Zwischen Wettbewerb und Regulierung - die Bank der Zukunft Vortrag beim International Bankers Forum

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Liebe Frau Müller, sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, Sie alle heute beim International Bankers Forum hier in der Düsseldorfer Hauptverwaltung der Bundesbank zu treffen und zu Ihnen über die Bank der Zukunft zu sprechen.

In seiner Komödie "Eine Frau ohne Bedeutung" stellte Oscar Wilde 1893 folgendes fest: "Der einzige Unterschied zwischen dem Heiligen und dem Sünder ist, dass jeder Heilige eine Vergangenheit hat und jeder Sünder eine Zukunft." Meine Damen und Herren, egal welcher Gruppe Sie sich eher zuordnen würden, zeigt doch die Empirie, dass eines unausweichlich kommen wird: die Zukunft.

Und so wende ich mich nun dem Banker zu. Denn auch für ihn, egal ob Sünder oder Heiliger oder beides, kommt die Zukunft. Und diese hat es in sich.

Doch lassen Sie uns zunächst einen Blick in die Vergangenheit werfen.

2 Die Bank der Vergangenheit

Banken im heutigen Sinne gibt es in Europa seit dem 13. Jahrhundert, als Florenz zu einer Handelsmacht aufstieg. Warengroßhändler kamen über ihre Geschäfte zum Kredit- und Wechselgeschäft. Zentrale Akteure waren berühmte Bankiersfamilien wie die Medici, die Strozzi oder auch etwas später in Deutschland die Fugger. Neben der Finanzierung der Warengeschäfte ging es aber auch bald um Privatpersonen: Bereits 1462 gründeten Franziskaner in Perugia die erste Monte di Pietà, die einzelne Bürger finanziell unterstützte. Ein Ausläufer aus diesen Gründungen, die 1472 gegründete Banca Monte dei Paschi in Siena, ist heute die älteste Bank der Welt.

Viele der ursprünglichen Aufgaben und Tätigkeiten der Banken haben bis heute ihre Bedeutung behalten, so etwa das Kreditgeschäft, der Wertpapierhandel oder der Zahlungsverkehr.

Und auch Finanzmarktkrisen sind fast so alt wie das Bankwesen selber: Denken Sie etwa an die Tulpenkrise im 17.Jahrhundert in Holland, die viele Spekulanten um ihre Existenz brachte; in der Hoffnung auf Gewinne wurden sogar Häuser gegen Tulpenzwiebeln eingetauscht. Die Preise für Tulpenzwiebeln fielen allerdings, nachdem sie astronomische Höhen erreicht hatten, deutlich in den Keller.

Trotz aller historischen Vorläufer war aber die jüngste Krise, die hinter uns liegt, ein einmaliges Ereignis mit ungeahnt tiefen Einschnitten. Durch diese Finanzkrise hat sich das Bankensystem von Grund auf verändert. Daher ist es nun so wichtig, in die Zukunft zu blicken und zu überlegen, wo diese Veränderungen hinführen werden. Ich möchte mich heute auf zwei Themen konzentrieren, die die allernächste Zukunft der Banken wesentlich beeinflussen werden: Das Wettbewerbsumfeld, in dem die Banken sich befinden und Veränderungen in Aufsicht und Regulierung. Beginnen möchte ich mit dem in Zukunft zu erwartenden Wettbewerb.

3 Der Wettbewerb der Zukunft

Es gibt eine alte Geschichte über eine Straße in Wien, in der sich vier Bäckereien befanden. Um sich von der Konkurrenz abzuheben, stellte die erste ein Schild neben den Eingang, auf dem sie das feinste Gebäck in ganz Wien offerierte. Die zweite Bäckerei antwortete mit einem Schild: die feinsten Backwaren in ganz Österreich. Die dritte konterte mit dem Angebot: die besten Backwaren der Welt. Das alles beeindruckte den vierten Bäcker keineswegs. Er postierte vor seinem Laden ein Schild, das bescheiden verkündete: "Hier erhalten Sie die feinsten Backwaren in dieser Straße."

