Stellungnahme der Deutschen Bundesbank anlässlich der öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags am 11. Februar 2019 Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses am 11. Februar 2019 zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes über steuerliche und weitere Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-Steuerbegleitgesetz - Brexit-StBG)“

Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs (VK) aus der Europäischen Union (EU) wird auch London – neben New York das wichtigste Finanzzentrum der Welt – künftig nicht mehr den Regularien der EU unterliegen und nicht mehr Teil des europäischen Binnenmarktes sein. Dadurch ergeben sich diesseits und jenseits des Ärmelkanals weitreichende Auswirkungen für die Finanzinstitute. Es ist die Aufgabe von Regulatoren und Aufsehern, diese Auswirkungen einzuschätzen und die Institute aufsichtlich bei deren Umstrukturierungen und Anpassungen auf den Brexit zu begleiten. Dabei hat die Bundesbank von Beginn an die Institute angehalten, sich auf einen ungeordneten Brexit vorzubereiten.

Die Wirtschaftsgeschichte der EU kennt bislang nur Integrationsschritte. Daher ist der Brexit ohne Präzedenz und die damit verbundenen Auswirkungen und Handlungsfelder kaum vollständig abzuschätzen. Für Regulatoren und Aufseher ist es daher herausfordernd, im Einzelfall zweifelsfrei einzuschätzen, ob aus einem bestimmten Sachverhalt Risiken für die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte oder eine Gefährdung der Stabilität des Finanzsystems erwachsen oder nicht.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Bereiche des Bank- und Finanzmarktrechts in der EU harmonisiert sind. Insbesondere im Bereich der Regulierung von Drittstaatenzweigstellen und des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs gibt es in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Gestaltungen, die sich insbesondere im Rahmen des Brexit gezeigt haben. In der Konsequenz können zwischen den einzelnen nationalen Gesetzesinitiativen der EU-Mitgliedstaaten Abweichungen und gegebenenfalls Widersprüche entstehen, die von den Finanzmarktteilnehmern ausgenutzt werden könnten, was möglicherweise negative Effekte für die Stabilität der nationalen Finanzsysteme hervorrufen könnte. Angesichts der engen Verflechtungen der Akteure im EU-Finanzsystem können daraus auch Risiken für die übrigen EU-Mitgliedstaaten erwachsen. Eine Koordinierung der nationalen Maßnahmen und eine enge Zusammenarbeit der zuständigen nationalen Behörden sind vor diesem Hintergrund zu befürworten.

Nach Einschätzung der Bundesbank sind die Vorbereitungen auf den Brexit in vielen Bereichen und insbesondere bei den Kreditinstituten weit vorangeschritten und teilweise auch schon erfolgreich abgeschlossen: Die meisten im VK ansässigen Kredit- und Finanzdienstleistungsunternehmen haben zwischenzeitlich die nach dem Brexit notwendige Lizenz für ihre im Euroraum beheimateten Einheiten erhalten oder werden diese absehbar bis zum 29. März 2019 bekommen. Eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehung zu ihren in der verbleibenden EU beheimateten Kunden ist damit in der Regel sichergestellt. Für Deutschland sind dies 16 Banken, die Geschäfte nach Deutschland verlegen oder bereits vorhandenes Geschäft stark ausbauen. Gleichzeitig traf der Einheitliche Europäische Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism: SSM) Entscheidungen, die einerseits einen pragmatischen und effizienten Umgang mit den Brexit-induzierten Anpassungsmaßnahmen ermöglichen – zum Beispiel bei der vorübergehenden Tolerierung von im VK zugelassenen Risikomodellen durch SSM-Behörden – und andererseits die Beibehaltung der hohen und zuverlässigen Aufsichtsstandards des SSM sicherstellen - beispielsweise bei der konsequenten Durchsetzung angemessener Risikomanagement- und Governance-Strukturen in den in den Euroraum umsiedelnden Kreditinstituten.

