunden haben kein Verständnis und stimmen mit den Füßen ab. Das wird ihnen dadurch erleichtert, dass es Institute gibt, die durch operative Kostensenkungen auch künftig kostenlose Konten zur Verfügung stellen wollen. Welche Strategien sich durchsetzen werden, ist aus meiner Sicht völlig offen.

Aber eines ist klar: Um die Ertragslage der Kreditinstitute krisenfest zu machen, wird das zinstragende Geschäft auf absehbare Zeit nur eines unter vielen Geschäftsarten sein.

5 Fazit

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in den letzten 15 Minuten habe ich nicht gerade leicht verdauliche Kost für eine Festrede serviert.

Aber es ist nun einmal Realität, dass die letzten knapp zehn Jahre erhebliche Probleme brachten. Die Verwerfungen haben uns in eine neue Normalität geführt. Banken und Sparkassen müssen nach 70 Jahren noch mal von vorne beginnen in dieser neuen Welt – zumindest in gewissem Maße.

Eine verbesserte Regulierung – mit einem starken Baseler Rahmenwerk und soliden europäischen Regeln – wird einen sehr anspruchsvollen Rahmen bieten. Nach einer Umsetzungs- und Eingewöhnungsphase werden die Banken in diesem neuen Rahmen aber sicherlich gut bestehen können.

Und auch die veränderten Marktbedingungen auf den Finanzmärkten – allen voran die niedrigen Zinsen - zwingen Banken zum Umdenken; in gewissem Maße auch zu einer mentalen Verjüngung. Und Verjüngung, wenn sie auch nur mental ist, schadet nie!

In diesem Sinne wünsche ich dem hessischen Bankenverband und seinen Mitgliedern alles Gute für die Zukunft – auf die nächsten 70 Jahre!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Fußnoten:

  1. Dombret, A. (2017) Basel III – das Ziel vor Augen. Rede auf dem Bundesbank-Symposium "Aufsicht im Dialog" am 15. März 2017.
  2. See e.g. L Rachel & TD Smith (2015) Secular drivers of the global real interest rate. Bank of England Working Paper No. 571.