Meine Damen und Herren, so wie diese vier Bäckereien müssen sich die Banken und Sparkassen auf einem freien Markt im Wettbewerb miteinander behaupten. Eines ist gewiss, und das zeigt uns die kleine Geschichte von eben: gewinnen wird diesen Wettbewerb nicht notwendigerweise derjenige, der am höchsten und lautesten auftritt; sondern derjenige, der die klügste Zukunftsstrategie entwirft.

Eine Rahmenbedingung, unter der der Wettbewerb der Banken derzeit stattfindet, ist das Thema Ertragsdruck. Die meisten von uns denken dabei sicherlich zuerst an die anhaltende Phase niedriger Zinsen. Natürlich sind die niedrigen Zinsen für Sparer ein großes Ärgernis und für Banken eine hohe Belastung. Wir müssen uns auch darauf einstellen, dass das niedrige Zinsniveau noch eine Weile anhalten wird. Und so müssen sich die Banken in der aktuellen Situation also fragen, wie sie die Herausforderung niedriger Zinsen meistern wollen und wie sie nachhaltig stabile Erträge erwirtschaften.

Natürlich gibt es darauf keine einfache Antwort. Und sie sollte keineswegs lauten, auf einer "Jagd nach Rendite" immer höhere Risiken einzugehen. Eine solche "Jagd nach Rendite" kann im schlimmsten Fall dazu beitragen, dass sich am Markt Preisblasen bilden. Eine vorsichtige und verantwortungsvolle Kreditvergabe der Banken ist daher unumgänglich - nicht zuletzt bei den Immobilienkrediten.

Die niedrigen Zinsen sind keinesfalls der einzige Grund, der eine strategische Neuausrichtung vieler Banken notwendig macht. Zurück zur Straße in Wien: Der Wettbewerb spielt sich nicht mehr nur innerhalb einer Straße ab, nein – der Wettbewerb um Kunden wird in der Zukunft härter und internationaler werden. Durch globale Regulierung und das europäische Aufsichtsregime entstehen international gleiche Wettbewerbsbedingungen. Für die deutschen Banken bedeutet dies, dass sie in einem internationalen Vergleich stehen und in diesem gut abschneiden müssen.

Und hier gibt es noch viel zu tun: So befinden sich die Eigenkapital- und Gesamtkapitalrendite der deutschen Banken wegen des intensiven Wettbewerbs in Deutschland unterhalb des europäischen Durchschnitts. Diese Ertragsschwäche resultiert dabei vor allem aus einer relativ hohen Zinsabhängigkeit der hiesigen Geschäftsmodelle. In einer anhaltenden Phase niedriger Zinsen drückt das auf die Erträge. Hier handelt es sich letztlich um ein strukturelles Problem: Seit Mitte der 1980er Jahre beobachten wir nämlich ein kontinuierliches Absinken der Zinsspanne, von dem vor allem die großen deutschen Institute betroffen sind.

Eine wichtige Zukunftsstrategie besteht für die Banken daher darin, ihre Geschäftsmodelle zu überprüfen und auf nachhaltige Ertragskraft zu adjustieren. Viele Banken prüfen aktuell, ihr Einkommen (weiter) zu diversifizieren und in diesem Zusammenhang vor allem das Nicht-Zinseinkommen auszubauen.

Ein weiterer Ansatzpunkt muss die Kostenseite sein. Hier schneiden deutsche Banken und Sparkassen im internationalen Vergleich recht gut ab. Dennoch gibt es immer noch eine Vielfalt von Möglichkeiten, die Ertragskraft der Banken indirekt zu stärken. Ein immer wieder zu Recht genanntes Beispiel sind die Filialnetze. Insgesamt ist die Zahl der Bankfilialen in Deutschland zwar schon seit einiger Zeit rückläufig, aber der Bankenmarkt in Deutschland ist weiterhin relativ dicht besetzt und bietet fraglos Raum für weitere Konsolidierung.

Ein Zukunftsthema, meine Damen und Herren, sind schließlich wichtige Entwicklungen wie die zunehmende Digitalisierung von Bankgeschäften. Hier wird der Wettbewerb der Zukunft ausgerichtet werden, und hier bieten sich erhebliche Chancen. Derzeit haben die meisten deutschen Banken allerdings noch Nachholbedarf. Um im Bild zu bleiben: Während die meisten Banken noch ihre Schilder auf die Straße stellen und so um Kunden werben, sind einige Vorreiter schon deutlich digitaler unterwegs und empfangen ihre Kunden im Netz. Konkret denke ich etwa an Chancen im Bereich individualisierten Online-Bankings, das Banken als Wettbewerbsvorteil und zur Kundenbindung nutzen können.

