„Der digitale Euro hat für die Bundesbank Top-Priorität“ Interview mit dem Handesblatt

Das Gespräch führten Yasmin Osman, Stefan Reccius und Elisabeth Atzler.

Herr Balz, die Bundesbank setzt sich seit Jahren vehement für den digitalen Euro ein. Warum? Es gibt doch eigentlich genug Zahlungsmittel.

Balz: Kernprodukt einer Zentralbank ist und bleibt das Bargeld. Aber der Alltag der Bürgerinnen und Bürger wird immer digitaler. Aus unserer Sicht ist es deshalb wichtig, dass wir den Menschen ein verlässliches Angebot von staatlicher Seite machen.

Die Bürger scheinen aber bislang nichts zu vermissen.

Balz: Ich denke schon, dass viele gern eine Bezahllösung hätten, mit der sie überall in Europa online und offline bezahlen können. Auch für Zahlungen von Person zu Person, ohne dass gleich außereuropäische Konzerne mit im Boot sitzen. Ich bin mir sicher, dass die Menschen eine solche europäische Lösung zu schätzen wüssten. Denn es gibt auch gute geostrategische Gründe für einen digitalen Euro. Der Kriegsbeginn in der Ukraine hat gezeigt, dass Deutschland und Europa noch mehr darauf achten müssen, was für ihre Souveränität gut ist. 

Kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine haben die großen US-Kreditkartenanbieter Visa und Mastercard ihre Zahlungsdienste in Russland eingestellt. Halten Sie so ein Szenario auch in Europa für möglich?

Balz: Ich bin überzeugter Transatlantiker, aber man muss zugeben: Das ist keine abstrakte Horrorvision, sondern das ist technisch möglich. Wir sind den amerikanischen Zahlungsdiensten gegenüber sicher nicht negativ eingestellt, das sind sehr wichtige Partner. Aber wir müssen aus europäischer Perspektive unsere eigenen Möglichkeiten haben. Der digitale Euro ist für Europa eine kritische Infrastruktur und hat für die Bundesbank Toppriorität.

Frau Hachmeister, für diese strategische Option nimmt das Eurosystem viel Geld in die Hand. Allein das Auftragsvolumen für die Ausschreibungen der EZB beläuft sich auf 430 Millionen bis 1,2 Milliarden Euro. Hinzu kommen zusätzliche Personalkosten in den Notenbanken für neue Experten. Die deutschen Banken schätzen, dass auf sie ebenfalls zusätzliche Investitionen von einer Milliarde Euro zukämen.

Hachmeister: Wie hoch die Kosten für den digitalen Euro sind, lässt sich heute nicht seriös sagen, zumal zwischen den Ausgaben für den Aufbau der Infrastruktur und den Ausgaben für den laufenden Betrieb zu unterscheiden ist. Die Anlaufkosten sind in der Regel der größte Block. Wir sind überzeugt, dass der digitale Euro die Anlaufkosten wert ist.

Eine Billiglösung wird der digitale Euro vermutlich nicht: Man soll ihn mit seinem Konto verknüpfen können, damit man Guthaben vom Hauptkonto nachladen kann, wenn man etwas bezahlt. Das ist technisch komplex. Wie groß ist das Risiko, dass der Digital-Euro am Markt floppt, weil die Transaktionen am Ende zu teuer sind?

Hachmeister: Ich glaube eher, der digitale Euro sorgt für mehr Konkurrenz, die das Geschäft belebt. Denn Teile der Infrastruktur werden durch uns gebührenfrei zur Verfügung gestellt. Die Gebühren für den Handel, die bei anderen Zahlungsverfahren an die US-Anbieter wie Mastercard oder Visa gehen, sollen beim digitalen Euro limitiert werden. Der digitale Euro könnte Zahlungen also günstiger machen.

Balz: Neben dem Handel sind übrigens die Verbraucherschützer die größten Befürworter des digitalen Euros. Die wollen nämlich auch, dass durch mehr Wettbewerb die hohen Gebühren sinken.

Es kann aber auch passieren, dass die Banken noch ein bisschen Marge beim digitalen Euro drauflegen und sich an den Transaktionskosten im Handel gar nichts ändert.

Balz: Unser Wunsch wäre, dass der europäische Gesetzgeber einen möglichst präzisen Gebührenrahmen mit Obergrenzen festlegt, zum Beispiel in ähnlicher Höhe wie bei vergleichbaren Zahlungsmitteln – etwa der Girocard in Deutschland.

Der Vorschlag der EU-Kommission zum digitalen Euro sieht eine solche Obergrenze für Gebühren bereits vor. Offen ist dagegen die Frage, welche Obergrenze es für den Besitz digitaler Euro geben soll.

Balz: Über eine solche Obergrenze ist noch nicht entschieden worden. Die Diskussionen bewegen sich zwischen 500 und 3.000 Euro. Es ist vorgesehen, dass dieses Guthaben bei einem Bezahlvorgang sofort nachgeladen wird, falls der vorhandene Betrag nicht ausreicht. Wenn solch eine Wasserfalltechnik zum Einsatz kommt, kann man auch bei einer geringen Obergrenze höhere Zahlungen vornehmen.

Datenschutz und Anonymität spielen gerade bei deutschen Verbraucherinnen und Verbrauchern eine wichtige Rolle. Zugleich könnte die Anonymität Geldwäsche begünstigen. Wie lässt sich dieser Zielkonflikt lösen?

