Stellungnahme anlässlich der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags

Stellungnahme anlässlich der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags zum Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion, zum Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, zum Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz - ESMFinG), zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes unter Berücksichtigung der Ausgestaltung der Parlamentsbeteiligung sowie einer Korrektur des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes hinsichtlich der Rechte des Gremiums nach § 10a am 7. Mai 2012

Bei der Gründung der Europäischen Währungsunion wurde vereinbart, die Finanzpolitik in nationaler Eigenverantwortung zu belassen. Gleichzeitig wurde die Notwendigkeit gesehen, die gemeinsame Geldpolitik und die Mitgliedstaaten gegen potenziell unsolide Finanzpolitiken einzelner Länder abzusichern. Dies sollte vor allem durch die disziplinierende Wirkung der Finanzmärkte und auf der europäischen Ebene verankerte Regeln für die nationalen Finanzpolitiken erreicht werden. In Einklang mit diesem Grundansatz wurde im Vertrag von Maastricht ausdrücklich festgeschrieben, dass weder die Gemeinschaft noch die Mitgliedstaaten für die Schulden eines anderen Mitglieds eintreten oder haften dürfen. Dies war nicht zuletzt in Deutschland sicherlich von einiger Bedeutung für die Akzeptanz des Eintritts in die Währungsunion. Die Folgen einer unsoliden Finanzpolitik, beispielsweise in Form steigender Finanzierungskosten aufgrund von Risikoaufschlägen auf die zu zahlenden Zinsen, sollten von dem betreffenden Staat selbst getragen und nicht auf andere Länder der Währungsunion verteilt werden. Darüber hinaus wurden im Vertrag selbst und in dem ergänzenden Stabilitäts- und Wachstumspakt Regeln für die nationalen Finanzpolitiken vereinbart und insbesondere Obergrenzen für die staatliche Defizit- und die staatliche Schuldenquote festgelegt.

Dieser wirtschaftpolitische Rahmen der Währungsunion hat die aktuelle Staatsschuldenkrise nicht verhindert, und zu ihrer Bewältigung wurden die vorhandenen Instrumente als unzureichend angesehen. Erste Anpassungen wurden daher bereits vorgenommen, und mit dem Fiskalpakt und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sollen weitere Änderungen in den Bereichen Krisenprävention und Krisenbewältigung erfolgen. Insgesamt setzt sich dabei die Tendenz der spürbaren Vergemeinschaftung von Risiken fort. Dies wird zwar von einer intensiveren wirtschaftspolitischen Koordination der EWU-Mitgliedstaaten begleitet, die Grundprinzipien des Rechts- und Koordinationsrahmens werden allerdings weitgehend unverändert gelassen. So bleibt die fiskalische Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten erhalten, und es werden, entsprechend den Anforderungen auch des deutschen Verfassungsrechts, keine ultimativen Eingriffsrechte einer zentralen Instanz in die nationale Haushaltsouveränität etabliert – auch nicht bei wiederholten Regelverstößen. Ebenso gilt die Nicht-Haftungsklausel grundsätzlich weiterhin, und Finanzhilfen sollen nur als letztes Mittel vergeben werden, wenn die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt gefährdet ist. Auch zukünftig kommt daher der Möglichkeit, dass die Kapitalmärkte bei unsolider Finanzpolitik spürbare Zinsaufschläge auf Staatsschuldtitel verlangen, eine wichtige Rolle zu. Gerade auch aus geldpolitischer Sicht ist es entscheidend, dass Haftung und Kontrolle für finanz- und wirtschaftspolitische Entscheidungen nicht auseinander fallen und starke Eigenanreize verbleiben, um solide Staatsfinanzen zu erhalten oder wiederherzustellen.

Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend kurze Anmerkungen zu ausgewählten Aspekten der vorliegenden Gesetzentwürfe gemacht:

Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion:

Der vorgesehene stärkere Sanktionsautomatismus (umgekehrte qualifizierte Mehrheit) im Rahmen des europäischen Defizitverfahrens ist zu begrüßen. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit größer, dass sich die Position der Europäischen Kommission durchsetzt, und eine Koalitionsbildung zur Aufweichung wird erschwert. Allerdings wird die Haushaltsdisziplin nur dann gefördert, wenn die Kommission fiskalische Solidität auch tatsächlich als Priorität ansieht und die Einhaltung der gemeinsamen Haushaltsregeln konsequenter angestrebt wird als in der Vergangenheit. Bedauerlich ist, dass der stärkere Sanktionsautomatismus nur bei Verfahren aufgrund einer Verletzung des Defizitkriteriums gelten soll, nicht aber bei Verfahren aufgrund einer Verletzung des Schuldenkriteriums.

Gleichfalls positiv zu werten ist, dass die Vertragsparteien – darunter alle EWU-Staaten – die Verpflichtung zu strukturell nahezu ausgeglichenen Haushalten oder Haushaltsüberschüssen im nationalen Recht verankern wollen. Damit besteht die Möglichkeit, dass auf nationaler Ebene der politische Druck zur Einhaltung dieser Vorgabe verstärkt wird, die auf europäischer Ebene ähnlich bereits im Stabilitäts- und Wachstumspakt enthalten ist. Wichtige Konkretisierungen für die nationalen Schuldenregeln stehen allerdings noch aus. Mit dem noch zu konkretisierenden Korrekturmechanismus bei Überschreitungen der Obergrenze für das strukturelle Haushaltsdefizit würde ein wesentlicher Fortschritt erzielt, wenn – wie dies die deutsche Schuldenbremse vorsieht - eine regelgebundene Tilgung der aus den Überschreitungen resultierenden Schulden vorgeschrieben würde. Hierdurch würde einem stetigen Schuldenanstieg durch die Nutzung von Ausnahmeregelungen oder Verfehlungen im Haushaltsvollzug entgegen gewirkt. Obwohl dies in den Erwägungsgründen des Vertrags erwähnt wird, zeichnet sich eine solche Regelung gegenwärtig nicht ab. Auch eine weitgehende Unabhängigkeit des Korrekturmechanismus von nationalen politischen Ad-hoc-Entscheidungen ist keinesfalls gesichert. Gleichfalls noch zu konkretisieren ist das Tempo, mit dem bestehende strukturelle Defizite zurückzuführen sind, und wann das Haushaltsziel erstmals zu erreichen ist (Anpassungspfade). Hier ist ein ambitionierter Kurs wichtig. Zudem sollten gleichmäßige jährliche Konsolidierungsschritte vorgegeben werden, damit nicht der größte Teil der Bemühungen auf die Endjahre des Anpassungszeitraums verschoben werden kann. Dieses in der Vergangenheit beobachtete Muster birgt die Gefahr, dass die verbleibende Anpassungslast schließlich zu hoch erscheint und die Korrekturfrist dann in Frage gestellt wird.

Weiterhin droht aus heutiger Sicht, dass die Spielräume sowohl bei der konkreten Umsetzung in nationales Recht als auch bei der Anwendung im weiteren Verlauf sehr groß bleiben. Letztlich ist für den Erfolg der Schuldenbremsen die Umsetzung und Anwendung auf nationaler Ebene ausschlaggebend. Eine wichtige Rolle dürfte hierbei der Öffentlichkeit und – wenn die Anrufungsmöglichkeiten in den Mitgliedstaaten dies zulassen – den nationalen Gerichten mit einer entsprechenden Überprüfungskompetenz, regelmäßig wohl den nationalen Verfassungsgerichten zukommen. Gegebenenfalls müsste eine solche gerichtliche Überprüfungskompetenz auf nationaler Ebene auch erst geschaffen werden. Möglichkeiten für europäische Institutionen zur Durchsetzung der nationalen Regeln sind nicht vorgesehen. Über den Stabilitäts- und Wachstumspakt hinausgehende Durchgriffsrechte der europäischen Ebene auf die nationale Finanzpolitik werden somit selbst bei fortgesetzter Verletzung der Regeln nicht geschaffen. Ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof besteht nur hinsichtlich der rechtlichen Ausgestaltung auf nationaler Ebene, nicht hinsichtlich der Einhaltung dieser Regeln. Mit dem Fiskalpakt wird also keineswegs eine „Fiskalunion“ eingeführt, und er rechtfertigt daher auch keine weitgehende Gemeinschaftshaftung (z.B. Eurobonds). Denn durch eine solche weitgehende Gemeinschaftshaftung würden Haftung und Kontrolle noch stärker als in der einleitend beschriebenen Form auseinander fallen, und der Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion würde zunehmend inkonsistent.