Für den Bankkunden können sich im "Multichannel Banking" ganz neue Möglichkeiten ergeben. Aber nicht nur für die Kunden: auch für die Banken und Sparkassen selbst bestehen Chancen. Banken und Sparkassen locken Kosteneinsparungen bei der Unternehmenssteuerung, durch schnellere Risikoberichterstattung und durch ein integriertes und automatisiertes Berichtswesen. Und im Zusammenhang mit dem Thema Ertragsdruck können wir sicherlich, trotz anfänglicher Kosten für IT-Investitionen, von einer langfristig höheren Profitabilität im digitalen Bankgeschäft ausgehen. Diese dürfte nicht zuletzt aus einer besseren Positionierung im Wettbewerb um Kunden oder aus zusätzlichen Kostenvorteilen im Online- und Mobilebanking resultieren.

Allerdings birgt jede Chance natürlich ein Risiko. Und diese Risiken im Bereich der Digitalisierung bestehen schon jetzt: Sie liegen in erster Linie in einem enormen Wettbewerb, der vor allem durch Nicht-Banken getrieben wird. Diese reichen von Zahlungssystemen wie Paypal bis hin zu Crowdfunding und Online-Privatkrediten. Natürlich spielt hier auch das Thema Cybersecurity eine große Rolle - übrigens eine der aufsichtlichen Prioritäten des SSM für dieses Jahr. Aber trotz aller Risiken überwiegen im Bereich Digitalisierung für mich die Chancen, und ich rate dazu, diesen Zug nicht zu verpassen.

4 Die Regulierung und Aufsicht der Zukunft

Meine Damen und Herren, ich habe über mehrere Zukunftsaspekte gesprochen, denen die deutschen Banken mit hoher Sicherheit begegnen werden. Dabei haben es die Banken zu einem großen Teil selbst in der Hand, wie sie diese Herausforderungen gestalten und wie sie mit ihnen umgehen.

Aber natürlich gestalten wir als Aufseher und Regulierer die Zukunft der Banken mit. Dabei darf es nach meiner Überzeugung nicht Aufgabe von Regulierung und Aufsicht sein, Ertragsstrategien oder Geschäftsfelder zu empfehlen oder sogar vorzuschreiben. Unsere Aufgabe ist es, einen langfristig stabilen Rahmen zu setzen, der für die Stabilität der einzelnen Bank und des Bankensystems insgesamt sorgt. Innerhalb dieses Rahmens muss der Markt dafür sorgen, dass Banken ihre volks- und betriebswirtschaftlichen Aufgaben so effizient wie möglich erfüllen.

Die Finanzkrise hat nicht nur zu Veränderungen im Bankensystem geführt, sie hat auch unser Verständnis und die Ausgestaltung von Regulierung und Aufsicht verändert. Ich denke, zwei Schlagworte machen die Richtung der Veränderungen deutlich: Regulierung und Aufsicht sind erstens "strenger" und zweitens "internationaler" geworden.

Sie alle wissen, dass die Regulierung der Banken nach der Finanzkrise strenger wurde: Durch das Rahmenwerk von Basel III wurden zum einen die Eigenkapitalregelungen verschärft und zum anderen erstmals globale Liquiditätsstandards eingeführt. Beide Änderungen ziehen die Lehren aus der Vergangenheit: Erstens ist Eigenkapital zweifelsohne der beste Puffer für Verluste. Zweitens zeigte die Finanzkrise, dass Märkte austrocknen können und dass Anlagen unterschiedlich liquide sind. Für global systemrelevante Banken wird die Regulierung noch härter: Sie müssen künftig über das Eigenkapital hinaus zusätzliche Mittel bereithalten, die Verluste auffangen können - Stichwort TLAC.

