Finanzstabilitätsbericht: Deutsches Finanzsystem hat sich als stabil erwiesen

Die globale Corona-Pandemie hat im ersten Halbjahr 2020 zum schwersten Wirtschaftseinbruch in Deutschland seit Jahrzehnten geführt. Weltweit haben Regierungen und Zentralbanken umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um die Wirtschaft, Arbeits- und Finanzmärkte zu stabilisieren. „Das deutsche Finanzsystem hat sich als stabil erwiesen. Bislang hat es in der Corona-Pandemie seine zentralen Funktionen erfüllt“, sagte Claudia Buch, Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank, anlässlich der virtuellen Pressekonferenz zur Vorstellung des neuen Finanzstabilitätsberichts der Bundesbank. Im weiteren Verlauf der Pandemie dürften vermehrt Insolvenzen im Unternehmenssektor auftreten. Dies erfordere laut Buch eine ausreichende Vorbereitung. Um Auswirkungen auf die Kreditvergabe zu mindern, sollten die Banken ihre Kapitalpuffer nutzen. Die nach der globalen Finanzkrise beschlossenen Reformen hätten sich ausgezahlt: Die Banken seien besser kapitalisiert, hätten zusätzliche Kapitalpuffer und könnten diese flexibler nutzen. Künftig werde es darum gehen, bestehende Verwundbarkeiten zu begrenzen, sagte die Vizepräsidentin.

Liquiditätsklemme abgewendet

Im Frühjahr gingen die Produktion und Umsätze vieler Unternehmen stark zurück. Die finanziellen Verpflichtungen sanken aber nicht im gleichen Umfang, so dass der Liquiditätsbedarf in vielen Branchen sprunghaft stieg. Im Unternehmenssektor drohte eine Liquiditätsklemme, die jedoch insbesondere dank umfangreicher staatlicher Maßnahmen abgewendet wurde. 

Bisher hat die Corona-Krise kaum zu höheren Wertberichtigungen in den Bilanzen der Banken geführt. „Die Banken funktionieren, die Kreditvergabe läuft. Aktuell erfüllt das Bankensystem damit seine zentrale Rolle“, sagte Joachim Wuermeling, das für Bankenaufsicht zuständige Vorstandsmitglied der Bundesbank. „Wichtig ist jetzt, dass die Banken weiterhin ihre Aufgabe erfüllen: gute von schlechten Risiken zu unterscheiden – und Kredite an gute Kreditnehmer auch zu vergeben.“ 

Auf vermehrte Insolvenzen von Unternehmen vorbereiten

Bislang zeigen sich die Spuren der Krise nicht in steigenden Insolvenzen im Unternehmenssektor. Hierfür sind nicht zuletzt krisenbedingte staatliche Maßnahmen und Sonderregelungen verantwortlich, insbesondere das vorübergehende Aussetzen der Insolvenzantragspflicht. Zukünftig dürften die Zahl der Insolvenzen und Marktaustritte von Unternehmen jedoch zunehmen. Verlaufen diese Anpassungen ähnlich wie in der Vergangenheit, dürfte dies für die Banken verkraftbar sein, heißt es im Finanzstabilitätsbericht. 

Es sind aber auch Szenarien möglich, in denen Insolvenzen und die damit verbundenen Kreditausfälle unerwartet stark steigen. Dies würde die Kapitalquoten der Banken belasten. Die Banken könnten dann ihre Kreditvergabe einschränken, um die vom Markt und der Aufsicht geforderten Eigenkapitalquoten einzuhalten. Dadurch würde die wirtschaftliche Erholung gebremst oder ein Wirtschaftseinbruch verschärft. „Banken sollten ihre vorhandenen Kapitalpuffer nutzen, um weiterhin angemessen Kredite zu vergeben“, sagte Buch. Die Puffer seien präventiv in guten Zeiten aufgebaut worden, damit sie in Krisenzeiten genutzt werden könnten. Diesen Spielraum hätten die seit der globalen Finanzkrise umgesetzten aufsichtlichen Reformen geschaffen. 

Der Schlüssel zu einer guten Vorbereitung auf steigende Insolvenzen liege für Banken, Politik und öffentliche Verwaltung darin, ausreichende administrative Kapazitäten zu schaffen, erfahrenes Personal bereitzustellen und die Vereinfachung von Insolvenzverfahren zu prüfen.

Strukturwandel ermöglichen und Verwundbarkeiten begrenzen

Ein funktionierendes Finanzsystem wird für den bevorstehenden Strukturwandel zentral sein. Mit der Zeit werden die künftigen wirtschaftlichen Strukturen nach und nach sichtbar werden. „Anders als in der globalen Finanzkrise geht es nicht darum, das Finanzsystem zu reparieren, sondern mithilfe des Finanzsystems Anpassungen in der Realwirtschaft zu ermöglichen“, betonte Buch. Das erfordere stabile Banken und funktionierende Anleihemärkte, aber auch die Finanzierung von Innovationen und Investitionen durch Eigenkapital.

Durch die Pandemie verstärken sich bestehende Verwundbarkeiten im Finanzsystem. Die Verschuldung im privaten und öffentlichen Sektor ist gestiegen, niedrige Zinsen begünstigen eine Suche nach Rendite und eine Unterschätzung von Kreditrisiken. „Das Finanzsystem muss ausreichend robust sein, um mit negativen Entwicklungen umgehen zu können. Die Reformagenda der vergangenen zehn Jahre sollte konsequent fortgeführt werden“, forderte Buch. Dank der Reformen stünden heute auch bessere Instrumente zur Verfügung, um mit Schieflagen von Banken umgehen zu können. In der Krise wurde die bestehende aufsichtliche Flexibilität temporär genutzt. Das bedeute aber nicht, dass die Anforderungen an die Widerstandskraft des Finanzsystems dauerhaft gesenkt werden dürften.