Europäischer Stabilitätsmechanismus:

Der ESM kann dazu beitragen, Gefahren für die Finanzstabilität im Euro-Raum zu begrenzen. Allerdings wird der grundsätzlich in der EWU geltende Haftungsausschluss geschwächt, und jeder Hilfsmechanismus kann die Anreize zu soliden öffentlichen Haushalten und die Wirksamkeit der präventiven Regelungen mindern. Deshalb ist es entscheidend, dass Hilfen nur als Ultima Ratio gewährt werden, wenn die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt gefährdet ist. Gleichfalls von herausragender Wichtigkeit ist, dass die Hilfen tatsächlich an strikte finanz- und wirtschaftspolitische Auflagen gebunden werden, die eine zügige Rückkehr an den Kapitalmarkt ermöglichen, und dass deren Nichteinhaltung sanktioniert wird. Schließlich ist es von elementarer Bedeutung, dass die Hilfskredite nur mit spürbaren Zinsaufschlägen vergeben werden. Zwar scheinen solche Zinsaufschläge im Regelfall nicht beabsichtigt, allerdings wird über die zukünftige Ausgestaltung im Einzelfall zu entschieden sein, und sie können durchaus zur Voraussetzung der Kreditvergabe gemacht werden. Ohne Zinsaufschläge ginge ein wichtiger Anreiz, den Eintritt in den Hilfsmechanismus zu verhindern oder zumindest rasch an den Kapitalmarkt zurückzukehren, weitgehend verloren. Es dürfte sogar dazu kommen, dass Hilfe leistende Länder mit eigenen Haushaltsproblemen höhere Zinsen zahlen als die Hilfeempfänger. Eine konsequente Umsetzung der EU-Haushaltsregeln zur Vermeidung von Schieflagen bis hin zu Sanktionen bei Regelverstößen lässt sich wohl nur schwerlich durchsetzen, wenn gleichzeitig ein Land, das aufgrund noch schwerwiegenderer Regelverstöße den Kapitalmarktzugang verloren hat, Unterstützung durch den ESM zu stark subventionierten Zinsen erhält.

Zu begrüßen ist der angestrebte bevorrechtigte Gläubigerstatus von ESM-Krediten, der die Steuerzahler in den Unterstützerstaaten schützt. Dies steht im Einklang mit den IWF-Krediten (die aber gegenüber dem ESM bevorrechtigt sein sollen). Es ist nicht klar, ob der bevorrechtigte Gläubigerstatus auch für etwaige Primär- oder Sekundärmarktkäufe gelten soll. Instrumente ohne diesen Vorrang wären jedenfalls mit erheblich höheren Ausfallrisiken verbunden. Die komplexen Hebelungsmodelle der EFSF, die auch auf den ESM übertragen werden können, stehen dem Grundsatz des bevorrechtigten Gläubigerstatus jedenfalls entgegen, da sie auf eine explizit nachrangige Position hinaus laufen (etwa Übernahme eines „first-loss piece“, um externe Investoren zu einer Beteiligung an der Emission zu bewegen).