Natürlich bedeutet diese strengere Regulierung Aufwand und Kosten für die Banken - das kann und will niemand leugnen. Bei dieser Diskussion bitte ich aber zu bedenken, dass Regulierung kein Selbstzweck ist – vielmehr dient sie dazu, Krisen in Zukunft weitestgehend zu verhindern. Und wenn wir die Kosten der Regulierung für die Banken ins Verhältnis zu den Kosten der Krisen für den Steuerzahler setzen, dann geht die Rechnung aus meiner Sicht sehr wohl auf. Ich bin überzeugt davon, dass die Regulierungsreformen nach der Finanzkrise zukünftig zu mehr Stabilität des Finanzsystems führen werden – das sollte uns die Investitionen wert sein.

Das zweite Schlagwort zur Zukunft der Regulierung und Aufsicht ist die Internationalität. Ganz besonders deutlich wird das an der europäischen Bankenaufsicht. Vor nun mehr als einem halben Jahr hat die EZB die direkte Aufsicht über die 123 bedeutendsten Banken des Euro-Raums übernommen. Diese Banken werden in einem Netzwerk aus EZB-Mitarbeitern und nationalen Aufsehern nach einheitlichen, strengen Kriterien beaufsichtigt. Damit verbunden ist die Annahme, dass grenzüberschreitende Probleme besser gehandhabt werden können als dies national der Fall ist.

Die ersten Monate der europäischen Bankenaufsicht sind aus meiner Sicht durchaus positiv verlaufen, auch wenn dieses Projekt natürlich für alle Beteiligten einen Umbruch darstellt. Für uns Aufseher wird das Umfeld, in dem wir arbeiten, deutlich europäischer, und auch die Banken haben mit neuen Aufsehern zu tun. Aber inhaltlich bewegt sich etwas, und zwar in die richtige Richtung: So wird die Aufsicht quantitativer und nimmt neue Blickwinkel ein. Ein Beispiel dafür ist, dass die EZB künftig auch die Geschäftsmodelle der größten Banken prüfen wird. Dies ist in anderen Ländern wie den USA oder Großbritannien durchaus üblich, für die deutschen Banken aber ein Novum. Zwar können die EZB-Aufseher keine Änderungen am Geschäftsmodell vorgeben, aber bei Zweifeln mehr Eigenkapital und höhere Liquidität vorschreiben.

5 Fazit

Meine Damen und Herren, ohne Zweifel stehen Banken heute vor einer Reihe von Herausforderungen. Das aktuelle Niedrigzinsumfeld, härterer Wettbewerb oder auch Digitalisierung sind nur einige, aber entscheidende Schlagworte.

Dabei ist ein Punkt besonders wichtig: Vertrauen in die Zukunft. Vertrauen ist entscheidend für den Erfolg des Bankgeschäfts. Auch wenn ein Teil dieses Vertrauens durch die Finanzkrise abhanden gekommen ist, müssen die Banken ein ureigenes Interesse haben, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Und dass es wieder hergestellt werden kann, steht für mich außer Frage: Durch eine Zukunft mit nachhaltigen und stabilen Erträgen, geprägt von einer Kultur, die die Rolle der Banken als Dienstleister für die Realwirtschaft betont. Wir brauchen die Banken für eine funktionierende Volkswirtschaft seit Jahrhunderten, wie ich eingangs aufgezeigt habe – und zwar "so, wie wir Möbelhändler und Schrotthändler brauchen", um den Nobelpreisträger Robert Shiller zu zitieren.

Sicherlich müssen viele Institute enorme Anstrengungen unternehmen, um auch in Zukunft im Wettbewerb mitzuhalten und die gestiegenen regulatorischen Anforderungen einzuhalten. Aber, wie schon John F. Kennedy sagte: "Einen Vorsprung im Leben hat, wer da anpackt, wo die anderen erst einmal reden." Und so ist es sicherlich die beste Strategie, die Zukunft als Chance zu begreifen und aktiv mitzugestalten. Denn vielfältige Chancen bietet die Zukunft auch für die Banken, wie ich am Beispiel der Digitalisierung zu zeigen versucht habe. Dass die Zukunft kommen wird, ist sicher. Gestalten wir sie also gemeinsam im Sinne eines stabilen und nachhaltigen Finanzsystems. Wenn das International Bankers Forum hierbei mithelfen will, sind Sie herzlich dazu eingeladen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.