Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Fiskalvertrags Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags (Bundestags-Drucksache 17/10976) einschließlich der mitversandten Änderungsanträge aus dem Haushaltsausschuss gegenüber dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages (Öffentliche Anhörung am 19. November 2012)

Zur geplanten Änderung des G115

Es ist zu begrüßen, dass der Gesetzentwurf dahingehend ergänzt werden soll, ein in der Übergangszeit auf dem Kontrollkonto aufgelaufenes Guthaben zu löschen.

Mit der Reform der nationalen Schuldenregeln soll der Schuldenaufbau eng begrenzt werden. Nur angesichts der im Jahr 2009 erwarteten schwerwiegenden Haushaltsbelastungen aus der Finanz- und Wirtschaftskrise wurde die Übergangsphase bis zum Inkrafttreten der dauerhaften strukturellen Neuverschuldungsgrenze von 0,35 % des BIP weit abgesteckt. Tatsächlich hat sich die deutsche Wirtschaft aber unerwartet schnell erholt, und die unmittelbaren Auswirkungen der Krise auf den Bundeshaushalt blieben deutlich hinter den Befürchtungen zurück. So haben sich die Steuereinnahmen erheblich besser entwickelt als bei Verabschiedung der neuen Schuldenregel erwartet. Zudem haben die in der Zwischenzeit sehr stark gesunkenen Zinsen für die Kreditaufnahme des Bundes zu einer deutlichen Entlastung geführt. Unterm Strich fielen die strukturellen Defizite bislang wesentlich niedriger aus als jeweils im Haushaltsplan veranschlagt, obwohl das ursprünglich im Jahr 2010 beschlossene Konsolidierungspaket im Zeitverlauf an verschiedenen Stellen spürbar aufgeweicht wurde.[1]

Hinzu kommt, dass unter anderem aus Sicht der Bundesbank der Ausgangswert für die Obergrenze des Defizitabbaupfads in der Übergangszeit deutlich zu hoch angesetzt wird, indem auf dem Schätzstand für das strukturelle Defizit 2010 vom Juni 2010 aufgesetzt und nicht der weitaus niedrigere aktualisierte Wert verwendet wird.[2] Dies überhöht die in der Übergangszeit anfallenden Gutschriften auf dem Kontrollkonto zusätzlich.

Grundsätzlich ist es für die Glaubwürdigkeit und die Bindungswirkung einer Schuldenregel entscheidend, dass diese nicht ad hoc verändert wird. Andernfalls wäre zu befürchten, dass die Verschuldungsneigung dazu führt, dass die Regeln immer wieder am aktuellen Rand ausgehebelt werden. Mit der vorgeschlagenen Maßnahme ist allerdings eine Härtung vorgesehen, die zudem nicht die Regel selbst, sondern die spezielle gesetzliche Ausgestaltung der Übergangsphase betrifft. Im Sinne der mit der neuen Kreditgrenze angestrebten Eindämmung der Bundesverschuldung ist es somit insgesamt folgerichtig, ein in der Übergangszeit auf dem Kontrollkonto auflaufendes Guthaben zu streichen, um dessen Nutzung zur dauerhaften Kreditfinanzierung von zu hohen Defiziten – durch einen faktischen Zugriff im Rahmen des Haushaltsvollzugs oder bei Nachtragshaushalten – auszuschließen.[3]

Zur geplanten Änderung des Stabilitätsratsgesetzes

Es ist von großer Bedeutung, dass Deutschland die Vorgaben der europäischen Haushaltsregeln strikt einhält und diesbezüglich auch geeignete nationale Vorkehrungen trifft. Hierzu kann der Stabilitätsrat einen wesentlichen Beitrag leisten, unter anderem indem er überprüft, ob eine Verletzung der Vorgaben droht. Die Terminierung der Sitzungen sollte sicherstellen, dass einerseits eine aktuelle Schätzung der gesamtstaatlichen Defizitentwicklung vorgelegt werden kann und andererseits noch die Möglichkeit besteht, die Planungen bei Korrekturbedarf anzupassen. Es ist auch von entscheidender Bedeutung, dass die Entscheidungsgrundlagen des Stabilitätsrates insbesondere gegenüber der Öffentlichkeit transparent gemacht werden, damit sie nachvollzogen und überprüft werden können. Hierzu ist es wichtig, dass die gesamtstaatliche Prognose mit den einfließenden Schätzungen für die einzelnen Teilbereiche sowie die für die Beurteilung der Regeleinhaltung teilweise erforderlichen Auslegungen ausführlich dargestellt und erläutert werden. Dabei wären neben den Annahmen für die Entwicklung wichtiger gesamtwirtschaftlicher Bezugsgrößen und die Zinssätze nicht zuletzt Angaben zu den unterstellten Wirkungen von Rechtsänderungen ebenso darzulegen wie die Behandlung von Einzelfällen, deren statistische Verbuchung umstritten sein könnte.