Allerdings sieht die Bundesbank auf Seiten der Kunden der Institute noch Nachholbedarf, was deren Anpassungsmaßnahmen an einen ungeordneten Austritt des VK anbelangt. Kunden und EU-Institute müssen die erforderlichen vertraglichen Anpassungen für Neugeschäft in der EU leisten, sofern die Vertragsbeziehung bisher im VK lag. Nur wenn Banken und ihre Kunden einen vertraglichen und technisch-organisatorischen Rahmen für neue Geschäfte geschaffen haben, können Friktionen vermieden oder begrenzt werden. Für die deutsche Wirtschaft ist auch zukünftig die Versorgung mit Finanzdienstleistungen grundsätzlich gesichert. Der übergroße Teil der Produkte dürfte auch nach einem Brexit auf dem Kontinent verfügbar sein. Durch eine geringere Marktbreite und -tiefe können allerdings zumindest in einer Übergangsphase zusätzliche Kosten entstehen, da sich die Liquidität auf zwei Märkte aufteilt.

Es ist bislang noch nicht gelungen, ein Austrittsabkommen zwischen dem VK und der EU abzuschließen und einen bilateralen Rahmen für die künftigen langfristigen Beziehungen beider Wirtschaftsräume auszuhandeln. Ein solches Austrittsabkommen würde den Instituten mehr Zeit verschaffen, die notwendigen Weichenstellungen rechtzeitig abzuschließen. Die Möglichkeiten von Aufsehern und Regulatoren, in einem Szenario ohne Austrittsabkommen rechtzeitig reagieren zu können, sind ohne Anpassungen der bestehenden Gesetzeslage limitiert. Um im Falle eines ungeordneten Austritts das Risiko möglicher erheblicher Verwerfungen im Finanzsystem weiter zu reduzieren, sind daher sowohl der europäische als auch die nationalen Gesetzgeber gefordert, Maßnahmen zu ergreifen und Gesetze zu erlassen. Das vorliegende Brexit-Steuerbegleitgesetz ist in diesem Kontext zu sehen. Insbesondere die darin vorgesehenen finanzmarktrechtlichen Vorschriften können einen wichtigen Beitrag zur Funktionsfähigkeit und Stabilität des deutschen und des europäischen Finanzsystems im Falle eines ungeordneten Brexit leisten.

Die Bundesbank begrüßt daher insbesondere die vorgesehene Befugnis in § 53b Abs. 12 KWG-E. Der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) soll hiernach die Möglichkeit eingeräumt werden, Unternehmen mit Sitz im VK, die bislang in Deutschland über eine Zweigniederlassung oder im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs (sog. „Europäischer Pass“) tätig waren, zu gestatten, ihr Bestandsgeschäft für einen Übergangszeitraum bis maximal Ende 2020 fortzuführen. Eine solche Anordnung soll erfolgen, wenn sie für die Funktionsfähigkeit oder die Stabilität der Finanzmärkte bzw. im Falle von Versicherungsunternehmen zum Schutz der Versicherungsnehmer und den Begünstigten von Versicherungsunternehmen, erforderlich ist. Hiermit kann sichergestellt werden, dass zum Austrittszeitpunkt bestehende Verträge während der Übergangszeit erfüllt werden können, ohne dass ein Verstoß gegen die Erlaubnispflicht nach § 32 Abs. 1 KWG befürchtet werden muss. Durch die Erstreckung auf Bankgeschäfte und Finanzdienstleistungen, die in engem Zusammenhang mit dem Bestandsgeschäft stehen und nach dem Austrittszeitpunkt erbracht werden, werden auch sogenannte „Lifecycle Events“ erfasst, die regelmäßig im Derivatebereich auftreten. Somit werden nicht nur die Interessen der betroffenen Vertragsparteien im Inland abgesichert, sondern es wird auch Marktverwerfungen entgegengewirkt. Eine entsprechende Anordnung durch die BaFin kann ein wesentlicher Beitrag sein, den Instituten ggf. die noch notwendige Zeit zu verschaffen, um den Wegfall des „Europäischen Passes“ durch entsprechende Umstrukturierungen und Lizenzierungen zu kompensieren und sich somit dem Drittstaatenregime anzupassen. Zusammenfassend stellen die im Brexit-Steuerbegleitgesetz vorgesehenen Befugnisse ein wichtiges Instrumentarium für die nationale Aufsichtsbehörde dar, um flexibel und angemessen im Falle eines ungeordneten Austritts reagieren zu können. Dies ist aus Sicht der Bundesbank ein gutes und wichtiges Signal.