Balz: Das Thema Geldwäscheprävention ist uns sehr wichtig. Es wird deshalb über die Einführung einer Bagatellgrenze diskutiert. Liegt ein Zahlungsbetrag unterhalb dieser Schwelle, dann kann die Zahlung weitestgehend anonym abgewickelt werden. Für Beträge, die darüber liegen, sollte das dann nicht gelten.

Was wäre eine sinnvolle Bagatellgrenze?

Balz: Ich hätte viel Sympathie für eine Bagatellgrenze von 150 Euro. Damit lassen sich die Dinge des täglichen Bedarfs kaufen. Zum Beispiel mal ein kleines Geschenk, eine Flasche Wein oder ein Buch. Das wäre auch mit Blick auf das Thema Geldwäsche vertretbar. Denn klar ist: Niemand will sich durch eine digitale Währung neue Risiken einhandeln.

Gilt das auch für Risiken für die Finanzstabilität? Die Bankenvertreter warnen, dass der digitale Euro ihre Liquiditätspolster abschmelzen lassen könnte. Das könnte auch die Möglichkeiten für die Kreditvergabe beschränken.

Balz: Die Notenbanken haben nicht vor, sich durch eine digitale Währung zusätzliche Risiken für die Finanzstabilität einzuhandeln. Und deshalb werden wir den digitalen Euro so konzipieren, dass er nicht zu unkontrollierten Abflüssen von Einlagen bei Banken und Sparkassen führt. Aus diesem Grund diskutieren wir ja auch über ein Haltelimit.

Die Banken halten schon 3.000 Euro für bedenklich und fordern ein Limit im dreistelligen Bereich. Sie auch?

Hachmeister: Die deutsche Kreditwirtschaft könnte eine Obergrenze von 3.000 Euro schultern. Diese Grenze würde zudem gar nicht jeder ausschöpfen. Viele Menschen könnten es sich nicht leisten, einen solchen Betrag beiseitezulegen. Es wäre im Übrigen auch nicht attraktiv, da das Guthaben im digitalen Euro unverzinst ist. Der digitale Euro soll ein Zahlungsmittel sein, kein Wertaufbewahrungsmittel.

Balz: Wir streben eine öffentlich-private Partnerschaft an. Wir brauchen die Banken und Sparkassen für den digitalen Euro. Denn ich kann Ihnen versichern, die Bundesbank hat kein Interesse daran, potenziell 85 Millionen elektronische Geldbörsen zu eröffnen und zu verwalten. Das können die Banken viel besser.

Ein Grund für die Vorbehalte dürften auch die Investitionen einiger europäischer Banken in ein neues paneuropäisches Zahlungssystem sein, das EPI genannt wird. Macht der digitale Euro EPI überflüssig?

Hachmeister: Im Idealfall gelingt es, EPI und den digitalen Euro miteinander zu verbinden. Wir müssen den digitalen Euro zu den Menschen bringen, EPI könnte ein natürlicher Vertriebskanal dafür sein. Das könnte EPI vielleicht sogar mehr Zugkraft geben und für weitere europäische Banken attraktiv machen. Denn das Problem von EPI ist, dass es bislang nicht ganz Europa abdeckt.

Bislang sind nur Banken aus Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden daran beteiligt.

Hachmeister: Wenn es gelingt, den digitalen Euro und EPI geschickt zu verknüpfen, könnte EPI den amerikanischen Wettbewerbern stärker Konkurrenz machen. Mehr Wettbewerb wäre aus unserer Sicht wünschenswert.

Die Bundesbank bezeichnet den digitalen Euro als Toppriorität. Bislang steht aber noch gar nicht fest, dass der europäische Gesetzgeber ihn einführt. Glauben Sie an einen Beschluss noch vor der Europawahl?

Balz: Ich persönlich glaube nicht, dass es noch in dieser Wahlperiode einen Beschluss gibt.

Folgt man den Prognosen zur Europawahl, wird die Zahl potenzieller Unterstützer für den digitalen Euro eher sinken.

Balz: Die politischen Rahmenbedingungen in den nächsten Jahren können sich natürlich noch etwas ändern, denn bis zu einer möglichen Einführung des digitalen Euros – vor 2028 oder 2029 wird das nicht gelingen – wird es noch in so gut wie jedem Land der EU eine Parlamentswahl geben. Am Ende müssen sich die Europäer folgende Frage stellen: Weltweit gibt es mehr als 130 Projekte für digitale Zentralbankwährungen. Können und wollen wir es uns als zweitgrößter Währungsraum der Welt dauerhaft leisten, auf eine digitale Variante unserer Währung zu verzichten?

Sollten neben dem Europaparlament auch die nationalen Volksvertretungen einem digitalen Euro zustimmen?

Balz: Es gibt auf europäischer Ebene relativ klare Regeln. Danach müssen die nationalen Parlamente dem nicht zustimmen.

Aber wäre das bei einem so wichtigen Projekt nicht sinnvoll?

Balz: Die nationalen Parlamente haben Rechte an die europäische Ebene abgegeben, daher ist die Lage klar. Wir haben aber auf freiwilliger Basis frühzeitig vereinbart, dass wir dem Finanzausschuss des Bundestags regelmäßig Rede und Antwort stehen.

Das Eurosystem hat viel Geld investiert. Was geschieht, wenn sich die Europäer am Ende gegen ihn entscheiden?

Balz: Richtig, dann sind wir in Vorleistung gegangen. Das könnte bedeuten, dass man am Ende nüchtern sagen muss, das hat sich nicht ausgezahlt. Aber davon gehe ich nicht aus. Ich bin sehr zuversichtlich, dass der digitale Euro kommt.

Vielen Dank für das Interview.

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