Ein unabhängiger Beirat kann zusätzlich dazu beitragen, einen potenziellen Konflikt mit den europäischen und den daran anknüpfenden nationalen Vorgaben frühzeitig offen zu legen. Die Bundesbank kann hier, wie in dem Gesetzesentwurf offenbar vorgesehen, im Rahmen ihrer Beratungsfunktion in wirtschaftspolitischen Fragen ihre Expertise einbringen. Welche Aufgaben der Beirat erfüllen kann, hängt letztlich davon ab, wie er konkret ausgestaltet ist. Dies wird durch den vorgelegten Gesetzentwurf allerdings nicht hinreichend klar. Einige Aspekte erscheinen in diesem Zusammenhang wichtig.

Vor dem Hintergrund der Zielsetzung wäre vom Beirat wohl eine unabhängige Einschätzung zu folgenden Punkten zu erwarten:

  • Die Perspektiven für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland.

  • Die sich aus den europäischen Regeln für das gesamtstaatliche Defizit in Deutschland für jedes Jahr einer Prognoseperiode ergebende Obergrenze.

  • Die Entwicklung des gesamtstaatlichen Defizits in der Abgrenzung des Maas-tricht-Vertrages unter Berücksichtigung der aktuellen haushaltsmäßigen Entwicklung, der Auswirkungen von geplanten oder auch bereits beschlossenen Rechtsänderungen, der sachgerechten Verbuchung bestimmter Transaktionen oder der Sektorzuordnung verschiedener Einheiten.

  • Der Einfluss der Konjunktur sowie etwaiger (im Rahmen der EU-Regeln auszuklammernder) temporärer Faktoren im Zusammenhang mit der Ermittlung des strukturellen Defizits, das den europäischen Regeln zugrunde liegt. Hierzu gehört das sehr komplexe Konjunkturbereinigungsverfahren, das im Rahmen der EU-Regeln angewendet wird.

  • Zusammenfassend ergäbe sich dann die Abschätzung der Größe eines Handlungsbedarfs zur Wahrung der Defizitobergrenze.

Demgegenüber erscheint es grundsätzlich nicht sachgerecht und zielführend, den Beirat zur Nennung konkreter Korrekturmaßnahmen bei einer drohenden Verfehlung der Defizitobergrenze zu verpflichten, und davon ist eindeutig abzuraten. Dies würde den Beirat von einem weitgehend technischen zu einem umfassenden wirtschaftspolitischen Beratungsgremium wandeln. Auch die europäischen Regeln schreiben nicht vor, wie die Vorgaben für die Defizite konkret einzuhalten sind, und es erscheint sehr sinnvoll, dass sich der Beirat auf die Beurteilung der Regeleinhaltung beschränkt und nicht etwa die mit einzelnen Maßnahmen verbundenen Verteilungsergebnisse bewertet. Letztlich würde der Beirat nicht zuletzt vor dem Hintergrund potenziell unterschiedlicher Auffassungen unter unabhängigen Experten und enger Fristvorgaben voraussichtlich überfrachtet, und die erfolgreiche Erfüllung seiner Kernaufgaben wäre in Frage gestellt.

Im Gesetzentwurf bleibt offen, wie der Beirat konkret arbeiten und sein Beitrag genau aussehen soll. Die Begründung zum Gesetzentwurf deutet darauf hin, dass der Beirat eine vollständig durchgerechnete eigene Schätzung mit Angaben zu den Teilsektoren vorlegen soll. Die Erfahrung legt nahe, dass eine so ambitionierte und umfassende Aufgabe sowohl erhebliche zeitliche als auch personelle Ressourcen erforderlich machen würde. Dies gilt umso mehr, wenn etliche Beteiligte aus verschiedenen Institutionen eingebunden sind und unterschiedliche Einschätzungen möglichst zu einer gemeinschaftlich getragenen Prognose zusammenzuführen sind. Insgesamt scheint es mit der geplanten Konstruktion nicht realistisch, nach der offenbar vorgesehenen kurzen Beratungszeit und weitgehend ohne weitere Ressourcen oder eigenständige Infrastruktur eine vollständig abgestimmte unabhängige Prognose vorzulegen. Es bestünde eine erhebliche Gefahr, den hohen Erwartungen, die mit der Aufgabe verbunden wären, nicht gerecht werden zu können. Alles in allem erscheint es in dem offenbar vorgesehenen organisatorischen Rahmen dagegen eher machbar und sinnvoll, dass der Beirat eine Einordnung der Schätzung und Annahmen vorlegt, die auch der Diskussion im Stabilitätsrat zugrunde liegen (statt eine eigenständige abgestimmte Prognose zu erstellen). So soll offensichtlich von den Ministerien für den Stabilitätsrat eine Schätzung erstellt werden, die vor dem Hintergrund der europäischen Regeln bewertet wird und die Basis für die Entscheidungen des Rates sein soll. Dem Beirat könnte diese Diskussionsgrundlage mit zeitlich ausreichendem Vorlauf zu seiner Sitzung zugeleitet werden. Er könnte dann eine konzise Stellungnahme zu den relevanten Aspekten erarbeiten, die in die Diskussion des Stabilitätsrats einfließt. 