Im Hinblick auf den Instrumentenkasten dürften reguläre Hilfskredite mit strikter Konditionalität, vorrangigem Gläubigerstatus und spürbaren Zinsaufschlägen die oben genannten Bedingungen mit Abstand am besten erfüllen. Dagegen erscheinen Sekundärmarktkäufe am problematischsten. Finanzhilfen des ESM für Kreditinstitute sollen – wie vorgesehen – weiter nur über den jeweiligen Mitgliedstaat unter Auflagen und nur dann gewährt werden, wenn weder die empfangenden Kreditinstitute noch der Mitgliedstaat eigenständig in der Lage ist, die Mittel am Kapitalmarkt aufzunehmen. Direkte Hilfen des ESM an Banken sind nicht vorgesehen und wären bei der derzeitigen Ausgestaltung des institutionellen Rahmens (einschl. der Finanzaufsicht und -kontrolle) auch ein Fremdkörper. So käme es unter anderem zu einer indirekten Übernahme von Risiken bezüglich eines staatlichen Zahlungsausfalls ohne entsprechende wirtschafts- und finanzpolitische Auflagen, wenn die betroffenen Institute in beträchtlichem Maß staatliche Schuldtitel halten oder weiter erwürben.

Finanzielle Hilfen des ESM sollten nur im Fall vorübergehender Liquiditätsengpässe eines Mitgliedstaats gewährt werden. Für den Fall einer Überschuldung wäre dagegen darauf zu achten, dass zunächst die Tragfähigkeit der Staatsschulden durch einen (Teil-)Verzicht privater Gläubiger grundsätzlich wieder hergestellt wird (und diese somit Risiken ihrer Anlageentscheidung tragen). Im Vertrag wird diesbezüglich auf die Praxis des Internationalen Währungsfonds in Erwägungsgrund 12 verwiesen. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang, dass ab Januar 2013 standardisierte und identische Umschuldungsklauseln in neu auszugebende staatliche Anleihen aufzunehmen sind, die im Bedarfsfall eine Beteiligung privater Gläubiger erleichtern. Hier gilt es allerdings darauf zu achten, dass diese Verpflichtung nicht durch Ausweichreaktionen unterlaufen werden (kurzfristige Verschuldung, Schuldaufnahme durch untergeordnete staatliche Gebietskörperschaften oder parastaatliche Einrichtungen). Eine von der Bundesbank vorgeschlagene automatische, in den Anleihebedingungen enthaltene Laufzeitverlängerung für staatliche Schuldtitel für den Fall, dass ESM-Hilfen beantragt werden, wurde nicht aufgenommen.

Im Hinblick auf die parlamentarische Kontrolle und breite Akzeptanz ist es insgesamt wichtig, die Hilfsmechanismen transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Vor dem Hintergrund der zuletzt durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Griechenland-Hilfe und zum Euro-Rettungsschirm eingeforderten parlamentarischen Kontrolle erschiene es problematisch, wenn der Gouverneursrat des ESM wichtige Elemente wie das Instrumentarium, das Kapital, die Hilfeempfänger und das maximale Ausleihvolumen verändern könnte, gegebenenfalls sogar autonom. Der Deutsche Bundestag kann sich hier über die Festlegung eines Parlamentsvorbehalts für Entscheidungen im ESM-Gouverneursrat bzw. im ESM-Direktorium im Ratifizierungsprozess Mitspracherechte sichern. Ein solcher Parlamentsvorbehalt wurde ähnlich auch bereits für die Entscheidungsgremien der EFSF beschlossen. Der Entwurf des ESMFinG sieht einen Parlamentsvorbehalt bereits vor, in durchaus wichtigen Fällen soll statt einer Zustimmung des Plenums eine Zustimmung des Haushaltsausschusses ausreichen. Der Parlamentsvorbehalt kann sich dabei auch auf Entscheidungen der ESM-Entscheidungsgremien hinsichtlich der Instrumente und Konditionen des ESM beziehen.