Zudem wird es möglicherweise bei Geschäftsbeginn von neu in Deutschland errichteten Instituten oder bei der Vergrößerung bereits bestehender Institute anfänglich zu Personalengpässen kommen. Daraus könnten Risiken erwachsen, die es zu vermeiden gilt. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass der Kündigungsschutz von Risikoträgerinnen und -trägern angepasst wird. Die Bundesbank begrüßt dieses Vorhaben, da diese Flexibilität die Finanzinstitute im Standortwettbewerb stärkt.

Trotz dieser positiv zu bewertenden Schritte des deutschen Gesetzgebers werden Herausforderungen verbleiben:

  • Der Unsicherheit über die mit dem (harten) Brexit verbundenen Auswirkungen auf das Finanzsystem kann durch eine weite Definition des Anwendungsbereiches von nationalen Übergangsregelungen wirksam begegnet werden. Hingegen würde eine übermäßig restriktive Anwendung des § 53b Abs. 12 KWG-E die Effizienz der Finanzmarktakteure zusätzlich zu den absehbar unvermeidlichen Effizienzeinbußen belasten. In der langen Frist muss jedoch die Integrität des europäischen Binnenmarktes im Vordergrund stehen.
  • Die Grundfreiheiten der EU – Kapitalverkehrsfreiheit, Personenfreizügigkeit, Güterfreiheit und Dienstleistungsfreiheit – sind untrennbar und nicht verhandelbar. Gleichzeitig besitzt London als mit Abstand bedeutendstes Finanzzentrum innerhalb der jetzigen EU eine besondere Rolle für die Finanzmarktakteure innerhalb der verbleibenden EU-Mitgliedstaaten. Da London auch außerhalb der EU ein wesentlicher Finanzplatz bleiben wird, würde ein erschwerter oder gänzlich unterbrochener Zugang nach London die Geschäftsmöglichkeiten hiesiger Institute in einigen Bereichen erheblich einschränken.
  • Gleichzeitig darf aber auch die Weiterentwicklung und Förderung des Finanzplatzes Deutschland nicht versäumt werden. Hier bietet die Digitalisierung Chancen einer vertieften Verknüpfung mit anderen kontinentaleuropäischen Finanzplätzen mit dem Ziel der umfassenden Versorgung der Realwirtschaft mit Finanzierungsmitteln. Entsprechende Initiativen sind anzustoßen, damit sich auch auf dem Kontinent ein global bedeutender Finanzplatz entwickeln kann.
  • Sämtliche Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Eindämmung negativer Effekte eines ungeordneten Brexit können stets nur vorübergehender Natur sein. Daher ist eine zeitliche Beschränkung der im Brexit-Steuerbegleitgesetz enthaltenen finanzmarktrechtlichen Vorschriften auf 21 Monate zu begrüßen. Dennoch sollte auch die langfristige Stabilität des europäischen Finanzsystems im Blick bleiben.

Verhandlung eines Austrittsabkommens ist Aufgabe der Politik. Aus bankaufsichtlicher Perspektive soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass - insbesondere im Falle eines ungeordneten Brexit - trotz der zahlreichen und umfassenden Maßnahmenpakete, die auf nationaler und europäischer Ebene bereits verabschiedet wurden oder noch in Vorbereitung sind, negative Folgen für beide Wirtschaftsräume nicht vermieden werden können. Eine Übergangsfrist, die durch den Abschluss eines Austrittsabkommens ausgelöst würde, würde durch die vorübergehende faktische Beibehaltung des Status quo einen umfassenderen, wenngleich ebenfalls nur befristeten Schutz vor einer Materialisierung möglicher Risiken bieten, als es jedes Maßnahmenpaket leisten kann. Eine Einigung auf ein Austrittsabkommen wäre vor diesem Hintergrund aus aufsichtlicher Perspektive eindeutig zu befürworten. In jedem Fall bedarf es aber zusätzlich auch langfristig tragfähiger Lösungen zur künftigen Beziehung der EU zum VK.