Zur geplanten Änderung des Sanktionszahlungsaufteilungsgesetzes

Angesichts der den Ländern im Grundgesetz zugestandenen Übergangszeit bis zum Inkrafttreten der Schuldenbremse 2020 will der Bund die Länder bis dahin von möglichen Sanktionszahlungen im Rahmen des verschärften präventiven Arms des Stabilitäts- und Wachstumspakts freistellen. Grundsätzlich wäre es dagegen zu begrüßen, wenn sich die Länder zu einer verbindlichen - und teilweise schnelleren - Defizitrückführung verpflichten würden. Das gesamtwirtschaftliche Umfeld bot und bietet noch immer eine gute Gelegenheit zur nachhaltigen strukturellen Sanierung auch der Länderhaushalte. Es besteht die Gefahr, dass diese letztlich nicht entschlossen genug genutzt wird. Die gemäß dem Grundgesetz grundsätzlich bis 2019 fortbestehende Möglichkeit zur strukturellen Neuverschuldung soll offenbar auch für die nächsten Jahre noch möglichst weit offen stehen. Durch eine Verzögerung würde in Kauf genommen, dass der dauerhaft zu leistende Schuldendienst weiter anwächst und damit noch zusätzliche Konsolidierungsbedarfe geschaffen werden. Ein Konsolidierungsaufschub bis kurz vor 2020 erscheint angesichts der strikten Regeln der Schuldenbremse zudem gefährlich. Denn sollte das gesamtwirtschaftliche Umfeld dann ungünstig sein, würden die notwendigen Anpassungen noch erheblich zusätzlich erschwert. Die zwangsläufig zu ergreifenden Maßnahmen würden prozyklisch wirken, was die Akzeptanz der Schuldenbremse gefährden könnte. Somit ist dringend zu empfehlen, durch einen raschen Abbau der strukturellen Neuverschuldung zügig eine gute Ausgangsposition zu erreichen. Dabei erscheint es notwendig, auch die Finanzen der Kommunen abzusichern. Im Rahmen der gesamtstaatlich zu wahrenden Defizitgrenze sollten die Defizite der Gemeinden den jeweiligen Ländern zugerechnet werden (wie analog die der Sozialversicherungen dem Bund), um dem Anreiz zu begegnen, umfangreich Lasten auf die kommunale Ebene zu verschieben.

Im Hinblick auf die Sanktionsaufteilung erscheint bemerkenswert, dass der Anwendungsbereich des genannten Gesetzes nun auch auf Sanktionen bei Manipulation von Statistiken im Rahmen der europäischen Haushaltsüberwachung ausgedehnt werden soll. Es erscheint sachgerecht, dass mögliche Sanktionen nicht allein vom Bund getragen werden. So sind auch fehlerhafte oder unvollständige Haushaltsdatenlieferungen infolge „schwerwiegender Nachlässigkeit“ sanktionsbewehrt, wozu letztlich auch unterlassene Maßnahmen zur angemessenen Umsetzung von europäischen Statistikanforderungen einschließlich Eurostat-Entscheidungen gehören dürften. Damit soll verhindert werden, dass es künftig zu statistischen Fehlmeldungen kommt, die in der Vergangenheit – insbesondere in Griechenland – einen wesentlichen Beitrag zur Verschleierung von Problemlagen geleistet haben. Deutschland sollte die europäischen Vorgaben, die es selbst unterstützt hat und auf deren konsequente Einhaltung in den Partnerländern es auch angewiesen ist, strikt umsetzen. Die Bereitschaft auch auf der Ebene der Länder und Gemeinden, die hierfür notwendigen Daten zu erheben, ist letztlich notwendige Voraussetzung dafür, dass Deutschland seinen europäischen Verpflichtungen nachkommen kann. Es wäre in diesem Zusammenhang folgerichtig, dies auch gesetzlich zu regeln. So wäre zu gewährleisten, europäische Entscheidungen im Bereich der Statistik bei allen zum Staatssektor zählenden Haushalten unmittelbar und zügig umsetzen zu können.

Fußnoten:

  1. Vgl.: Deutsche Bundesbank, Stellungnahme zum von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf für ein Nachtragshaushaltsgesetz 2012 (Bundestags-Drucksachen 17/9040 und 17/9649), 5. Juni 2012.
  2. Vgl.: Deutsche Bundesbank, Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Fraktion der SPD „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Artikel 115-Gesetzes“ (Bundestags-Drucksache 17/4666 vom 08.02.2011), 16. März 2011.
  3. Konsequent umgesetzt wäre der Guthabenbestand nicht am Jahresende 2015, sondern erst im September 2016 nach (endgültiger) Buchung für das letzte Jahr der Übergangszeit zu streichen.